[ II - Wo sind sie? ]

[ II - Wo sind sie? ]

Inzwischen war ich an der Schule angekommen und desto klarer ich denken konnte, desto schlimmer wurde mein schlechtes Gewissen. An einem einzigen Abend hatte ich so viele Regeln gebrochen. Ich war zu spät nach Hause gekommen, hatte meine Eltern angelogen, getrunken, mit einem Jungen, dessen Namen ich noch nicht mal kannte, herumgeknutscht und gefummelt.

Eigentlich waren meine Eltern ja nicht so schlimm. Meistens. Mom war eigentlich ganz cool. Naja und Dad, der war ganz okay, wenn er mich nicht ausspionierte.

            Mom muss Logan zur Schule gefahren haben. Wenn sein Drecksauto nicht ansprang, oder er unter Zeitdruck stand, kutschierte sie ihn immer hin, damit er nicht zu spät zum Lacrossetraining kam.

Danach ging Mom einkaufe, oder arbeiten, oder traf sich mit ihren Freundinnen im Café zum Klatsch und Tratsch.

            Ich schlich gedankenverloren den Schulflur entlang und war ziemlich verblüfft, dass ausgerechnet diese eine Person meinen Namen rief und mir hinterherlief.

„Hey, June!", rief Jackson nach mir. Diese Stimme mit diesem schnöseligen Unterton, war so grauenvoll, dass ich immer wieder zusammenfuhr, wenn er sprach.

Ich blieb vor dem Mädchenklo stehen und drehte mich zu Jackson, der sich auffällig umschaute. Bloß nicht mit mir sehen lassen, bevor dein Ruf kaputt geht. Da konnte er froh sein, dass wir gerade alleine auf dem Flur waren, da es bereits schon einmal geklingelt hatte.

Fragend blickte ich ihn an.

„Ist Logan krank oder so?", fragte er mich und schaute sich weiter um. „Er war nicht beim Training."

„Ruf ihn doch einfach an und jetzt geh weiter, bevor dein Ruf noch kaputt geht und du gemobbt wirst", sagte ich genervt und wollte weiter gehen. Aber Jackson hielt mich am Handgelenk fest.

„Hab ich schon. Er geht aber nicht dran. Weißt du, was mit ihm los ist?", er ließ mich wieder los und blickte mich fragend an.

Ich schüttelte nur meinen Kopf und ließ Jackson einfach stehen.

            In der ersten Stunde stand Amerikanische Geschichte an. Ich erkannte den Typen mit dem ich gestern getrunken und rumgemacht hatte. Er saß in derselben Reihe nur zwei Plätze vor mir und warf immer mal wieder einen Blick über seine Schulter, um mich zu beobachten.

Ich wich seinen Blick aus und starrte einfach nur auf mein Geschichtsbuch. In Mathe konnte ich mich erst recht nicht konzentrieren. Ich hatte immer noch Kopfschmerzen und einen trockenen Hals. Ich konnte so viel Wasser trinken, aber es besserte sich nichts. Als der Lehrer mich fragte, ob ich die Aufgaben verstanden hatte, sah ich noch nicht mal auf.

            Während der Mittagspause verließ ich die Cafeteria mit zwei Stücken Pizza und setzte mich draußen hin. Über mein Handy rief ich immer und immer wieder meine Mutter an. Ich wollte mich bei ihr entschuldigen. Und außerdem wollte ich einfach nur nach Hause, da es mir hundeelend ging. Normalerweise kochte Mom mir immer wieder eine Suppe, wenn es mir nicht gut ging. Aber das konnte ich ja heute nicht erwarten.

Aber meine Mutter ging einfach nicht ran. Weder zu Hause, noch auf ihrem Handy konnte ich sie erreichen.

            Eigentlich hatte ich jetzt Kunst gehabt, aber ich saß auf der Tribüne neben dem leeren Lacrossefeld und kotzte die Pizza zwischen den Reihen wieder aus, die ich mir vorher reingestopft hatte.

„Super-Minz-Kaugummi?", wurde ich gefragt. Ich schaute auf, nachdem ich aus meiner Wasserflasche getrunken hatte und blickte direkt in das Gesicht von dem Jeep-Typen. Ich nickte nur und zog eines der länglichen Kaugummis aus der Packung heraus. Ich machte die Folie weg und schob mir das Kaugummi sofort in den Mund.

„Ganz schön blöd verlaufen gestern Abend, hm?", fragte er mich. „Gab's noch viel Ärger von deinem Vater?"

„Kann man sich doch denken", murmelte ich und kaute auf dem Kaugummi herum. Lust zu reden hatte ich jetzt nicht gerade. Ich wollte einfach nur für mich sein.

„Ist Logan krank? Wir wundern uns schon, wo er bleibt."

Ich blickte vom Feld zum namenslosen Kerl- direkt in seine braunen Augen. Niemand hatte meinen Bruder gesehen. Niemand. Was ging hier vor.

Mom war weg, Dad auch und dann auch noch Logan.

            „Hey, warte", rief mir der Junge hinter her, als ich mir meine Tasche und meine Wasserflasche geschnappt hatte und die Tribüne runter lief. Ich wollte einfach nur nach Hause. Ich vergaß sogar den Jeep-Typen zu fragen, ob er mich nicht nach Hause fahren könnte. Abmelden bei einem Lehrer oder im Sekretariat tat ich auch nicht.

Ich ließ so schnell ich konnte und fragte mich, was das für eine Erziehungsmaßnahme meiner Eltern war.

Als ich von der Lincoln Road in die Strawberry Lane einbog und das zitronengelbe Familienhaus sah, in dem ich lebte, stand weder der dunkelblaue Van meiner Mom dort, noch Dads Mercedes. Ich stürmte über die Einfahrt, stolperte fast über die Beacon News und platzte ins Haus, nachdem ich aufgeschlossen hatte. Alles war wie vorher. Alles wirkte wie immer. So unberührt. Auch wenn die Autos meiner Eltern nicht in der Auffahrt standen, rief ich nach ihnen.

„Mom!"

Nichts.

„Dad!"

Wieder nichts.

„Logan!"

Auch nichts.

„Hört auf mit der Scheiße. Ich habe es kapiert. Ich habe Mist gebaut und es tut mir leid. Drei Monate Hausarrest und Haushalt, übernehme ich als Strafe freiwillig. Oder ist das zu wenig?"

Wieder keine Antwort. Ich verstand gar nichts mehr. Egal wie stinksauer meine Eltern auf mich waren, deswegen würde sie doch nicht einfach abhauen, ohne mir etwas zu sagen.

Vielleicht waren meine Eltern arbeiten und Logan bei irgendeinem Cheerleader. Das ich nicht früher darauf gekommen bin. Manchmal war ich schon eine kleine Idiotin gewesen. Ich atmete tief durch und ging in mein Zimmer.

            Wenig später saß ich in der Küche und blickte zum Kalender mit den Arbeitszeiten meiner Eltern. Erschrocken riss ich die Augen auf. Weder meine Mutter, noch mein Vater mussten heute arbeiten. Sie hatten frei. Ich rief Logan an, doch der Teilnehmer war leider nicht erreichbar. Langsam war mir das alles zu viel.

            Erschrocken fuhr ich zusammen, als es an der Haustür klingelte. Mit meinem Handy in der Hand ging ich zur Haustür und öffnete diesen einen Spalt. Es war irgendeine Blondine die vor mir stand und mich musterte. Ich glaube, sie ging auf unsere Schule.

„Ist Logan da?", fragte sie mich.

„Nein."

„Weißt du wo er ist?"

„Kann ich dir nicht sagen, sorry."

„Wenn er hier auftaucht, richte ihm aus, dass Stacy da war."

Ich schnalzte mit der Zunge. „Okay." Mein Blick schweifte vom Mädchen zum Polizeiwagen, der vor unserer Auffahrt hielt. Ich schluckte.

„Chief Stilinski?", murmelte ich, als dieser besagte Chief aus seinem Wagen stieg. Gefolgt vom Deputy.

„Soll ich bleiben?"

„Nein", winkte ich ab. „Geh, Stacy."

„Okay", sagte sie und ging weg.

„Hallo, June", begrüßte der Chief mich.

„Hallo", nuschelte ich.

„Dürfen wir reinkommen? Wir müssen reden."

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