Siebenundzwanzig
Und dann lagen wir so da. Schauten in den Himmel und zählten die Sterne über uns. Der Himmel war so weit und der Ozean vor uns schien unendlich. Und als ich das so dachte, wurde mir selbst bewusst, wie kitschig sich das anhörte. So etwas hätte ich vor einigen Monaten noch nicht einmal gedacht und schon gar nicht ausgesprochen.
Was war nur mit mir passiert?
Ich konnte es selbst nicht beantworten, stellte aber fest, dass es gut so war. Ich war glücklich und das war alles was ich wollte.
Noch immer wehte ein seichter Wind über die Küste und ich kuschelte mich näher an Gabes Schulter. Ich drehte den Kopf leicht, um in sein Gesicht sehen zu können. Er lag mit geschlossenen Augen da, sah so zufrieden aus.
Am nächsten Tag brachen wir erst spät auf. Den Morgen verbrachten wir mit einem gemütlichen Frühstück in einem kleinen Café in der Stadt. Später gingen wir schwimmen und lagen eine Weile einfach nur am Strand und ließen uns von der Sonne die Haut bräunen. Irgendwann packten wir all unseren Kram zusammen und verstauten ihn feinsäuberlich im Gepäckraum. Dann fuhren wir los. Fuhren zurück nach Hause. Wir brauchten eine Ewigkeit, bis wir die langen, einsamen Straßen verließen und auf unseren alt bekannten Highway zurück fuhren.
Es war bereits spät, als wir schließlich zurück in Servington ankamen. Es dämmerte bereits schwer und die Straßenlaternen wurden eingeschaltet, tauchten die Straßen in ein mattes, orangenes Licht. Ich hatte mir während der kompletten Rückfahrt den Kopf darüber zerbrochen, wo ich nun hingehen sollte. Sollte ich zurück nach Hause gehen? Einfach in mein Zimmer schleichen, so als wäre nichts geschehen und ich wäre nie weggewesen? Oder sollte mich Gabe bei Lewis raus lassen? Oder sollte ich mich bei meinen Eltern entschuldigen? Ich hatte keine Ahnung, doch letzteres verwarf ich schnell wieder.
Als wir schließlich fast bei meinem Viertel waren, entschied ich mich kurz entschlossen nach Hause zu gehen. Ich würde einfach so weiter machen wie bisher und notfalls könnte ich immer noch gehen.
Gabe hielt den Wagen vor unserer Einfahrt. Ich starrte einen Moment einfach nur aus dem Fenster und betrachtete die graue Einfahrt und die weiße Marmorstatue, die vor unserer Haustür wartete. Trotz dessen, dass ich hier wohnte, war mir dieses Haus auf einmal fremder als je zuvor. Doch ich raffte mich schließlich auf und schwang mich aus dem Bus. Gabe stieg ebenfalls aus und half mir mein spärliches Gepäck auszuladen.
Ich schulterte meinen Rucksack, der bis oben hin, mit Kleidung und übrigen Einkäufen vollgepackt war und band mir meine Jacke um die Hüfte.
Gabe stand vor mir und lächelte. Ich erwiderte sein Lächeln, trat schnell einen Schritt nach vorne, stand auf Zehenspitzen und schloss ihn fest ihn meine Arme. Er erwiderte die Umarmung fest. Einen Moment standen wir einfach nur so da, bis ich schließlich meinen Kopf hob und ihn küsste. Ein langer, leidenschaftlicher Kuss. Seine Lippen waren weich und schmeckten noch immer salzig vom Meer. Ich wollte ihn gar nicht mehr loslassen, doch dann trat ich einen Schritt zurück und lief die schmale Steintreppe zur Haustür hinauf.
„Wir sehen uns."
„Wir sehen uns.", wiederholte er.
Ich zog den silbernen Schlüssel aus meiner Hosentasche und schloss auf. Erst als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte und meine Schuhe auszog, hörte ich draußen den Motor starten.
Leise tapste ich die Treppe hinauf, um niemanden aufzuwecken, woraus ich allerdings eher meinen Vorteil als den meiner Familie zog, und öffnete meine Zimmertür. In meinem Zimmer war es furchtbar stickig, offenbar war, seit ich weg war, niemand hier drin gewesen. Wahrscheinlich hatten sie gar nicht nach mir gesucht oder waren froh, dass ich weg war. Doch es war mir egal. Jetzt, nach diesem fantastischen Roadtrip, war es mir zum ersten Mal wirklich egal.
Also warf ich meinen Rucksack auf meinen Schreibtischstuhl, riss das Fenster sperrangelweit auf, worauf frische, kühle Nachtluft ins Zimmer strömte und mich sofort noch müder machte, als ich sowieso schon war.
Flüchtig zog ich mich um und legte mich anschließend ins Bett. Ich brauchte keine fünf Minuten, bis ich einschlief.
Es war 12 Uhr, als ich aufwachte. So lange hatte ich noch nie geschlafen, denn jedes Mal wurde ich von dem Gepolter meines Bruders draußen im Flur geweckt, oder wurde tatsächlich absichtlich aus dem Schlaf gerissen. Ich reckte mich und stand schließlich verschlafen auf. Aus dem Schrank zog ich mir eine zerschlissene Jeans und ein luftiges, orangenes Top und lief vorsichtig über den Flur bis zum Bad. Als mir schließlich bewusst wurde, dass ich wie ein Verbrecher durch mein eigenes Zuhause lief, hörte ich damit abrupt auf und zog schwungvoll die Badezimmertür auf. Was konnte mir schon passieren? Mehr als rausschmeißen konnten sie mich nicht!
Ich duschte ausgiebig und lief anschließend runter in die Küche. Darauf kamen mir zwei groß gewachsene, breitschultrigen Kerle entgegen. Colin und sein idiotischer Freund Mitch. Sie trugen beide das blaue Footballtrikot, auf dem in großen Buchstaben Servington College geschrieben stand. Mitch hatte ihn wohl abgeholt und beide würden jetzt ins Training fahren.
Mein Bruder blieb mitten im Türrahmen stehen und betrachtete mich einen Moment, als würde er erst eine Minute brauchen, um zu erkennen wer vor ihm stand. Ich rechnete mit allem. Von gehässigen Sprüchen, über „Verschwinde", bis zu „Schön dich wiederzusehen". Doch er zog nur eine Augenbraue hoch und meinte: „Und sie ist wieder da." Ich hatte keine Ahnung wie ich das verstehen sollte, deswegen drückte ich mich einfach an beiden vorbei und lief in die Küche.
Die beiden gingen weiter und sprachen über den „krassen" Runningback der Mannschaft, als wäre nichts gewesen.
Ich frühstückte gelassen und fuhr anschließend mit dem Bus zu Lewis.
Ich wollte ihn überraschen.
Nach sieben Haltestellen stieg ich schließlich aus und lief nur drei Häuser weiter, bis ich schließlich zum kleinen Reihenhaus, in dem er mit seiner Familie wohnte, kam.
Ich lief die Einfahrt hinauf und drückte auf die runde Klingel. Es schellte und dauerte nicht lang bis schließlich eine kleine, schlanke Gestalt mit engelhaften blonden Locken die Tür aufriss und gespannt zu mir hinauf blickte.
„Ja?", fragte sie, so als würde ich nicht direkt vor ihr stehen, sondern mit ihr telefonieren.
„Ist Lewis da?"
„Ja, ja. Lewis ist da. Ich hole hin." Sie nickte schnell und rannte die schmale Treppe hinauf, die zu seinem Zimmer führte.
Ich hörte Stimmen von oben, dann kam schließlich Lewis die Treppe hinunter. Er trug eine ausgebleichte Jeans und ein viel zu großes T- Shirt. Seine blonden Haare bildeten einen kleinen Wirbel über dem rechten Auge. Es war nicht zu übersehen, dass er gestern auf einer Party gewesen war.
Als er mich sah, blieb er einen Moment stehen. „Jade!"
Ich lächelte und er nahm die letzten paar Stufen schneller und schloss mich in die Arme. Ich drehte den Kopf etwas zur Seite, als er mir die Alkoholfahne direkt ins Gesicht atmete.
„Wo warst du? Und schämst du dich nicht, dass du mir nicht davon erzählt hast?" Er schüttelte grinsend den Kopf und fasste an die Türklinke. „Komm rein."
Hinter mir stieß er die Tür zu. Ich kam gar nicht dazu etwas zu sagen. „Wirklich."
„Komm wir gehen hoch."
Ich folgte ihm und lies mich in seinem Zimmer schließlich auf einen kleinen Hocker neben seinem Bett sinken.
In seinem Zimmer standen drei unterschiedlich große Regale, in denen sich Schulsachen, Bücher, CDs und sonstiger Krimskrams befanden. Die Decke lag fein säuberlich ausgebreitet auf dem breiten Bett. An den Wänden hingen einige Bilder. Von seiner Familie, von Partys und von uns.
„Jetzt erzähl schon. Wo hast du gesteckt?"
Und ich erzählte es ihm. Erzählte ihm vom Streit, dass ich Gabe in der Stadt getroffen hatte und dass wir kurz entschlossen einfach weggefahren waren. Ich erzählte ihm vom Roadtrip und von dem Festival auf dem wir gewesen waren.
Er hörte mir aufmerksam zu, hakte einige Male genauer nach und als ich fertig war, lehnte er sich hinten gegen die Wand und sagte: „Krass."
„Und ihr? Was habt ihr gemacht?"
Lewis seufzte. „Wir haben die meiste Zeit auf meine Schwester aufgepasst und sind in den Nächten von einer Party zur anderen gewandert. Jetzt bin ich dezent am Arsch und habe nen' Kater des Todes, aber was soll's." Er zuckte mit den Schultern und grinste.
Im Nachhinein wusste ich nicht wirklich ob ich das wissen wollte, aber ich fragte ihn trotzdem, was meine Eltern getan hatten, nachdem ich abgehauen war.
„So genau weiß ich das gar nicht, woraus man schließen kann, dass sie nicht sonderlich viel getan haben. Vielleicht fragst du mal deinen Bruder." Er zuckte die Schultern. „Aber ich glaube eher, dass sie dich jetzt ganz abgeschrieben haben. Immerhin ruft man normalerweise die Polizei, wenn jemand länger als zwei Tage, ich sag mal, „verschwunden" ist. Bist du denen noch nicht begegnet?"
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin nur Colin über den Weg gelaufen. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so."
Wir redeten noch eine Weile und Lewis erzählte mir das Neuste, was allerdings größtenteils nur aus Saufgeschichten und idiotischen Taten von Bryan und Phlipp handelte.
Am Abend fuhren Lewis, Josh, Phlipp, Bryan und ich zusammen in den Irsih Pub und es war, als wäre ich nie weggewesen. Wir redeten und lästerten über Mitschüler und machten uns über den Typ hinter der Bar lustig, der es irgendwie nicht auf die Reihe brachte, jedem das zu bringen, was er bestellt hatte. Es war wie immer.
Als ich schließlich wieder spät abends nach Hause kam, lief mir nun wirklich meine Mutter über den Weg. Ich wusste nicht, ob sie wirklich einfach nur zufällig nachts um kurz nach null Uhr durch den Flur schlich, oder ob sie das Auto gehört hatte und mir geplant über den Weg lief.
Jedenfalls stand sie einen Moment da und starrte mich, genau wie Colin, einen Augenblick einfach nur an. Ich wusste, ich sollte irgendetwas sagen, doch mir viel absolut nichts ein, also schaute ich einfach zurück.
Sie trug einen feinen Morgenmantel über dem blauen Nachthemd und hatte die Arme fest über der Brust verschränkt. Ihr strenger Blick musterte mich. Und wieder wusste ich nicht, wie ich das deuten sollte.
Als sie schließlich immer noch nichts sagte, zeigte ich schließlich zur Treppe. „Ich geh dann mal hoch." Sie erwiderte nichts, sondern schaute mir einfach vorwurfsvoll hinterher, während ich leise die Treppe hochging.
Ich wusste nicht was ich denken sollte. Wie lange war ich weg gewesen? Zwei Wochen? Und sie fragte mich nicht einmal wo ich gewesen war. Das war das endgültige Zeichen, dass ich ihr vollkommen egal war. Und trotz dessen, dass ich mich langsam damit abfand, fragte ich mich, was ich getan hatte, dass sie mich so sehr verachtete.
Doch, es waren nur noch wenige Monate bis ich achtzehn wurde, bis ich unabhängig war. So lange würde ich es noch aushalten müssen, dann könnte ich tun und lassen was ich wollte.
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Hey :)
Wie findet ihr die Geschichte? Was gefällt euch gut und was nicht? Auch welche Charaktere ihr gut findet und welche ihr nicht mögt, könnt ihr mir sehr gerne in den Kommentaren mitteilen. Ich würde mich auch über Verbesserungstipps und Meinungen freuen. Lasst mir auch ein Vote da, wenn es euch gefällt. Und wenn euch sonst noch irgendetwas auffällt, was ihr mir mitteilen möchtet, oder Veränderungen im Laufe der Geschichte, könnte ihr das gerne unten in den Kommentaren oder in einer privaten Nachricht tun. Ich würde mich freuen.
LG
Crownqueen144
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