23

Jay
Die Wohnung war echt ein Traum, von der Größe war sie für Holly und mich perfekt, dann war da noch die Aussicht aus den Schlafzimmern: direkt auf den Lake Michigan, den Promontory Point, den South Lake Shore Drive.
Ich hatte Mrs Smith bereits die geforderten Unterlagen von Holly und mir in die Hand gedrückt und sie mir die Schlüssel für die Wohnung, damit ich mich selbst in Ruhe umsehen konnte, während sie ihren Mann wegen dem Mietvertrag kontaktierte.
  Die Fenster waren wirklich dicht, die Wände nicht feucht, oder klamm, die Wasserhähne funktionierten, kurz gesagt, es war alles in bester Ordnung.
Ich blieb abermals im Schlafzimmer stehen und schaute aus dem Fenster heraus.
Der Promontory Point, den Park, in dem Holly und ich öfters abhingen, dass Gebäude, in dem ihre Großeltern die goldene Hochzeit vor etlichen Jahren feierten.
Vielleicht, kamen Holly und ich da später auch hin, Heirat, Kinder, und so weiter, vielleicht auch nicht. Ich war gespannt, ob der Neustart der richtige Weg war, oder später nach hinten los ging. Hinterher ist man immer schlauer.
Weiter überstürzen, wollte ich jetzt auch nichts mit Holly. Bei meinem Dad klappte das mit dem zusammenwohnen, und warum sollte das in unseren eigenen vier Wänden anders sein.
„Mr Halstead", ertönte die schrille Stimme von Mrs Smith in meinen Ohren.
Ich wandte mich von der Aussicht und meinen Gedanken ab und drehte mich zu ihr.
Sie hielt mir, immer noch lächelnd, einen Schnellhefter hin. „Da sind die wichtigsten Unterlagen drinnen und der Mietvertrag. Sie können den ruhig mitnehmen, mit Ihrer Freundin alles durchlesen und wenn Sie wollen, treffen wir uns morgen Mittag hier und übergeben dann die Wohnung und die Schlüssel."
„Das hört sich gut an", nickte ich und nahm den Hefter entgegen. „Dann machen wir das so."

Auf dem Weg nach Hause, welches bald, mein ehemaliges Zuhause sein würde, hielt ich bei einem Baumarkt in der Nähe an, kaufte etliche Umzugskartons und schmiss diese in den Kofferraum, dann fuhr ich in Richtung Norden um zum Med zu kommen.
Ich hielt im gegenüberliegenden Parkhaus des Meds, welches mit dem Krankenhaus über eine Übergangsbrücke verbunden war und machte mich mit dem Mietvertrag auf den Weg zur Notaufnahme.
April Sexton, eine der Krankenschwestern und ehemalige gute Freundin von Holly, warf mir einen genervten Blick zu, als ich am Tresen stehen blieb. Eigentlich wollte ich April fragen, wo sich Holly aufhielt, aber sie suchte sofort das Weite. Ich schnitt eine Grimasse und schaute mich zwischen den ganzen Ärzten und Krankenschwestern um, als ich Maggie sah, die an mir vorbei huschte, räusperte ich mich. „Hast du Holly gesehen?", fragte ich.
„Hilft gerade Doktor Choi bei einem Patienten. Warte doch bitte vorne, schick sie zu dir", sagte Maggie und schien ziemlich in Eile zu sein, dabei schob sie mich in Richtung Wartebereich.
Noch bevor ich mich bedanken konnte, war diese in seinem der Schockräume verschwunden. Dann musste ich mich, wohl oder übel, im Warteraum setzen und auf Holly warten.
Immer wieder las ich mir den Mietvertrag durch, surfte zwischendurch im Internet auf meinem Smartphone herum.
Minutenlang, knapp fast eine Stunde, saß ich zwischen heulenden Kindern und hustenden Alten im Wartebereich der Notaufnahme, bis Holly endlich durch die automatische Tür kam. Ich stand auf und hielt ihr sofort den Schnellhefter hin. „Der Mietvertrag, deine Unterschrift fehlt, meine ist schon drunter."
Für einen kurzen Augenblick, dachte ich, dass Holly mich küssen wollte, und kam ihr mit meinem Gesicht entgegen, aber sie wandte sich ab und zog mir den Hefter aus der Hand.
Grummelnd presste ich die Lippen aufeinander und verdrehte leicht die Augen.
Wir gingen zur Seite und  „Du unterschreibst doch, oder?"
„Warum sollte ich nicht unterschreiben wollen?", fragte sie und blätterte in der Blättern herum. Belustigt hatte sie mir einen kleinen Blick zugeworfen.
„Genau die Seite", sagte ich und zog den Kugelschreiber aus ihrer Brusttasche ihrer Arbeitsuniform. „Hier muss deine wichtige Kritzelei hin."
„Ich kann lesen, Jay", schnaubte Holly belustigt, faltete die Mappe und drückte diese dann an die hellblau gestrichene Wand, dann zog sie mir den Kugelschreiber aus der Hand.
„Und du bist dich sicher?", hakte ich abermals nach. „Ich meine, wir beide sind nach so vielen Jahren, wieder da, wo wir schon mal waren und jetzt überstürzen wir das, wenn man es so nimmt."
„Oh", bemerkte Holly und wandte sich von den Unterlagen ab. „Hast du Zweifel? Meinst du, dass es zu früh ist?"
„Ich habe nur Angst, dass es so sein soll. Auch wenn's sehr gut zwischen uns läuft..."
Holly seufzte. „Okay. Willst du das? Bist du dir da zu hundert Prozent sicher?"
Ich nickte. „Natürlich bin ich das. Jetzt bin ich mir sicher, so wie du, oder?"
„Natürlich, sonst würde ich nicht diesen Schritt mit dir gehen wollen. Ja, ich weiß, dass sich das alles immer noch ändern kann, aber was ist, wenn es doch der richtige Weg ist und wir es, früher oder später, bereuen."
„Hinterher sind wir eh schlauer", bemerkte ich und fügte hinzu: „Dann lass uns das herausfinden."
Holly nickte und setzte zügig die Unterschrift neben meiner. „Schöner geht meine Unterschrift nicht", bemerkte wie trocken, steckte den Kugelschreiber zurück in die Brusttasche und drückte mir dann die geschlossene Mappe gegen die Brust.
„War doch völlig in Ordnung", grinste ich.
Mein Grinsen wurde noch breiter, als sie eine Hand auf meine Wange legte und sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um mir einen Kuss auf den Mund zu drücken. „Weißt du schon, wann wir frühstmöglich dort einziehen können? Hat Mrs Smith irgendwas gesagt?", hakte sie nach.
Ich rollte die Mappe leicht zusammen. „Sie hat gesagt, sobald sie alle erforderlichen Unterlagen und wir die Schlüssel in der Hand hat." Auch, wenn der Termin bereits morgen sein würde, hielt ich den Mund. Ich wollte Holly damit überraschen. Hoffentlich verriet ich mich nicht. „Ich ruf Mrs Smith nachher an und mach einen Termin aus."
„Na, dass hört sich doch gut an", nickte sie und ließ ihren Blick über die vielen warteten Patienten schweifen, dann seufzte sie und flüsterte: „Mehr als die Hälfte sind keine akuten Notfälle und könnten auch einfach zu einem normalen Arzt gehen."
„Wäre doch zu einfach. Was glaubst du, wie viele Vögel, tagtäglich zu uns auf die Wache kommen und Dinge anzeigen wollen, die absolut keinen Sinn ergeben. Die Liste ist unendlich."
„Hier auch", lachte Holly und zog sich den hohen Pferdeschwanz fester. „Ich geh dann mal lieber zurück, bevor April mir wieder eine Rede hält."
„Ich hole dich nachher ab."
„Ich hoffe es", lachte Holly leise. Ich lehnte mich zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Lass dich nicht Ärgern."
„Lustig", murmelte sie, machte auf den Absatz kehrt und ging in Richtung Eingang, um zur Notaufnahme zu gehen. 
Ich machte mich auf den Weg zurück zum Parkhaus und rief von dort aus bei Mrs Smith an, um einen Termin für morgen auszumachen. „12 Uhr, hört sich gut an, ich würde meine Mittagspause so legen und dann sehen wir uns morgen."
„Aber natürlich. Passen Sie auf sich auf", entgegnete Mrs Smith freudig.
„Sie auf sich auch. Bis morgen."
Ich legte mein Handy auf die Mappe, die auf dem Beifahrersitz lag und machte mich auf den direkten Weg nach Hause.

Am nächsten Tag, schaffte ich es pünktlich zur Mittagspause in das Flamingo Apartment, um mich mit Mrs und Mr Smith zu treffen. Als diese nach meiner Freundin fragten, erzählte ich ihnen, dass ich Holly mit den Schlüsseln überraschen wollte. Mrs Smith quietschte vor Freude. „Die jungen Männer sind immer noch so romantisch."
Mr Smith verdrehte die Augen und reichte mir die Schlüssel, die ich freudig entgegennahm. „War's das?", fragte ich, nachdem ich auf meine Armbanduhr geschaut hatte. Die halbe Stunde Pause war fast rum und Gordon wartete, vermutlich ziemlich ungeduldig und allein im Auto.
„Dann wäre dann alles, ja, Sie können jetzt schon alles einrichten, meinetwegen auch schon einziehen und zum ersten April wird dann die erste Miete für April eingereicht."
Ich stimmte Mr Smith zu: „Das hatten wir schriftlich und mündlich abgemacht und daran werden wir uns natürlich halten."
Ich heftete das Übergangsprotokoll in die ausgehändigte Mappe ab, in der unsere Kopie des Mietvertrages und alles andere war, dann überreichte ich die Kaution, bekam eine Quittung und machte mich auf den Weg nach unten.

„Dachte schon, du kommst gar nicht mehr", bemerkte Gordon brummelnd. Ich schmiss ihm die Mappe auf den Schoß.
„Motz nicht rum, hab dir ein Menü vom Burger King geholt und du zickst rum, als hättest du deine Periode. Reg dich ab", sagte ich und zog die Tür zu.
„Hast du alles?", fragte er immer noch gereizt.
„Jaja, meld uns wieder zum Dienst zurück."
„Muss ich das auch noch machen?", murrte er und griff nach dem Funkgerät, um die Meldung zu machen, dass unser Streifenwagen, wieder zur Verfügung steht.
Ich rollte die Augen, und drehte den Schlüssel im Schloss um. Der Motor heulte auf und wir konnten sofort zum ersten Fall fahren.
„Übernehmen", entgegnete Gordon und hing das Funkgerät wieder auf.
„Dann mal auf zur häuslichen Gewalt", murmelte ich.

Irritiert blickte Holly mich an, als wir nicht nach Canaryville fuhren, sondern in Richtung Osten. „Will nur die Größe für die Couch ausmessen", murmelte ich und hoffte, dass Holly mir das abkaufte. Sie saß neben mir, blickte aus dem Beifahrerfenster. Als ich an einer roten Ampel hielt, musterte ich Holly abermals. „Ein anstrengender Tag?", fragte ich sie.
„Es war eigentlich ein ruhiger Tag, aber, ugh...", sie wandte sich zu mir. „Heute wurde ein Mädchen eingeliefert, fünfzehn Jahre alt, die sich auf dem Dachboden ihres Elternhauses, erhängen wollte."
„Oh mein Gott."
„Sie hat mir anvertraut, dass sie keinen weiteren Ausweg wusste. Ihre Eltern haben sich getrennt, ihre beste Freundin hat ihr ihren Freund ausgespannt, sie wird pausenlos in der Schule gemobbt und die Lehrer machen rein gar nichts. Als ich mit den Eltern reden wollte, fingen diese an sich gegenseitig die Schuld zu geben und zu streiten- vor ihrer bitterlich weinenden Tochter. Hätte am liebsten beide vermöbelt."
„Wer hätte das nicht", stimmte ich zu. Die Ampel sprang auf Grün um und ich konnte weiterfahren. „Geht's dem Mädchen wenigstens besser?"
„Gesundheitlich ja, innerlich natürlich nicht." Holly seufzte. „Dr. Choi und ich stellen ihr morgen Dr. Charles vor. Der ist bis heute im Urlaub gewesen. Vielleicht kann er ihr ja helfen." Dann wechselte sie das Thema. „Sam war vorhin im Med und hat mich gefragt, wann ich ihn und meinen Eltern mit der Sache von Kelly erzählen wollte. Hab gedacht, ich kann das noch herauszögern."
„War doch vorhersehbar, dass es irgendwann herauskommt. Hast du Sam wenigstens die komplette Wahrheit gesagt?"
Aus den Augenwinkel, sah ich, dass Holly nickte. „Komplett die Wahrheit. Das ich bei dir und Pat wohne, wir beide es miteinander versuchen und das wir eine gemeinsame Wohnung suchen."
„Und?"
„Er hat mich erst ausgelacht und meinte dann, dass er das, mit uns, tatsächlich ahnte und es nach dem Treffen seit Jahren, nur noch eine Frage der Zeit war."
„Hm", schnaubte ich belustigt. „Wie geht's Sam so?"
„Schlägt sich tapfer, obwohl es ihn innerlich mehr als beschissen geht. Tristan ist nicht mal zwei Monate tot- das wird dauern."
„Oder er wird nie zu hundert Prozent darüber hinwegkommen. Man weiß ja nie, dein Bruder ist immer für Überraschungen gut."
Holly lachte leise. „Daran wird sich auch nichts ändern. Apropos Brüder, die sich nie ändern werden: hast du was von deinem gehört?"
„Komplette Funkstille, keine Ahnung, ob er überhaupt noch in New York ist, oder schon wo anders. Sein Verhalten, werde ich ihn niemals verzeihen. Nie."
Ich hatte Will damals so sehr gebraucht, er versprach mir sogar, dass wir als Familie zusammenhalten werden- und was war?
Er haute ab, ließ Dad und mich allein mit unserer todkranken Mutter.
Von wegen, er wäre immer für mich da.
Am Arsch, Will konnte mich mal kreuzweise, war aber noch nicht zu hundert Prozent für mich gestorben. Ich glaubte an zweite Chancen, und wenn er sich, irgendwann mal als verdienter großer Bruder beweisen will, dann kann er das gerne machen. Die Entscheidung, ob ich ihn verzeihen würde, blieb immer noch mir überlassen.
Ich bezweifelte aber, dass er sich in naher Zukunft bei mir melden würde.
Holly wechselte wieder das Thema und blickte aus dem fahrenden Auto hinaus. Sie lachte leise, deutete auf den Typen, der an der roten Fußgängerampel wartete und ein gelbes Powerranger-Kostüm trug.
Chicago war riesig, da sah man schon mal Kuriositäten, aber der gelbe Powerranger wurde tatsächlich noch getoppt.
Als ich hinter dem weißen Nissan vor mir anfuhr und zum chinesischen Restaurant an der Ecke blickte, sah ich den Rest der Truppe, die freudig auf und absprangen, als der gelbe Powerranger auf sie zukam.
Holly und ich mussten nur lachen.

„Hast du überhaupt ein Gliedermaßstab mit?", fragte sie mich, als wir auf dem Parkplatz vor dem Wohnhaus hielten. Ich war zum Kofferraum gegangen, öffnete den Deckel und zog den Werkzeugkoffer meines Vaters heraus, den ich mir heimlich genommen hatte.
„Hier ist alles drin", bemerkte ich und ließ den Deckel wieder zufallen.
Ein bisschen aufgeregt war ich schon, als wir im Fahrstuhl standen und zum sechzehnten Stock hinauf fuhren. Meine Beine zitterten, während Holly vor sich her blickte.
„Mrs Smith hat sich noch nicht wegen einem Termin gemeldet?", fragte sie wieder.
Ich checkte mein Handy, wohlwissend, dass ich dort keinen verpassten Anruf, oder eine SMS erwartete, und schüttelte meinen Kopf.
„Vielleicht meldet sie sich ja morgen. Sie hat alle Hände voll zu tun. Einer ihre Söhne betreibt wohl in Florida einen riesigen Apartment-Komplex."
„Miami, denk ich", warf Holly ein. „Hat sie stolz erzählt."
Wir stiegen aus dem Fahrstuhl. Holly schien verwirrt. „Okay, keine Ahnung, warum mir das jetzt erst einfällt, aber wie willst du die Wohnung ausmessen, wenn wir noch keinen Termin für die Schlüsselübergabe haben?"
„Puh, keine Ahnung", sagte ich und zog den Schlüssel für die Wohnung aus meiner Hosentasche. „Benutzen wir doch einfach den."
Grinsend hielt ich Holly den Schlüssel vor der Nase und so langsam realisierte sie es.
„Moment... hast du schon die Schlüssel bekommen, weil das jetzt unsere Wohnung ist?"
„Ja, du Algenhirn, dass ist jetzt offiziell unsere Wohnung."
Holly grinste, quietschte und riss mir die Schlüssel aus der Hand, um ganz schnell zur Apartmenttür zu rennen. Ich eilte lachend hinterher und betrat nach ihr die Wohnung.
Da es draußen schon dunkel war, und die Wohnung ebenfalls, betätigte ich den Lichtschalter neben der Eingangstür.
Ich grinste nur noch mehr. „Willkommen Zuhause, Babe!"

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