19

Holly
Ich hasste mich gerade selbst. Und wie.
Ich hatte Jay nicht alles erzählt, beziehungsweise, war nicht sofort mit der gottverdammten Wahrheit herausgerückt, als er mich wegen Kelly und der Verlobung fragte.
Was hätte ich sagen sollen?
Die Wahrheit, klar, aber das wäre für Jay nur wieder ein Schlag ins Gesicht gewesen und ihn weh tun, wollte ich auch nicht.
Ich packte mir gerade frische Klamotten ein, um diese dann zum Hotel zu bringen, in dem ich seit kurzen ein Zimmer bewohnte, nachdem Kelly und Shay mich rausgeschmissen hatten. Konnte man auch kein bisschen verübeln, dass sie das taten, ich hatte den ganzen Scheiß selbst verbockt und musste mit den Konsequenzen leben.
Kelly hatte sämtliche Fotos und Erinnerungsstücke aus unserer eigentlich glücklichen Beziehung weggeräumt. Die Bilderrahmen an der Wand, die Souvenirs aus gemeinsamen Urlauben, meine Dekoscheiße. Alles. Immer hin, konnte ich aus dem kleinen und begehbaren Kleiderschrank, den restlichen Teil meiner Klamotten in einen meiner letzten Koffer packen.
Ich verließ den Ankleideraum mit dem gepackten Koffer und blickte direkt zu Kelly, der mir den wohl bösesten Blick zu warf, den er drauf hatte. „Ich hoffe, dass war jetzt dein letztes Zeug", murrte er und schmiss seine Reisetasche auf das Bett.
„Ja, das war's. Falls doch noch was da sein sollte..."
„Klar, trage ich dir selbstverständlich nach. Kein Problem", sagte er wütend und sarkastisch zugleich. „Verschwinde einfach, ich denke, dein neuer Freund, nimmt dich schon mit offenen Armen auf."
„Er ist nicht mein Freund. Das war... sodass interessiert dich eh nicht, mich auch nicht."
„Wenn du dich für mich interessieren würdest, wärst du mir nicht fremdgegangen", bemerkte Kelly und zog das verschwitzte T-Shirt aus. „Und ich habe wirklich gedacht, dass du dich von deinem bescheuerten Exfreund um den Finger wickeln lässt, der nach all den Jahren plötzlich auftaucht, aber das da noch einer mitmischt."
„Ich erinnere dich gerne an das Sommerfest des Fire Departments zurück. Wäre ich nicht dazwischengefunkt, hättest du dich mit Sicherheit auf ein Quickie mit dieser Fußball-Mami eingelassen. Fass dir mal an die eigene Nase, Kelly."
„Hab mir den Arsch aufgerissen, dass du bei mir bleibst und mir diesen Fehler verzeihst. Du hast sogar den Antrag angenommen."
„Sehr blöd von mir."
„Wir sind beide blöd. Das mit uns, stand noch nie unter einem guten Stern. Sagte selbst Shay und sie hatte Recht. Meine Eifersucht ist mit dir an meine Grenzen geraten... ich bin mit dir, an meine Grenzen geraten und ich hab schon einiges erlebt."
„War's das?", fragte ich unbeeindruckt, außerdem wollte ich mir das Gejammer von Kelly kein bisschen antun.
„Hast du mich je geliebt?"
„Da gibt es einen Unterschied, zwischen verliebt sein und Liebe. Es war nur verliebt sein, mehr nicht, nichts für immer, dass ist mir klar geworden."
Kelly nickte nur und wandte sich ab. „Danke, für deine Ehrlichkeit."
„Du wolltest es wissen..."
Kelly fuhr zu mir herum. „Verflucht, Holly, geh einfach!", schrie er mich an. Er hatte Tränen in den Augen. „Geh!"
Ich griff nach den Koffer, verließ das Zimmer und lief die Wendeltreppe hinunter. Shay, die in der Küche stand und mich anblickte, wandte sich mit einem: „Hau rein", ab und ich war aus der WG verschwunden.

Eine halbe Stunde später, saß ich in der Badewanne im meinem Hotelzimmer und trank einen kräftigten Schluck aus der Glasflasche mit Kakao, den ich mir aus dem Automaten im Eingangsbereich geholt hatte.
Jay hatte ich bisher noch nicht geschrieben. Ich brauchte erstmal Zeit zum nachdenken, Zeit für mich. Ich war verwirrt, sauer auf mich selbst, beschloss meinen Urlaub zu verlängern. Ich wollte erstmal eine Weile aus der Stadt raus und niemanden um mich herum haben.
Nicht mal meine Eltern, meinen trauernden Bruder- und nicht mal Jay.
Ich bezahlte das Hotelzimmer, in dem ich lebte, für die nächsten vier Wochen im Voraus, packte einen meiner kleinen Koffer zusammen, stieg in mein Auto und fuhr einfach los.
Ich hatte kein Ziel und keine Ahnung in welche Richtung ich überhaupt fuhr.
Aber irgendwann, wurde mir klar, dass ich in Richtung Süden unterwegs war. Evansville, Kentucky. Dann bleib ich für ein paar Tage hier.

Eine Woche, nachdem ich sämtliche Anrufe von meinen Eltern, Sam, Jay und selbst Kelly ignoriert hatte, ging ich Rückwärts ins Zimmer zurück, als ich Jay auf dem Flur des Hotels stehen sah.
Wie hatte er mich finden können?
Er ist ein Cop, du Idiotin!
Vermutlich über meine Kreditkarte, oder über meine Handynummer. Ich wollte vorsichtig die Tür zu machen, damit Jay nicht auf mich aufmerksam wurde, aber die Tür ging einfach nicht zu.
Ein beschuhter Fuß steckte dazwischen. Ich wich zurück.
Jay drückte die Tür auf und blickte mich entgeistert an. „Noch eine Kurzschlussreaktion?", fragte er mich. Er wirkte nicht gerade so, als wäre er gut auf mich zu sprechen. Der Blick, die Haltung und die Tonart sprachen Bände. Seine Nasenlöcher hatten sich geweitet, er atmete hörbar wütend aus, dann trat er ins Hotelzimmer und schloss die Tür. „Kannst du mir mal verraten, was das alles soll?", fragte Jay mich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Deine Eltern und Sam machen sich sorgen. Ich mach mir, verdammt noch mal sorgen, selbst Kelly, und du haust einfach ab und bist unerreichbar."
„Ich brauchte Zeit für mich, war mir alles zu viel in letzter Zeit. Die Arbeit, Tristan...Kelly."
„Ich weiß." Er musterte mich streng.
„Wie zum Henker hast du mich gefunden?"
„Sam hat dein Handy orten lassen. Er wartet unten im Auto, will das du sofort mitkommst. Das will ich ehrlich gesagt auch."
„Hm", machte ich nur.
„Ja... Mensch... Holly... Wieso hast du mich angelogen? Der Ring sei beim Juwelier, obwohl du es eindeutig mit Kelly vermasselt hast." Ich blickte ihn an, wich dann aber seinen bohrenden Blick wieder aus. „Du hast ihn beschissen. Mit einem anderen Typen, bevor das mit uns passiert ist. Er hat den Typen und dich inflagranti erwischt. Hab mit ihm geredet." Jay seufzte. „Auch wenn's in einer Beziehung nicht prima läuft, sollte man trotzdem die Eier in der Hose haben und mit Ehrlichkeit punkten. Sowas, hätte ich dir beim besten Willen nicht zugetraut. Wie verwirrt bist du Bitteschön?"
„Das mit Kelly und mir, dass kriselte schon ein bisschen länger, weit bevor du zurückkamst. In der Zeit, habe ich den anderen Typen kennengelernt, man hat sich verstanden, daraus wurde was Flüchtiges. Wir haben beide beschlossen, dass zu beenden, nachdem Kelly es herausfand."
„Wie lange ging das mit dem Typen und dir?"
„Tatsächlich über mehrere Monate."
„Hattest du Gefühle für ihn?"
„Nein. Das war nur Spaß. Mir ging ziemlich die Pumpe, wegen der Hochzeit, ich weiß, keine Ausrede, aber so war's nunmal."
„Triffst du dich noch mit ihm?"
„Wie gesagt, wir haben es beendet, jeder geht seinen Weg und ich hab ihn schon lange nicht mehr gesehen."
Jay lehnte sich an der Wand an und dachte nach. „Ich wollte dich eigentlich zurecht weißen, dass du mich angelogen hast, aber, ich zeig jetzt nicht mit dem Finger auf andere, in diesem Fall auf dich. Ich wer damals selbst nicht besser."
„Mir ist's ehrlich gesagt egal."
„Nee, ist es nicht. Immerhin, warst du ja rein theoretisch und praktisch Single, als wir... du weißt schon... und das ist gut, weil mir Kelly eigentlich leid tat."
„Ja."
„Kommst du mit nach Hause? Ich denke, dein Bruder, oder deine Eltern, haben noch ein Zimmer frei."
„Da bleib ich lieber im Motel."
„Du schläfst wirklich in einem Motel, anstatt zu deinen Eltern zu gehen?"
„Die haben alle den Kopf voll, alles dreht sich momentan um Tristan und Sam, und da wollte ich nicht noch mit meiner Trennung von Kelly dazwischenfunken."
„Deshalb war er nicht bei der Beerdigung."
„Ja, deshalb. Er war echt sauer."
„Wäre ich auch. Wie auch immer. Pack deine Sachen und ab nach Hause. Zur Not, bleibst du bei mir. Mein Dad könnte eine auf dem Hinterkopf gebrauchen."
Ich blickte ihn an. „So schlimm?"
„Es wird von Tag zu Tag schlimmer. Er hat mir schon wieder Geld geklaut."
„Oh."
„Ja, komm, pack deine Sachen. Wir haben einige Stunden Fahrt vor uns."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top