PROLOG
Damals
Holly
Wir waren dumm und naiv, glaubten damals an nichts Böses, sondern lebten nach unseren eigenen Kopf und Vorstellungen.
Was anderes konnte man von uns Teenagern auch nicht anders erwarten.
Wir wollten was erleben, rebellisch sein, gegen den Strom schwimmen und Dinge tun, über die man später noch reden würde.
So wie in dieser warmen Sommernacht, als Lydia, Nora und ich an unserem Stammplatz waren, einem See, etwas außerhalb der Millionenstadt in den Wäldern von Chicago, Illinois.
Lydia und ich kamen oft her, um den Abend und die Nacht ausklingen zu lassen, und ein paar Runden in diesem wundervollen See zu schwimmen. Dort war es ruhig. Hier war kaum niemand, weil sich der See vermutlich auf Privatbesitz beschränkte.
Jedenfalls, hatten wir bisher keine andere Menschenseele hier gesehen. Es war ruhig, ein schöner See in mitten der großen Bäume, mit genügend Abstand von Zuhause und all den Stress, den ein Teenager durchmachen musste.
Nie war etwas passiert und ausgerechnet, nachdem ich Nora Hollands Bitten und Betteln nachgegeben und wir sie mitnahmen, sollte diese Nacht, im negativen Sinne, unvergesslich werden.
Lydia war sauer, dass war dieser Hitzkopf immer recht schnell. Die rothaarige mit dem großen, schlanken Körper, stand am Rand des Stegs und hatte mir mehrmals zu verstehen gegeben, dass es meine Schuld sei, dass Nora hier wäre.
Das Herumgejammere von Nora, fand ich auch recht nervig, aber mir dafür, mit eindeutigen Blicken, die Schuld zu geben, fand ich alles andere als super. Am liebsten hätte ich Lydia dafür meine Hand durch ihr dummes Gesicht gezogen.
Ich wollte Lydia nicht gegen den Karren pissen, weil ich die Neue im unseren Jahrgang, zu unserem Stammplatz mitnehmen wollte, ich hätte sie nicht dazu überreden sollen, im Pick-up ihres Vaters zu warten, während ich mich zum Haus der Familie Holland schlich und Nora dabei half, aus dem Fenster zuklettern.
Gewissensbisse machten sich schon ein bisschen breit, weil ich wusste, wie Lydias Vater drauf sein konnte, wenn herauskam, das sie sich einfach sein Auto für diesen Ausflug nahm.
Um es nett auszurücken: er war ein Bastard.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir beobachtet werden", hatte Nora mit zitternder Stimme geflüstert. „Da ist was! Ganz sicher."
Lydia schnaubte und zog ihrem BH aus, den sie zu ihrer Kleidung auf den Steg warf. „Da drüben zwischen den Bäumen. Da war was."
Nora beharrte darauf und blickte in die Dunkelheit.
„Hast du ein Nachtsichtgerät in deinen Augen verbaut? Es ist viel zu finster", bemerkte Lydia genervt und öffnete den obersten Knopf ihrer Jeanshose.
Nora deutete aufgeregt in Richtung Bäume, die am dichtesten nebeneinander standen. „Reg dich ab." Lydia zog sich Hose und Unterhose aus und warf diese ebenfalls auf den Stapel. „Ist ein Tier, oder so. Ein Wolf, ein Bär."
Nora sprang auf und schluckte hart. „Die können doch schwimmen, hab ich Recht?"
„Lydia, lass es gut sein", warf ich endlich ein. „Was ist dein gottverdammtes Problem?"
Ich bekam wie erwartet keine Antwort. „Kannst du Nora bitte in Ruhe lassen? Sie ist das erste mal mit, da ringen schon mal sämtliche Alarmglocken."
Lydia funkelte mich wütend an, schüttelte fassungslos darüber, dass ich Partei für Nora ergriff, den Kopf, und sprang mit einem Kopfsprung ins schwarze Wasser hinein.
„Was hab ich ihr getan?", fragte Nora mich. Ihre großen Augen waren auf mich gerichtet.
Ich zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht. Kann sein, dass sie wieder Stress mit ihren Eltern, oder ihren komischen Freund hat." Ich begann mich ebenfalls aus meinen Klamotten zu schälen und warf BH und Top auf den Haufen meiner restlichen Kleidung. „Ich weiß, dass sie ein ziemliches Miststück sein kann. Tut mir leid."
„Du brauchst dich nicht für Lydia entschuldigen. Du hast, in meinen Augen, nichts falsch gemacht. Lydia sieht es anscheinend anders. Das hier, das ist euer Ding, und ich störe nur."
„Quatsch, du bist neu, Frischfleisch, und bisher ganz nett, deshalb hab ich dich mitgenommen. Lass dich von dieser Zicke nicht unterbuttern."
Ich trat an die Kante des Stegs, ließ die kalte Sommernacht meine Haut liebkosen und atmete tief durch. „Es ist übrigens völlig okay, nackt zu sein", sagte ich an Nora gewandt, erstarrte aber wenig später zu Stein, als ich im Augenwinkel kleine Bewegungen im Gestrüpp bei den Bäumen wahrnahm. Genau da, wo Nora vor nicht einmal fünf Minuten hingezeigt hatte, bewegte sich etwas. Angestrengt suchte ich das Ufer ab, fand aber nichts verdächtiges.
Ich sammelte mich und wandte mich zu Nora. „Na komm schon, du brauchst dich nicht schämen, wenn du denkst, dein Körper ist nicht perfekt. Meiner ist es auch nicht."
„Am Arsch!", entfuhr es Nora. „Das hörst du vermutlich oft genug, aber für deinen Körper würde ich töten."
„Eher nicht, nein", gestand ich und schaute auf mich herab. Ich fand meinen Körper echt nicht perfekt und fragte mich, wann ich mich endlich mal akzeptieren würde.
Mein Hintern war zu groß, meine Oberschenkel zu dick, ich hatte einen Bauch, war klein und wurde immer nur auf meine große Oberweite reduziert. Außerdem hatte ich Dehnungsstreifen an den Oberschenkeln und am Bauch und fand mich alles andere als perfekt. Ich machte gerne Sport, aber aß auch für mein Leben gern. Für das Cheerleaderteam war ich übrigens zu fett und ekelhaft und laut meiner Ärztin hätte ich leichtes Übergewicht.
Manchmal aß ich einen Tag gar nichts, und am nächsten Tag so viel, dass ich das sofort bereute und mir den Finger in den Hals schieben musste. Ich war froh, dass meine Eltern und mein Bruder das nicht mitbekamen.
„Du hast einen sehr weiblichen Körper für deine fünfzehn Jahre, dass meinte ich. Ich bin dürr, hab kaum Möpse und einen viel zu flachen Hintern."
„Ist doch nicht schlimm. Einfach akzeptieren, wie man ist", murmelte ich.
„Genau, dass kaufe ich dir sofort ab, Holly", schnaubte Nora belustigt.
Ich seufzte. „Ja." Ich musterte die nachdenkliche Nora und legte den Kopf leicht schräg. „Du wolltest mitkommen."
„Ja, natürlich, wollte ich mit. Ich bin halt ein bisschen ängstlich, weil ich sowas noch nie gemacht habe."
„Nackt im See schwimmen?"
„Alles. Das aus dem Haus schleichen, mitten in der Nacht nackt in einem See schwimmen. Außerdem an die Mädchen von unserer Schule die verschwunden sind."
„Das ist eine ganz andere Geschichte. Sie sind entweder in Chicago verschwunden, oder aus Chicago abgehauen."
„Bis auf eine waren aber die anderen beiden Mädchen nett und wuchsen behütet auf. Hab mich darüber schlau gemacht."
„Klar, ist Gesprächsthema Nummer eins. Es verschwinden spurlos drei Schülerinnen der Tilden Highschool, in einer Millionenstadt wie Chicago. Alle minderjährig." Ich hielt inne und hörte Nora zu. „Ich glaub aber nicht, dass deren Verschwinden zusammenhängen. Bei Cassie kann ich mir vorstellen, dass sie abgehauen, oder mit einem Typen durchgebrannt ist. Sie wuchs in keinem guten Elternhaus auf und war mehr als rebellisch. Bei Esther und Maddy, bin ich unentschlossen."
„Wer weiß, wie es wirklich in deren wundervollen Zuhause aussah. Du kannst keiner Familie, keinen Menschen hinter den Kopf gucken", warf ich ein. „Mein Vater behandelt tatsächlich die Fälle."
„Hab davon gehört, dass dein Vater Polizist ist."
„Detective", verbesserte ich. „Der wird nicht locker lassen, bis die drei Mädchen gefunden werden. Wie dem auch sei, wir sind eigentlich hier, um ein paar Runden zu schwimmen, oder wollen wir weiter über negative Dinge quasseln?"
Nora nickte und entledigte sich endlich ihren Klamotten. „Ich will aber nicht reinspringen. Ich muss mich rantasten."
„Na gut", nickte ich und folgte ihr. Wir gingen die Hälfte vom Steg zurück und sprangen dann in den kalten und weichen Sand.
Langsam gingen wir ins Wasser, das so kalt war, dass ich mehrmals fluchen musste.
Nora zog die Luft scharf ein und wollte am liebsten wieder aus dem Wasser, aber ich hielt ihren dünnen Arm fest. „Nur eine Sache der Gewöhnung", keuchte ich. Mein Blick schweifte über den See und Lydia, die in Rückenlage auf dem dunklen See, der vom Vollmond erleuchtet wurde, trieb.
„Kommst du oft hier her?", fragte Nora. Ich blickte zu ihr, als wir Hüfttief im Wasser standen. „Betreibst du jetzt Smalltalk?"
„Das lenkt ab", wimmerte Nora.
„Meistens mit Lydia", antwortete ich auf ihre Frage.
„Und meistens allein? Hast du keine Angst?"
„Ich war noch nie allein hier. Entweder mit Lydia, oder mit einem Jungen aus unserer Schule."
„Weiß Lydia das? Ich meine, sie war schon gar nicht begeistert darüber, dass ich hier bin."
„Nein, Lydia, weiß davon nichts. Sie weiß noch nicht mal, dass ich wieder im Kontakt mit Jay stehe."
„Wart ihr schon mal zusammen gewesen?"
„Nein, wir sind zusammen aufgewachsen, selber Freundeskreis, selber Kindergarten, selbe Grundschule. Unsere Vater kannten sich schon länger. Bis zur Grundschule waren wir Freunde, danach nicht mehr, jetzt nähert man sich wieder an, aber eben anders."
Auch wenn das Wasser kalt war, wurde mir augenblicklich ganz schön warm und die Schamröte breitet sich auf meinen Wangen aus, als Nora mich fragte, ob ich schon Sex hatte. „Noch nicht, nein", gestand ich.
„Hab schon mal den ein oder anderen Jungen geküsst, aber einen festen Freund hatte ich bisher noch nicht. Wir wollen warten. Wir sind beide fünfzehn und nicht auf der Flucht. Du?"
„Ich hab noch nicht mal einen Jungen geküsst. Bist du schon mal weiter als Küssen gegangen? Ich meine die Vorstufe von Sex, habt ihr euch nackt gesehen?"
„Du stellst ganz schön viele Fragen."
„Ich bin neugierig und versuche herauszufinden, ob es genauso wie in den Filmen ist, die ich bei meinem Bruder auf dem Computer gefunden habe."
„Bah, die meistens Pornos sind fernab der Realität, Nora. Das was da meistens dargestellt wird, ist weitestgehend übertrieben, unsinnig, und hat nichts mit dem realen Leben zu tun. Keine Frau schreit sich so die Kehle aus dem Leib, keine Frau genießt es, wenn sie wie ein billiges Stück Fleisch von mehreren Typen aufs übelste gevögelt, geschlagen und zu anderen Dingen gezwungen wird- vielleicht turnt es kranke Typen an, vielleicht gibt es Frauen, die das mit sich machen lassen, aber das ist ekelhaft."
„Ich war nur neugierig. Mein Bruder guckt echt krankes Zeug."
„Tja, muss jeder für sich selbst wissen. Ist nicht schlimm, wenn man sich normale und nicht übertriebene Schmuddelfilmchen anschaut, aber das meiste, ist echt widerlich."
„Ich bin ehrlich, manchmal schau ich mir die auch gern an, also normale, nicht übertriebene. Amateure."
„Wer tut das nicht, allein schon durch Aufklärungszwecke. Dadurch weiß ich was ich ausprobieren will und was nicht."
Ich zuckte mit den Schultern, stieß mich mit den Füßen im Sand ab und schwamm los.
„Warte!", rief Nora. Als ich einen Blick über die Schulter warf, schwamm sie schon hinter mir her.
Eine halbe Stunde später, traten Nora und ich und wenig später auch Lydia aus dem Wasser.
„Ich glaube, wir wollten fahren", bemerkte Nora.
„Noch mal, hier ist niemand, außer uns drei."
„Woher willst du das wissen?"
Lydia schnitt eine Grimasse. „Und woher willst du das wissen? Woher?"
„Weil da etwas war. Vermutlich ein Spanner, oder so."
„Geht diese Diskussion schon wie..."
Abrupt hörte ich mitten im Satz auf zu reden, als ich kurz von einem grellen Blitzlicht geblendet wurde. Nora und Lydia fuhren ebenfalls herum.
Aus dem Dickicht, in dem Nora etwas vermutet hatte, trat ein Kerl hervor. Groß und massig, noch bevor ich was sagen konnte, fiel wieder ein Blitzlicht. Der Typ blieb nicht mal stehen, sondern kam weiter auf uns zu.
So schnell ich konnte, lief ich zum Steg, Nora und Lydia, folgten mir panisch.
Wieder Blitzlicht. Wir hatten keine Zeit, unsere Sachen aufzusammeln, da sie viel zu weit vorne auf dem Steg lagen, dass einzige, was wir tun konnten war zu laufen. Wieder ein Blitzlicht.
Ich lief los und hoffte, dass Lydia und Nora hinter mir waren.
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