15

Jay
Ich nahm mir extra frei, zog mir schwarze Kleidung an und war zum St Mary Catholic Friedhof im Evergreen Viertel gefahren. Auf dem Beifahrersitz lag ein Strauß Blumen für das Grab meiner Mutter, und eine weiße Rose für Tristan.
Als ich mich nervös, und mit der Rose in der Hand, zur Kapelle ging, sah ich Abel und Hank Voight davor stehen. Sie redeten über irgendwas, als sie mich sahen, nickten diese mir zu.
Ich nickte zurück und betrat die Kapelle, in der vor Jahren die Trauerfeier für meine Mutter abgehalten wurde. Es war ein beklemmendes Gefühl.
Ich hielt nach Holly Ausschau, die ebenfalls schwarz gekleidet, vorne stand und sich mit dem Geistlichen unterhielt. Ihr Bruder, stand teilnahmslos daneben und ließ seine Schwester alles weitere abklären. Sam sah mich und kam zu mir.
„Hattest du nicht meine Schicht übernommen?", wollte er heiser wissen. Er sah hundeelend aus und ließ sich einen Bart stehen.
Sam war gebrochen, dass sah man sofort. Kann man das verübeln? Sein kleiner Sohn wurde ermordet, vermutlich wäre ich genauso drauf.
„Hab getauscht", meinte ich. „Es tut mir so leid, man. Ich kann mir kein bisschen vorstellen, wie du dich fühlst."
„Ich kann's auch nicht beschreiben. Danke, dass du hier bist. Auf dich konnten wir uns schon immer verlassen." Er haute mir auf den Oberarm und ging, als Holly zu mir kam. Sie trug knielange, schwarze Stiefel mit Absatz, eine schwarze Strumpfhose und unter der geöffneten Daunenjacke, sah ich ein schwarzes Kleid, was ihr wirklich schmeichelte. Die hellbraunen, fast dunkelblonden Haare trug sie offen und lediglich gekämmt. Geschminkt war sie auch nicht und sie sah mindestes genauso fertig aus, wie der Rest ihrer Familie.
Ohne ein Wort, umarmte sie mich, schlang ihre Arme um meinen Rücken und legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab. Sofort erwiderte ich die Umarmung. „Danke, dass du hier bist", sagte Holly, als sie sich aus der Umarmung löste. Ich musterte sie traurig und legte eine Hand auf ihren Oberarm. Ihre geröteten Augen, füllten sich abermals mit Tränen und am liebsten, hätte ich sie wieder in den Arm genommen, aber ich hielt mich zurück. „Doch nicht dafür", sagte ich.

Die Zeremonie verlief, wie jede Trauerfeier, auf der ich jemals gewesen war, genauso ab, wie erwartet. Der Priester sprach über den Verstorbenen, in diesem Fall Tristan, wir sprachen Gebete, fügten hier und da ein Amen hinzu. Auch Sam bekam unter Tränen ein paar Worte für seinen Sohn heraus, die mir echt nahe gingen. Er brach ab, weil er bitterlich anfing zu weinen und setzte sich zurück zu seiner Schwester, die ebenfalls in der ersten Reihe saß.

Die Urne wurde in das kleine ausgebettete Loch niedergelassen, nach und nach, gingen Familie und Freunde zum Grab, schmissen Blumen, oder andere Dinge hinein. Ich hatte aber zu Holly geblickt, die mit Abstand von ihrem Eltern stand und zögerte zum Grab zu gehen.
Moment.
Ich schaute mich unter den Trauergästen um, und außer meinem Vater, der verspätet ankam, konnte ich weit und breit keinen Kelly sehen. War er überhaupt hier? Ich konnte mich nicht erinnern, den Typen in der Kapelle gesehen zu haben. Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging zu Holly.
„Du musst das nicht allein machen", sagte ich und deutete auf die weiße Rose in ihren Händen. „Ich komm mit dir."
Sie lächelte erleichtert. „Danke", flüsterte sie.
Als wir vor dem Grab standen, schmissen wir die Blumen hinein. Dann zog Holly ein kleines Spielzeugauto hervor, ging in die Knie und legte es vorsichtig mit rein. Ich blieb bei ihr, selbst als wir vom Grab zurückgingen. Selbst als der Leichenschmaus im Haus ihrer Eltern stattfand, saß ich neben ihr. Hätte sie das nicht gewollt, dann würde sie schon auf Abstand zu mir gehen. Keine Ahnung, ob sie einfach nur getröstet werden wollte, oder ob sie allgemein die Nähe zu mir brauchte.
Irgendwann hatte sich Holly nach oben verdrückt und ging ihr hinterher. Sie stand in ihrem alten Zimmer, was vermutlich als Gästezimmer benutzt wurde und setzte sich auf dem Rand des Bettes.
„Willst du allein sein?", fragte ich und lehnte mich an den Türrahmen. Ich musterte Hollys Gesicht.
„Zu viele Menschen, die meine Laune noch mehr runterziehen. Ich weiß, auf einer Beerdigung, soll man trauern." Sie atmete tief durch. „Aber, ich versuch's, dass es Sam gut geht, lenke ihn ab und dann kommen die ganzen bescheuerten Menschen und fangen wieder an über Tristan zu reden. Sam hatte sich jedes Mal beruhigt und dann das. Ich würde meiner Cousine am liebsten eine reinhauen."
„Die mit dem Übergebiss, wie Sid aus Ice Age, oder die die kein Botox im Gesicht hat, aber trotzdem das Gesicht nicht bewegen kann?"
Holly schnaubte belustigt. „Die beiden meinte ich nicht. Die andere."
„Hä? Du hast doch nur zwei Cousinen und sonst nur männliche."
„Weißt du noch Mason... ist in unserem Alter?"
„Der, der die immer deine Schminke geklaut hat?"
Holly nickte und blickte mich eindringlich an.
Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Das erklärt, warum er dir die Schminke geklaut hat", bemerkte ich. „Aber solang er sich wohl fühlt."
„Viel besser. Ihm geht's wirklich gut. Und das ist die Hauptsache. Aber er ist so eine Dramaqueen geworden." Holly musterte mich. „Er ist bei Dr. Charles in Behandlung. Warst du eigentlich schon mal bei ihm?"
Ich kratzte mir am Kinn, spürte die nervigen Bartstoppeln, obwohl ich mich heute morgen erst rasiert hatte. „Nein."
„Jay!"
„Mir geht's gut, okay, ich schwöre es dir. Ich brauche keine Hilfe von einem Arzt und wenn es mir so scheiße gehen würde, wäre ich nicht bei der Polizei. Die hätten mich gar nicht erst genommen, wenn ich beim Psychologischen Gespräch Auffälligkeiten gezeigt..."
„Weil du dort nicht die Wahrheit gesagt hast?", warf Holly ein.
„Kann sein. Mir geht's gut. Bin darüber hinweg."
„Du bist erst darüber hinweg, wenn du darüber reden kannst, ohne, dass es dir was ausmacht. Genau, deshalb, verlierst du über die Zeit in Afghanistan kein Wort, weil's immer noch weh tut und die Geister immer noch in deinem Kopf herumschwirren."
„Müssen mir jetzt darüber reden?", fragte ich genervt. Holly wich meinen eindringlichen Blick aus und ließ den Kopf hängen.
„Mache mir nur Sorgen."
„Das brauchst du aber nicht. Keiner muss sich Sorgen um mich machen. Wenn ich sage, es geht mir gut, dann geht's mir gut. Ich muss es doch wohl besser wissen. Red mir nichts ein."
„Ich rede dir nichts ein!", fuhr Holly mich an. „Und das du lauter wirst, bestätigt es, dass es dir doch noch wehtut."
„Ich bin sauer, weil du mich, wegen der beschissenen Army-Zeit, wieder in die Ecke drängst. Du bist diejenige, die damit anfängt, die Wunden wieder aufreißt. Ich will keine Hilfe, ich brauch keine Hilfe. Ich will kein einziges Wort mehr darüber verlieren, checkst du das denn nicht? Lass mich mit dem Scheißthema einfach in Ruhe und es interessiert mich einen Scheißdreck, ob du, oder ihr, euch Sorgen macht. Mir. Geht's. Gut."
Ich machte auf den Absatz kehrt, wollte hier nur noch weg, und es war mir egal, dass die anderen Gäste meinen Ausbruch vermutlich mitbekamen.
Ich stieg in mein Auto und fuhr, um mich abzureagieren, durch die Gegend.
Warum musste Holly und Dad immer wieder damit anfangen? Immer wieder, wollten die über meine Zeit in der Army reden, obwohl sie wussten, dass es nicht einfach war und ich ihnen mehrmals sagte, dass es mir gut geht. Ich will nicht darüber reden.
Ich will es einfach nicht. Mir ging's gut, ja, aber die Wunden schmerzten immer noch höllisch- und das würde niemals weggehen. Niemals.
Da half nicht mal ein Seelenklempner. Ich musste einfach damit leben. Fertig.

Genervt saß ich in Kelly's Tavern und trank den vierten Tequila-Shot leer. „Noch was, bitte", bemerkte ich und schob Kelly das leere Glas leer.
„Geht's dir gut?", fragte sie und füllte nach.
Ich schaute auf und nickte zog ein falsches Lächeln auf. „Bestens", zischte ich, griff nach dem gefüllten Glas und leerte es zügig aus.
„Willst du darüber reden?" Dann stellte ich das leere Glas auf die Theke, schmiss zwanzig Dollar daneben und sagte: „Mir geht's Bestens."
Vor den kaputten Stufen, die zur mickrigen Veranda meines Elternhauses führten, sah ich Holly stehen. Nervös tippte sie von einem Fuß auf den anderen herum, oder ihr war kalt. Ich stopfte meine Hände in die Jackentasche meiner Daunenjacke und ging auf sie zu.
„Was willst du?", fragte ich genervt. Ich lief die paar Stufen zur Veranda hinauf und zog die Schlüssel aus der Jackentasche.
„Tut mir leid", hörte ich sie sagen. „Ich hätte die Schnauze halten sollen, aber ich mach mir echt nur Sorgen." Sie hielt inne. „Ich musste schon oft genug Soldaten sehen, die sich das Leben nehmen wollten. Und das, was du da erlebt hast... ich kann's und will's mir nicht vorstellen."
Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte diesen doppelt um. Dad war anscheinend immer noch nicht da.
„Woher willst du wissen, was ich erlebt habe, hm?"
„Die Narben, deine Verletzungen..." Holly seufzte. „Wenn du nicht mit mir reden willst, dann rede mit jemanden, mit dem du diese ganze Scheiße durchmachen musstest."
Ich schluckte hart und drehte mich um. Mir stockte der Atem, als ich neben Holly eine weitere Person stehen sah.
Mouse.
Er richtete gerade die Mütze auf dem Kopf, und hob eine Hand, während er leicht schmunzelte. Ich schaute zwischen den beiden hin und her. Woher kannten sich die beiden?
Holly warf Mouse und mir einen Blick zu, drehte um und ging zu ihrem Auto, einen weißen VW Golf.
Ich starrte ihr sprachlos hinterher. „W-warte, Holly!"
Sie war bereits im Auto und fuhr los. Seufzend atmete ich durch und starrte Mouse an und er mich. „Willst du mich hier in dieser verschissenen Kälte stehen lassen, Halstead?", fragte er mich und zog sein typisches Lächeln auf.
„Ich hab Bier", sagte ich nur.

„Woher kennt ihr beiden euch?", fragte ich. Wir hatten über belangloses geredet und nicht über die Zeit in der Army.
Mouse kratzte sich die spitze Nase, seine strahlend blauen Augen wirkten plötzlich traurig. „Sie war eine der Krankenschwestern, die mich behandelt hat."
Ich wurde immer noch nicht schlau, aus der Sache. „Wegen was?"
„Ich hab den ganzen Scheiß nicht so gut vertragen. Erst das Gras, dann war's das Koks. Hatte eine Überdosis, aber das war nicht der Grund, war wegen einer Rauchvergiftung im Krankenhaus, hab ein paar Kinder aus dem Haus gerettet."
„Scheiße verflucht." Entsetzt starrte ich ihn an.
„Ja, sie hat mich zu Dr. Charles geschickt, kalter Entzug und der Scheiß. Hab mich freiwillig einweisen lassen, bin seit Monaten clean. Hab sogar einen Job in einem Apple-Store bekommen."
„Und woher wusste Holly, dass wir beiden uns kennen?"
„Hab sie erkannt. Die Fotos die du drüben hattest. Man kam ins Gespräch. Sie ist nett, wie du gesagt hast."
„Ja." Ich starrte die leere Bierflasche an.
„Sie macht sich echt nur Sorgen."
„Und? Sie ist nicht meine Freundin. Was hast du ihr erzählt? Als wir drüben waren."
„Nichts Großartiges. Nur, dass wir Scheißdinge erlebt haben. Die Details ließ ich aus."
„Hm."
„Meine Fresse, Jay", fluchte Mouse. Ich blickte ihn an. „Was?"
„Holly... die nervt dich nur damit, weil sie Angst hat, dass dir was passiert. Sie hatte oft genug mit den Konsequenzen von Suiziden zu tun. Stoß nicht immer die Menschen weg, die dir helfen wollen. Hab ich dir damals auch schon gesagt."
Und trotzdem war ich Mouse damals übelst angegangen. „Das tut mir leid. Das was ich gesagt habe, getan habe."
„Vergeben, vergessen. Hey, du bist jetzt ein Cop, siehst tagtäglich immer noch solchen Mist, vielleicht auch Schlimmeres. Mit deiner Vergangenheit ist das nur noch eine Frage der Zeit, bis du zusammenbrichst. Kiffst du noch?"
„Nein, ich bin Cop. Kostet mich sonst den Job."
„Um. Okay, wie geht's dir wirklich? Ich meine jetzt, wenn wir die ganze andere Scheiße vergessen, die passiert war."
„Ehrlich?"
„Ja, ehrlich."
„Beschissen", gestand ich. Ich fuhr mit der Hand durchs Gesicht und war aufgestanden.
„Beschissen, in wie fern?"
„Wie behindert, bin ich eigentlich", murrte ich herum. „Ich trauere meiner Exfreundin immer noch hinterher?", platzte es aus mir heraus. Aufgebracht ging ich auf und ab. „Sie ist verlobt, heiratet im Oktober, ich wurde sogar eingeladen, verdammt. Sie ist glücklich und ich suche immer noch ihre Nähe, wie ein räudiger Köter."
Mouse trank sein Bier aus und schien hart nachzudenken. „Keine Ahnung", sagte er und stellte die Flasche auf den Couchtisch. „Lässt sie es zu? Die Nähe?"
„Freundschaftlich eben, in den Arm nehmen, wenn sie es brauchte. Ich bin so verwirrt."
„Kenn ich", murmelte Mouse. „Das andere Geschlecht verwirrt gerne mal einen."
Ich lachte. „Ja, was mach ich jetzt? Soll ich es weiter versuchen, oder sie ziehen lassen?"
„Wenn sie nur noch freundschaftliche Gefühle für dich hat, und du merkst es, dann lass sie ziehen, du sagst ja, sie wird heiraten. Ist dann also über dich hinweg. Offensichtlich."
„Das merkwürdigste ist..."
„Was kommt jetzt?", nuschelte Mouse.
„Manchmal, sind da Situationen zwischen uns... als wäre es wie früher, diese Blicke, die Sticheleien. Es fühlt sich an wie früher. Dann ist es so, als käme sie wieder zu sich, und dann ist sie plötzlich wieder so blöd zu mir... Abweisend, sucht das Weite."
„Hä!", stieß Mouse hervor. „Sie ist selbst verwirrt. Checkst du das denn nicht?" Er schien eine Idee zu haben und blickte mich an. „Küss sie doch einfach, dann weißt du, wie sie zu dir steht. Ich mein, dass ist Highschool-Mist. Aber du wirst an ihrer Reaktion sehen, wie sie zu dir steht." Er griff nach seiner Jacke vom Sessel und zog diese an. „Entweder sie erwidert, oder sie verpasst dir eine Ohrfeige. Die Chance steht fünfzig zu fünfzig. Du hast die Chance, nutz diese auch. Ich muss auch los, Jay. Bin noch verabredet."
„Wie heißt sie?", fragte ich hellhörig nach.
„Brazzers Premium."
Ich musste lachen, und hielt ihm meine Faust hin. Er schlug seine leicht dagegen. Dann war Mouse aus dem Haus verschwunden.
Nachdenklich räumte ich auf, ja, es war ziemlicher Highschool-Mist, aber vielleicht würde mir das endlich die Augen öffnen, wenn ich das einfach durchzog.
Die Chancen standen wirklich fünfzig zu fünfzig. Entweder ruinierte ich es damit komplett mit Holly, oder wir würden noch eine zweite Chance haben.

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