40
Jay
Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll", bemerkte Will und schien nachzudenken.
Dad war kurz vorher aufgestanden und hatte sich mit dem Worten: „Muss aufs Klo", auf die Toiletten verdrückt, weshalb es nur noch eine Sache zwischen Will und mir war.
„Wie wäre es, wenn du dein Hirn benutzt?"
Ich hatte gerade meinen Mund geöffnet, da kam mir Holly zu vor. Will blickte sie an.
„Bist du nicht die Schweiz und darfst für keinen Partei ergreifen?"
„Ich kann doch wohl ein paar Fragen einwerfen... fang heute noch an. Deine Zeit läuft."
„Und du ziehst mir die ab... egal..." Will atmete noch mal tief durch und dachte nach. „Na gut, ich bin abgehauen, weil mir das alles zu viel war. Der ganze Stress in der Schule, der ewige Streit mit Dad, seine Laune und zum Schluss Moms Krankheit. Ich wäre so oder so gegangen... wegen meinem Studienplatz in New York... und ehrlich gesagt, konnte ich, noch wollte ich, mir den ganzen Mist antun. Es tut mir leid, dass ich dich allein ließ. Du hättest das nicht allein durchstehen sollen. Ich weiß, du bist wütend auf mich, und das so ziemlich und kann auch verstehen, wenn du mir erstmal nicht verzeihen willst, magst, und kannst."
Will sagte nichts mehr und wandte sich von mir ab. Er blickte zu Holly, die auf den Tisch vor sich starrte. Diese atmete tief durch.
„Bist du fertig?"
„Für dem Moment, ja, ich weiß gerade nicht, was ich noch sagen soll."
„Dann bist du dran, Jay. Fünf Minuten", ließ meine Freundin mich wissen.
Will wich kurz meinem bohrenden Blick aus.
„Du hast es versprochen, Will. Versprochen, dass wir alles Familie zusammenhalten, versprochen, dass du bei mir bleibst, bei Dad, bei Mom. Sie hat immer wieder gefragt, wo du bist. Sie wollte dich sehen, dich verdammt noch mal in den Arm nehmen, aber du warst nicht da. Weißt du, wie oft Mom wegen dir geweint hat- nicht wegen den Schmerzen, die immer schlimmer wurden? Weißt du, wie oft ich ihr das Essen reinstopfen musste, damit die vor Kummer überhaupt was runterkam? Wie oft ich mir ihr Erbrochenes von meinen Händen waschen musste? Ich war da, wich ihr nicht von der Seite, neben der Schule, neben meinem ganz normalen Leben als Teenager, während du in New York warst und vermutlich auf Partys irgendwelche Mädchen abgeschleppt hast. Ich musste Mom trösten, gleichzeitig für unseren Vater da sein, der mich als Dank, wie den letzten Dreck behandelte. Wären Holly, Sally, Abel und Sam nicht gewesen, wäre ich vermutlich vor die Hunde gegangen, weil mir das alles zu viel war. Wundert das einem? Ich war ein gottverdammter Teenager, der sich eigentlich um die typischen Teenagerdinge hätte kümmern sollen, anstatt seiner Mutter die Bettpfanne zu leeren... den Urinbeutel, weil sie es von selbst nicht mehr konnte. Ich war überfordert und hätte mich am liebsten vor dem nächstbesten Zug geschmissen, weil ich einfach am Ende war. Ich war allein, hielt Moms Hand, als sie ging, verdammt. Weißt du wie weh es tat, dass sie mich wegen dem verfickten Krebs manchmal vergas, aber im selben Atemzug nach ihrem Liebling Will fragte? Obwohl ich mir tagtäglich den Arsch aufriss... Erinnerst du dich daran, was du zu mir sagtest, als Mom damals reinen Tisch machte? Wir würden zusammenhalten... wir seien eine Familie und müssen füreinander da sein. Du hast es mir versprochen und du hast auf dieses versprochen geschissen, als sei es dir nichts wert, als sei ich dir, dein kleiner Bruder, nichts wert, als sei deine eigene Mutter dir nichts wert. Eine Frau, die dich monatelang unter dem Herzen getragen hat, die dir die Windeln gewechselt hat, wenn du die bis oben hin vollgeschissen hast, die Tag und Nacht an deiner Seite war, sobald du nur einen Pieps von dir gegeben hast. Du bist und wirst immer ein gottverdammter, beschissener Egoist sein... Hauptsache du erreichst dein Ziel, hast Erfolg, gehst dabei über Leichen... du hast deinen Arsch noch nicht mal zur Beerdigung von Mom bewegt. Du hast darauf geschissen, ihr die letzte Ehre zu erweisen. Und dann, dann meldest du dich all die Jahre nicht mehr... nicht bei mir, nicht bei Dad... ich hab mir wegen dir Sorgen gemacht, um Mom getrauert und mich nebenbei noch um Dad gekümmert, der mich trotzdem wie Scheiße behandelte, weil ich nicht auch noch ihn verlieren wollte."
Ich war aufgestanden und hätte Will am liebsten den Stuhl ins Gesicht geworfen, hielt mich aber zurück. Trotzdem zitterte ich vor Aufregung, vor Wut und wenn ich eins hasste, war es die Tatsache, dass ich immer weinen musste, wenn ich so ziemlich wütend war.
Nach all den Jahren, hatte ich es endlich geschafft, meinen Bruder das zu sagen, was ich die ganze Zeit mit mir rumtrug und es tat verdammt noch mal gut. Sehr gut sogar.
Ich fühlte mich um einiges leichter, trotzdem hätte ich meinen Bruder noch die ein oder andere Ohrfeige verpassen können.
Holly sah zu mir auf und ich zu ihr. „Hab alles gesagt. Lass uns bitte fahren, sonst vergesse ich mich."
Sie nickte und griff nach ihrem Handy vom Tisch.
„Ich habe mich entschuldigt, Jay."
„Denkst du wirklich, mit einer Entschuldung, oder mehrerer, ist das, was du getan hast, vergeben und vergessen?", fuhr ich ihn an.
Ich hatte vor Wut sogar einen Schritt nach vorne gemacht und wäre fast über den Tisch gesprungen, um Will an dem Kragen zu packen, aber Holly legte eine Hand auf meinem Bauch. „Frische Luft", sagte sie streng.
Diese konnte ich wirklich gebrauchen. „Ja", brummte ich und schob ihre Hand von meinem Bauch runter, um ihr dann zum Ausgang zu folgen. Als ich mich an der Tür noch mal zu Will umdrehte, sah ich, dass dieser sein Gesicht hinter seinen Händen versteckte. Seine Schultern und sein Oberkörper schienen in sich zusammenzufallen.
Mir war's gerade vollkommen egal, ob der Vollidiot am Heulen war. Ich hatte das gesagt, was ich sagen musste und es war mir überlassen, ob ich noch den Kontakt zu meinem Bruder wollte, oder nicht.
Unentschlossen, dass war ich.
Auch wenn ich etliche Nächte darüber schlafen musste, war mir klar, dass eine Entscheidung her musste.
Als wir am Auto stehen blieben, wandte Holly sich zu mir. „Hattest du wirklich diese Gedanken gehabt?", fragte sie mich plötzlich.
Ich blickte über das Autodach zu ihr und wusste augenblicklich, welche Gedanken sie ansprach. Ich schniefte und nickte gleichzeitig.
Holly musste schlucken. Ich ging um das Auto herum, um mich neben ihr zu stellen.
Vorsichtig legte ich meine Hände auf Hollys Wangen.
„Ich tats nicht, schüttelte die Gedanken immer wieder ab... erfolgreich- wegen dir. Du hast mich immer wieder aus dieser Dunkelheit rausgeholt. Und das tust du noch heute. Sowas könnte ich dir niemals antun. Euch."
Ich küsste ihre Stirn und war in diesem Moment einfach nur froh, dass sie mich fest in den Arm nahm. Das brauchte ich einfach. „Sowas könnte ich uns niemals antun."
Zuhause war meine Laune immer noch kein Deut besser. Ich saß auf der Couch und versuchte meinen Frust mit einer Runde Call of Duty Black Ops 2 unter Kontrolle zu bekommen.
Holly lag neben mir und war, während sie mir beim Zocken zuschaute, eingeschlafen.
Als ich abermals von einem anderen Online-Spieler getötet wurde, schaltete ich wütend, aber ruhig, die XBOX-Konsole ab und schmiss den Controller neben mir auf die Couch. Dann lehnte ich mich nach hinten und atmete tief durch.
Mein Blick wanderte zu der schlafenden Holly und dem runden Bauch, der deutlich hervortrat. Sofort schnellte meine Hand hervor und schob sich unter dem T-Shirt. Meine Finger und der Daumen glitten in Streichelbewegungen über die weiche Haut und zwischendurch nahm ich zuckende Bewegungen unter meiner Hand wahr.
Immerhin war der Kleine am toben und am glücklich sein.
Ich legte mich kurzerhand neben Holly, ließ dabei kein bisschen die Hand von ihrem Bauch entfernt, um die leichten Bewegungen meines Sohnes zu spüren. Dabei konnte ich mir es nicht verkneifen, zwischendurch in den Bauch zudrücken, wenn ich meinte, einen Gegendruck zu spüren.
Letztlich tats mir leid, dass ich damit Holly wach machte. „Ich wollte ihn nur ein bisschen auf dem Keks gehen", sagte ich und zog meine Unschuldsmiene auf.
„Er war gerade ruhig gewesen, deshalb konnte ich schlafen", murrte Holly.
„Dann hab ihn wohl wach gemacht. Tut mir echt leid, Süße."
Ich rutschte ein Stückchen runter, schob das T-Shirt weiter hoch, um den Bauch von Holly zu entblößen. „Warum muss das noch so lange dauern?", wollte ich wissen. Gebannt starrte ich auf den Bauch und sah, wie dieser zuckte, oder manchmal kleine Dellen entstanden.
Holly antwortete nicht, weil sie, wieder eingeschlafen war. Ich wandte mich dem Bauch zu, legte meine Hand abermals drauf, nur um die Hand dort einfach zu lassen, während ich versuchte ein paar Minuten die Augen zuzumachen.
Immer wieder spürte ich einen Widerstand in meiner Handfläche und unter den regelmäßigen Bewegungen, driftete ich schneller weg, als gedacht.
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