Achtundzwanzig

Einige Tage danach rief Gabe an und ich nahm wenig später den Bus und fuhr zu ihm in die Stadt. Die Haltestelle war nicht weit weg von der Wohnung, in der er wohnte, also brauchte ich nicht lange, bis ich schließlich die Treppen hinauf zu seinem Apartment joggte. Ich war gerade damit beschäftigt, nach den Zimmernummern zu schauen, als bereits die mit einer vierzehn beschriftete Tür aufschwang und Gabe hinaus trat.

Seine Lippen verzogen sich automatisch zu einem breiten Lächeln und er breitete die Arme aus. Es war als hätten wir uns ewig nicht gesehen, obwohl es nur einige Tage waren. Ich rannte die letzten par Schritte auf ihn zu. Die Schnallen an meiner Tasche klapperten und meine Jacke bauschte sich auf, bevor ich ihm schließlich in die Arme fiel, er sein Gesicht zu mir herunter beugte und mir einen verträumten Kuss gab. Es war komisch das festzustellen, aber ich musste zugeben, dass ich ihn vermisst hatte, auch wenn nur wenig Zeit vergangen war, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Seit wir zurück von unserer kleinen Reise gekommen waren.

„Komm rein.", sagte er schließlich und öffnete die Tür.

Seine Wohnung sah aufgeräumter aus, als an dem Tag, an dem wir aufgebrochen waren. Doch ich vermutete, dass das nur an unserer spontanen Aktion gelegen hatte. Helles Licht schien durch ein kleines Dachfenster über seinem Schreibtisch und schwüle Luft drang durch die offene Balkontür in die Wohnung.

„Setz dich.", lud Gabe mich ein und zeigte auf die kleine Couch vor dem Fernseher.

Ich legte meine Tasche neben das Sofa und ließ mich anschließend neben Gabe in die Kissen sinken.

„Und? Was haben deine Eltern gemeint, als du wieder da warst?"

Seufzend lehnte ich mich zurück. „Gar nichts."

„Was?"

„Ja. Das ist mein Ernst." Ich zuckte die Schultern. „Sie haben wirklich nichts gesagt. Ich bin wieder gekommen und Mom hat mich nur vorwurfsvoll angeschaut, so als würde sie meinerseits irgendwas hören wollen. Vielleicht erwartet sie eine Entschuldigung, keine Ahnung. Aber das kann sie sich abschminken. Ich werde mich nicht entschuldigen!"

„Okay...", setzte Gabe an. Offenbar wusste er selbst nicht, was man dazu sagen sollte. „Das ist scheiße. Wirklich scheiße."

„Ja, aber was soll's!" Ich hob die Hände. „Ich hab mich damit abgefunden, dass ich ihnen scheiß egal bin. Das hab ich wirklich. Jetzt sind sie mir ebenso egal."

Er wollte gerade etwas erwidern, doch ich kam ihm zuvor. „Und bei dir? Wie geht es deiner Mutter und deinen Freunden?"

„Meiner Mutter geht's gut. Sie hat einen neuen Job. Ihr alter Job in der Fabrik, den sie eigentlich nur als Übergang machen wollte, den sie aber bestimmt zwei Jahre ertragen hat, hat sie nur noch fertiger gemacht. Aber jetzt geht's ihr wirklich besser, mit dem neuen Job. Ich glaube wirklich, dass sie so langsam darüber hinweg kommt." Er lächelte erleichtert.

Es musste schrecklich für ihn sein, den eigenen Vater zu verlieren und gleich darauf auch noch seine eigene Mutter, die für ihn wohl einige Zeit unerreichbar gewesen war.

„Aber lass uns nicht darüber reden.", meinte er und ein Grinsen zog sich über sein Gesicht, welches mich augenblicklich ansteckte. An meiner Jacke zog er mich zu sich herüber und unsere Lippen berührten sich sanft. Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und sank langsam auf seinen Schoß. Seine Finger strichen durch mein offenes Haar und schlossen sich um meine Taille, während wir uns begierig küssten. Ich konnte förmlich spüren, wie unser Verlangen immer größer wurde, wir immer näher zusammen rückten.

Mit sanften Küssen wanderten seine Lippen meinen Hals hinunter, mit geschlossenen Augen lehnte ich meinen Kopf zurück. Mein Körper schauderte unter seinen sachten Küssen und es war als würde für einen Moment die Zeit still stehen. Als gäbe es nur noch uns beide. Dann wanderten seine Lippen wieder hinauf zu meinen und ich küsste ihn fordernd.

Gabe strich mit den Fingern meine Seite hinunter, bis er schließlich am Ende meiner Bluse angelangt war. Sacht streichelte er mir über die Haut zwischen dem unteren Rand meiner Bluse und dem Bund meiner Jeans. Als ich schließlich an seinem T- Shirt zog, streifte er es sich schnell über den Kopf und half mir meines auszuziehen. Achtlos warf ich die Bluse auf den Boden und vertiefte mich in einen weiteren Kuss. Dann hob er mich plötzlich hoch und ich schlang meine Beine um seinen Körper, während wir uns noch immer küssten und uns langsam auf sein Bett sinken ließen.

Kurz schossen mir einige Bedenken durch den Kopf, doch als Gabe sanft mit den Fingern über meine Wange streichte und mich ebenso sanft küsste, wusste ich, dass ich nichts zu bedenken hatte. All diese Gedanken fielen von mir ab und für diesen Moment gab es nur noch uns beide.

Am Nachmittag schlug Gabe schließlich vor, eine Motorradtour zu machen und ich war begeistert einverstanden.

„Aber ohne Montur steigst du mir nicht aufs Motorrad.", erklärte er und zog aus seinem Kleiderschrank eine zweite, gepolsterte Motorradjacke und eine dicke Schutzhose.

Ich schlüpfte schließlich in das Zeug, auch wenn es mir viel zu groß war. Gabe reichte mir einen Helm und dann liefen wir beide die schmale Treppe zum Parkplatz hinunter.

Gabe parkte sein schwarzes Motorrad aus der Garage aus. Es glänzte in der Sonne.

Ich setzte meinen Helm auf, während Gabe den Motor anschmiss und das Teil laut aufheulte. Rauchige Abgase zogen aus dem Auspuff und verteilten sich in der Luft. Er setzte sich ebenfalls den Helm auf und grinste. Darauf schmolz ich fast dahin. Er sah so unglaublich gut aus. Und er war mit mir zusammen.

Vorsichtig stieg ich hinter ihm aufs Motorrad und schlang die Arme um seine Taille, stützte die Hände vor ihm auf den Tank.

„Halt dich gut fest, wir fahren kurz über den Highway, um schneller aus der Stadt raus zukommen.", sagte er und drehte sich zu mir zurück.

Ich nickte. „Alles klar. Fahren wir." Für einen Moment versuchte ich meine Aufregung vor ihm zu verbergen. Er hatte mich zwar schon mal mit dem Motorrad nach Hause gefahren, aber über den Highway würde er bestimmt nicht gerade die Hand vom Gas nehmen.

„Dann los.", rief er und klappte sein Visier herunter. Ich tat es ihm gleich.

Und dann fuhr er los. Die breite Hauptstraße durch die Stadt, während Hunderte neben uns auf den Plätzen und Straßen herumliefen.

Irgendwann verließen wir dann die Stadt und wir fuhren eine zweispurige Straße zum Highway hinauf.

Und er gab Gas. Reihte sich zwischen den Autos und vereinzelten Trucks ein und schlängelte sich gekonnt voraus. Die Luft rauschte durch die Luftlöcher in meinem Helm und ich genoss für diesen Augenblick den Rausch der Geschwindigkeit. Die Sonne stand schon tiefer und versteckte sich hinter einigen Wolken, doch es war noch fast genauso warm wie um die Mittagszeit.

Irgendwann fuhren wir schließlich wieder vom Highway herunter und kurvten auf einer unglaublich schönen Landstraße entlang, an der nur vereinzelte Autos unseren Weg kreuzten. Wälder, Wiesen und Felder rauschten an uns vorbei und ein schöner Duft von Sommer, Sonne und Blüten lag in der Luft. Für einen Moment schloss ich die Augen. Spürte lediglich das Vibrieren des Motors unter mir und den Fahrtwind der um uns herum stob.

Nach einer Weile fuhr Gabe einen schmalen Schotterweg hinunter, der zu einem kleinen See führte. Ich wusste nicht, ob das sein Ziel war oder ob er einfach spontan hier runter fuhr. Als er schließlich an einem kleinen Parkplatz hielt, auf dem ebenfalls einige Autos standen, schwang ich mich vom Motorrad und zog mir den Helm vom Kopf.

Gabe stellte den Motor aus und stieg ebenfalls von seiner Maschine herunter. Er fuhr sich durch die blonden Haare, die ihm wegen des Helms zerdrückt am Kopf klebten.

„Das ist soo cool!", strahlte ich und schälte mich aus der dicken Schutzjacke. „Verboten, dass wir erst jetzt eine Tour machen!"

Gabe schmunzelte. „Das dachte ich mir." Er warf einen Blick über seine Schulter. „Lass uns runter zum See gehen, was meinst du?"

„Hört sich sehr gut an.", stimmte ich ihm gedehnt zu und lächelte.

Wir liefen nebeneinander den schmalen Weg zum See herunter.

Es war so schön.

Kleine Tannen reihten sich nebeneinander um den See herum, Schilf wuchs am Rande des Ufers empor und wiegte sich sachte im Wind. Ein kleiner, hölzerner Steg führte einige Meter in den See hinein. Das Ufer war sandig, was aber wahrscheinlich aufgeschüttet worden war, jedoch störte das nicht das Bild des Sees. Einige Leute saßen im Schatten unter einem Baum oder lagen in Badesachen in der Sonne. Andere saßen an kleinen runden Tischen, weiter oben, in einem kleinen Café.

Gabe und ich liefen hinunter zum Steg und zogen unsere restliche Motorradkleidung aus, die wir am Ufer liegen ließen. Wir liefen über den morschen Steg und als wir so darüber liefen, hatte ich kurz das Gefühl, er könnte jeden Moment unter uns zusammenbrechen. Doch hinten angekommen setzten wir uns an den Rand und ich streckte meine Füße ins eiskalte Wasser. Wir saßen so eine ganze Weile und redeten über alles mögliche, wie den Roadtrip, meine Freunde oder seine Arbeit, bis es irgendwann etwas abkühlte und der Wind stärker wurde. Wir packten unsere Sachen und setzten uns hinauf ins Café, aßen Kuchen und Gabe trank Kaffee.

Augenblicklich musste ich an Lewis denken, der fast süchtig danach war. Er trank Kaffee wie Wasser, was schon fast etwas unheimlich war, da er sich, wenn er mal keinen trank, wie ein Zombie bewegte. Ich hatte noch keinen Gefallen an diesem bitteren Getränk gefunden, auch wenn mir der Geruch gefiel, und ich glaubte, dass ich auch nie Gefallen daran finden würde.

Erst am Abend, machten wir uns auf und fuhren zurück nach Hause. Der Himmel hatte sich zugezogen und versperrte der Sonne die Sicht.

Gabe gab Gas und wir rauschen über die zweispurige Landstraße zurück. Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter und beobachtete die Landschaft, an der wir vorbeizogen. Doch als sich der Himmel immer weiter verdunkelte, fielen irgendwann die ersten Tropfen. Zuerst perlten sie an unserer dicken Schutzkleidung ab, doch als der Regen immer und immer stärker wurde, die Straße rutschig wurde und die Wiese bereits in Pfützen lag, tränkte sich der Regen durch die Montur, bis wir irgendwann von oben bis unten durchnässt waren.

In der Ferne konnte ich es donnern hören.

Das Wasser auf der Straße spritzte auf, als wir durch einige Pfützen fuhren. Ich schlang die Arme fester um Gabes Oberkörper.

Wir waren nicht mehr weit von Servington entfernt, als wir schließlich um eine schmale Kurve bogen. Doch plötzlich kam wie aus dem Nichts ein Auto auf uns zu, dessen grell leuchtenden Scheinwerfer uns blendeten. Das Auto fuhr viel zu weit rechts, sodass es über den weißen Mittelstreifen, fast bei uns auf der rechten Spur fuhr.

Gabe schwenkte nach rechts. Alles ging zu schnell. Wir waren zu schnell, das Auto war zu schnell und die Straße zu rutschig. Gabe versuchte auszuweichen, doch der Regen machte die Straße so glatt, dass wir, noch immer mit hoher Geschwindigkeit, ins Schlingern kamen.

Mir blieb für einen Augenblick das Herz stehen. Und für einen Moment glaubte ich wirklich, dass ich sterben würde. Für einen Moment, dachte ich, dass mein Leben auf einen Schlag ein Ende finden würde. Mein Herz würde aufhören zu schlagen, aufhören das Blut durch meine Adern zu pumpen und ich würde sterben.
Und was würde dann passieren? Würden meine Eltern um mich trauen, sich wünschen, dass sie mir doch nur sagen könnten, dass sie mich doch immer geliebt hatten, auch wenn sie es nicht gezeigt hatten? Würde Colin vor meinem Grab sitzen und weinen oder würde er nur still weitermachen? Und was wäre mit meinen Freunden?

In diesem Moment gingen mir so viele Sachen durch den Kopf, dass ich sie gar nicht alle aufzählen konnte.

Alles war so plötzlich gekommen.

Der Reifen schlitterte über die Straße, bis wir schließlich mit voller Wucht in die Leitplanke krachten.

Dann war mein Kopf wie leer gefegt. Alle meine Gedanken plötzlich ausgeschaltet. Ich war ganz starr vor Schock.

Der Stoß schleuderte meinen Kopf zurück in den Nacken. Meine Hände waren wie taub. Ich wurde durch die Luft geschleudert und kam schließlich hart auf dem Asphalt auf, an meinem Rücken die Leitplanke. Mein Kopf schlug auf hartem Boden auf. Höllischer Schmerz durchzuckte meinen Körper.

Dann wurde mir schwarz vor Augen.

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