30
Jay
Das typische gleichmäßige Klackern von Highheels auf altem Holzboden, ließ mich aufhorchen. Ich sprang von dem Sessel auf und schaute direkt zur Badezimmertür. Holly trat selbstsicher auf den hohen Absatzschuhen hervor, hielt das mintgrüne Kleid an sich gedrückt. „Du musst mir mal helfen. Der Reißverschluss." Mit einer Hand deutete sie auf ihren Rücken.
Nickend stellte ich mich hinter ihr und zog den Reißverschluss des ihr sehr schmeichelnden Kleides hoch. „Du wirst der Braut definitiv die Show stehlen", bemerkte ich und drückte Holly einen sanften Kuss auf die Schulter. Mir wurde kurz schwindelig, als ich ihr Parfüm einatmete.
Sie lachte leise und wandte sich mit einer halben Drehung zu mir. „Denke nicht", murmelte sie. Durch die Höhe ihrer Absätze, waren wir beide auf Augenhöhe. Ihre grünbraunen Augen fixierten kurz meine.
Ich richtete die dünnen Träger ihres Kleides, trat einen Schritt zurück und musterte Holly abermals. „Doch. Definitiv."
Dann deutete ich auf den Ausschnitt, welcher nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel zeigte.
Das lange Kleid schmeichelte Holly, die in den letzten Monaten zwar abgenommen hatte, aber immer noch an den typischen Stellen kurvig war. Ihre fast dunkelblond gefärbten Haare, hatte sie zu einem sauberen Knoten am Hinterkopf gebunden, einige Haarsträhnen hingen ihr im leicht geschminktem Gesicht, der kürzere Pony war seitlich geflochten und endete in dem Dutt.
Holly hatte den passenden Schmuck angelegt. Eine dünne Silberkette mit einem Herzanhänger, die ich ihr vor einer Woche schenkte und dazu die passenden Ohrringe.
Dann zog sie meine Fliege fest. „Die Braut hat mir das Kleid ausgesucht, also, werde ich das auch tragen", stellte sie klar und fuhr mit ihrer Hand über mein weißes Hemd. „Siehst übrigens auch gut aus", sagte sie und verzog die Lippen zu dem wunderschönsten Lächeln überhaupt.
Fuck!
Wie sehr kann ich ihr bitte noch verfallen?
Ich näherte mit meinem Gesicht ihrem und wollte ihr eigentlich einen kleinen Kuss auf die mit Lippenbalsam geschminkten Lippen drücken, aber Holly erwiderte mit leicht geöffneten Mund, irgendwie schon gierig, als sie sich näher an mich heran drückte.
Ich fand's regelrecht provokant, dass sie ihr Unterleib, während der Knutscheinlage, gegen meines rieb, weshalb ich sie an den Schultern zurückdrückte. „Ich habe keine Lust zu spät auf der Hochzeit von Lydia und Lucas zu kommen."
„Ich noch viel weniger. Lydia bringt mich sonst um, dann dich, dann den unschuldigen Rest. Will gar nicht wissen, wir sie gerade durchdreht."
Ich schnaubte belustigt und leckte mir die nach Kirsch schmeckenden Lippen. „Das kriegen wir Gott sei Dank nicht mit..." Ich hielt inne. „Noch nicht", verbesserte ich mich dann.
„Lass uns zur Kirche. Besser sind wir früh da, als spät. Hast du die Einladung mit der Adresse? Keine Lust mich zu verfahren."
„Saline ist nicht so groß", bemerkte ich. „Laut dem Schild am Stadtrand über 8.800 Einwohner."
Saline war eine Stadt im Washtenaw County im US-Bundesstaat Michigan, in die Lydia und Lucas gezogen waren, nachdem Detroit zu laut und nervig wurde und die beiden einen Neuanfang gewagt hatten.
Die beiden hatten sich ja getrennt, Lydia war kurz davor, zurück nach Chicago zu kommen, aber irgendwie blieb sie doch, gab Lucas, der sie betrogen hatte, eine weitere Chance, in einer anderen, kleineren Stadt- und nun wollten die beiden tatsächlich heiraten. Wow.
Wenn ich's nicht besser wüsste, war Lydia von Lucas schwanger und wollte nicht allein dastehen.
Würde Holly mich auch nur einmal betrügen, könnte sie direkt ihre Sachen packen.
Für mich, wäre so etwas unverzeihlich, egal wie sehr ich Holly liebte.
Und sie? Sie würde erst ihre Widersacherin auslöschen und dann mich.
Wir stiegen aus Hollys Auto, als ich einen freien Parkplatz an der Kirche gefunden hatte und schauten uns um. Ich sah Lucas Eltern, aber die von Lydia waren nicht da.
Lydia hatte die nicht mal eingeladen, da das Verhältnis zu ihrem Stiefvater und ihrer Mutter, alles andere als super war.
Ich sah den sichtlich nervösen Lucas in der kleinen Menschentraube von ungefähr 20 Personen stehen, er ging auf und ab, während er mit seinem Vater redete.
Holly und ich näherten uns der Menschenmenge. Sie griff murrend nach meiner Hand, als Lucas' Stiefschwester mich sah. Die merkwürdige Stiefschwester, war mit ihren fünfundzwanzig schon fünffache Mutter und drei mal geschieden und seitdem ich hier war, ließ sie mich nicht in Ruhe.
Obwohl Lucas mahnende Worte sprach und Holly jedes Mal neben mir stand, machte mich Catrice jedes Mal aufs übelste an.
Ich war genervt davon... klar hörte ich gerne Komplimente von anderen Leuten, aber irgendwann war's auch gut, vor allen Dingen, wenn man so hartnäckig wie Catrice war.
Lucas Eltern waren nach einer freudigen Begrüßung an uns beiden in die Kirche gegangen.
„Wenn du schon so gut in einem Anzug aussiehst, wie siehst du dann erst in deiner Polizeiuniform aus", bemerkte Catrice und suchte wieder die Nähe zu mir.
Lucas zerrte sie von mir weg. „Verschwinde nach drinnen und guck was deine fünf Ausgeburten der Hölle machen."
Lucas sparte mal wieder nicht an Nettigkeit.
„Ach, halt die Klappe, Lucas", murrte die größere Catrice. Sie blickte mich an und ich wich genervt ihren Blick aus. „Vielleicht begleitest du mich?"
„Verzichte", murrte ich.
Sie schnitt eine Grimasse und ging in Richtung Kirche, während Lucas Holly anblickte. „Warum sagst du nichts?", wollte er wissen.
„Noch, muss ich nichts sagen", antwortete Holly entspannt.
Das war gar nicht gut. Holly ließ ihre Meinung erstmal für sich. Sie sammelte alles an, bis der Vulkan in ihr ausbrach, wartete auf den richtigen Moment, um der Person ihr gegenüber den Gar auszumachen.
Ich hielt Hollys Hand fester und streichelte mit dem Daumen über ihre weiche Haut.
„Wo bleiben Trauzeuge und Trauzeugin?", hakte ich nach.
„Meiner ist drinnen. Lydia kommt gleich mit ihrem Anhang. Und ihr seid echt nicht sauer, weil ihr nicht diesen wichtigen Posten bekommen habt?"
„Alles gut."
„Sicher? Ich meine, wir beide kennen uns zwar seit der Kindheit, aber nach der Highschool hatten wir kaum bis gar nicht mehr Kontakt. Selbst jetzt ist das eher dürftig."
„Kann man ändern, oder nicht?"
„Ja, das hast du beim letzten Mal auch schon gesagt. Da warst du zu beschäftigt mit der Army und jetzt mit der Polizei."
„Du hast doch jedes Mal deine Handynummer geändert und ich musste dir dann über Facebook schreiben, damit ich deine neue Nummer bekomme, dass ist auch nicht gerade nett."
„Wollt ihr beiden euch wirklich darüber streiten?", warf Holly genervt ein.
„Nur diskutieren", antwortete Lucas.
„Schön, lasst das einfach!", murrte sie genervt. „Du weißt, wie Jay austeilen kann und du heulst schon bei jeder Kleinigkeit herum, Lucas. Deine Hochzeitsfotos sollen doch besonders schön aussehen und nicht besonders, sonst reicht Lydia ganz schnell die Scheidung ein."
„Dann diskutieren wir das später aus", bemerkte Lucas und schaute auf seine Armbanduhr. „Lydia und du, seid selbst keinen Deut besser."
„Willst du ein blaues Auge auf deinen Hochzeitsfotos haben? Sag mir bescheid und ich verpass dir eins", fuhr Holly Lucas an. „Nein, danke." Lucas schüttelte seinen Kopf. „Ich sage ja nur, dass du dich auch bei Lydia melden kannst."
Lucas horchte auf, als seine Mutter nach ihm rief und ließ uns stehen.
„Mach ich oft genug, nur dauert es bei ihr, bis sie mir antwortet, wenn sie überhaupt antwortet", murmelte Holly leise, schnitt eine Grimasse und blickte dann zu mir. „Warum drehen immer alle auf Hochzeiten durch?"
„Frag mich das noch mal, wenn wir mal vorne stehen. Erinner mich daran, dass wir beide ohne Familie heiraten. Nur wir zwei. Ich will keinen Massenmord auf unserer Hochzeit haben."
Holly musste lachen. „Still, heimlich und spontan", nickte sie. „Wenn wir das nur still und heimlich machen, kommt Dad mit Sicherheit dahinter, der hat überall seine Kontakte."
Ich blickte zu ihr und erwiderte ihren Blick. „Planen wir gerade?"
„Pff, denk an diesen bescheuerten Pakt. Noch sind wir keine dreißig."
Ich wollte ihr gerade sagen, dass Pakte gebrochen werden könnten, da klingelte ihr Handy auf. Holly kramte es aus ihrer kleinen Handtasche und blickte auf den Bildschirm.
„Lydia", murmelte sie, nahm das Gespräch an, und ging von mir weg. Das Gespräch an sich ging recht kurz.
„Und?", fragte ich.
Holly sah alles andere als begeistert aus. „Lydia hat mir gesagt, ich soll Lucas sagen, dass sie doch nicht will. Sie will das hier abblasen."
„Und du darfst das dem Bräutigam mitteilen? Bist du jetzt die Brieftaube?"
Holly nickte. „Mach ich aber nicht. Lass uns eben zu den beiden nach Hause fahren, halbe Stunde haben wir beiden noch."
Ich nickte und fuhr Holly zum kleinen Haus, in dem Lucas und Lydia wohnten.
„Was zum Teufel?", stieß ich hervor, als ich sah, dass Lydia ein paar Kisten in einem Mercedes Geländewagen räumte. Ein unbekannter, älterer Typ half ihr dabei.
„Och nee, Lydia", bemerkte Holly lustlos und seufzte frustriert. Ich hielt auf der breiten Straße in zweiter Reihe und direkt neben den weißen Mercedes. Holly stieg aus, während ich den Warnblinker anmachte und im Auto sitzen blieb. „Lydia!", hörte ich Holly mahnend sagen. Lydia schloss gerade die Kofferraumklappe, und wandte sich dann zu Holly.
Sie quatschten kurz, ehe Lydia Holly umarmte.
Die eingebaute Uhr im Armaturenbrett ließ mich wissen, dass die beiden nicht mal zwei Minuten miteinander redeten.
Holly kam zurück, stieg ins Auto und seufzte.
„Lydia brennt mit diesem wohlhabenden Typen nach Los Angeles durch und ich sollte es Lucas beibringen, aber... sie schreibt ihm wenigstens eine SMS."
Dann hielt sie mir eine Rolle mit Geld hin. „Von Lydia und ihrem Charlie, für die Reisekosten, Kleid, Anzug..."
Ich starrte die Rolle mit dem Geld an.
„Wie viel ist das?"
„Viel."
„Was heißt viel?"
„Lydia hat ihm wohl erzählt, dass wir uns die Kleidung und das Hotel teuer zu stehen kommen lassen."
„Haben wir aber nicht."
„Ja."
Ich nahm den eingerollten Bündel entgegen und fuhr los. „Das sind sicherlich 2.000$."
„Ja."
Holly und ich mussten nur lachen. „Charlie scheint ein netter Kerl zu sein", bemerkte ich und reichte Holly das Bündel. „Kirche, oder Hotel?"
„Hotel. Wenn Lucas sich bei dir ausheulen will, weißt du ja, wo er dich findet."
„Wenn", murmelte ich. „Du hast ihn ja seine klaren Worte mitbekommen. Er hat aber Recht." Seufzend wandte ich mich zu Holly. „Ich hätte mich öfter bei ihm melden können. Er war sogar zu meiner Abschlussfeier beim CPD gekommen, verflucht."
Ich blickte wieder auf die Straße vor mir. „Hätte ich Lydia das damals nicht geschrieben, wären sie mit Sicherheit nicht gekommen", sagte Holly. „Zu der Zeit hatte man viel Kontakt und da konnte sie mir auch antworten. Ist jetzt aber auch egal. Wir müssen jetzt für Lucas da sein... wenn er will."
Das war neu. Ich wusste gar nicht, dass Holly indirekt dafür verantwortlich war, dass mein damaliger bester Freund und seine Freundin auf meiner Abschlussfeier der Police Academy antanzten.
„Eben, wenn er es will", nickte ich. Dann wechselte ich das Thema. „Was machen wir mit dem Geld?" Holly hielt den Bündel noch immer in ihrer Hand, zuckte wieder mit den Schultern. „Und fällt sicherlich noch was ein."
Ich war froh aus diesem Anzug rauszukommen und packte diesen, mit dem Hemd und der Krawatte in die Transporttasche zurück.
Holly hatte bereits ihr Kleid und die Highheels gegen Jeans, Top und Sneaker ausgetauscht, saß auf dem Bett und zählte das Geld.
„Es sind 2.500 Dollar", bemerkte sie dann, stapelte die sortierten Scheine nach Größe und warf mir währenddessen einen Blick zu. „Legen wir es zur Seite?"
Ich nickte nur. „Das ist das Beste was wir machen können."
Holly und ich warteten den restlichen Abend auf eine Nachricht von Lucas, oder sonst was, aber er meldete sich nicht, weshalb wir direkt am nächsten Morgen zu ihm fuhren.
Kaum hatte Lucas' Stiefschwester die Haustür geöffnet, kam mir viel zu lautes Kindergeschrei entgegen.
„Wo ist denn Lucas?", fragte ich.
„Garten."
Irgendwie verzichtete Catrice auf ihre dummen Anmachsprüche, trat zur Seite und ließ uns ins Haus. Holly und ich gingen direkt durch und fanden Lucas im Garten mit etlichen Kindern herumtollen. Als er uns sah, hielt er inne, rief den Kindern zu, dass Felicia nun das Monster wäre, was die Kinder fangen müsse und kam zu uns auf die neue Veranda.
„Wusstest du, was Lydia vor hatte?", fragte Lucas Holly sofort.
Diese verneinte mit einem leichten Kopfschütteln. „Sie hat nichts gesagt, also mir nicht. Sie hat mich angerufen, meinte, sie könne das alles nicht und das ich es dir sagen soll. Wir sind sofort hier her, da haben wir gesehen, wie sie und ihr Neuer, ihre Sachen in sein Auto geräumt haben. Sie meinte, ich solle es dir trotzdem sagen, ich hab sie aber überredet, dass sie es dir selbst sagt. Hat sie doch, oder?"
Lucas nickte. „Ja, eine lächerliche SMS", er zog sein Handy aus der hintersten Hosentasche hervor. „Wenn ich zitieren darf", er räusperte sich: „Lucas, es tut mir so unfassbar leid, aber ich kann Dich nicht heiraten. Es geht nicht. Ich kann Dir Deinen Seitensprung nicht verzeihen, obwohl ich dachte, ich könnte. Ich habe einen anderen Mann kennengelernt. Ich werde mit ihm gehen und ein neues Leben anfangen- ohne Dich. Mach's gut, Du Pisser."
Wow, war ja klar, dass Lydia nicht ohne Beleidigung konnte.
„Danach hat sie mich blockiert. Naja, meine Eltern und ich, bleiben auf den ganzen Kosten sitzen, ich darf mir eine günstigere Wohnung suchen... Lydia hat selbst den teuren Verlobungsring und die Eheringe verschachelt."
„Verscherbelt", korrigierte ich. „Echt? Wann?"
„Anscheinend ja gestern. Hab die zerknüllte Rechnung vom Juwelier gefunden. Für alle drei Ringe hat sie 5.000$ bekommen. Davon werde ich nichts sehen."
Och nee, waren die 2.500$ etwa davon, oder doch von diesem ominösen Charlie?
Holly schaute kurz zu mir auf und zog die linke Augenbraue in die Höhe. „Na super."
„Ja."
„Geht's dir denn einigermaßen gut?", wollte ich wissen.
„Hab gute Ablenkung", er deutete auf die Kinder. „Besser als jeglicher Alkohol. Meine Eltern und mein Stiefvater versuchen, dass Geld wiederzuholen. Jedenfalls einen Teil davon. Wann wollt ihr wieder nach Chicago fahren?"
„Heute Abend", antwortete ich. „Die Arbeit ruft."
Lucas nickte. „Ich darf morgen auch wieder arbeiten. Sag mal, was war eigentlich mit dem Typen, der die Jungen kalt gemacht hat- habt ihr denn?"
„Er und sein Vater sind seit Monaten untergetaucht. Nichts."
„Er war das definitiv?"
Ich beantwortete Lucas Frage mit einem Nicken. „Wir fanden sämtliche Hinweise. Das was bereits öffentlich ist, kannst du nachlesen, gibt ausführliche Berichte über das Versagen des Chicago Police Departments. Sämtliche Hinweise sind fürn Arsch. Es ist so, als hätten die beiden nie existiert. Als jagen wir zwei Phantome."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top