38
Jay
Als ich, nur mit einem Handtuch um meiner Hüfte, aus dem Badezimmer trat und Holly an mir vorbei ins Wohnzimmer ging, blieb ich abermals verwirrt stehen.
Bis sie gerade wirklich von einem riesigen Stück Gouda ab, als sei das das normalste der Welt?
Stirnrunzelnd ging ich hinterher und sah, wie sie auf der Couch Platz nahm und nach der Flasche Ketchup griff. Ich lehnte mich an die Wand, suchte nach Worten, die ich absolut nicht fand, als Holly sich den Ketchup direkt in den Mund spritzte.
Was... zum... Henker!?
Aber wenn's schmeckt und das Kind es so will, dann soll Holly sich die merkwürdigsten Kombinationen reinpfeffern, die es gab. Ich wandte mich ab, ging leise lachend ins Schlafzimmer, um mich anzuziehen, und als ich wieder rauskam, stürzte Holly mit der Hand vor dem Mund auf die Toilette.
Abermals kopfschüttelnd und sprachlos ging ich in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen.
„Ketchup und Gouda?", fragte ich belustigt.
Holly stöhnte völlig fertig und angewidert auf, als sie aus dem Badezimmer kam. „Was kommt als nächstes, Süße?"
„Ich hab schon als Kind immer Käse mit Ketchup gegessen, also...", rechtfertigte sie sich. „Normalerweise kann ich diese geile Kombination ab."
„Aber anscheinend fand das dein Untermieter absolut nicht deliziös."
„Ja. Kannst du sämtlichen Gouda und Ketchup aus unserer Wohnung verbannen? Und erwähnen werden wir das auch nicht mehr."
Ich nickte leise lachend. „Mach ich. Für wie lange?"
„So... für immer?"
Ich schmiss sofort den restlichen Gouda und die fast leere Flasche Ketchup in den Müll und blickte zu Holly, die sich einen Kakao fertig machte. „Wegen Will gestern", bemerkte sie dann.
Ich spannte mich an und hatte absolut keine Lust darüber zu reden, aber ich wollte Holly nicht gegen den Kopf stoßen, oder dumm anmachen. Sie hatte meine Wut gegenüber den behinderten Will absolut nicht abzubekommen. „Was mit dem?", fragte ich brummend und blickte sie eindringlich an, während ich die Dose mit dem Kaffeepulver festhielt.
„Ich weiß, dass es unverzeihlich ist, was er getan hat, ich bin auch sauer, aber ihr beiden seid immer noch Geschwister. Hör ihn an, was er zu sagen hat, den Kontakt abblocken, kannst du noch immer."
„Mir geht's gut ohne Will, mir geht's gut ohne meinem Dad, warum sollte ich denn wieder Kontakt zu den beiden haben? Außerdem will ich für den Kleinen keine ekelhaften Familienmitglieder in meinem Leben. Deine Familie, ist mehr Familie, als meine eigentliche Familie es jemals wieder sein wird und damit hat's sich das."
Ich wandte mich wieder der Kaffeemaschine zu, als ich sah, dass Holly zustimmend nickte. „Okay, dann kein Wort mehr darüber. Verstanden", sagte sie und verrührte den Kakaopulver in der kalten Milch.
„Danke."
Nachdenklich schob ich den gefüllten Einkaufswagen durch die Gänge der Cloud-9 Filiale, während Holly neben mir ging und mit dem Prospekt nach den aktuellen Rabatten Ausschau hielt.
„Warum bist du so in Gedanken?", wollte sie wissen, als wir in der Kinderspielzeugabteilung ankamen.
Sofort steuerte ich die Lego-Reihe an. „Will", sagte ich nur. Am liebsten hätte ich alles an Lego mitgenommen, was der Laden zu bieten hatte. „Ich verstehe nicht, wieso er plötzlich vor der Tür steht, nach all den Jahren", platzte es aus mir heraus, als ich nach einem Iron Man-Lego-Baukit griff.
Brauch ich das? Nein!
Will ich das? Ja!!
Sie stellte sich neben mich und blickte ebenfalls auf die vielen Verpackungen. „Ist dir doch nicht so egal, was?"
„Nee, irgendwie nicht. Es verwirrt mich nur."
Ich packte den Iron Man in den Einkaufswagen. „Ich glaube, ein Baby kann damit nichts anfangen."
„Wer hat gesagt, dass der Iron Man fürs Baby ist?", fragte ich und ging weiter.
Holly kam hinterher. „Und was willst du jetzt wegen Will machen?"
„Ich weiß es nicht. Ich will mir anhören, was er zu sagen hat, aber auch wieder nicht."
„Schlaf noch mal eine Nacht drüber, nicht, dass du das überstürzt und dir es danach wieder schlecht geht, weil du deine Entscheidung bereust."
Ich nickte. Sie hatte Recht. Ich sollte mir das wirklich gründlich überlegen, ob ich überhaupt Will die Chance gab, mit mir zu reden und sich zu erklären. Eigentlich hatte jede Person eine Chance verdient, allein um sich zu erklären, und letztlich blieb es der zuhörenden Person, in dem Fall, ich, überlassen, ob man dieser Person, in dem Fall Will, eine weitere Chance gibt, oder es sein lässt.
Klar, vermisste ich ihn zwischendurch, fragte mich, wie es gewesen wäre, wenn er nicht abgehauen wäre, aber dann dachte ich an seine ekelhafte Aktion zurück und das Vermissen wandelte sich in Hass und Enttäuschung um.
Ich könnte Will zuhören, vielleicht sollte ich das sogar. Vielleicht hat er ja gute Gründe, log mich hoffentlich nicht an, wenn ich ihn die Chance gab, mit mir zu reden.
Danach konnte ich immer noch selbst entscheiden. Ich wechselte das Thema.
„Warum gibt es so viel Spielzeug?"
„Keine Ahnung, aber mehr als die Hälfte ist rausgeschmissenes Geld", bemerkte Holly. „Ich weiß auch nicht, warum diese Laufdinger überhaupt noch verkauft werden. Babys werden dort reingesetzt, obwohl diese nicht mal richtig laufen, geschweige von selbst sitzen können... und außerdem gibt es tausende Berichte im Internet, über Unfälle mit diesen Dingern. Hatte schon selbst einige Babys in der Notaufnahme, die die Geschwindigkeit nicht einschätzen konnten."
„Mom hat mir erzählt, dass die echt Scheiße sind", erinnerte ich mich. „Dad kam damals wohl mit einem für mich an und hat es hochkant auf den Müll geschmissen. Genau, wie diese Hüpfdinger für die Tür... aber so eine Wiege ist in Ordnung, oder?"
„Wir sollten nicht so viel kaufen, wer weiß, was wir überhaupt nutzen, oder nicht. Und außerdem sind meine Eltern auch noch da, wenn's nach meinem Dad ginge, hätte er das ganze Zimmer bezahlt."
Ich stellte diese Wiege zurück. „Haben wir eigentlich schon einen Babyknast?"
„Holt Sam."
„Irgendwas, was wir brauchen und ich noch für mein Kind holen könnte?", hakte ich belustigt nach.
„Wir haben eigentlich alles, was wichtig ist."
Ein 3-in-1-Kinderwagen und den Babysitz fürs Auto, waren bereits im Kofferraum.
Seufzend stand ich wenig später in der Klamottenabteilung für Babys und etwas sprang mir sofort ins Auge. „Ich bin mir sicher, dass wir nicht im Besitz, von so etwas sind!"
Ich griff nach dem Schlafanzug in Polizeiuniform-Optik und schmiss den kurzerhand in den Einkaufswagen.
„Haben wir tatsächlich noch nicht", lachte Holly und holte den wieder hinaus.
„Was?"
„Hab nur nach der Größe geschaut, 74-80 ist in Ordnung."
„Glaubst du, Will, hängt bei meinem Dad herum?", fragte ich Holly, als wir die Einkäufe zuhause verräumtem. Okay, eher Holly, ich war heiß darauf den Kinderwagen aufzubauen und dessen Funktionen zu testen.
„Willst du dich etwa in die Höhle des Löwen begeben?"
„Jein... ach... keine Ahnung", murrte ich und schob den Kinderwagen vor mir weg, damit ich Holly anblicken konnte. „Ich will eine Nacht darüber schlafen, aber auch sofort wissen, was Sache ist und was der Vollidiot hier will."
Holly hielt nachdenklich die Flasche Multivitamin-Saft in den Händen. „Wir könnten da hinfahren und deinem Dad gleich sagen, dass er Opa wird. Du hast ihn monatelang nicht gesprochen."
„Aus gutem Grund."
„Er ist immer noch dein Dad."
„Ja, ich weiß, und stell dir mal vor, Holly, es gibt kaputte Familien, nicht so wie deine."
Sie zog eine Augenbraue hoch und starrte mich an. „Meine Familie ist auch nicht gerade eine Vorzeigefamilie."
„Hat dein Bruder dich im Stich gelassen? Hat dein Vater dir das Geld aus der Tasche gezogen und lässt die Laune an dir aus? Nein, tun die nicht."
„Es gab Momente, da konnte ich Sam verprügeln, weil er mich wütend gemacht hat, oder sogar enttäuscht hat, und mir ist bewusst, dass ich Sams Verhalten nicht mit dem Verhalten deines Bruders vergleichen kann. Aber wir reden hier jetzt nicht von meiner angeblichen Bilderbuch-Familie, sondern von deiner... wie gesagt, es ist deine Entscheidung, ob du Will die Chance geben willst mit dir zu reden, oder nicht. Ob du da heute, oder morgen, oder gar nicht hinfährst. Oder ob du Patrick sagst, dass er Opa wird. Ich misch mich da nicht weiter ein, treff' deine eigene Entscheidung. Ich meinte es nur gut..."
Holly hatte mitten im Satz aufgehört, als ich auf sie zuging und sie einfach umarmte. „Ich weiß, dass du es nur gut meinst, dass du verhindern willst, dass ich meine Entscheidung bereue."
Sie erwiderte die Umarmung und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. „Ich mein's halt echt nicht böse. Ich verstehe es für mich selbst nicht... man hat Familie und dann ist das Verhältnis so schlecht. Sowas ist halt Neuland und wird es auch immer bleiben."
Ich sagte nichts, sondern streichelte ihren Rücken. Ich dachte scharf nach, überlegte, wie ich vorgehen sollte.
Letztlich sagte ich: „Ich sollte ihn reden lassen."
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