16
Jay
Gordon blickte mich irritiert an, als wir auf dem Gästeparkplatz des Meds hielten. „Was machen wir schon wieder hier?", wollte er wissen.
„Dauert nicht lange", antwortete ich, schnallte mich ab und stieg aus.
„Halstead!" Gordon war ebenfalls ausgestiegen.
„Wir haben die Mittagspause an die Zentrale gefunkt. Wie gesagt, bin gleich wieder da."
„Ich hab aber Hunger!"
„Ich hol dir gleich noch was!", rief ich und setzte meinen Weg zum Eingang fort.
In der Cafeteria wurde ich fündig.
Holly saß allein an einem Tisch, dem Handy und dem Mittagessen vor ihr zugewandt. Sie drehte sich gerade Spaghetti auf die Gabel, scrollte mit dem Daumen über den Bildschirm ihres iPhones.
Ich setzte mich einfach gegenüber von ihr an den Tisch. Sie schaute direkt auf und musterte mich kurz. „Verlaufen?", fragte sie mich und aß weiter.
„Nein."
Ich liebäugelte mit dem Stück Kuchen auf dem kleinen Teller.
„Nimm dir schon den Apfelkuchen", lachte sie leise, nachdem sie aufgekaut und geschluckt hatte.
„Du liest Gedanken", bemerkte ich zufrieden, griff nach dem Teller mit dem Kuchen und der kleinen Kuchengabel.
„Du hast den Kuchen sabbernd angeglotzt. Das war offensichtlich." Sie trank einen Schluck aus dem Glas mit Wasser. „Habt ihr geredet?", fragte sie dann.
„Ja. Es gibt Millionen Menschen in der Stadt und ausgerechnet er, landet bei dir in der Notaufnahme", schnaubte ich belustigt. Ich haute mir die Gabel mit Kuchen voll.
„Hättest mal mein Blick sehen sollen, als er mich fragte, ob ich deine Exfreundin bin."
„Alles fügt sich."
„Kann sein. Wirst du zu Dr. Charles gehen?"
„Holly, bitte", mahnte ich flehend. „Ich will jetzt nicht darüber reden und schon recht nicht mit dir darüber streiten."
Sie nickte nur. „Okay, wollte keinen Streit anfangen und dir auch gestern nicht gegen den Kopf stoßen. Tut mir leid."
„Mir tut es leid, dass ich dich so blöd angemacht habe", gab ich zurück. „Ich überlege es mir, wenn's mir schlecht gehen sollte, dann wäre das immer noch eine Option, aber jetzt, wo's mir gut geht, seh ich keinen Grund, die Wunden aufzureißen. Ich komm klar. Versprochen."
„Ist okay, ich sollte mich nicht immer überall einmischen."
„Das liegt eben in deiner Natur", sagte ich. „Und ich bin mir sicher, dass sich das auch niemals ändern wird", fügte ich hinzu.
„Vermutlich, ja."
„Wie geht's Sam?"
„Er ist noch immer durch den Wind und hat erstmal Urlaub genommen. Ihm war das alles zu viel, musste wegen eines Nervenzusammenbruchs ins Krankenhaus und fährt mit Mom die Tage irgendwo hin."
„Scheiße", murmelte ich.
„Hm."
„Was machst du heute Abend?"
„Ganz normal Feierabend. Dann setz ich mich ins Auto und fahr nach Detroit, um Melissa zu vermöbeln."
„Tristans Mutter?"
„Jepp, hast du sie gestern auf der Beerdigung gesehen?"
„Nein."
„Wir auch nicht. Diese gottverdammte Schlampe, hält es nicht mal für nötig, zur Beerdigung ihres eigenen Kindes zu kommen."
„Ich würde für sowas kein Geld für Benzin ausgeben, und mir dann noch die Finger an dieser, deine Wortwahl, gottverdammten Schlampe, dreckig zu machen. Karma regelt das schon. Vielleicht hat sie ja auch eine super Erklärung."
„Das die wieder völlig zugedröhnt bei einem Tinder-Date im Bett liegt und sich durchnageln lässt? Natürlich. Sie hat Tristan vernachlässigt, Stunden, wenn nicht sogar tagelang allein gelassen, weil sie sich lieber, von irgendwelchen Typen, flachlegen lässt."
Holly schien wütend zu sein, nein, sie war wütend, so wie sie die armen Spaghetti mit der Gabel attackierte. „Mach aber nichts unüberlegtes, wie stundenlang nach Detroit zu fahren, um ihr die letzte funktionierende Gehirnzelle rauszuprügeln." Ich lehnte mich nach vorne und blickte Holly eindringlich an. „Begib dich nicht auf das Niveau dieser Frau, die es nicht verdient hat, als Tristans Mutter bezeichnet zu werden. Du würdest nur den ganzen Ärger abbekommen und das kann dir deine Arbeit kosten."
Holly wich meinen Blick aus und zog ihre Hand unter meiner weg, die ich nicht mal eine Sekunde auf ihre gelegt hatte. Autsch! Das tat schon irgendwie weh.
Warte!
Halt!
Irgendwas war hier anders.
Ein kleines Detail fehlte. Ihr Verlobungsring. „Wo ist der Ring?"
„Beim Juwelier, rutscht mir andauernd von den Finger und wird angepasst. Diät funktioniert."
„Ah, okay." Ich wandte mich meinem Kuchen zu. „Falls du doch, auf die bescheuerte Idee kommst, nach Detroit zu fahren, komm ich mit."
„Ich fahre nicht, würde eh nichts bringen. Die Frau ist komplett fertig. Hast schon recht."
„Sag ich doch", murmelte ich und aß weiter von dem Kuchen. Schnell aß ich auf und legte die Sachen zurück aufs Tablett. „Danke für den Kuchen. Muss auch. Mein Partner verhungert sonst."
„Du hast deinen Partner im Auto gelassen?", fragte Holly belustigt.
„Hab das Fenster auf, damit er Luft kriegt", scherzte ich.
„Es ist Winter. Hoffentlich weiß er, wie man eine Heizung bedient."
„Er hat eine richtige Pistole, Holly. Denke schon."
„Das muss nichts heißen."
Ich musste nur lachen und deutete auf den kleinen, leeren Teller, auf den nur noch ein paar mickrige Kuchenkrümel waren. „Danke."
„Was auch immer. Sind wir fertig? Hab Hunger, keine Lust, mein Essen wieder nicht..."
Sie machte eine Handbewegung, dass ich mich so schnell wie möglich verdrücken sollte. Genervt blickte sie an mir vorbei. „Maggie, ich hab Pause", flehte sie.
„Ja, aber ich brauch dich trotzdem. Tut mir leid."
„Jedes mal aufs Neue", murmelte sie, stand auf, griff nach ihrem Handy und lief der Krankenschwester hinterher.
Ich aß kurzerhand die restlichen Spaghetti auf, räumte den Tisch ab und brachte das Tablett weg.
„Du hast Tomatensauce im Mundwinkel!", stieß Gordon hervor, als ich mich ins warme Auto setzte.
„Ja, war lecker", antwortete ich nur.
Damit Gordon nicht vom Fleisch fiel, hielt ich im Drive In eines Burger Kings und bezahlte sein Menü aus Nettigkeit. Er nahm's dankend an.
Ich hatte gerade das Glas mit dem frischgezapften Bier auf die Theke gestellt, als ich rechts neben mir eine Bewegung wahrnahm. Jemand setzte sich neben mich, auf den freien Hocker an der Bar.
Ich hatte erst mit meinem Dad geredet, der sich nach dem vorherigen Streit bei mir entschuldigen wollte, aber als ich Holly sah, wurde mir ganz anders.
Die Stirn gerunzelt starrte ich sie an. „Verlaufen?", fragte ich sie dann.
„Nein", gab sie zurück. „Dein Dad meinte, du seist hier. Lebst du da immer noch?"
„Ich find nichts bezahlbares", murrte ich.
„Hier stehen etliche Wohnungen frei."
„Mag sein, kann auch sein, dass ich den grimmigen Vollidioten nicht allein lassen kann, weil er sonst das Haus verwahrlosen lässt. Du kennst das Problem ja."
Holly nickte. „Ja, er lernt es nicht. Selbst mit seiner Trinkerei nicht."
„Hab gehört, er war oft genug wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus, während ich, naja, nicht da war. Er hielt es nicht mal für nötig, mir das zu sagen, toll oder?"
„Wenn man gebranntes Zeug billig von ach so genannten Freunden abkauft, ist das auch kein Wunder", schnaubte Holly. „Er lernt es nicht."
„Eben, würde ihm am liebsten in eine Entzugsklinik verfrachten."
„Das würde nichts bringen."
„Mit Gewalt geht, meistens, alles."
Holly lachte auf. „Das mag sein, aber schick einen Süchtigen, gegen seinen Willen in die Klinik, und er wird schneller raus sein, als man bis drei zählen kann. Wenn die es selbst nicht wollen, bringt das absolut gar nichts, die an den Haaren da reinzuziehen. Du kannst es versuchen, will dir da auch nicht reinreden, aber, sei dir sicher, dass du wieder einmal enttäuschst wirst."
„Kenn das nicht anders von Dad."
„Sonderbares Verhältnis. Ihr könnt nicht miteinander, und nicht ohneeinander."
„Ja, hatten uns vorhin wieder in den Haaren."
„Hab ich mir schon gedacht, die Laune deines Dads war saugut." Holly sprühte vor Sarkasmus.
„Hat er was zu dir gesagt?"
„Was glaubst du denn? Hat er aber sofort zurückgekriegt. Der weiß, dass er bei mir keine Chance hat, seine schlechte Laune auszulassen."
Ich lachte leise. Warum auch immer, konnte Holly meinen Vater schon immer die Stirn bieten und normalerweise ließ er seine schlechte Laune erst gar nicht an ihr aus. „Willste ein Bier?", fragte ich.
„Tequila. Ich geb aus", sagte Holly und rief Kelly zu sich, die sich mit einem anderen Kunden unterhielt. Kelly kam zu uns und fragte, was los sei.
Holly bestellte, Kelly stellte uns zwei Gläser hin und machte diese randvoll.
„Danke", sagte Holly zu ihr. Dann wandte sie sich zu mir und schob mir ein Glas davon hin.
„Wie geht's euch allen so?"
„Wie soll's uns gehen. Beschissen", antwortete Holly. „Man funktioniert momentan nur noch."
„Haben die schon was Neues herausfinden können?"
„Mein Dad, musste offiziell die Fälle von dem unbekannten Jungen und Tristan abgeben, weil er zu nah dran ist, weißte, was ich mein?"
„Kann dir folgen, Holly. Hoffentlich finden sie den Mistkerl, ich meine, bevor er wieder zuschlägt. Wir sind in Canaryville auch kein bisschen sicher. Erst die drei Mädchen, die immer noch spurlos verschwunden sind und jetzt die beiden toten Jungen, die ja wohl offensichtlich von ein und dem selben Typen ermordet wurden." Kelly seufzte. „Und für euch, wünsche ich mir, dass ihr dann endlich abschließen könnt. Für deinen Bruder."
Kelly lächelte ihr aufmunternd zu und machte sich dann wieder an die Arbeit.
„Das hoffe ich auch", nickte Holly und warf einen Blick rechts neben ihr. Dort saß ein Typ mit hoher Stirn und merkwürdiger Frisur, der uns vermutlich die ganze Zeit zugehört hatte. „Das mit deinem Neffen tut mir leid", bemerkte der Kerl in Hollys Richtung.
Irritiert tauschten wir kurz einen Blick aus. Dann wandte sich Holly kurz zu den Typen und bedankte sich leise.
Sie drehte sich komplett zu mir. „Dann lass uns endlich was trinken."
Wir hoben die Gläser an, als der Typ wieder anfing zu sprechen. „Ich habe gehört, dass Tristan zu Tode stranguliert wurde. Stand in der Zeitung und den Medien. Genau wie der unbekannte Junge auf dem Norfolk Gelände im Sommer letzten Jahres."
Holly stellte genervt das leere Glas hin, sah das sie kurz davor war, an die Decke zu gehen. Ich rutschte von Hocker und stellte mich vor Holly, um den Typen warnend anzublicken. „Vorschlag, wie wäre es, wenn du sie einfach in Ruhe lässt und nicht mit diesem Thema vollsabbelst? Dankeschön."
Ich hatte mich vor den dürren Kerl aufgebauscht und warf ihn meinen nicht gerade nettesten Blick zu. „Ich wollte doch nur mein Beileid aussprechen, Jay, alles gut", sagte er und hob beschwichtigend die Hände. „Brauchst nicht dein Revier markieren." Er deutete auf Holly. „Ich steh eh auf Jüngere."
„Wer zum Henker bist du?", fragte ich irritiert. Der Typ kannte meinen Namen, bloß woher? Er sagte mir absolut nichts und je länger ich sein Gesicht musterte, kam der Fremde mir noch fremder vor.
„Lonnie Rodinger? Wir gingen zusammen auf die Tilden High, machten dort zusammen unseren Abschluss, spielten zusammen Fußball. Tut mir leid, wenn ich euer Date gestört habe."
Der Typ sagte mir immer noch nichts. „Aha."
Dann ließ uns dieser Lonnie Rodinger allein und verließ Kelly's Tavern. Ich wandte mich zu Holly. „Kennst du den noch?"
„Nee, weder gesehen, noch von gehört. Aber vermutlich war er einer von den Unsichtbaren. Noch einen Tequila?", fragte Holly.
„Ach warum denn nicht", stimmte ich zu, setzte mich wieder neben Holly und rief Kelly zu uns. Diese stellte uns gleich die ganze Flasche Tequila hin. Holly bedankte sich, während ich nur lachen musste.
„Willst du uns abfüllen?", fragte ich grunzend.
„Ich muss doch auch mein Geld verdienen", entgegnete Kelly und wandte sich wieder dem dreckigen Geschirr zu.
Am nächsten Morgen, wurde ich von meinem schrillen und bescheuerten Wecker aus dem Schlaf gerissen. Ich fluchte auf, schlug auf dem Wecker ein und rieb mir den dröhnenden Kopf.
Kopfschmerztablette... Wasser... kalte Dusche.
Holly, die neben mir, in meinem Bett lag, wurde ebenfalls wach. Wir hatten gestern Abend tatsächlich die ganze Flasche Tequila gelehrt, ich hatte ihr die Schlüssel abgenommen, weil sie nach Hause fahren wollte und nun lag sie neben mir, unter einer anderen Decke, in meinem Bett.
Angezogen, zwischen uns war nämlich nichts.
Keine Berührungen, keine Küsse, kein Sex. Nichts. Nur das typische Genecke und Geflirte, was, wie gesagt, zu nichts führte.
Klar, sie hätte auch Kelly anrufen können, damit er sie abholte, aber das wäre auch nicht gerade die idealste Idee gewesen, obwohl sie sich nichts zu Schulden hat kommen lassen.
Sie schlug die Decke weg, setzte sich auf und suchte ihre Schuhe auf dem Boden zusammen, während ich immer noch brauchte, um so richtig wach zu werden.
„Hast du keine Kopfschmerzen?", fragte ich sie.
„Hält sich in Grenzen", antwortete sie und schlüpfte in ihre knielangen Winterstiefel.
„Du Glückliche." Ich rieb mir die Stirn. „Was sagst du deinen Verlobten, wenn er dich fragt, wo du die Nacht gewesen bist?"
„Die ausgeschmückte Wahrheit. Ich hab bei dir gepennt, weil wir zu viel getrunken haben, aber auf der Couch und nicht im selben Bett."
„Okay, musst du nicht auf der Arbeit sein?"
„Hab ein paar Tage frei." Sie zog den Reißverschluss der Stiefel zu. „Wann musst du da sein?"
„Halbe Stunde. Fuck."
„Dann beeil dich."
„Ja."
Ich blieb trotzdem im Bett sitzen.
„Äh... Jay!?"
Ich gähnte. „Stimmt." Ich stand auf und ging ins Badezimmer, um mich fertig zu machen.
„Man sieht sich!", hatte Holly gerufen. Sie hatte kurz an der Badezimmertür geklopft, während ich mich wusch.
„Nicht, wenn ich's verhindern kann!", rief ich zurück.
Holly lachte nur. Dann knatschte die Treppe, wenig später fiel die Haustür zu, und ich machte mich mit einem Grinsen weiter für die Arbeit fertig.
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