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Holly
Mom und ihre Freundin quatschten ununterbrochen, zwischendurch wurden mir ebenfalls ein paar Fragen gestellt, hauptsächlich über meine Schwangerschaft, die ich beantwortete, während ich ein erneutes Stück von Nancys leckeren Kuchen aß.
Aber ich merkte, dass das fünfte Stück vom fünften Kuchen, meinem Magen gar nicht gut tat.
Ich entschuldigte mich, fragte gleichzeitig nach der Toilette und bemühte mich, nicht das katastrophale Thanksgiving-Essen vor meinen Augen in Dauerschleife abzuspielen.
Als ich endlich das Badezimmer erreichte, schloss ich hektisch ab und eilte zur Toilette.
Genervt, spülte ich mir den Mund aus, kämpfte weiter gegen die anhaltende Übelkeit an und atmete tief durch.
Genau das hasste ich in der Schwangerschaft- diese bescheuerte immer wieder kommende Übelkeit und Kotzerei. Mit der Zeit lernte ich, wenigstens eine Packung Kaugummi in meiner Hosentasche und Zahnbürste und Zahnpasta in der Handtasche zu haben.
Nachdem ich mir noch kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, setzte ich mich auf den Rand der Badewanne und versuchte die Übelkeit, mit gleichmäßigen Atemübungen zu bekämpfen.
Das klappte... fast. Hatte ich nicht noch die Tabletten gegen Übelkeit in meiner Handtasche?
Ich spülte mir kurzerhand den Mund noch mal aus und steckte mir dann ein Kaugummi mit Minzgeschmack in den Mund. Dann ging ich zurück in den Flur, griff nach meiner Handtasche und durchsuchte diese.
Ich fand die orangene Pillendose, hörte sogar was da drinnen klappern, aber als ich genau hinschaute, sah ich keine Tabletten, sondern lediglich Ohrringe. Na super.
„Das darf doch nicht wahr sein", murmelte ich und schmiss die Packung zurück in die Handtasche. Dann müsste ich mir eben welche besorgen. Außerdem würde mir die frische Luft ganz gut tun.
Ich gab meiner Mutter bescheid, die aus dem großen Garten der Donahues kam und die Toilette aufsuchte.
„Weißt du denn, wohin du überhaupt musst?"
„Du hast das neuste Navigationssystem und außerdem hab ich auf den Weg hier her einen Cloud-9-Store gesehen. Lässt sich schon finden."
Ich schulterte meine Handtasche und hielt meine Hand hin. Mom nickte nur. „Und du kannst fahren?", fragte sie besorgt und griff nach ihrer Handtasche, aus der sie ihre Autoschlüssel kramte.
„Wenn's nicht geht, fahr ich rechts ran und rufe dich an. Denke, die frische Luft wird mir ganz gut tun."
Sie legte mir die Schlüssel in die Hand. „Dann fahr bitte vorsichtig. Danke."
Dann tätschelte sie meine Wange, und ging zur Toilette und ich machte mich auf dem Weg zu dem großen Supermarkt ein paar Straßen weiter.
Ich stand ganz schnell wieder am Auto, und musste erstmal tief durchatmen, da es viel zu voll in dem Supermarkt war.
Netterweise haben mich alle an der Kasse vorgelassen, sodass ich die Tabletten und die Flasche Wasser bezahlen konnte.
Mir war immer noch übel, es ging zwar, aber war auch nicht erträglich. Kaum saß ich auf dem Fahrersitz, nahm ich eine der Tabletten mit einem großen Schluck Wasser ein.
Gedankenverloren und aus dem Fenster starrend, drehte ich wenige Augenblicke später den Deckel auf die Flasche und schluckte gleichzeitig Wasser und Tablette runter.
„Jetzt musst du nur noch deinen Teil erfüllen", murmelte ich vor mich hin und griff nach meiner Handtasche vom Beifahrersitz- dort ließ ich die Pillenpackung und die Flasche Wasser verschwinden, ehe ich die Handtasche zurück auf den Beifahrersitz legte.
Als ich die Fahrertür zuziehen wollte, blickte ich abermals aus der Frontscheibe auf die Parkplätze für Campingmobile.
Eine junge Frau, ungefähr in meinem Alter, kam gerade mit einem vollen Einkaufswagen zu eben diesen von mir fixierten Wohnmobil.
Ein Mann, ebenfalls in dem Alter von der unbekannten Brünetten und mir, mit einer viel zu hohen Stirn und eingefallenen Gesicht, schaute sich panisch auf den Parkplatz um und verschwand dann wieder im Inneren des Wohnmobils.
Wie gelähmt, starrte ich noch immer zum Wohnmobil, sah, wie die Frau die Tüten im Einkaufswagen in den Wohnmobil brachte, eilig heraussprang und den Einkaufswagen zurück unter einem der Abstellhäuschen stellte. Dann ging sie mit schnellen Schritten zurück zum Wohnmobil, sprang hinein und zog die Tür hinter sich zu.
Ich konnte sehen, wie sie auf dem Fahrersitz in der Fahrerkabine Platz nahm.
Wie von der Tarantel gestochen, griff ich nach meiner Handtasche und durchwühlte dieses nach meinem Handy. Doch bevor ich dieses fand, um ein Foto von dem Wohnmobil zu machen, verließ dieser gerade den Supermarktparkplatz.
Ich musste einen ruhigen Kopf bewahren, definitiv. Ich wusste, dass ich leichtsinnig handelte, in dem ich hinterher fuhr, aber Abstand hielt.
An einer roten Ampel, stand ich direkt hinter diesem Wohnmobil und konnte endlich das Foto schießen.
Dieses sendete ich direkt an Sam, auf der Hoffnung, er würde das sofort sehen und sich bei mir melden. Ich war viel zu aufgeregt, ihm über eine Nachricht zu erklären, was ich gerade für eine Entdeckung gemacht habe.
Das würde hoffentlich alles ändern.
Es muss alles ändern.
Vielleicht konnten wir, als Familie, dann endlich abschließen.
Ich fuhr dem Wohnmobil weiter hinterher und nahm, illegaler Weise, dass ankommende Gespräch auf meinem Handy an.
„Wieso schickst du mir ein Foto von einem Wohnmobil?", wollte Sam mehr als irritiert wissen.
„Ich glaub, ich hab ihn, Sam!", brachte ich nervös hervor und hielt mich etwas weiter hinten. Vielleicht brachte mich der Wohnmobil ja an das mir noch unbekannte Ziel, dann könnte ich die Polizei rufen und der Rest würde sich von selbst regeln.
„Einen Wohnmobil?"
Ich verdrehte die Augen, und fluchte gleichzeitig auf, als ich hart in die Eisen gehen musste, weil ein Taxifahrer der Meinung war, auf der Linksabbiegerspur, auf der ich mich zwei Autos hinter dem Wohnmobil befand, spontan einfädeln zu müssen, und hätte ich nicht gebremst, wäre ich dem Typen ins Auto gefahren. Ich hatte vor Schreck mein Handy auf meinem Schoß fallen lassen, nach dem Lenkrad gegriffen und war in den Gegenverkehr ausgewichen. Ein entgegenkommendes Auto, bremste ebenfalls ab. Immerhin, fuhr ihn hinten keiner drauf. „Verrotte in der Hölle, du Wichser!"
Ich schlug auf die Hupe ein, während der Taxifahrer seelenruhig über die bereits grün gewordene Ampel fuhr. Ich atmete tief durch, warf einen prüfenden Blick über die Schulter und fuhr, mit entschuldigender Geste an dem Nissan-Fahrer vorbei. Die Frau fluchte, aber als sie mein Gesicht sah, nickte sie nur.
Ich hätte am liebsten gefragt, ob alles in Ordnung sei, aber der Wohnmobil war gerade meine höchste Priorität.
Auf der anderen Straße, einer Schnellstraße, sah in der Ferne den gesuchten Wohnmobil.
Ich drückte aufs Gas, stellte gleichzeitig den Tempomat am Lenkrad ein und griff nach meinem Handy, welches ich mit meinem Oberschenkeln aufhalten konnte. Ich stellte auf Laut und klemmte es mir zwischen die Knie.
Sam war aufgeregter, als ich.
„Mir geht's gut, alles gut", warf ich ein.
Ich hatte den Wohnmobil fast eingeholt, und kam immer näher an ihn heran. Er fuhr tatsächlich auf die Zufahrt zur Indiana State Road 49 westlich von Valparaiso. „Sam, ich hab ihn gefunden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Rodiger gefunden habe."
„Lonnie Rodiger? Sicher?"
Ich seufzte. „Dieses Gesicht werde ich niemals vergessen, Sam. Soll ich die Polizei rufen, damit die das überprüfen können?"
Sam schwieg.
„Sam? Hörst du mir zu?"
„Ja, ja."
„Also ruf ich die Polizei an..."
„Ich höre dir zu, ja. Aber nein, keine Polizei. Bleib dran, sag mir, wo du bist. Ich komme da hin."
„Wir sind noch in Indiana, fahren aber gerade auf die Indiana State Road 49, Richtung Chesterton."
„Also in Richtung Norden. Bleib dran. Ich mach mich auf dem Weg, versuche dir entgegen zu kommen."
„Klar. Der Tank ist voll. Was ist mit Mom? Soll ich ihr eben bescheid geben. Nicht, dass sie sich sorgen macht, oder so... Sam?"
„Lassen wir mal Mom eben nebensächlich. Bleib einfach dran..." Ich hörte wie Sam sich anstrengte. Vermutlich lief er gerade. „Ich hab noch genügend Freiminuten. Bin in Lansing. Nein, auch mom sagst du nichts."
Lansing war nicht unweit von der Grenze zu Indiana und lag südlich von Chicago.
Ungefähr 50 Kilometer von mit entfernt.
In Lansing lebten irgendwelche Verwandten väterlicherseits von uns, die er wohl besucht haben musste. Freiwillig?
Während ich den lauten Motor von Sams V8-Karre durch die Lautsprecher wahrnahm, war ich immer noch mit genügend Abstand an den Wohnmobil dran.
Nach ungefähr einer halben Stunde, fuhr der Wohnmobil von der Indiana State Road 49, auf die Interstate 94 ab. Nicht westlich in Richtung Michigan, sondern östlich in Richtung Illinois.
„Sam?"
„Ja."
„Wir fahren gerade auf die Interstate 94."
„Welche Richtung?"
„Richtung Osten."
„Okay, Holly, dann komme ich direkt auf euch zu, wenn ihr natürlich nicht vorher eine Ausfahrt nehmt. Die 94, geht bei Lake Station kurz in die Interstate 80 über, wunder dich nicht. Auf welcher Höhe seid ihr gerade?"
Ich warf einen kurzen Blick auf das integrierte Navi im Armaturenbrett, das trotzdem, ohne das ich eine Route eingegeben habe, meinen aktuellen Standort zeigte.
„Da steht was mit Burns Harbor. Ist rechts neben mir. Links von mir war gerade South Haven. Portage, Ogden Dunes und Lake Station kommen gleich."
„Okay, bleib weiter dran."
„Mach ich. Musst du nicht arbeiten?"
„Eigentlich ja. War in Lansing, um an einem Fall zu arbeiten."
„Allein?"
„Ja, allein."
„Hab schon gedacht, du besuchst die Verwandtschaft von Dad."
„Zu seinen bescheuerten Cousinen doch nicht. Ich kann Christina und Julia kein bisschen ab. Deren Ausgeburten ebenfalls nicht."
„Ja."
Die Großcousinen väterlicherseits waren wirklich abstrakt und suspekt. Mit denen, konnte ich mich nach all den Jahren immer noch nicht anfreunden. Sam und Mom genauso. Aber Dad verstand sich soweit mit denen.
Der Wohnmobil hat tatsächlich einen Blinker gesetzt. Sie wollte abfahren.
„Sie will abfahren", sagte ich.
Sam fragte: „Wo?"
Ich vertraute weiter auf die Verkehrsschilder und dem Navigationssystem.
„Auf die Indiana State Road 51, beziehungsweise U.S. Route 6, bei Lake Station, in Richtung Hobart."
Ich fuhr ebenfalls ab und fluchte auf, als mein Handy tutete. In der Kurve, auf dem Verkehr vor mir gerichtet, griff ich nach meinem Handy und stellte genervt fest, dass die Verbindung zu Sam unterbrochen war. Mein Handy versuchte vergeblich eine neue Verbindung aufzubauen, aber es scheiterte und das Gespräch wurde komplett beendet.
Einer von uns beiden, war anscheinend in ein Funkloch geraten. Dann rief ich Sam später an.
Ich suchte in dem immer dichter werdenden Verkehr nach dem Wohnmobil und fand diesen einige Autos vor mir.
Mit genügend Abstand, folgte ich dem Wohnmobil weiter durch Lake Station, bis wir aus Lake Station herausfuhren und wenig später fuhren wir in der Dekalb Street über eine Brücke- unter uns der ruhig wirkende Deep River.
Nachdem wir die Brücke passiert hatten und durch einen Waldgebiet fuhren, sah ich, Rande einer kleinen Stadt das Ortseingangschild.
Dieses ließ mich wissen, dass ich in New Chicago gelandet war.
Zehn Minuten später, bog die unbekannte Frau in einen Schotterweg ein, passierte einen alten Bogen, an dem ein altes Holzschild hing.
Woodland Camping
Da hatten die sich wohl hin verirrt. Ich ließ sie die Straße hochfahren und hielt vor der Einmündung an, setzte den Warnblinker und rief Sam abermals an. Durch die wenigen Bäume, die am Rand des Schotterweges standen, sah ich den Wohnmobil weiter fahren, bis diese zwischen mehreren Tannen verschwanden.
Sam nahm endlich das Gespräch an.
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