Sechsundzwanzig
Die nächsten Tage waren genial. Genauso wie die letzten. Wir gingen zu den schönsten Konzerten, probierten die coolsten Dinge aus, spürten jeden Tag die wohlige Hitze der Sonne auf unserer Haut, hörten neue, inspirierende Musik und waren einfach glücklich. Diese Zeit war unbeschreiblich.
Doch auch als das Festival schließlich nach einigen Tagen vorbei war, spürte ich noch immer die Ausgelassenheit, die Zufriedenheit und das neue, unbekannte, unbeschreibliche Gefühl in mir, welches mir ein dauerhaftes Lächeln ins Gesicht zauberte.
Leise, verträumte Musik rieselte aus der schmächtigen Anlage im alten Bus. Ich saß tief vergraben auf dem Beifahrersitz, die Beine auf dem Armaturenbrett überschlagen. Die Landschaft zog vorbei und wir entfernten uns immer und immer weiter vom Gelände des Hollow Noise Festivals.
Wir fuhren nicht lange. Vielleicht ein bis zwei Stunden, bis wir am Nachmittag schließlich durch ein kleines Dorf nahe der Küste fuhren. Es war nicht sonderlich groß und die Bevölkerung, die sich tagsüber auf den Straßen befand, war ebenfalls sehr spärlich und doch hatte es etwas von Heimat, die trotzdem nicht dem Üblichen entsprach. Große Häuser, mit aufwendigen Verzierungen schmückten die bunten, aneinandergereihten Häuser in den Straßen und kleine, schnucklige Balkons sowie eingezäunte Gärten, befanden sich vor den Häusern. Auch einige alte Fachwerkhäuser reihten sich im kleinen Dorf.
Ich betrachtete die Gegend, während Gabe fuhr und las im Vorbeifahren ein Schild.
„Warte!", rief ich und unterbrach somit die seit einigen Minuten herrschende Stille.
Gabe fuhr abrupt langsamer und schaute verwundert zu mir herüber. „Was denn?"
„Ich hab dir doch was versprochen."
„Wovon redest du?"
„Wirst du gleich sehen. Fahr rechts ran. Das wird dir gefallen."
Gabe zog eine Augenbraue hoch, tat aber schließlich, was ich gesagt hatte und parkte den Wagen rechts an den Straßenrand. Er schien verwundert, aber gespannt.
Ich schnallte mich ab, öffnete die Beifahrertür und sprang aus dem Bus.
Wir warteten einen Moment, bis die Straße frei war und trabten dann auf die andere Straßenseite.
Ich zeigte auf das große, alte Schild über einem kleinen Geschäft. Darauf stand in großen Druckbuchstaben: U can't buy happiness, but u can buy a surfboard. That's pretty close.
Gabe drehte den Kopf zu mir, ein breites Lächeln zog sich über seine Lippen. Er streckte einen Arm aus und zog mich an der Schulter nah zu sich heran. „Du bist die Beste."
Ein sanftes Läuten ertönte, als Gabe die Tür öffnete und wir in den kleinen Laden eintraten.
Sorgfältig aufgereiht standen an der rechten Seite des Shops die unterschiedlichsten Surfbretter. Groß, klein, spitz, oval, kurz, lang, bunt, schlicht. Sonst hingen überall Poster von gigantischen Wellen und ebenso gigantischen Surfern, die sich trauten, diese Wellen zu reiten.
Ich war noch immer beeindruckt von dieser Surfernation.
Neoprenanzüge, Badehosen und Bikinis hingen ebenfalls sorgfältig über dunklen Bügeln an einigen Kleiderständern. Sonstige Ausrüstung befand sich auch in Regalen im ganzen Laden.
Keine zwei Sekunden nachdem Gabe und ich den Laden betreten hatten schwang sich schon ein schlanker Kerl aus einem Raum hinter die Theke. Seine blonden, schulterlangen Haare waren vom Sonnenlicht ausgebleicht und seine Haut ebenso von der Sonne gebräunt.
Er schenkte uns ein breites Lächeln. „Was kann ich für euch tun?"
„Das Schild draußen hat uns hergeführt." Gabe grinste mir zu. „Wir würden gern zwei Surfbretter ausleihen."
„Und vielleicht noch zwei Neoprenanzüge.", warf ich hastig ein. „Auf Dauer erfrier ich sonst."
Der blonde Verkäufer gab ein sympathisches Lachen von sich und nickte. „Sicher."
Er lief auf die rechte Seite, auf der die Surfbretter aufgereiht waren. Fachmännisch ließ er den Blick über die Bretter wandern.
„Und wie lange surft ihr schon?"
„Also, sie stand erst einmal auf dem Brett und ich surfe schon ungefähr seit ich fünfzehn bin. Also circa vier Jahre."
„Na schön."
Er zog zwei Bretter hervor und hielt jedem von uns eines hin. Ich nahm es vorsichtig entgegen.
„Müsste so passen.", meinte der Verkäufer locker.
Schließlich zog er noch zwei dunkle Neoprenanzüge von einem Kleiderständer und hielt sie uns ebenfalls hin.
Mit großen Schritten bewegte der Kerl sich schließlich wieder hinter die Theke und warf einen Blick auf die Kasse. „Macht dann $35."
Bevor Gabe den Geldbeutel zücken konnte, hatte ich schon das Geld auf den Tresen gelegt.
„Das spendier ich dir."
Wir schnallten die Boards schließlich mit einem alten zerfledderten Seil, welches Gabe mal benutzt hatte, um einen Freund aus dem Graben zu ziehen, wie er mir erzählte, kurzerhand aufs Dach. Im Kofferraum war nicht genug Platz, da unser Gepäck und das Zeug vom Festival noch immer alles versperrte. Unsere provisorische Konstellation sah jedenfalls nicht sehr stabil aus, jedoch konnte das Meer nicht mehr weit sein und wenn wir vorsichtig fuhren, würde das schon halten. Hofften wir jedenfalls.
Das Meer war wirklich nicht mehr weit. Wir fuhren keine zehn Minuten und schon trafen wir auf eine schmale, vom Wetter aufgebrochene Straße, die im Zickzack hinunter zum Strand führte.
Und der Strand war unglaublich schön. Er schien wie eine große Bucht, in die starkes, dunkelblaues Wasser floss und in schäumenden Wellen an den feinen Sandstrand rollte.
Wir waren nicht die einzigen dort. Es hatten sich bereits andere Surfer, wohl Einheimische, in die Wellen gestürzt.
Der Himmel war etwas bewölkt, doch die Sonne kämpfte sich trotzdem einen Weg hindurch. Auf der linken Seite befanden sich große Felsen, aus grauem Stein, auf dem Schilf und Gras wucherte. Überm Wasser kreisten Möwen und andere Vögel und das leise Rauschen des Ozeans klang vertraut in meinen Ohren.
Wir parkten auf einem kleinen asphaltierten Parkplatz, der keine fünf Meter weiter in Sand überging. Rechts von uns befanden sich zwei hölzerne Umkleiden und unten am Strand gab es sogar eine kleine Bar oder einen Laden, ich konnte es nicht genau erkennen.
Gabe zog die Handbremse und wir sprangen aus dem Wagen. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Bikini, schnappte mir den Neoprenanzug und zog mich schnell in der Umkleidekabine neben dem Parkplatz um.
Ich hatte Mühe mich in den Neoprenanzug zu zwängen, er war so eng, dass er mich quasi wie eine zweite Haut umschloss. Doch ich beschloss, dass es das wert war, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Wassertemperatur auf Dauer sonderlich angenehm war.
Ich zog den Reisverschluss am Rücken zu und schwang die Tür der Umkleide auf. Gabe hatte sich bereits daran gemacht, die Surfbretter vom Dach zu schnallen.
„Unsere Konstellation war wohl doch nicht so erbärmlich wie wir vermutet haben.", meinte Gabe und versuchte mit Mühe, den Konten des Seils zu lösen. „Das ist erstaunlich fest."
„Nie kann man es dir Recht machen.", scherzte ich und zog den Knoten auf der anderen Seite auf. „Geht doch!"
Wir hievten die Bretter vom Dach herunter, schlossen den Bus ab und liefen den schmalen Sandpfad zum Strand hinunter.
„Die Wellen sind aber schon ziemlich hoch.", sagte ich etwas unbehaglich, den Blick auf die Surfer im Wasser gerichtet, die elegant und gekonnt über die Brecher ritten.
„Das ist ganz normal für die Westküste, Jade. Das ist genauso wie an unserem Strand in Servington."
Ich drehte den Kopf zu Gabe. „Nicht das mir das nicht bewusst wäre."
„Man weiß ja nie.", neckte er mich und grinste.
Ich schüttelte den Kopf. „Du weißt genau was ich meine. Ich kann nicht surfen!"
Abrupt blieb Gabe stehen und stach das Surfbrett mit der Spitze voraus in den Sand. Beiläufig schnappte er sich die Sicherheitsleine des Bretts und schnallte sie sich an die Fessel.
„Ich weiß, dass du nicht surfen kannst, Jade. Aber es war deine Idee."
Ich hatte den Verdacht, dass er sich mühevoll ein Grinsen unterdrückte.
Na toll, ich werde sterben, dachte ich und strich mir die Haare hinters Ohr, die mir die frische Briese ins Gesicht wehte.
Ich ging nicht auf seine Feststellung ein, sondern meinte sarkastisch:„Aber wehe, du rettest mich nicht wenn ich sterbe."
Gabe grinste mir zu. „Natürlich. Wenn du stirbst, dann fische ich dich aus dem Wasser und sorge dafür, dass du eine angemessene Beerdigung bekommst."
„Na das will ich hoffen."
Ich schlang mir ebenfalls die Sicherheitsleine um die Fessel und joggte hinter Gabe her, der schon voller Freude hinunter zum Wasser joggte.
Ja, ich stellte fest, dass sich der Neoprenanzug wirklich gelohnt hatte, denn sobald ich auch nur bis zu den Knien im Wasser stand, spürte ich die Kälte bereits meine Beine hinauf kriechen. Ja, Hitze konnte ich aushalten, aber Kälte, war nicht sonderlich mein Ding.
Ich biss die Zähne zusammen und lief hinter Gabe tiefer ins Wasser. Schon hier vorne, wo das Wasser noch flach war, hatte ich Mühe standhaft zu bleiben und nicht von einer Welle umgestoßen zu werden.
„Also Coach Steel!", rief ich und schaute ihm erwartungsvoll hinterher. „Dann zeig mal deiner Schülerin wie's geht."
„Learning by Doing!", rief Gabe zur Antwort, ganz ohne sich umzudrehen und schwang sich aufs Brett. Schnell und kraftvoll paddelte er weiter raus.
„Du Arsch!", lachte ich und schwang mich, wenn auch nicht ganz so elegant wie er, aufs Brett und folgte ihm.
Doch als wir irgendwann weiter draußen waren baute sich eine nicht all zu kleine Welle vor uns auf. Für diesen Moment war ich mir nicht ganz sicher, wie ich daran vorbei kommen würde. Ich warf einen Blick auf Gabe, der einige Meter vor mir paddelte und schließlich kurzentschlossen den Kopf senkte und unter der Welle hindurch tauchte.
Ich hatte keine Ahnung wie er das gemacht hatte, aber drüber kommen würde ich sicher nicht, dafür war sie bereits zu hoch. Also senkte ich ebenfalls den Kopf und drückte mit meinen Armen das Brett unter Wasser. Das Salzwasser brannte in meinen Augen, als ich unter der Welle tauchte. Doch ich war wohl nicht tief genug, denn schon wenige Sekunden später rollte die Welle über mich hinweg und schleuderte mich vom Brett.
Das Wasser um mich herum sprudelte, so als würde es kochen und ich schwang die Arme, um wieder an die Wasseroberfläche zu gelangen.
Ich holte tief Luft, als ich dann oben ankam und zog an der Leine an meinem Fuß, um wieder zu meinem Brett zu kommen. Noch bevor die nächste Welle auf mich zu rollte, konnte ich mich aufs Brett schwingen.
„Na komm.", rief Gabe von weiter vorne. Ich konnte ihn kaum verstehen, das Rauschen der Wellen war so laut. „Die nächste nehmen wir. Darauf zu paddeln, aufstehen und surfen!"
Ich reckte den Daumen in die Luft. „Ich werd's versuchen!"
Den Blick nach vorne gerichtet, paddelte ich auf die Welle zu, die sich vor mir aufbaute und machte mich bereit zum Takeoff, wie es Gabe mir so schön beigebracht hatte.
Und dann stützte ich mich mit den Händen auf dem Brett ab und stellte mich auf die Füße. Zur Balance streckte ich die Arme von mir, ging leicht in die Knie und schwang mit dem Gewicht zur Seite um, auf die Welle zu kommen. Und zu meiner Überraschung klappte es.
Ich surfte!
Das Surfbrett schlitterte, nein glitt über die Welle, die sich weiter und weiter aufbaute, bis sie weiter hinten schließlich brach. Ich war vollkommen begeistert. Doch nicht viel später, verlor ich auch schon wieder das Gleichgewicht und fiel ins Wasser. Die Welle ließ mich vergessen wo oben und unten war, bis ich schließlich nach Luft ringend wieder an die Wasseroberfläche schwamm.
Ich strich mir das klatsch nasse, rote Haar aus dem Gesicht, welches mir die Sicht versperrte und blickte mich nach Gabe um. Mit den Armen stützte ich mich aufs Brett. Er war nicht weit hinter mir, surfte über die Welle, die ich soeben auch für einige Sekunden gesurft hatte.
Ich versuchte es ebenfalls noch einige Male, stand sogar mit jedem Versuch etwas länger auf dem Brett, bis ich wieder das Gleichgewicht verlor und herunter fiel.
Und es machte mir Spaß.
Ich verstand, was Gabe am Surfen fand, wieso er so oft runter zum Strand fuhr, um surfen zu gehen. Man fühlte sich auf irgendeine seltsame Art und Weise frei, konnte den Kopf frei kriegen und musste gleichzeitig an nichts anderes denken, als an das Meer und die Welle, die man gerade ritt. Es war beinahe entspannend.
Irgendwann hatte ich genug und paddelte wieder zurück zum Strand. Ich brachte das Surfbrett wieder hinauf zum Bus und zog mir trockene Sachen an. Dann schnappte ich mir eine Decke, den kleinen Gasbrenner und zwei Dosenmahlzeiten und breitete unten am Strand die Decke aus. Ich machte das Dosenfutter warm und irgendwann stieß Gabe wieder zu mir und wir genossen unser, wenn auch etwas spärliches, Abendessen.
Wir saßen noch den ganzen Abend so am Strand. Die nackten Füße im Sand vergraben, eng aneinandergekuschelt, immer die Nähe des anderen suchend. Der laue Wind kühlte unsere Gesichter und der in Rot- und Orangetönen leuchtende Sonnenuntergang im Hintergrund, brachte die Wolken zum leuchten.
Irgendwann wurde es noch später und die Sonne verschwand gänzlich hinter dem Meer. Gabe lag neben mir und hatte den Arm um mich gelegt. Es war unglaublich schön, einfach nur seine Nähe zu spüren und ich konnte in jedem Moment das aufgeregte Kribbeln in meinem Bauch spüren, welches ich immer wahrnahm, wenn Gabe mir so nahe war.
Und dann schaute ich in den Himmel und sah so unglaublich viele Sterne über mir, die funkelten wie tausend kleine Kristalle. Und dann wünschte ich mir für diesen kleinen Moment, nie mehr etwas anderes zu sehen. Neben ihm zu liegen und Sterne zu zählen. Das war es, was ich wollte.
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