[ I - Allein ]

[ I - Allein ]

Als ich wach wurde, war es so still im Haus wie sonst eigentlich nur sonntags.

Wenn heute doch nur eben Sonntag gewesen wäre. Nie hatte ich es mir so sehr gewünscht einen schulfreien Tag zu haben, wie heute.

Mir war immer noch drecksübel, mein Schädel fühlte sich an wie Beton, mein Hals war trocken und es kostete mir einige Mühe, diesen auch nur ansatzweise von meinem kühlen Kissen zu heben.

Was war das denn im Papierkorb? Ich blickte genauer hin und mein Magen drehte sich um. Ich konnte mich nicht mal daran erinnern, mich letzte Nacht übergeben zu haben, aber die verräterischen Spuren im Papierkorb ließen keinen anderen Schluss zu.

Die Sauerei musste ich unbedingt weg machen, ehe meine Eltern etwas davon mitbekommen. Ich stieg aus meinem Bett und schwankte ein wenig. Als ich mich wieder eingekriegt hatte, nahm ich den kleinen Plastikeimer und öffnete meine Zimmertür einen Spalt.

Auf dem Flur herrschte gähnende Leere. Ich schlich mich am Zimmer meines Bruders und meiner Eltern vorbei. Beide Türen standen offen.

Als ich ins Badezimmer geschlüpft war, schloss ich leise die Tür hinter mir.

Ich leerte den Inhalt des Mülleimers in der Toilette, wusch den Eimer in der Badewanne aus und blickte erschrocken in den großen Spiegel.

So sah also ein sechszehnjähriger Teenager mit Kater aus. Nicht gerade ein schöner Anblick.

Ich erinnerte mich kaum was Jackson und Lydia mir alles zu trinken gegeben hatten. Lauter Zeug aus er Hausbar von Jacksons Eltern. Vodka, Gin, Irish Whisky, Bier aller Sorten. Und eine angebrochene Flasche Tequila. Normalerweise hatte ich nichts mit den beiden zu tun. Vor allen Dingen mit Jackson nicht. Aber ich wurde zur Party gezogen.

Ich hatte versprochen eine Flasche Whisky mitzubringen, aber hatte mich dann doch nicht getraut, da mein Vater seinen Alkoholvorrat besser kannte, als sich selbst.

Irgendwie wollte ich das Gefühl nicht loswerden, dass irgendwas anderes komisch war. Aber was war hier so komisch?

Ich kam einfach nicht drauf. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und trocknete mich ab. Dann holte ich tief Luft und nahm all meinen Mut zusammen, das Bad zu verlassen, weil ich die Befürchtung hatte, das meine Mutter schon hinter der Badezimmertür auf mich warten würde. Tat sie aber nicht.

Ich schlich mich zurück in mein Zimmer, dessen Wände zum Grauen meiner Eltern mit Postern von Nirvana, Blink-182 und anderen Seelenzerstörern bekleistert waren.

Bevor ich in meinem Zimmer verschwand, hatte ich noch mal einen Blick ins Zimmer meines Bruders geworfen. Und dann im Schlafzimmer meiner Eltern.

Die Betten waren gemacht, was mich verwunderte. Normalerweise kam Mom erst am späten Morgen dazu, die Betten im Haus zu machen.

Mein Bruder machte sein Bett sowieso nie, was Mom – seitdem sie seine getragenen Unterhosen zwischen den beiden Matratzen fand- durchgehen ließ.

Aber heute sahen die Betten aus, als hätte die Nacht über keiner drinnen geschlafen.

In mir kroch leichte Panik auf. War es wirklich schon so spät? Wie spät war es denn überhaupt?

Der Wecker auf dem Nachttisch meines Bruders Logan zeigte gerade mal zehn vor acht an.

Ich verließ das Haus aus Gewohnheit erst zwanzig Minuten später. Und im Haus war es toten still. Eigentlich konnte ich meine Eltern um diese Uhrzeit unten in der Küche hören.

Selbst wenn die nicht miteinander sprachen, was in letzter Zeit öfters vorkam, hörte ich wie das Geschirr klapperte und mein Dad in der Beacon Hills News rum blätterte- seinen Senf über die Nachrichten dazu gab. Seltsam.

Mein Blick streifte zu meinen Matheaufgaben, die auf dem Schreibtisch aus dunkler Eiche lagen. Ich hatte die noch nicht mal angefangen, bevor ich gestern Abend losgezogen war und mir gedacht, dass ich sie auch noch vor der Schule machen könnte, wenn ich nur früh aufgestanden wäre.

Eigentlich wäre Logan um diese Uhrzeit zu hören. Rein und Raus aus dem Badezimmer, während Eminem aus den Boxen seiner teuren Stereoanlage dröhnte. Zwischendurch rief er nach frischen Klamotten herum, oder pupste und rülpste mit Absicht vor meinem Zimmer herum. Brüder eben. Logan hatte auch kein Wort gesagt, dass er heute mal früher in die Schule musste, aber das hätte mich auch gewundert.

Wir beide gingen nur selten zusammen in die Schule. In seinen Augen war ich ein uncooles und einsames Mädchen ohne Freunde, während er im Lacrosseteam spielte und eng befreundet mit Jackson war. Eben ultra beliebt, während ich mich bemühte nicht großartig aufzufallen.

Ich wollte einfach nicht beliebt sein. Ich wollte nicht eine der Königinnen der Schule sein, die Jungs und Mädels hinterherliefen.

Ich liebte es alleine und für mich zu sein. Ich war das gewöhnt. Wenn mal einmal alleine ist, will man auch nichts anderes. Ich brauchte keine Freunde, ich kam auch so gut klar.

Keine Ahnung, ob Logan ganz schön staunen wird, wenn er hört, wie besoffen ich gestern war. Ich werde es ihm nicht sagen. Es brachte nichts, wenn Jackson vermutlich der Erste war, der ihn alles erzählen wird.

Vermutlich würde mich Logan auch noch bei Mom und Dad verpetzen, wenn er wieder etwas Falsches gerissen hat, sodass ich dann die Arschkarte gezogen hatte und er fein raus war.

Vielleicht war es auch möglich, dass er auch mal früher zur Schule gegangen war, da der Coach wieder Training angeordnet hatte.

Aber wo waren meine Eltern. Vielleicht hatte mein Vater schon so früh eine Fahrt mit dem Truck vor sich, weshalb er schon weg war. Er war vermutlich wieder irgendwo unterwegs- da kam man sowieso nie hinter her, wann und wo er fuhr.

Am Abend zuvor war Dad zu Hause gewesen. Und meine Mom? Vermutlich hatte sie Logan zur Schule gefahren, weil sein Auto gesponnen hat, oder sie hatte nur Frühschicht im Krankenhaus.

Ich zog mich an. Helle Jeans, schwarzes T-Shirt mit einem nicht so übertriebenen Ausschnitt, und weißen Sneakers. Dann legte ich leichtes Make-Up auf. Genug um nicht völlig fertig auszusehen, aber frischer. Auch nicht so viel, damit meine Mom nicht wieder einen ihrer „Du siehst aus wie eine Nutte"-Momente kriegen würde.

Als ich die Küche brat, blieb ich wie angewurzelt stehen. Kein Müsli, kein Saft, kein Kaffee in der Kaffeemaschine. Keine Lowman, kein Brot im Toaster, keine Tassen, weder Milch noch Marmelade auf dem Tisch. Hier sah alles so aus, als wie es meine Mutter gestern Abend aufgeräumt hatte.

Ich blickte zum großen hellgrauen Kühlschrank mit den Doppeltüren. Normalerweise hinterließ meine Mom eine kleine Notiz an dem Kühlschrank, wenn sie das Haus verließ. Auch wenn sie sauer auf Logan oder mich war.

Wenn sie sauer auf mich war, unterschrieb sie nur mit „Mom", ansonsten immer mit „Hab dich lieb, Mom".

Weit und breit, war aber kein Zettel zu sehen. Ich atmete tief durch und nahm all meinen Mut zusammen, ehe ich nach meiner Mom rief.

„Mom?"

Meine eigene Stimme klang irgendwie fremd in meinen Ohren. Keine Ahnung wieso. Als keine Antwort von meiner Mutter kam, rief ich nach meinen Vater. „Dad?"

Wieder nichts. Ich seufzte leise und kam zum Entschluss, dass es sich ja nur um eine Strafe handelte, die sich meine Eltern ausgedacht hatten. Ich hatte sie enttäuscht, also war es selbstverständlich, dass sie mich wie Luft behandeln. Sie bestraften mich mit Schweigen und Ignoranz. Eine ganz miese Tour.

Ja, es gab Schlimmeres. Das hier war jedoch besser, als den Riesengau am Morgen. Außerdem hatte ich eh keinen Bock auf Frühstück. Keine Ahnung, ob ich das bei mir behalten hätte. Ich schnappte mir meinen Rucksack mit meinen Schulsachen und trat aus der Haustür.

Die Beacon Hills News, mit Gummiband zusammengerollt, lag auf der Fußmatte. Ich stieß die Zeitung mit dem Fuß beiseite, ohne weiter darüber nachzudenken, und ging die leere Einfahrt hinunter.

Sowohl der silberne Sportwagen von Mercedes von meinem Vater, als auch der Chevrolet Familienvan von meiner Mom war nicht zu sehen. Nur Logans Mustang stand am Straßenrand. Vermutlich sprang dieser wieder nicht an.

Grübelnd machte ich mich auf den Weg zur Beacon Hills High-School, die nur ein paar Blocks entfernt war. Vielleicht konnte ich aus meinem Bruder herauskriegen, was los war und was mich nachher zu Hause erwarten würde.

Vermutlich jede Menge Ärger von meinen Eltern. Um Punkt neun Uhr, sollte ich zu Hause sein. Erstens, es war mitten in der Woche, dass hieß Schule und ein guter Abschluss war in meiner Familie einfach das A und O. Zweitens hatte mal meine Englischlehrerin bei meinen Eltern angerufen, da ich für nicht einmal drei Sekunden bei den Kiffern der Schule stand. Mom hat mich darauf hin gründlich nach Drogen durchsucht und als sie keine fand, war das Thema auch wieder gegessen. Nur für meinen Vater nicht.

Meine Eltern hatte ich dann gestern Abend vorgeschwindelt, dass ich zu einer Klassenkameradin rübergehen würde, um mit ihr Hausaufgaben zu machen, was ohnehin eine riesige Zeitverschwendung gewesen wäre. Mom und Dad waren einverstanden und wollten, dass ich um neun zu Hause bin.

Ich hatte ein wenig herumgemault, wegen der Uhrzeit, aber mit meinem Vater sollte man sich besser nicht anlegen.

„Punkt Neun und keine Sekunde später", war sein Motto.

Es war mir egal. Ich komme dann nach Hause, wann es mir passt.

Als ich um viertel nach neun immer noch nicht zu Hause war, hatte meine Mom bei der Mutter meiner Klassenkameradin angerufen, die natürlich von nichts wusste.

Ich wäre gar nicht erst zur Party gegangen. Da unterhalte ich mich einmal mit Lydia, über ihr schönes Kleid und dann lädt die mich zu ihrer Party ein und bestand so darauf, dass ich da auftauche. Also bin ich hin. Sie war wenigstens die einzige in der Schule, die mich nicht ignorierte und es immer wieder versuchte, dass ich mit irgendwen redete.

Jackson hatte mich auf der Party erst argwöhnisch angeglotzt und mich gefragt, ob ich mich verlaufen hätte. Ich hatte irgendwas Zickiges geantwortet und bin dann direkt zur Bar gegangen.

Und da ich meinen Schweinehund überwunden hatte und dort aufgetaucht war, wollte Jackson auch gleich testen, wie viel ich vertrug.

Auf jeden Fall, hab ich nach der Saufeinlage ziemlich viel Selbstbewusstsein gehabt und mich dann den nächstbesten Typen an den Hals geworfen. Keine Ahnung wie der Kerl hieß. Ich wusste, dass er in einigen Kursen mit mir war, was er für ein Auto fuhr.

Einen eher minderwertig schönen Jeep in dunkelgrün.

Es war einfach nur ein reiner Zufall – ich hoffte es -, dass mein Vater den Jeep auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums erspähte, einen Steinwurf von Lydias Haus entfernt.

Er hielt mit einer Vollbremsung neben den Jeep.

„Fuck", murmelte ich, als das Licht vom Mercedes mich vorher blendete. Gut, dass er keine drei Minuten aufgetaucht war, als der Typ und ich rumgemacht hatten. Und noch weiter vorher, als wir gerade dabei waren noch eine Flasche Bier zu köpfen.

Theo Lowman– mein Vater – marschierte mit seinem strengen Gesichtsausdruck schnurstracks zur Beifahrertür und öffnete diese.

„Steig aus!", knurrte er, packte mich am Arm und zerrte mich zu seinem Mercedes. „Du riechst ja, wie eine ganze Collegeverbindungsparty."

Ich wäre am liebsten gestorben. Ich sah Papa noch nicht einmal an, gab kein Wort von mir, auch dann nicht, als er mich im strengen Ton anherrschte. Mit mir hat man nur noch Ärger, ich solle endlich wieder klar im Kopf werden, sonst würde ich mir mein Leben verfuschen. Was hat er nur mit der Erziehung falsch gemacht, er wolle doch nur, dass ich glücklich sei. Obwohl er stinksauer war, fuhr er wie ein Fahranfänger in der Probezeit durch Beacon Hills, hielt sich an die Geschwindigkeitsgrenze, hielt an jeder Ampel, blickte jedes Mal, wenn er abbog.

Als wir in die Einfahrt fuhren, war ich schon rausgesprungen, ohne dass der Wagen hielt. Ich platzte ins Haus, stürmte an Mom vorbei, die gar nicht so sauer wirkte. Eher besorgt.

„June, wo warst du?"

Ich ließ meine Mom einfach stehen du stürzte die Treppe hinauf in mein Zimmer. Von unten hörte ich meinen Vater nach mir rufen, dass ich sofort wieder nach unten kommen soll, da wir miteinander reden müssen.

Ich war wohl ziemlich angetrunken und benebelt, dass ich gar nicht wusste, was ich da eigentlich von mir gab.

„Haltet die Klappe! Ich hasse euch und kann euch nicht mehr ertragen."

Dann erinnerte ich mich also? Aber an den Rest des Abends konnte ich mich nach wie vor nur noch verschwommen erinnern.

Ich erinnerte mich, dass ich in meinem Bett gesessen hatte. Das mir ziemlich schwindelig war. Ich war zu müde, um ich zu schämen. Außerdem sah ich Sachen in meinem Zimmer... Herr Gott.

Was war im Alkohol drinnen gewesen, dass ich eine dunkle Gestalt mit leuchteten roten Augen vor meinem Zimmerfenster sehen konnte. Ich wollte nur schlafen. Einfach nur schlafen.

Ich meinte mich zu erinnern, dass ich im Halbschlaf mitbekommen hatte, wie die Gestalt immer wieder meinen Namen gerufen hatte. Nie wieder Alkohol in den Maßen!

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