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Jay
Ich fächerte mir mit einer im Streifenwagen herumliegenden Broschüre Wind zu, was trotzdem nichts brachte. Der Sommer in Chicago zeigte sich mal wieder von seiner besten und ekelhaftesten Seite und knallte mit Temperaturen bis zu 39 Grad, ohne ein Hauch von Wind, durch.
Neben den dieser ekelhaften Hitze und der drückenden Schwüle, bei denen ich absolut keine feste Nahrung zu mir nehmen konnte, meinte mein Streifendienstpartner Gordon, laut schmatzend in seinem von Fett triefenden Burger reinzubeißen. Allein schon der Gestank und dann das Geschmatze, was immer lauter wurde, ließ mich fast kotzen.
Ich trank von meinem Schokoladenmilkshake und versuchte die Pause durchzustehen.

„Weißt du, ich frage mich, warum Menschen, ich fahre tagtäglich mit der Bahn zur Arbeit, sich nicht waschen oder richtig Deo benutzen können. Es ist absolut ekelhaft", bemerkte Gordon, während wir beide durch die Straßen Bronzeville fuhren.
Naja, ich fuhr, dass überließ er mir, weil er selbst Autofahren hasste.
„Ist nun mal so", murmelte ich und konzentrierte mich weiter auf die Straße, bis sich endlich der Funk meldete.
„Wagen 1125, bitte kommen", meldete sich die Zentrale über das Funkgerät im Auto.
Gordon nahm sich das Gerät, drückte den Knopf runter und sprach: „Hier Wagen 1125."
Er ließ den Knopf los und wartete auf eine Antwort. „Wir haben einen Leichenfund. West 54th Place, südlich des Geländes der Norfolk Southern. Ihr seit am nächsten dran."
„1125 übernimmt", sagte Gordon.
Ich stellte die Sirene und Blaulicht per Knopfdruck an und fuhr los. „Ich fahre über die West Garfield, geht schneller. Mal schauen, ob wir tatsächlich die Ersten sind."
„So, oder so, müssen wir die größeren Tiere anrufen, die Drecksarbeit erledigen. Das ist nicht mal unsere erste Leiche", schnaubte Gordon belustigt. „Und dann bei diesem Wetter. Wuhu."

Ich hatte mir den Leichnam des kleinen, nackten Jungen nicht länger angesehen, sondern ging auf Abstand zu dem stinkenden und sich im Verwesungszustand befindenden Kind. Auch wenn ich nur ein Anfänger war, ein kleiner Officer, war mir klar, dass der Junge einiges durchgemacht haben musste und eines natürlichen Todes war er definitiv nicht gestorben. Strangulationsabdrücke am Hals, und hätten die Raben seine Augen nicht ausgepickt, würden diese rotunterlaufen hervorstehen. Das lernte ich auf der Academy.
   Der Magen des Kindes war durch die inneren Gase aufgebläht, an dem Körper fanden sich mehrere blaue Flecken und andere Wunden, wie Schnittwunden, Kratzer. Der Leichnam hatte nach seinem Tod seinen Darm entleert, was vollkommen natürlich war. Sowas hatte niemand verdient und ganz bestimmt kein Kind, was gerade mal, so schätzte ich, zehn Jahre alt war. Ich schaute mich weiter um. Keine Kameras, nur meterhohe Container, die allesamt offen standen und leer waren, zwischen denen der Junge wohl abgelegt wurde. Davon ging ich aus.
„Man kann immer von vielen Dingen ausgehen und ohne Beweise, sind die Vermutungen nur Dünnschiss", hatte Abel mir mal gesagt. Gordon fand Reifenspuren in dem trockenen Boden, die von dem Containern wegführten.
„Hier fahren LKWs", bemerkte ich und ging zu ihm.
„Denke nicht, dass ein LKW solch ein dünnes Reifenprofil hat", sagte er und stellte ein weiteres Hinweißschildchen auf. Ich blickte genauer hin. Er hatte vermutlich recht. Anscheinend hatte jemand das Gaspedal aus Panik runtergedrückt, nachdem der Junge hier abgelegt wurde. Gordon und ich taten nach der ersten Beschauung das, was uns beigebracht wurde. Nichts anfassen, schon gar nicht den Leichnam und den sichtlich aufgebrachten und schockierten Mitarbeiter befragen, der den toten Jungen gefunden hatte.
Geduldig schaute ich den Mitarbeiter der Eisenbahngesellschaft der Norfolk Southern an, während dieser nach den passenden Worten suchte. Ich stellte Fragen, schrieb die Antworten in Stichworten auf. Nichts, was einem Helfen könnte.
Da das Gelände, durch meterhohe Metallzäune gesichert war, fragte ich nach den Eingängen, und ob diese Videoüberwacht wären.
„Man kommt hier nur südlich und nördlich rein. Nördlich ist über die Chicago NS 47th. Der nördliche Teil ist Kameraüberwacht, dort lagern nämlich die gefüllten Container, da kommt man nicht so einfach rein. Security, Einlasskontrolle, über unsere Chipkarte. Die leeren Container werden nicht beachtet. Das sind diese hier. Jeder kann hier drauf." Er deutete um sich herum.
„Haben Sie den Leichnam angefasst?", wollte ich wissen.
„Nein, ich sah den Jungen, bin hin und schon bei den äußerlichen Veränderungen... diesem Gestank... bin ich zurückgewichen, und hab meinen Vorgesetzten geholt."
„Hat er den Leichnam angefasst?"
„Wer würde sowas tun?", fragte er entsetzt.
„Das muss ich fragen, normale Vorgehensweise, wenn Sie oder jemand anderes, das Kind angefasst haben, Sie verneinen es, und später findet man Ihre Fingerabdrücke, oder die DNA, kommt das nicht gut, auch wenn Sie nichts damit zu tun haben sollten."
Er nickte. „Wie gesagt, weder ich, noch mein Boss Brian haben den Jungen angefasst. Wir hielten Abstand, riefen sofort die Polizei."
„Gut, wo finde ich Ihren Vorgesetzten Brian?"
„Im Verwaltungsgebäude, rechts neben den südlichen Eingang."
„Ist dieser wenigstens Kameraüberwacht?"
„Ja."
„Wissen Sie zufällig, ob die Kamera am Verwaltungsgebäude die Einfahrt mit filmt?"
Er zuckte mit den Schultern. „Da müssen Sie Brian fragen. Brian Norfolk gehört das ganze Gelände."
„Okay, danke, Ihr Ausweis, bevor ich's vergesse."
Ich zog seinen Ausweis hinter meinem Notizblock hervor und reichte diesem den Mitarbeiter. Er ging vom Fundort weg und ich blickte zu den Zivilfahrzeugen, die mit Blaulicht, vor der von Gordon aufgestellten Absperrung hielten. Tatsächlich stieg Abel McGowan aus. Netterweise ging ich auf ihn zu.
„Dieses Wetter bringt mich um", stöhnte sein Kollege mit der Schiebermütze, aus denen Links und Rechts dunkle Locken hinter den Ohren hervorragten. Seine dunklen Augen musterten mich kurz. „Was haben wir hier?"
Ich hielt die Absperrung hoch und fing an: „Der Leichnam ist ungefähr zehn Jahre alt, nackt, weiß und weißt mehrere Verletzungen, blaue Flecken, Schnittwunden auf, am Hals sind Strangulationsmerkmale. Ein Arbeiter namens Earle Simmons fand den Jungen, als er die leeren Container zum Schichtende kontrollierte. Er hat ihn nicht angefasst, da bereits Wetterbedingt die Verwesung eingetreten ist. Vor fünfzehn Minuten waren es 39,6 Grad, hab's gemessen, ist ja wichtig, um den ungefähren Todeszeitpunkt zu bestimmen."
Abel und sein Kollege blickten mich an, als sie durch die Absperrung gingen, als wäre ich bescheuert im Kopf.
„Hab doch gesagt, der Junge ist ein Streber", bemerkte Abel dann.
„Er macht nur seine Arbeit, wie jeder andere auch", bemerkte der Schiebermützen-Mann. „Wie heißen Sie?" Er musterte mich abermals.
„Officer Jay Halstead."
„Alvin Olinsky, setz ein Detective davor."
Ich nickte. „Klar."
Er ging zum Leichnam, während ich mit Abel etwas entfernt blieb. Der ekelhafte Geruch biss sich in der stickigen Luft fest. „Was haben wir noch?", wollte Abel wissen und ich deutete auf die nummerierten Reifenabdrücke, die gleichzeitig mit Hütchen abgesperrt wurden.
„Reifenspuren."
„Hier fahren etliche LKW's, Jay."
„Guck dir die Reifenspuren genau an. Die sind viel dünner, ähnlich, wie bei einem Kleinwagen, oder Limousine und die führen genau, zwischen den beiden Containern hin, wo der Junge, vermutlich, angelegt wurde. Die einzigen Spuren, die dort hinführen, wohlgemerkt."
Abel folgte meinen ausgestreckten Finger und ging dann neben der Spur entlang, kurz vor dem Leichnam hielt er sich die Nase zu und wandte sich zu mir. Dann verdrehte er die Augen. „Die Spurensicherung übernimmt!", ertönte eine tiefe, rauchige Stimme. Als ich einen Blick über meine Schulter warf, traf ein anderer älterer Mann ein, der an mir vorbei spazierte und darauf achtete, die Hinweise, die Gordon und ich markiert hatten, nicht zu zerstören. Abel und er hauten kurz Faust an Faust. „War in der Nähe, wollt mal nachschauen."
„Hast du mit deiner Gang-Unit nicht genug zu tun?", fragte Abel. Der andere Mann schnaubte. „Eigentlich schon, aber es wird nicht immer ein nacktes Kind zwischen Containern abgelegt. Hat man schon einen Namen?"
Abel schüttelte den Kopf, und ich machte mich auf den Weg zum Verwaltungsgebäude- wollte ich, aber Abel pfiff mich zurück.
„Halstead!"
Ich drehte mich zu ihm und kniff die Augen, wegen der blendenden Sonne zusammen. „Was?"
„Den Norfolk befrage ich. Sie und Ihr Partner fahren zurück und schreiben schon mal den Bericht."
„Was ist mit den Schildern und Pylonen?", fragte Gordon.
„Bringe ich, höchstpersönlich, aufs Revier, ich bin mir sicher, dass Sie beide heute auf keinen weiteren Leichenfund treffen werden. Zieht Leine, beide."
Gordon und ich tauschten einen Blick aus und gingen zurück zum Streifenwagen.
„Als hätte McGowan mehrere Persönlichkeiten. Erst ist man per Du, dann siezt er einen. Erst ist er nett und dann großkotzig. Kann der sich mal entscheiden?"
„Na, kommt immer drauf an, wer in seiner Nähe ist. Hast du eine Ahnung, wer der faltige Typ war?"
Wir entfernten uns weiter von Tatort, oder Leichenfundort. Das herauszufinden, lag nicht mehr in unsrer Aufgabe.
„Mr Kettenraucherstimme? Natürlich, dass ist dieser Voight von der Gang-Unit. Der soll wohl Dreck am Stecken haben. Das war Gesprächsthema Nummer eins, auf der Academy- und du warst anwesend, und hast nicht nur Heather gevögelt?"
Ich verdrehte die Augen. „Das mit Heather ist schon lange Geschichte."
„Das weiß mittlerweile jeder, schließlich hast du sie am Tag unseres Abschlusses in den Wind geschossen. Die Arme war wirklich deinem Charme erlegen und in dich verknallt, und du brichst ihr das Herz. Versteh ich nicht. Heather war heiß."
„Ob sie heiß war, oder nicht. Ihre ständige Rederei ging mit auf den Keks und einige Charakterzüge waren ebenfalls für den Müll, und bei mir war einfach nicht der Funke übergesprungen."
„Immerhin hast du die Eier, dass durchzuziehen. Ich hab keine Gefühle mehr für meine Freundin, weiß aber nicht wie ich Schluss machen soll. Sie ist schon so empfindlich."
Die Hitze stieg mir plötzlich zu Kopf. Mir war schwummrig und mein Kopf dröhnte.
„Machs einfach. Man fühlt sich beschissen, ist aber normal- vergeht auch wieder. Anderes Thema", nuschelte ich. Ich hatte keine Lust über unsere Liebesleben zu philosophieren, noch über den toten Jungen zu reden.
„Und was dann?", fragte Gordon.
„Keine Ahnung. Da ist Taco Bell. Lass uns noch mal etwas zu trinken holen, bevor wir zur Wache fahren."
„Ist gebongt. Du bezahlst."
Ich schnaubte. „Ist nichts Neues."

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