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Holly
Als Kelly zu einem Einsatz musste und ich mich wieder meiner Arbeit zu widmen konnte, war ich mehr als erleichtert. Die Arbeit und die ständigen Notfälle lenkten mich so gut ab, dass der Schmerz und die Trauer, um Tristan in den Hintergrund rückten. Da brachte es absolut nichts, dass Kelly darüber quatschten und quatschten wollte. War er plötzlich vom Feuerwehrmann zum Seelenklempner mutiert? Hätte er mich nicht einfach in den Arm nehmen können, wie Jay es tat.
Genau diese Geste tat gut, anstatt immer wieder darüber zu reden.
In letzter Zeit, sahen Jay und ich uns, zufälligerweise, viel zu oft, und auch wenn es nur kurz war, war es absolut nicht gut.
Das verwirrte mich und es verwirrte mich, dass Jay immer noch so präsent in meinem Kopf war, obwohl es Kelly gab, in dem ich mich Hals über Kopf verliebt hatte.
Das bescheuerte Problem war, dass diese Bekannte rosarote Brille schon seit längerem bröckelte, ich mit aller Kraft versuchte, die Brille vor dem Zusammenfall zu retten, indem ich alles weitere ausblendete und schon dabei war, zu überlegen, wie ich Jay aus meinem Leben streichen konnte.
Für immer.
Ich musste nach vorne blicken, mich auf Kelly und mich konzentrieren, wir wollten in zehn Monaten heiraten, setzten uns, wenn es passte, zusammen, planten die Hochzeit sogar, waren fast fertig, aber Jay und die Erinnerungen an damals, schmissen mir immer riesige Steine in den Weg, die so groß und bestialisch waren, wie dieser Wrestler, der sich eine Flasche Babyöl über die Glatze kippte- The Rock, so hieß der.
Argh!
Warum war diese ganze Scheiße so kompliziert?
Warum, konnte ich nicht einfach mal für mich selbst bleiben, mich mal nicht verlieben und Spaß haben, wie ich mir das eigentlich vorgestellt hatte?
Nie wollte ich so früh heiraten. Ich wollte mich nicht verlieben, nachdem ich Jay abserviert hatte, aber dann kam Kelly, der mich mit seinem Charme regelrecht ausknockte- er schlug mir die dicke Tür der Notaufnahme, versehentlich, ins Gesicht und brach mir damit die Nase. April erledigte dann den Rest, weil Kelly anfangs vergeblich versucht hatte, ein Date mit mir zubekommen.
Ich gab nach und ließ mich auf Kelly ein, nachdem er mir seine Seiten zeigte, zeigte, dass er mich wirklich begehrte, verfiel ich auch ihm.
Seitdem war er da, machte mich glücklich, aber momentan, zweifelte ich, ob das alles so seine Richtigkeit hatte. Es fühlte sich nicht mehr so richtig an, so wie früher. Das merkte ich nebenbei auch an dem Sex, zwischen Kelly und mir. Immer wieder, suchte ich ausreden, nicht mit ihm schlafen zu müssen, weil diese Funken fehlten und so kam ich nicht richtig aus mir heraus, wollte das immer nur schnell hinter mich bringen.
    „Die wurden für dich abgegeben", bemerkte Maggie.
Da wir gerade nichts zu tun hatten, vermutlich die Ruhe vor dem Sturm, hatte ich mich wieder irgendwelche Patientenakten zugewandt, die ich ausfüllte und nach unleserlichen Eintragungen der Ärzte kontrollierte.
Ich wandte mich zu Maggie Lockwood, die gerade erst Oberkrankenschwester der Notaufnahme geworden war. Sie drückte mir eine Vase mit einem Strauß, schöner, roter Rosen in die Hand. „Frag nicht wer. War ein Typ von 'nem Blumenladen, der die mir in die Hand gedrückt hat."
„Sicher, dass die für mich sind?", hakte ich nach.
Ich hatte Kelly nämlich ein Blumen-Verbot ausgestellt, da wir jeden Cent für die Hochzeit brauchten, aber vermutlich hielt er sich nicht dran.
„Hier gibt es keine weitere Schwester McGowan", lachte Maggie und suchte in den Blumen nach einer Karte. Diese fand sie auch. Voller Erwartung öffnete sie die Augen. „Na sieh an, damit kommen wir den Rätsel nach Mr Charming, näher."
„Ich wette auf Kelly", bemerkte April neugierig.
„Nein, Kelly schenkt ihr immer Lilien. Das ist bestimmt dieser gut aussehende Rookie vom CPD."
„Hollys Highschool-Sweetheart?", schnaubte April. „Nein, dass ist doch schon Jahre her, aufgewärmt schmeckt nur das Chili meiner Mom."
Das Chili von Aprils Mom war wirklich spitze.
„Siehst du nicht, wie er sie anguckt, April? Sieh das nächste mal genauer hin, dann weißt du, was ich meine", rechtfertige Maggie sich.
Ich stellte die Vase mit den vielen roten Rosen auf den Tresen und zog Maggie die kleine Karte aus der Hand. „Ich steh immer noch neben euch", machte ich die beiden darauf aufmerksam.
„Das wissen wir doch. Seit wann magst du Rosen?"
„Mag ich eigentlich nicht. Ich mag ehrlich gesagt, noch nicht mal Lilien. Gerberas sind schön, ich hasse Rosen, dass weiß Jay."
„Und Kelly, weiß er das?"
„Ja, er hat mir einmal Lilien mitgebracht, ich meinte, die wären aber schön, also bliebs bei Lilien. Und er weiss, dass ich Rosen nicht ausstehen kann."
April und Maggie tauschten einen Blick aus. „Warte, kommen wir gerade auf eine dritte, männliche Person zu sprechen, die dir diese überteuerten, wunderschönen Rosen auf die Arbeit hat schicken lassen? Holly! Nein!"
Ich hatte die Karte geöffnet, mein Verdacht bestätigte sich.
April schaute mich zähneknirschend an. Sie und Kelly gingen damals auf dieselbe Highschool, sie war diejenige, die Kelly und mich auf dem richtigen Weg brachte, der sich mittlerweile so merkwürdig falsch anfühlte.
Sie brodelte, weitete ihre Nasenlöcher und atmete hörbar aus.
Keine Ahnung, wie ich mich da wieder rausboxen sollte, lügen brachte jetzt auch nichts mehr, die Wahrheit sagen, wollte ich auch nicht.
„Die sind von einem Patienten", bemerkte ich, dass war auch die Wahrheit. Aber ich rückte nicht ganz mit der Wahrheit heraus. „Findet mich anscheinend zu nett."
April hielt mir die Hand hin. Sie wollte die Karte sehen.
Mehr als: An die netteste und wunderschönste Krankenschwester, bei der ich je in Behandlung war. Danke- für alles, stand da eh nicht. Das musste auch April feststellen, als sie laut vorlas.
Sie atmete tief durch und gab mir die Karte wieder. „Ich bin innerlich ausgetickt."
„Ist mir gar nicht aufgefallen", bemerkte Maggie sarkastisch.
Ich wollte die Blumen wegschmeißen, aber Maggie hielt mich auf. „Das lassen wir mal bleiben. Die machen unsere triste Notaufnahme so viel schöner und die haben ein Vermögen gekostet. Diese Marke kostet so einiges."
Sie blickte auf ihrem Pieper, der sich zu Wort meldete. „Wir haben gleich einen Autounfall, Holly, du übernimmst, mit Dr. Phelps, danke."
„Ja."
„Welcher Patient war denn das?", wollte April noch wissen.
„Kannst du dich noch an den Typen von vor ein paar Monaten erinnern. Der mit einer Rauchgasvergiftung eingeliefert wurde?"
April zog eine Augenbraue hoch. „Holly, es brennt oft genug in Chicago. Lustig."
„Boah, der niedliche, mit den großen blauen Augen, der die Nachbarskinder aus dem Haus geholt hat, Greg hieß er, ja genau, das Ereignis, löste wohl etwas aus der Vergangenheit aus, hat ihn übel zugesetzt, weshalb ich ihn zu Dr. Charles geschickt habe. Er ist dort, glaub ich, immer noch in Behandlung. Hab ihn lange nicht mehr gesehen", erklärte ich schnell, da die schweren Eingangstüren der Notaufnahme aufgingen und mir mein Patient gebracht wurde.
„Erinner mich, der war echt charmant." Sie lachte leise. „Na hoffentlich, hat er deine Nettigkeit nicht falsch aufgeschnappt", bemerkte April.
„Schockraum 4 ist frei", sagte ich und ließ die Sanitäter die Krankentrage in den Raum schieben. Ich schaute April an. „Hoffe das auch."
Dann wandte ich mich zu den Rettungssanitäteren und den Patienten.
„Was ist passiert?", wollte ich wissen.

Ich spielte mit den Autoschlüsseln in meiner Hand, tippte gleichzeitig auf dem Bildschirm meines Handys herum, als ich aus dem Fahrstuhl der Tiefgarage ausstieg und zu meinem Auto ging.
  Ich verlangsamte meinen Gang, als ich meinen Dad an meinem weißem VW Golf lehnen sah.
Er war allein und blickte zu mir.
„Gibt es Neuigkeiten?", fragte ich und schob mein Handy in die hinterste Hosentasche.
Dad nickte. „Das Ergebnis der Obduktion ist da", murmelte er und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Tristan wurde zu Tode stranguliert. Todeszeitpunkt war gestern zwischen 15 Uhr."
„Eine Stunde, nachdem der andere Junge ihm das letzte mal gesehen hat", stellte ich fest. „Weiter? Ich will jedes Detail hören. Jedes, Dad."
„Tristan wies mehrere nicht tiefe Stichwunden, sowie Schnittwunden an und um den Brustwarzen und im Unterleib auf. Wie bei dem vermissten Jungen im Sommer, wurden ihm die Hoden und der Penis abgeschnitten, und das, als er noch am Leben war. Es fanden sich schwerste Verletzungen im Rektum, die vor und nach seinem Tod entstanden sind, Schürfungen an Gaumen und Hals, sowie Spermaspuren im Rektum, im Magen, im und am Mund. Fundort, kein Tatort. Der musste woanders gewesen sein. Keine Fingerabdrücke, keine fremden Faserspuren."
Meine Unterlippe zitterte. Tristan war sieben, sieben und musste schon durch die Hölle gehen. Wie konnte dieses Monster meinen Neffen nur so etwas antun? Wie? Warum? „Wie bei dem Jungen im Sommer?"
Dad nickte. „Die DNA passt zusammen, ist aber nirgends hinterlegt. Es werden sämtliche Straftäter die etwas wegen Kindesmissbrauch, Kinderpornografie, etc, abgeklappert. Chicago ist groß, dass dauert leider."
„Du musst diese Bestie zuerst finden, Dad."
„Ich bin dran, bekomme Hilfe, von einem guten Kollegen."
„Voight?"
Dad nickte. „Al steht genauso auf meiner Seite." Er räusperte sich. „Ich muss zurück, ich will dort heute noch mal was erreichen. Bevor du, zu dir fährst, fahr zu uns. Dein Bruder braucht dich."
„Habt ihr schon Melissa bescheid gegeben?"
„Mailbox. Die Polizei von Detroit ist dran sie ausfindig zu machen, bisher vergebens."
Sein Handy klingelte. „Ich muss los."
Dad drückte mir einen Kuss auf die Schläfe.
Kaum war ich allein, fing ich an zu weinen.
Ich wollte das alles immer noch nicht glauben.
Irgendwo, dort draußen, lief ein Monster herum, der sich an kleinen Jungen vergriff und sie bestialisch ermordete.
Ich schrieb Kelly, dass ich bei meinen Eltern bin, und er die Schicht heile überstehen sollte. Eine Antwort bekam ich erstmal nicht. Vermutlich war er auf einem Einsatz. Ich stieg weinend in mein Auto, setzte das Auto rückwärts aus der Parklücke hinaus, der Assistent piepte schräg und schneller auf.
„Woah!", rief jemand und klopfte auf den Kofferraumdeckel. Sofort bremste ich, legte die Handschaltung an und stieg aus.
„Hast du keine Augen im Kopf?", fuhr ich den Typen an, der sich die Mütze auf dem Kopf richtete. „Oh."
„Oh?", gluckste Greg belustigt. „Du hast mich fast mit dem Auto umgenietet und dann kommt nur ein oh von dir?"
Als er sah, dass es mir wohl alles andere als gut ging, zog er ein ernstes Gesicht auf und kam zu mir. „Was'n los, Holly?", fragte er mich und deutete auf mein verweintes Gesicht.
Greg blieb vor mir stehen und legte eine Hand auf meinem Oberarm.
„Der Junge, der in Canaryville gefunden wurde, hast du davon gehört?"
„Ist überall in den Nachrichten", nickte er, seine blauen Augen ruhten auf meinem Gesicht.
„Das ist mein Neffe gewesen."
Greg sagte nichts, sondern schlang seine Arme durch meine offene Jacke und um meinem Rücken und zog mich zu sich. Seufzend legte ich meinen Kopf gegen seiner Schulter ab und starrte auf die anderen Autos, die feinsäuberlich in einer Reihe standen.
Der Duft nach Axe Deo und Grasgeruch stieg mir in die Nase. „Hast du noch was da?"
Greg schnaubte belustigt. „Ich hab nichts geraucht, der Typ aus dem Nebenzimmer, hat mich hier hergebracht. Und außerdem, wollten wir beide es bleiben lassen. Das und das andere."
Wir wichen aus der Umarmung zurück und Greg deutete auf seine Augen. Sie wirkten normal klar und nicht gerötet, als wäre er weiterhin clean. Er wich zurück und hob die Hände, um seine Unschuld zu präsentieren: „Versprochen. Der Drogentest bei Dr. Charles war negativ. Kannst ja nachschauen."
„Ist okay, glaub dir schon", sagte ich und richtete die dicke Jacke. „Ich muss auch los... nach meinem Bruder, meiner Mom sehen."
Greg nickte verständnisvoll, wirkte dann aber doch ein bisschen enttäuscht. „Klar. Ich bin nächste Woche wieder zur Sitzung da. Sehen wir uns da?" Hoffnungsvoll blickte er mich an.
„Lässt sich sicherlich einrichten."
„Na gut. Ich hau auch ab."
„Das Hotel liegt auf dem Weg zu meinen Eltern. Ich nehm dich mit und schmeiß dich raus."
„Da sag ich doch nicht nein." Greg war um das Auto herumgegangen und setzte sich auf den Beifahrersitz.
    Ich schmiss Greg am Hotel raus, in dem er ein Zimmer bewohnte, wir verabschiedeten uns, dann fuhr ich zum Haus meiner Eltern.

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