26

Holly
Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als ich nach gefühlten Ewigkeiten, dieses melancholische Lachen hörte und die Person, die sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte, gar nicht mehr einzukriegen schien.
Es tat so gut, Sam wieder glücklich und lachend zu sehen, so unbeschwert und ohne die ganzen Schuldgefühle und Sorgen, als hätte er, endlich einen halben Schlussstrich ziehen können.
Innerlich war es mir bewusst, dass Sam niemals über den Tod von Tristan hinwegkommen würde, egal, welche Umstände zu seinem Tod geführt hätten.
Lächelnd und mit Tränen in den Augen, wandte ich mich von meinem großen Bruder ab und blickte wieder auf die beleuchtete Bühne und zu Kevin Hart, einen dunkelhäutigen Komiker, den meinen Bruder schon länger feierte, also hatte ich ihn letztes Jahr zu Weihnachten zwei Tickets für Harts Auftritt hier in Chicago geschenkt. Ich war froh, dass Sam mich mitnahm, ehrlich, ich hoffte darauf.
Kevin Hart zeigte sich wieder von seiner allerbesten Seite, haute eine witzige Geschichte nach der nächsten heraus, ob die ihm wirklich so passiert war, oder nicht, war in dem Fall egal. Das ganze Publikum war in Ekstase und kriegte sich gar nicht mehr ein, auch, wenn er nichts sagte, sondern nur Grimassen zu den passenden Situationen schnitt.
„Wir waren im Disneyland, und ich bin mir sicher, das ist schon mal jeden von uns passiert: wir haben unsere Tochter verloren. Sie ist abgehauen, weil sie keine Lust auf ihre Mutter hatte, wollte ich auch machen- meine Tochter kam mir zu vor... aber... ich wusste, dass ich ihr früher oder später über den Weg laufen würde, also, habe ich die Chance genutzt und bin mit den Attraktionen gefahren, worauf sie nicht drauf durfte, machte in Seelenruhe Fotos mit Pluto und der besoffenen Mickey Mouse und dachte mir, dass sie ebenfalls ihre Zeit ihres Lebens hat... hoffentlich... so ganz allein zwischen tausenden von fremden Menschen. Irgendwann, da war ich gerade auf Space Mountain, sah ich sie, heulend am Ausgang stehen. Sie schrie mich vor allen Leuten an, dass ich ohne sie die Achterbahn gefahren bin und ich ein Scheißvater sei. Ich war glücklich, hab mich noch mal angestellt... und noch mal... und noch mal. Ich glaube, dass war einer der Gründe, wieso meine Frau die Scheidung eingereicht hat..." Dann fügte er nuschelnd hinterher: „nicht, weil ich ihr Fremdgegangen bin... aber, naja. Jeder denkt, wenn man eine Scheidung durchmacht, dass man gleichzeitig eine richtig verschissene Zeit durchmacht, ihr seit plötzlich Feinde, ihr hasst euch einander... so ein Scheiß. Sie ist glücklich. Sie ist drüber hinweg. Ich bin glücklich. Ich bin drüber hinweg. Ich bin glücklicher als sie, weil ich dieses manipulative Miststück endlich los bin! Sie hat über alles bestimmt. Über alles, als wäre ich ein kleines Kind... zwang mich verficktes Obst und Gemüse zu essen... fehlt nur noch, dass sie mir den Arsch abwischen wollte."
Ich war mir nicht mehr sicher, ob der Typ sich gerade über seine Ehe, die bekanntlich gescheitert war, auskotzte, oder versuchte daraus einen Witz zu ziehen.
Ich zog mein Handy hervor, um zu schauen, ob Jay mir eine Nachricht geschrieben hatte, der Arme hatte Nachtschicht und hatte es hoffentlich nicht mit viel zu bescheuerten Menschen zu tun.
Die letzte Nachricht von ihm, war von vorhin, kurz bevor die Show los ging. Er wünschte Sam und mir viel Spaß, ich solle mich melden, wenn ich auf den Weg nach Hause sei.

Ich:
Pass Du auf Dich auf. Lass Dich nicht abknallen, oder so. :)

Ich schickte die Nachricht ab, machte die Tastensperre rein und steckte mein Handy zurück in die Handtasche, die auf meinem Beinen lag, dann wandte ich mich wieder Kevin Hart zu... für einen kleinen Augenblick.
Aber, als er wieder einen guten Witz brachte, und ich Sam nicht lachen hörte, blickte ich besorgt zu ihm. Er starrte auf den Stuhl vor sich und reagierte auch erst nicht auf Ansprache. Erst, als ich ihn mehrmals, leicht, gegen den Unterschenkel trat, kam er zu sich und starrte zu dem Komiker auf die Bühne.
Ich seufzte und wandte mich von meinem Bruder ab.

„Morgen ist es tatsächlich der achte Mai."
Ich wusste sofort, worauf er hinaus wollte. „Ich weiß, die vier Monate zischten echt an einem vorbei", sagte ich traurig und legte Sam tröstend eine Hand auf den Rücken, während wir in der Menschenmasse zum großen Parkplatz des Eventcenters in Downtown gingen.
Die Sonne war bereits hinter den Hochhäusern von the Loop untergegangen, färbte den Himmel in einem dunkelblau, etliche dunkelgraue Wolken zierten den Abendhimmel.
Es war angenehm frisch und warm zu gleichen Zeit, weshalb ich meine dünne Jacke offen ließ.
Ich war sowas von kaputt. Kaputt von dem anstrengenden Tag auf der Arbeit, kaputt vom Lachen und kaputt von Sams plötzlich mieser Laune, die mich ebenfalls runterzog. Wäre ich nicht so müde und müsste morgen wieder Arbeiten, hätte ich Sam in die nächstbeste Bar gezogen und volllaufen lassen, aber wie es schien, wollte auch er dringend ins Bett.
Er zog die Autoschlüssel aus der hintersten Hosentasche hervor, nachdem wir an seinem Auto stehen blieben.
„Besuchst du Tristan morgen?", fragte ich ihn.
Er schloss sein Auto auf. „Weiß nicht", sagte er leise, zog die Tür auf und stieg ins Auto.
Seufzend zog ich an der Türklinke seines älteren BMWs, öffnete die Tür und stieg ebenfalls ein. „Ich war gestern bei ihm, als ich frische Blumen für Bonnie gebracht habe. Nicht wundern, wenn du die Blumen bei Tristan siehst. Das war ich."
„Wer auch sonst. Seine eigene Mutter ganz bestimmt nicht", schnaubte Sam verpachtend.
Ich zog die Tür zu und griff nach den Anschnallgurt, den ich mir umlegte und einsteckte. „Meldet die sich überhaupt nicht?"
„Was glaubst du denn? Dann müsste sie ja die Fragen beantworten, wo ihr Anteil für die Beerdigung bleibt."
„Aber Dad hat alles bezahlt."
„Ja, eben, aber ich will's ihn und Mom zurückgeben. Meinen Anteil hab ich schon zurückgelegt. Du weißt, was im September ist?"
„September? Nine-Eleven, Paul Walkers Geburtstag..."
Sam atmete hörbar genervt aus und schnitt eine Grimasse. „Bist du dumm, oder so?", fragte er dann. „Mom und Dad sind dieses Jahr 30 Jahre verheiratet und ich wollte den beiden einen Urlaub schenken!"
„Ach du Scheiße! 30 Jahre!?", stieß ich entsetzt vor.
Sam nickte nur. „Steuerst du auch was dabei?"
„Wenn du weißt, wohin die Reise für die beiden hingehen soll, dann ja."
„Die beiden haben ihre Flitterwochen auf Hawaii verbracht. Besser gesagt Honolulu, dort in der Nähe, gibt es eine Stadt namens Pearl City, der dreißigste Hochzeitstag ist auch die Perlen-Hochzeit. Hotels gibt's da auch, weitaus billiger, als in Honolulu selbst. Also...?"
„Machen wir. Wenn du eine Kostenübersicht machst, kann ich schauen, wie viel Geld ich monatlich zurücklegen kann. Hättest du nicht früher mit der Idee kommen können?"
„Hab's vergessen. Mom und Dad haben vorhin darüber geredet..."
„Hm", machte ich und war froh, nicht als einzige den kommenden Hochzeitstag vergessen zu haben- auch wenn dieser nur noch vier Monate entfernt war.
„Ich leb sowieso nie auf der hohen Kante, bin recht sparsam..."
„Du sparst dir ja auch an Lebensmittel. Entweder isst du bei Mom und Dad mit, oder bei Jay und mir", lachte ich.
„Natürlich", grinste er. „Aber ey, ich gebe auch oft Dinge an die Leute zurück, die mich füttern. Meine kostbare Zeit zum Beispiel."
„Und das weiß ich jedes Mal zu schätzen. Echt. Stell dir mal vor, wir wären immer noch so unerträglich zueinander, wie damals."
„Ach, komm, dass kannst du nicht so schlimm sehen. Großer Bruder, kleine Schwester sind schon immer ein Fall für sich, wir haben aber auch immer zusammengehalten, wenn's hart auf hart kam."
„Das stimmt", nickte ich.
„Danke, für den tollen Abend, Kleiner."
„Doch nicht dafür, Großer."

Kaum hatte ich die Wohnung betreten und schloss von innen die Tür ab, klingelte mein Handy, welches irgendwo in den Tiefen meiner Handtasche verborgen war. Vielleicht war das Jay, der Pause hatte und mir auf den Senkel gehen wollte. Ich machte das Licht an und suchte eilig mein Handy, während ich zur Couch ging. Ohne auf den Bildschirm zu blicken, nahm ich das Gespräch an.
„McGowan?", fragte ich.
„Äh, ja, hallo", hörte ich Jay am anderen Ende sagen. Er klang nicht gerade fröhlich.
„Oh, was ist denn los?", fragte ich sofort.
„Es ist schon wieder ein Kind in Canaryville verschwunden", bemerkte er.
„Was!? Schon wieder?"
„Ja. Weißt du noch TNT..."
„...Pizza & Beef", beendete ich den Satz. „Die haben doch seit fünf Jahren einen neuen Besitzer. Dad meinte, die würden Killians heißen, oder so."
„Ja, deren Sohn Griffin Killian. Laut Vater lag er noch schlafend im Bett und als er wieder nach ihm schaute, war er weg. Er dachte, er wäre weggelaufen, aber wir fanden Blut auf dem Fußweg- gehört Griffin."
„Ach du Scheiße."
„Ja, Voight und Co sind dran. Wir sind jetzt auf Bereitschaft, fahren alles ab."
„Hat die Blutspur wo hingeführt?"
„Nein, nichts, nirgends. Griffin wurde vermutlich in ein Auto gezogen."
„Kameras?"
„Die wenigen dort werden ausgewertet. Aber, es ist schon Stunden her. Hab wenig Hoffnung."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und seufzte. „Hoffentlich wird er gefunden."
„Ja, hoffentlich." Jay klang niedergeschlagen und schnaubte. „Okay, Gordon kommt von seiner Pinkelpause zurück, muss auflegen."
„Pass auf dich auf."
„Immer." Dann sagte er noch etwas, was wie Musik in meinen Ohren klang und ich seit Ewigkeiten, nicht mehr von ihm gehört habe, aber vermutlich, war das für ihn gerade der richtige Zeitpunkt. „Ich liebe dich", sagte er klar und deutlich.
Ich musste mich erstmal sammeln. „Ich dich auch", entgegnete ich. „Bis morgen früh."
„Hoffentlich, ohne Überstunden", klagte er. „Wird schon werden", munterte ich ihn auf.
Jay schien gerade mit Gordon zu reden. „Holly? Ich muss wirklich auflegen. Bis morgen."
„Ja, bis morgen."
Dann war das Gespräch von Jays Seite aus beendet. Ich legte mein Handy weg, sprang unter die Dusche und ging eine Stunde später ins Bett.

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