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Holly
Keine Ahnung, wie lange Jay seinen Kopf gegen meinem Bauch lehnte und ich ihm mit dem Fingern durch das Haar fuhr, aber irgendwann machten sich bei mir der schmerzende Unterrücken bemerkbar, weshalb ich ungeduldig wurde.
Jay ahnte es wohl und fuhr zurück, legte sich zurück in das Bett und atmete hörbar tief durch. Das bescheuerte Grinsen, wich für einen besorgen Gesichtsausdruck. Ich zog das T-Shirt über meinem Bauch.
„Wie lange haben wir noch, um die Wohnung kindersicher zu machen?", fragte er dann.
Seine grünen Augen in seinem lädierten Gesicht, suchten den Kontakt zu meinem.
Ich schniefte und musste dringend den ekelhaften Schnodder aus der Nase los werden.
„Eigentlich Anfang Juli, Plus Minus zwei Wochen."
Ich sah, dass Jay nachrechnete und suchte in meiner Handtasche nach einer Packung Taschentücher. Ich reichte Jay eins und nahm dann mir eins heraus.
„Keine Panik, dass ist schon dein Kind... unsers", versicherte ich ihm.
Jay lachte leise. „Darauf wollte ich doch gar nicht hinaus. Wollte nur wissen, wie viel ich verpasst habe und wie lange ich Zeit habe, mich darauf vorzubereiten."
Ich streckte mich und hielt dabei den schmerzenden Unterrücken fest. „Alles gut?", fragte er besorgt.
„Nur der Ischias. Halb so wild", winkte ich ab. Ich schniefte mir die volle Nase aus und schmiss das Taschentuch in den Mülleimer. „Nun, ich bin in... ich muss nach gucken."
Unter Jays leisem Lachen, zog ich mein Handy hervor und suchte unter den Apps nach meiner App für die Schwangerschaft, in der haargenau stand, wie weit ich war und wie lange es bis zum errechneten Geburtstermin war.
„Ah, da haben wir es ja", sagte ich. „22 Wochen und 4 Tage, also aufgerundet die 23te Schwangerschaftswoche."
Ich sah ihn an, dass er schlucken musste. „Fuck, ich hab mehr als die Hälfte verpasst."
„Mach dir nichts draus. War eh nicht so spektakulär."
„Wie und wann hast du es herausgefunden?"
Ich steckte mein Handy in die hinterste Hosentasche. „Thanksgiving, hab den Truthahn von Mom im hohen Bogen wieder ausgekotzt... über den ganzen Tisch."
Jay musste lachen. „Ach du Scheiße!"
„Wir haben es auf einen Magen und Darm Infekt geschoben, da Sam zu dem Zeitpunkt auch krank war. Naja, meine Regel blieb aus, ich hab zehn Tests gemacht- alle positiv."
„Nur zehn?"
„Nur zehn, am nächsten Tag bin ich zu meiner Frauenärztin gefahren. War damals noch ganz früh. Man sah nicht viel."
„Hast du Ultraschallbilder?"
„Natürlich und sogar das ein oder andere Video."
Ich reichte Jay den Mutterpass, in dem die Ultraschallbilder waren und suchte in meinem Handy nach den Videos.
„Wissen es deine Eltern schon?"
„Hab's denen zu Weihnachten gesagt. Dad hat sich vollgesoffen, Mom hat geheult. Naja, ich wollte es dir schon viel früher sagen, aber ich wollte nicht die Ermittlungen gefährden."
„Hättest du nicht", sagte Jay leise, während er sich ruhig die Ultraschallbilder anschaute. „Hätte es gerne früher gewusst. Was wäre gewesen, wenn ich noch länger weg gewesen wäre?"
Er schaute auf, sein Blick fixierte mich. „Ich sollte dich nicht ablenken, aber ich hätte mit Sicherheit Mittel und Wege gefunden, dir das mitzuteilen."
Er nickte und hielt die fünf Bilder hoch. „Okay, und was ist hier was? Wo erkennt man denn hier bitte schön ein Baby?"
Ich musste lachen und nahm ihm die Bilder ab. „Guck, dass meinte ich, das war das erste Bild. Einfach nur ein schwarzer Fleck in mitten dieses Wirrwarrs." Dann zeigte ich ihm das nächste. „Das war nur eine Woche später, da hockt das Baby in der Fruchtblase. Man erkennt da auch noch nicht viel."
Das dritte Foto folgte zugleich. „Elfte Woche. Kopf, Körper und die kleinen Punkte sind Arme und Beine." Dann folgte das Ultraschallbild von der fünfzehnten und neunzehnten Woche.
„Okay, dass sieht langsam wie ein Baby aus", bemerkte Jay. „Das ist doch verrückt. Und das ist nur eins?"
„Ich glaub's auch noch nicht so ganz und ja, nur eins", gestand ich. „Ich hab die Woche wieder einen Termin hier im Med und ich hoffe, du begleitest mich?"
Ich fuhr ihm durchs braune Haar mit den leichten Locken. „Ich wäre sauer, wenn ich nicht mit dürfte", bemerkte er und gab mir die Fotos zurück, die ich zurück in den Mutterpass steckte.
Jay seufzte. „Fühlt sich irgendwie surreal an."
Ich nickte. „Muss mich auch zwischendurch kneifen, aber mein Rücken und das Herumgehüpfe und Gedrehe in mir..."
Jay schaute mich verblüfft an- die grünen Augen leuchteten auf. „Du merkst das Baby schon?"
Ich nickte. „Klar, schon recht früh. Ist ziemlich aktiv, und wenn der Platz bald enger wird, geht's da noch wilder ab." Jay legte eine Hand auf meinem Bauch. „Jetzt ist da gerade ziemliche Ruhe, aber sobald ich mich auf die Couch lege, oder schlafen will, wird dadrinnen herumgeturnt."
„Oh, achso...", Jay wirkte enttäuscht, ließ aber die Hand noch auf dem Bauch liegen. „Du?"
„Hm?"
„Weißt du eigentlich, was es wird? Junge, oder Mädchen?", wollte er wissen. Mit großen Augen blickte er mich an, während ich nur lächeln musste. „Ich dachte schon, du fragst mich das gar nicht mehr. Aber behalt es für dich."
„Ich, der Vater, will absolut keinen Stress, mit der Mutter, also dir, und wenn das niemand wissen soll, dann behalte ich das auch für mich."
Ich lehnte mich nach vorne, drückte Jay einen Kuss auf die Stirn. „Ja, und was wird es denn jetzt?"

Als ich auf dem Mitarbeiterparkplatz stand, musste ich erstmal richtig hinschauen, als ich Mouse an meinem Auto stehen sah.
Völlig entgeistert starrte er erst mich an und dann den kleinen, aber sichtbaren Bauch, der nur von einem T-Shirt bedeckt war.
„Was zum Henker?", fragte er nur. „Warum hat Jay nichts gesagt? Wieso hat der Idiot sich längere Zeit nicht gemeldet?"
Ich blieb an meinem Auto stehen und verzog das Gesicht zu einem Schmunzeln. „Ist auch schön, dich wiederzusehen."
Ich kramte die Autoschlüssel heraus, schloss auf und wandte mich dann, zu den noch immer sprachlosen Mouse. „Aber Jay geht's gut, oder?", fragte Mouse dann.
„Klar, er hat sich die Monate nicht melden können, weil er undercover war."
„Krass. DAS hätte er mir aber trotzdem sagen können."
„Ich hab's erst erfahren, als er bereits weg war und Jay erst heute."
„Also, ist er fertig mit seiner Mission, oder wie das heißt?"
„Fertig nicht, eher abgebrochen. Denen ist wohl ein Auto vor der Nase explodiert. Jay hat nur eine Platzwunde, eine Gehirnerschütterung und ein paar Kratzer, von herumfliegenden Teilen abbekommen."
„Scheiße", murmelte Mouse. „Kann man zu ihm?"
„Da komme ich gerade her, ist ansonsten fit." Ich räusperte mich. „Ich hab das nicht angesprochen, also, dass was euch passiert ist... unter anderem... passiert ist. Aber ich denke, dass mit der Autobombe muss sicherlich einige Erinnerungen hochgeholt haben. Ich war damals nicht dabei, habe also keine Ahnung, was da genau passiert ist. Mit dir redet er bestimmt darüber."
„War dieser sture Hund noch immer nicht bei Doktor Charles?"
Ich schüttelte meinen Kopf. „Er ist der Meinung, dass er keinen Seelenklempner braucht, dass es ihm gut ginge. Die Frage ist, wie geht's ihm jetzt, nach dieser Sache."
„Ich rede mit ihm, oder versuche es", nickte Mouse. „Wann ist es soweit?"
„Juli."
„Heilige Scheiße, ist ja auch nicht mehr lange."
Ich musste lachen und nickte. „Ja."
„Wisst ihr schon was es wird?"
Ich nickte abermals.
„Ja, was wird es denn!?", hakte Mouse ungeduldig nach.
„Sag ich nicht."
Mouse schnitt eine Grimasse. „Ach komm schon, bei mir bleibt das Geheimnis auch ein Geheimnis, dass weiß Jay auch."
„Bei mir bleibt ein Geheimnis auch ein Geheimnis... so wie das." Ich deutete auf meinem Bauch.
„Wow. Du bist immer noch ziemlich hartnäckig."
„Das wird sich auch nicht ändern."
„Glaub ich", stimmte Mouse zu. „Dann geh ich mal Jay auf den Zeiger."
Er drückte mir einen kleinen Kuss auf die Stirn, beglückwünschte mich noch einmal und setzte seinen Weg zum Krankenhaus fort.
„Er wird's dir auch nicht sagen", murmelte ich leise lachend vor mich hin.
Dann setzte ich mich ins Auto und fuhr nach Hause.
Dort stand ich in dem, noch nicht fertigen und zukünftigen Kinderzimmer. Ich wollte alles alles nach und nach holen, aber die fehlende Lust und Motivation hielt mich auf, außerdem wollte ich das gemeinsam mit Jay machen. Aufräumen könnte ich ja trotzdem. Den Rest machte ich dann mit Jay.
Seufzend stand ich in dem ehemaligen so leeren Raum, der bald als Kinderzimmer genutzt würde. Der Eimer Wandfarbe stand schon neben der von Sam aufgebauten Wickelkommode. Kisten voller Babyklamotten und Spielzeug, die ich von Bekannten aus dem Krankenhaus geschenkt bekommen, oder billig abgekauft hatte, daneben. Der Rest an Möbel und anderes Zeug, wie ein Kinderwagen und Kindersitz fürs Auto fehlte auch noch.
  Ich lehnte mich an den Türrahmen und blickte ins Zimmer hinein, versuchte mir auszumalen, wie es in dem Zimmer aussehen könnte, wenn es fertig war. Wie es sein würde, wenn hier bald Leben in die Bude kommen würde. Kürzere Nächte, strapazierte Nerven, etliche volle Windeln, Sabber, Kotze...
Ob Jay und ich uns dieser Herausforderung stellen konnten? Wir mussten es.
Ich entschied mich fürs Kind, weil ich wusste, dass es auch für Jay keine andere Option gab.
Man hatte schon mal darüber geredet, was wäre wenn...
Abtreibung wäre für uns beide Mord, dass wurde sofort ausgeschlossen, genau wie das Kind weggeben, weil man sich der Verantwortung nicht stellen will.
„Man weiß nie, ob es die einzige Möglichkeit für uns ist Eltern zu werden und was ist, wenn wir die beiden bösen A's durchgezogen hätten- wir hätten das ein Leben lang bereut", hatte Jay gesagt.
Wir waren beide vierundzwanzig, standen voll im Berufsleben, klar, es würde kein einfacher Weg für uns beide werden, aber das würden wir schaffen, schließlich boxten wir uns beide immer gemeinsam überall durch.
Ich seufzte und konnte es kaum erwarten, dass Jay aus dem Krankenhaus kam, wollte ihn in Möbelhäuser zerren, mit ihm das Zimmer einrichten, nach fünf Monaten endlich mal wieder mal über sinnloses diskutieren, ihn küssen, ihm Näherkommen.
Ich sehnte mich so nach ihm.
Mit einem Schmunzeln zog ich die Tür zum zukünftigen Kinderzimmer zu und sagte ganz leise: „Das wird schon..."

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