52
Sam
Officer Erin Lindsay saß auf dem Fahrersitz meines Dienstwagens und fuhr konzentriert die Straßen entlang, während ich schweigend daneben saß und aus dem Fenster blickte.
Eigentlich, war sie heute im normalen Streifendienst eingeplant, aber da Antonio einen freien Tag hatte, durfte ich mir meinen heutigen Partner bestimmen- und das war Erin. Jedoch unterbrach Erin die angenehme Stille mit einem Räuspern, ehe sie fragte, wann es eigentlich bei meiner Schwester soweit sei.
„Irgendwas mit Anfang, oder Mitte Juli. Hab's auch schon wieder vergessen."
Mein Kopf war in den letzten Monaten sowieso komplett im Arsch und ich funktionierte momentan einfach nur so. Auch, wenn das, was ich getan hatte, eine Erleichterung war, verfolgte es mich und machte mich fertig.
Es sei, als würden er mich verfolgen, auf Schritt und Tritt. Ich hörte jedes Mal seine verachtende Stimme, roch seinen ekelhaften nach Old Spice riechenden Duft, sah, diese eiskalten blauen Augen vor mir, die mir in die Seele blickten.
Nur einen Tag, nach meinem radikalen Schritt, der eigentlich dazu dienen sollte, dass ich endgültig mit dem Thema abschließen konnte, und nach dem der Adrenalinpegel abrupt in den Keller gekracht war, bereute ich diesen Weg. Ich bereute es, nicht auf meine Schwester und auch auf Jay gehört zu haben.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich mich wieder aus der realen ausgeklinkt hatte und in einer ruhigen Blase über dieses Thema nachdachte.
„Ich weiß nicht, was in Indiana vor ein paar Monaten genau vorgefallen war, weil niemand mehr ein Wort darüber verloren hat..."
Ich schüttelte die Lüge aus dem Ärmel, die wir alle aus dem Handgelenk geschüttelt hatten.
„Meine Schwester dachte, sie hatte meine Exfreundin gesehen."
„Tristans Mutter?"
Ich nickte. „Ja, ich hab die Chance gesehen, endlich mit ihr reden zu können und bin hin. Sie war es aber nicht. Danach hatten Holly und ich uns verfahren und die Akkus unserer Handys gingen leer."
Ich merkte, dass Erin mir diese Geschichte nicht gerade abkaufte, das sah ich an ihrem skeptischen Blick, aber sie nickte und stellte, zu meiner Erleichterung, keine weiteren Fragen. Mir tat es leid, dass ich ausgerechnet Erin anlog, aber mir blieb nichts anderes übrig.
„Wie war noch mal die Hausnummer?"
Wir beide waren gerade zu einem Einbruch unterwegs. Eigentlich war dies kein Fall für uns von der Gang-Unit, aber in diesem Fall, wurde bei diesem Einbruch die Frau eines Niner-Mitglieds verletzt.
Die Niners, sind eine Gang aus afroamerikanischen US-Burgern, welche in den Achtzigern im Norden von Kalifornien gegründet wurde. Erst verteilten die sich in den Süden von Kalifornien, bis hin an die Grenze zu Mexiko, ehe sie weiter in den Osten zogen, mittlerweile bis hin zur Ostküste.
Das überfallene Gang-Mitglied, war ein Informant für und von Voight, weshalb wir diesen Fall sofort übernahmen.
Voight war schon da und rief uns kurz vor 16 Uhr nach Edgewater.
Ich schaute in der SMS von Voight und auf meinem Diensthandy nach und nannte Erin die Adresse. Als ich mein Handy wegstecken wollte, bekam ich einen Anruf.
Meine Schwester.
Ich drückte sie erstmal weg und stellte das Handy auf stumm. Der Fall war erstmal wichtiger. Keine Ahnung, was Holly von mir wollte. Das konnte man noch später klären. „Wer war das?"
„Nur meine Schwester."
„Und da gehst du nicht ran?"
„Ich bin mitten auf der Arbeit. Wenn's wichtig ist, wird sie sich sicherlich noch mal bei mir melden."
Erin nickte nur. „Natürlich", murrte sie. „Aber vergiss nicht, dass deine Schwester schwanger ist. Vielleicht hat sie dich auch nur angerufen, weil das Baby sich auf den Weg macht."
„Wir haben noch nicht mal Juli."
„Babys kommen wann immer sie wollen. Früher, pünktlich, oder spät. Das suchen die Kinder sich selbst aus. Ruf doch wenigstens zurück und frag nach..."
Ich schaute aus dem Fenster, schüttelte meinen Kopf und sah, dass wir gerade in die Straße mit der bekannten Adresse hineinfuhren. „Das läuft ja nicht weg."
Die Frau von LaRoyce Hawkins, einen groß gewachsenen, dunkelhäutigen Mann mit kurzen Afrolocken, namens Beatrice wurde bei dem Überfall, mit mehreren Messerstichen schwer verletzt und ins Krankenhaus verbracht. Der ziemlich aufgelöste Hawkins, saß mit Voight in dem kleinen Garten, hinter dem Häuschen während die Spurensicherung im Haus alle Beweise sicher stellten.
Erin und ich, standen daneben, stellten zwischendurch ebenfalls Fragen. Die Antworten notierte ich.
Ich merkte, dass mein Handy wieder einmal vibrierte und ignorierte es. Als Voight an mir vorbei blickte, sich räusperte und meinen Vater grüßte, fuhr ich herum.
„Sergeant McGowan", begrüßte Erin ihn.
„Officer Lindsay", nickte er ihr zu und wandte sich sofort zu mir. „Ich brauch dich nicht mal fünf Minuten."
„Wir machen diese Befragung fertig und dann gehör ich ganz dir", entgegnete ich mit voller Ironie und wandte mich den Anfang dreißig Jahre alten Hawkins zu.
Dad sagte nichts mehr und ließ mich meine Arbeit machen.
„Das war's dann soweit. Halten Sie sich noch für weitere, aufkommende Fragen bereit."
Hawkins stand aus dem weißen Plastikstuhl auf und nickte. „Finden Sie den Täter, oder die Täter. Ich will jetzt nur wissen, ob ich ins Krankenhaus und zu meiner Frau kann?"
„Wir halten dich nicht auf, Royce", sagte Voight mitfühlend.
Der bullige LaRoyce nickte nur und ließ uns zurück. Ich steckte Notizblock und Kugelschreiber wieder weg, und wandte mich zu meinem Dad, welcher die ganze Zeit wartete. „Worüber wolltest du mit mir reden?"
Er zog nur sein Handy hervor, wischte mit dem Zeigefinger über dem Bildschirm und hielt mir dann das Handy hin. Ich nahm ihm das ab und blickte mehr als irritiert auf den viel zu hell gestellten Bildschirm.
Lediglich sah ich nur ein kleines Video von einem ranzigen Etwas... einem mit Käseschmiere beschmiertem Baby, welches in einem Handtuch eingewickelt auf einem Wickeltisch lag und lauthals am schreien war.
„Und?", fragte ich, als das kurze Video beendet war. Ich war sichtlich genervt, weil mein Dad nicht mit der Sprache rausrückte.
Auch wenn er nicht Grinste, leuchteten seine Augen vor Stolz auf. Er war sogar kurz davor loszuflennen.
Dann fiel mir das wie Schuppen von den Augen, oder so. „Ist das... mein Neffe. Jetzt schon?", fragte ich verballert.
Dad nickte nur. „Jay hat mich angerufen. Der Kleine kam um 16:01 Uhr eins. Ihm und deiner Schwester geht es gut."
Um kurz nach vier. Das war nicht mal eine halbe Stunde her. „Ich kann Sam für ein oder zwei Stunden entbehren, wenn du mit ihm ins Krankenhaus willst?", schlug Voight vor, der Dad und mich beglückwünschte. Auch Erin freute sich für uns.
„Ja, verflucht. Das wäre super. Lass uns sofort los, Dad."
Auch wenn ich einen ziemlichen Knoten in der Brust verspürte, wollte ich sofort ins Krankenhaus, meine Schwester in den Arm nehmen und meinen Neffen begrüßen.
Im Med konnte ich nicht am Krankenhausshop vorbeigehen, ohne Ballons mit dem einfallsreichen Titel it's a Boy und einen Teddybär im Arztkittel zu kaufen. Ungeduldig stand ich mit meinem Dad im Fahrstuhl und fuhr hoch auf die Gynäkologie und Entbindungsstation und suchte das Zimmer mit der Nummer 512 auf.
Schon als ich durch die Glasscheibe der Tür blickte, der Sichtschutz war oben, sah ich, dass das Zimmer bis auf meine Mutter leer war. Hollys Bett fehlte und meine Mom saß wartend und ungeduldig am Tisch.
„Wo sind die?", fragte Dad sichtlich entsetzt.
„Noch im Kreißsaal. Der Kleine wird gerade fertig gemacht, Holly muss sich noch ein bisschen erholen. Laut Jay, hat sie sich irgendwie verletzt. Das dauert unten nun mal. War bei mir damals nicht anders."
Dad drückte mom einen Kuss auf die Schläfe und setzte sich auf den zweiten und letzten Stuhl, während ich den Bären auf den kleinen Tisch stellte. Ich band den Helium gefüllten Luftballon einfach um das Handgelenk des Bären.
„Wie lange dauert das denn?"
„Ihr seid nicht mal eine Minute hier", kommentierte Mom genervt. „Das kann ich nicht sagen."
„Ah, schon mal das familiäre Empfangskomitee", hörte ich plötzlich jemanden sagen. Als ich zu Tür blickte, sah ich Dr. Manning mit einem breiten Grinsen hineinstolzieren. Wenig später schob eine Schwester und Jay das Bett hinein. Das Bett in dem meine kleine Schwester sichtlich fertig und müde, aber gleichzeitig vor Stolz platzend lag und ein kleines eingepacktes Bündel in den Armen hielt.
Meine Mom war sofort aufgesprungen, um als erste bei dem Baby zu sein. „Immer mit der Ruhe. Das Baby läuft nicht weg", bemerkte Jay. Die Krankenschwester stellte die Bremsen an das Bett fest und verließ schnell das Zimmer, während ich mich erstmal im Hintergrund hielt und meinen heulenden Eltern den Vorrang ließ. Als mom das Bündel von Holly überreicht bekam, flennte sie noch mehr.
Mom kam zu mir. „Schau dir diesen zuckersüßen kleinen Mann an. Er wird mal sämtliche Herzen brechen. Wunderschön."
Ich blickte auf das schlafende Baby. „Joah, immerhin sieht er nicht aus wie eine verschrumpelte Kartoffel", bemerkte ich und wusste auch nicht so recht, wieso ich plötzlich hier weg wollte. Mir war das gerade alles zu viel und ich musste hier erstmal raus. Brennende und saure Galle schoss mir den Magen hoch und hätte ich nicht die Lippen qualvoll aufeinander gepresst, hätte ich vermutlich auf meinen Neffen gekotzt.
„I-ich muss eben mal kurz", sagte ich, quetschte mich zwischen Mom und Dad hindurch und verließ eilig das Zimmer.
Ich konnte das gerade nicht. Es ging einfach nicht.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top