Achtzehn

Wir saßen in der Sonne, gelehnt an Gabes altem Bus. Wir genossen die Hitze der Sonne auf unserer Haut. Im Hintergrund war das Rauschen des Meeres zu hören und ein seichter, warmer Wind säuselte über die Küste. Ich fand es hier schön. Unglaublich schön. Ich hatte mich schon immer zum Meer und der Sonne hingezogen gefühlt. Hier konnte man genau spüren, wie groß die Welt wirklich war. Es fühlte sich so unwirklich an, wie in einem Traum und im anderen Moment fühlte es sich an wie die Realität. Es war als wäre ich neu geboren worden. Ich hatte sozusagen meine Vergangenheit in meiner Heimatstadt zurück gelassen und begann hier nochmal von vorn. Und es fühlte sich gut an. Ich fühlte mich gut.

Ich hob den Blick und schaute in den Himmel. Keine einzige Wolke war zu sehen. Ich vergrub meine Hände im saftigen Gras und lehnte meinen Kopf gegen die Autotür. Ich schloss einfach die Augen und genoss den Moment. Die Zeit.

Etwas später beschlossen wir weiter zu fahren. Wir hatten uns kein richtiges Ziel vorgenommen, sondern würden einfach dort anhalten wo es uns gefallen würde.

Wir verstauten alles im Kofferraum. Schwungvoll öffnete ich die Beifahrertür und ließ mich auf den Sitz fallen. Gabe steckte den Schlüssel ins Zündschloss und startete den Motor. Fuhr los. Ich zog blind eine CD aus der Stofftasche heraus, in der wir sie vorhin verstaut hatten und zog sie aus der Hülle. Vorsichtig schob ich sie in den Player und drehte laut auf.

„Wenn das gleich mit Born to be wild beginnt, kann die CD ja nur gut sein!", kommentierte Gabe breit lächelnd und drehte den Lautstärkeregler noch etwas weiter auf.

Gabe tippte zum Takt mit den Fingern auf dem Lenkrad herum und mein Fuß begann augenblicklich mit zu wippen.

Gabe fuhr vom schmalen Feldweg herunter und bog wieder auf die Straße ab, die an der Küste entlang führte. Wir hielten es eine Strophe aus, doch beim Refrain konnten wir uns nicht halten und sangen beide laut mit.

Ich lachte. Als hätten wir uns abgesprochen.

Wir fuhren ungefähr zehn Minuten, bis wir auf eine traumhaft schöne Straße kamen, die direkt an den Klippen entlang führte. Sie schlängelte sich natürlich über das Land. Und man hatte einen unglaublich schönen Ausblick auf das Meer, die Klippen und die Berge auf der anderen Seite. Alles war grün und blühte.

Ich drehte die Musik noch etwas lauter und fuhr das Fenster herunter. Der warme Wind peitschte mir ins Gesicht und ich roch den frischen Duft von Wind, Sommer und Meer. Ich streckte einen Arm aus dem Auto und wurde vom Druck erfasst, der meinen Arm augenblicklich nach hinten drückte. Ich lachte und hielt dagegen.

Es fühlte sich toll an. Also lehnte ich mich weiter aus dem Fenster, streckte erst den Kopf heraus. Der Wind wirbelte meine Haare umher, sodass ich fast nichts mehr sehen konnte.

Ich hörte Gabes Lachen.

Ich lehnte mich weiter aus dem Auto und streckte die Arme in die Luft.

„Wohoo!", schrie ich und spürte das Peitschen des Fahrtwindes auf meiner Haut. „Wie geil ist das denn!?", rief ich überschwänglich.

Ich konnte das breite Grinsen, welches sich auf meinem Gesicht ausbreitete, nicht unterdrücken. Mein Blick wanderte über die schmale Straße, auf der wir fuhren, und über den Rand der Klippen. Das Wasser rollte langsam an den Strand und brach sich. An einigen Felsen, die mitten im Wasser standen spritzte das Wasser hinauf. Das Meer glitzerte in der Sonne und die Berge links neben uns waren mit Bäumen, Büschen und Gräsern bewachsen.

Paradies.

Die Zeit rannte an uns vorbei, als wären es Minuten gewesen und die Sonne bewegte sich immer weiter in Richtung Westen.

Irgendwann zog ich mein Handy aus meiner Tasche. Das kleine Licht links oben blinkte.

Nachricht.

Ich öffnete sie. Sie war von Lewis.

Wo bist du? Ist bei dir alles klar?

Ich lächelte. Immerhin einer, der sich um mich sorgte und sich fragte wo ich war. Von meinen Eltern hatte ich noch keine Nachricht oder einen Anruf erhalten. Würde ich wahrscheinlich auch nicht. Wieso auch?

Doch es freute mich, dass Lewis an mich dachte. Kurz malte ich mir aus, wie es wäre, wenn sie hier wären. Wenn Josh, Phlipp, Bryan und Lewis hier dabei wären. Dann wäre es so wie immer. Lustig, man würde über alles möglich reden und irgendwelches dummes Zeug machen, doch es wäre wie immer. Und das wollte ich nicht. Ich wollte etwas anderes. Einfach mal vergessen und abschalten.

Mir geht's gut. Ich bin weg.

Keine Ahnung ob ihm das reichen würde, aber mehr wusste ich nicht zu sagen. Doch es musste ihm gereicht haben, denn ich hielt keine Antwort darauf. Lewis kannte mich. Er wusste, dass es mir gut ging und dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte.

Ich warf mein Handy zurück auf die umgeklappten Sitze und zog die Landkarte aus dem Handschuhfach. Mit dem Zeigefinger fuhr ich die Strecke entlang, die wir gestern und bis zu diesem Zeitpunkt zurückgelegt hatten. Wir waren weit gekommen.

Irgendwann hatten wir uns dazu entschieden, die Küstenstraße zu verlassen und fuhren links ins Landesinnere. Mittlerweile hatte ich jeglichen Überblick verloren. Wir fuhren einige Stunden ziellos ins Land hinein. Allein die Fahrt war unglaublich schön. Links und rechts der schlichten Straße roter Stein und Sand. Sogar einige große Felsen, die wie Türme mitten in der Steppe standen. Wenn wir plötzlich einen Cowboy über den Haufen gefahren hätten, hätte mich das nicht gewundert. Ich fühlte mich wie in einem Western.

Wir fuhren eine Weile durch die traumhaft schöne Gegend, bis wir beschlossen anzuhalten. Wir wollten uns etwas umsehen und vielleicht ein paar Bilder machen.

Gabe parkte das Auto am Rand der Straße.

Ich ließ die Beifahrertür aufschwingen und sprang aus dem Bus. Die Sonne stand tiefer, doch es war noch immer drückend heiß. Ich band mir einen Pferdeschwanz, um die Haare aus dem Gesicht zu haben und schlüpfte in feste Schuhe.

„Komm schon!", rief ich Gabe von Weitem zu und winkte ihn zu mir. Er stand noch am Bus und drückte den Kofferraum zu.

Ein breites Grinsen schob sich über unsere Gesichter und er joggte auf mich zu.

„Na, komm!", wiederholte ich und rannte von ihm davon durch den roten Sand.

Ich rannte geradewegs durch die beinahe endlose Steppe. Es war fantastisch. Ich hatte das Gefühl bei jedem Schritt schneller und schneller zu werden. Beinahe flog ich. Schneller und immer schneller. Es war ein berauschendes Gefühl. Bei jedem meiner Schritte stob Sand auf und wirbelte durch die Luft. Ich spürte den harten Boden unter meinen Füßen und sah die Landschaft, die an mir vorbei zog. Die warme, drückende Luft zog am mir vorbei. Alle Last fiel von mir ab. Ich konnte mich gar nicht mehr bremsen. Ich rannte einfach weiter in die fast endlose Weite.

Starke Arme legten sich um meinen Oberkörper und brachten mich somit zum Stehen. Ich lachte und wurde mit Schwung zur Seite gedreht.

Ich grinste breit und blickte Gabe glücklich an. „Danke!"

„Wofür?", fragte er verwundert, lächelte und ließ mich los.

„Dafür, dass du mich mitgenommen hast. Mit mir diesen Roadtrip machst."

„Gern geschehen.", sagte er und lächelte ebenfalls. „Danke, dass du mich auf diese Idee gebracht hast."

Ich grinste.

Die Landschaft bestand aus kleinen Hügeln, Steinen und Felsbrocken. An einigen Stellen befanden sich ausgebleichte, grüne Büsche, die ihre Wurzeln hartnäckig in den Sand vergraben hatten. Doch ansonsten befanden sich hier keine Pflanzen. Alles hier bestand aus rotem Sandstein und Sand. Hier war weit und breit keine Zivilisation zu sehen. Davon waren wir meilenweit entfernt. Und das war auch gut so. Es war gut, von allem weg zu sein. Abgeschottet von der Realität.

Wir liefen bis zu einem der großen Felsen, die mitten in der Landschaft standen. Es war weiter als wir erwartet hatten. Von Weitem sahen sie nicht sehr groß aus, doch als wir darunter standen, wurde uns die Größe bewusst.

Als wir nur noch wenige Meter vom Felsen entfernt waren, zog ich mein Handy aus der Hosentasche und machte einige Schnappschüsse. Ich musste das hier unbedingt bildlich festhalten.

„Komm, ich mache ein Bild von dir!", sagte ich und winkte Gabe vor den Felsen.

Er grinste und stellte sich davor. Warf sich wortwörtlich in Pose. Er stemmte eine Hand in die Hüfte und blickte theatralisch in die Ferne.

Ich lachte und drückte ab. Das Bild war verwackelt, also machte ich noch eines und noch eines.

„Okay, aber jetzt wirklich.", meinte ich mit strengem Blick und Gabe hob die flache Hand an die Stirn, wie beim Militär.

„Zu Befehl."

Aber ich musste sagen, er war ein schlechtes Model.

„Okay, lass uns eins zusammen machen.", machte Gabe den Vorschlag und kam wieder auf mich zu.

„Ja, du kannst ja Gott fragen, ob er ein Bild von uns macht.", lachte ich.

Gabe schüttelte den Kopf und zog mir das Handy aus der Hand. „Ich weiß ja nicht in welchem Jahrhundert du geboren bist, aber es gibt immer noch sowas wie einen Selbstauslöser oder eine Innenkamera."

Ich lachte und Gabe stellte den Auslöser meines Handys auf zehn Sekunden.

Wir positionierten mein Handy auf einem kleinen Felsbrocken und rannten schnell vors Bild.

Wir streckten die Arme in die Luft und lachten breit.

Und es war das perfekte Bild. Es beinhaltete pure Freude. Kein gestelltes Lächeln, wie auf Passfotos oder Selfies, die durchs Internet rauschten. Es war echt.

Wir alberten noch eine Weile herum, bis wir uns schließlich wieder auf den Rückweg zum Bus machten. Die Sonne sank langsam immer tiefer, bis sich ein roter und orange leuchtender Schleier über den Horizont zog.

Gabe öffnete mit einem Klick den Bus und wir öffneten den Kofferraum. Ich zog mir erstmal eine Wasserflasche heraus und trank.

„Sollen wir schon essen?", fragte Gabe irgendwann, nachdem er sich ebenfalls eine Wasserflasche geschnappt hatte.

Ich nickte. „Ja, so langsam bekomme ich Hunger."

Während Gabe gefühlt die ganze Flasche leer trank, kramte ich im Kofferraum nach dem Gasbrenner, dem Feuerzeug und zwei Dosen Chili Con Carne.

Ich konnte nicht sagen wie, aber irgendwie schaffte ich es den Gasbrenner zu entzünden und das Dosenfutter zu erhitzen.

„Ich glaube wir müssen uns demnächst irgendwas zu Essen kaufen, was nicht kochend heiß ist. Bei der Hitze kann ich nicht auch noch heißes Essen in mich rein schaufeln.", sagte Gabe und ließ sich neben mich in den Staub sinken.

„Du kannst es ja auch kalt essen.", sagte ich, zuckte die Schultern und warf ihm die noch geschlossene Chili Dose zu.

„Ne, danke.", grinste Gabe, fing und stellte sie neben sich ab.

Es dauerte nicht lange, bis das Zeug erhitzt war und wir aßen. Ich schob mir einen Löffel Chili in den Mund betrachtete gleichzeitig den Sonnenuntergang. Ich empfand es als den schönsten Sonnenuntergang, den ich je gesehen hatte. Rot, pink, lila und orange schimmerte der Himmel und übertrug eine unglaubliche Stimmung auf mich. Es war so echt und doch so wie in einem Traum.

Das war Freiheit. So fühlte sich Freiheit an.

Wir konnten tun und lassen was wir wollten und keiner konnte uns aufhalten. Wir könnten schon am nächsten Tag zurück in die Stadt fahren oder für immer fort bleiben. Das war Unabhängigkeit. Frei von allem und jedem.

Als ich mein Pappteller leer war, schaute ich zu Gabe, der ebenfalls den Sonnenuntergang betrachtete.

„Spielst du mir etwas vor?", fragte ich und wartete gespannt auf seine Reaktion.

„Mit der Gitarre?"

„Ja."

Er dachte wohl einen Moment nach, dann stand er jedoch auf und zog seine Westerngitarre aus dem Bus.

„Ich brauche einen Moment, bis ich sie gestimmt habe.", sagte er und zupfte an der obersten Saite. Drehte dann oben.

Es überraschte mich nicht, dass er das aus dem Gehör konnte, doch es beeindruckte mich. Ich selbst konnte so etwas nicht. Ich hatte lediglich etwas auf einer alten Ukulele geklimpert, die ich zu meinem sechzehnten Geburtstag bekommen hatte. Die Akkorde hatte ich mir selbst beigebracht und nur in einem kleinen Buch nachgeschaut, wie man sie griff. Wahrscheinlich hörte man das auch.

Gabe begann leise an den Saiten zu zupfen, bis sie eine fremde Melodie ergaben. Die Gitarre war das schönste Instrument, dass ich kannte. Mit leichten Fingern fuhr er über das Griffbrett und zupfte mit der anderen Hand an den Saiten. Dann begann er zu singen. Ich lauschte ihm gespannt. Lauschte den Klängen.

Es war wunderschön.

Der Sonnenuntergang, die Landschaft, die Musik.
Und einen Moment wünschte ich mir, es würde nie aufhören.

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Hey :)

Was sagt ihr zu diesem Kapitel? Wie gefällt euch die Geschichte und wie denkt ihr, wird sie weiter gehen? Ich würde mich sehr über euer Feedback freuen. Lasst mir auch gerne ein Vote da, wenn euch die Geschichte gefällt.

LG

Crownqueen144

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