EPILOG

Jay
Eine halbe Stunde, nachdem Sam aus dem Zimmer gestürzt war und Abel hinterher lief, legte Sally mir den Kleinen in die Arme zurück. „Ich schau eben mal nach. Lauft ja nicht mit meinem Enkel weg."
„Keine Panik, machen wir schon nicht", antwortete ich, wiegte meinen Sohn hin und her.
„Ich lass euch beiden dann auch mal allein."
Natalie fuhr Holly durchs frisch gekämmte Haar, verabschiedete sich bei mir und den Kleinen und verließ dann ebenfalls das Zimmer.
„Das macht echt Sam fertig", bemerkte ich, setzte mich auf dem Rand des Bettes und wandte mich zu Holly, die plötzlich bitterlich am weinen war. Ich legte den Kleinen in das Babybett und zog Holly in meine Arme.
„Wir haben es versucht", sagte ich nur und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Mehr können wir momentan nicht machen."
„Ich weiß, Jay, ich weiß", wimmerte Holly nur.

Ich beschloss, obwohl ich hundemüde war, bei Holly zu bleiben. Aber sie wurde bei jedem kleinen Mucks von Jax wach.
Ich lag neben ihr im großen Bett und setzte mich verballert auf, als der Kleine anfing herumzuwimmern. „Da braucht wohl jemand den Papa", bemerkte ich, sprang aus dem Bett und wandte mich zu dem Beistellbett, um das kleine Bündel rauszuholen. Das Wimmern wandelte sich in kurzer Zeit zu einem lauten Schreien um. Vergeblich versuchte ich Jax mit dem sanften hin und her wiegen zu beruhigen und sprach ruhig mit ihm. Das brachte aber nichts. „Ich glaube, er hat Hunger", bemerkte ich und blickte zu Holly, die ziemlich müde auf dem Bett saß und die Arme ausstreckte.
„Dann versuche ich das nochmal."
Schon im Kreißsaal hatte es mit dem Stillen nicht sonderlich gut geklappt, vermutlich weil beide viel zu aufgeregt waren. Holly versuchte es immer wieder, bis es endlich doch klappte. Das Weinen verstummte sofort, als Jax von der Brust trank, aber Holly verzog schmerzhaft das Gesicht. „Die Nachwehen werden durchs Stillen schlimmer. Jedes Mal, wenn er zieht, zieht es im Bauch."
Holly tat mir in diesem Moment leid. Nicht nur, dass sie höllische Schmerzen über Stunden durchmachen musste, sondern, dass sie sich verletzt hat, weil Jax nicht optimal lag- er lag mit dem Kopf nach oben und nicht nach unten, weshalb die Schultern ebenfalls anders waren und Holly bei den letzten Wehen verletzten. Und jetzt suchten ihr auch noch beim Stillen weitere Schmerzen heim.
Ich streichelte ihren Hinterkopf, während ich meinen Blick von Jax nicht abwenden konnte.
„Ich frag mich immer noch, wem er ähnlich sieht", murmelte ich nachdenklich und strich mit dem Zeigefinger über die weiche Wange des Kleinen.
Holly schnaubte belustigt. „Ich finde, dass er nach dir kommt. Ich habe deine Babyfotos gesehen. Als ob man dich geklont hätte."
„Ich habe gerade keine Ahnung, wie ich als Baby aussah, aber ich weiß, dass du echt viele Haare auf dem Kopf hattest."
Ich schob die blaue Mütze vorsichtig von dem kleinen Kopf und betrachtete das wenige dunkle, fast braune Haar. „Einen kleinen Irokesen kann man sicherlich daraus machen."
„Bestimmt." Holly seufzte. „Du hast es echt vorhergesagt."
„Vielleicht, hatte ich das nur gut im Gefühl. Du hast das übrigens ganz toll gemacht."
„Ich bin auch stolz auf dich, dass du nicht ein einziges Mal eingeschlafen bist... oder gekippt."
„Naja, ich war steht's bemüht. Wäre ich bei der PDA geblieben, dann wäre ich sicherlich aus den Latschen gekippt."
Ich zog die Mütze wieder richtig und sah, dass Jax' Augen nach und nach wieder zu vielen und er kaum noch trank. „Ich glaub, der hat fertig. Bäuerchen mach ich dann."
Ich nahm ihr Jax und das Spucktuch ab, legte den Kleinen an und klopfte mit den Fingerspitzen auf dem Rücken herum, während ich nach hinten lehnte und den Kopf im Nacken festhielt.
„Ich geh mal die viel zu kleine Binde wechseln und frag noch mal nach einem gefrorenen Kondom."
„Was?", fragte ich belustigt.
„Ja, die sind dazu da, um die Verletzung zu kühlen. Wird dran gelegt, aber soll man nicht mehrmals hintereinander machen, sonst heilt die Wunde nicht so doll ab."
Holly, die bereits aufgestanden war, ging ins angrenzende Badezimmer. „Wenn alles bei mir und Jax in Ordnung ist, würde ich uns morgen selbst entlassen. Soweit klappt doch alles super und ich will nur noch in mein Bett."
Holly deutete auf den Flur, in dem nur Hektisch herrschte, den piependen Notfallton, der immer wieder über den Flur und die geschlossene Zimmertür dröhnte, nervte anscheinend ebenfalls.
„Wenn es für dich in Ordnung ist", nickte ich. „Ich bin auch froh, wenn ihr bei mir seid."
Holly lächelte müde und verschwand im Badezimmer.

Die Nacht war recht kurz. Jede zweite Stunde meldete Jax sich zu Wort und wollte gefüttert werden. Um sechs Uhr war er nach einem Bäuerchen und einer frischen Windel in meinem Arm eingeschlafen und ich nickte auch fast weg, wäre der Arzt mit seinen Assistenten nicht zur Visite reingeschneit.
„Einen wunderschönen guten Morgen, Miss McGowan, wie war die Nacht", bemerkte der ältere Mann mit tiefen Falten.
„Kurz, Dr. Miller", antwortete Holly und kam gleich darauf zu sprechen, sich entlassen zu lassen. „Nach einer Untersuchung bei Ihnen und dem kleinen Erdenbürger, bei der hoffentlich, alles in Ordnung ist, lassen wir Sie natürlich sofort gehen."

Holly atmete tief durch, als wir unsere Wohnung betraten und ich stellte ebenfalls erleichtert die Babyschale mit dem winzigen Jax auf den Boden und holte ihn raus. „Dann zeig ich dir mal dein Zuhause und dein eigenes Zimmer", bemerkte ich an den skeptisch schauenden Baby gewandt. Holly musste nur lachen und drückte die Tür zu.

Nicht mal eine Stunde, nachdem wir Zuhause ankamen, klingelte es auch schon an der Tür.
Unerwarteter Besuch- wie ich das hasste.
Mit Jax auf den Armen ging ich direkt zu Tür und öffnete diese. „Nein, dass ist doch ein Witz", entfuhr es mir genervt und hätte am liebsten die Tür lauthals zugeknallt, aber ich wollte Jax nicht erschrecken. „Was willst du?"
Will der vor der Tür stand, deutete auf das Baby in meinen Armen. „Sally rief Dad an, Dad rief mich an."
„Und dann fliegst du einfach von New York nach Chicago?", fragte ich spöttisch.
Will verdrehte die Augen. „Ich bin zufälligerweise wegen einer Tagung in der Stadt." Er zog ein Geschenk hinter seinem Rücken hervor. „Ich möchte, ohne Streit und irgendwelche Differenzen meinen Neffen kennenlernen. Bitte."
Ich seufzte und verdrehte gleichzeitig die Augen, ehe ich zur Seite trat, um Will in die Wohnung zu lassen. „Na gut", seufzte ich. „Komm rein. Kaffee, irgendwas zum Trinken?"
„Solange du mir keine Säure anbietest."
Will war in die Wohnung getreten und schaute sich um.
„Hab ich leider nicht da."
Ich drückte die Tür zu und blickte ihn skeptisch an. „Ein Kaffee wäre nett. Wo ist Holly?"
„Sie schläft ein wenig. Sie lag schließlich 16 Stunden in den Wehen, war mehr als 36 Stunden wach."
Ich legte Jax in das Tagesbettchen neben der Couch und ging mit Will in die Küche.
„Sei ihr gegönnt. Ich nehme an, da beide einen Tag nach der Geburt zuhause sind, ist alles gut verlaufen?"
Ich nickte. „Ja. Beiden geht's gut."
Aus dem Wohnzimmer hörte ich plötzlich Gequengel. Ich ließ alles für die Zubereitung von dem Kaffee stehen und liegen und eilte zu den schreienden Jax. „Ich glaub, da hat wohl jemand Hunger", sagte ich und nahm ihn auf den Arm. Mir tat es schon leid für Holly, die ich deswegen aus dem Schlaf reißen musste.
Wenigstens musste ich sie nicht wecken, als sie Jax schreien hörte, saß sie kerzengerade im Bett und streckte die Arme aus.
Ich legte ihr mit den Worten: „Mein Bruder ist gerade da", den Kleinen in die Arme.
Holly schon irritiert ihr Top unter die Brust und runzelte die Stirn. „Woher weiß er das?"
Sie deutete auf Jax, als sie ihn an der Brust anlegte. „Jay? Hallo?"
„Äh", machte ich, als ich wieder zu mir kam. „Deine Mom hat meinem Dad angerufen und Dad Will."
„Oh, na dann. Kam denn schon was von deinem Vater?"
Ich schüttelte nur meinen Kopf. „Nichts. Nein. Aber wer weiß, ob noch was kommt."
„Okay", bemerkte Holly und strich Jax über die Wange, während dieser ruhig am trinken war.
„Will ist wegen Jax hier. Kommst du raus, wenn du fertig bist?"
„Aus dem Fenster springen ist schlecht", antwortete Holly ironisch.
Leise vor mich hin lachend, verließ ich das Schlafzimmer und zog abermals die Tür zu.
Will war nicht mehr in der Küche, sondern stand im Kinderzimmer von Jax.
Ich ging zu ihm. „Wirklich schön eingerichtet", lobte Will mich.
„Wir haben unser Bestes gegeben."
„Jax, heißt er also." Will deutete auf das mit LED beleuchtete, von mir handgemachte Namensschild über dem Bett. „Ja, da steht Jackson Alexander, wenn du richtig lesen könntest."
Will schnalzte mit der Zunge. „Ja, meine Augen sind schlecht."
„Das ist schlecht für einen Chirurg. Wie ist New York so?"
Will setzte sich in den Sessel neben dem Bett. „Naja, anfangs musste ich mich erst durchschlagen, aber mittlerweile habe ich mir einen Namen gemacht und fange diesen Monat in einer anderen Privatklinik an. Mehr Gehalt, weil dort teilweise die A-Prominenz des Landes vertreten ist."
„Dann kannst du ja fleißig Autogramme sammeln."
„Das werde ich definitiv tun", nickte Will und seine braunen Augen ruhten ein wenig auf meinem Gesicht. „Und was macht die Arbeit als Polizist?"
„Läuft ganz gut, obwohl es anstrengend ist."
„Wurdest du schon mal angeschossen?"
„Im Polizeidienst nicht, nein..."
„Und Afghanistan?"
„Möglicherweise", sagte ich gleichgültig und lehnte mich an den Wickeltisch an. Ich hatte keine Lust über meine Arbeit zu reden und wechselte das Thema. „Zieht es dich jemals wieder zurück nach Chicago?"
„Ich bin in New York sehr glücklich. Ich denke nicht, nein."
„Okay."
„Wann hast du das letzte Mal mit Dad geredet?", hakte Will plötzlich nach.
„Das letzte Mal, als ich euch eine Szene im Kelly's Tavern gemacht habe. Danach war Funkstille. Er hat sich auch noch nicht gemeldet, obwohl er weiß, dass Jax da ist."
„Du bist genauso stur, wie der Alte, Jay. Er wird sich auch nicht melden, solange du ihm das nicht persönlich sagst. Du kennt ihn."
„Da kann er lange drauf warten."
„Du dann auch."
„Dann ist es halt so." Ich konnte einen sichtlich genervten Unterton nicht verbergen und wechselte das Thema. Also fragte ich Will nach seiner Arbeit, und was er für verwirrende Dinge er dort erlebt hätte.
„Ich hatte sogar schon die B-Prominenz auf dem Tisch. Es gibt da so eine gestellte Realityshow auf MTV, sieben, oder acht Italo-Amerikaner machen New Jersey in einem wilden Partyurlaub unsicher."
Ich musste lachen. „Ich will's ehrlich gesagt gar nicht wissen. Halte mal lieber deine Schweigepflicht ein."
Will nickte und blickte plötzlich ernst.
„Was?", fragte ich.
„Ich meine, Holly und du, ihr beiden habt wieder zueinander gefunden", fing Will an und kratzt sich das Kinn. „Ihr habt einen Sohn, eine Wohnung, eine gemeinsame Zukunft."
Ich zog eine Augenbraue hoch, weil ich dem immer noch nicht ganz folgen konnte. „Ja, läuft alles perfekt."
„Wie die Sahne auf einem Eisbecher. Jax ist die Kirsche", murmelte Will vor sich hin.
Ich hatte immer noch keine Ahnung, was er von mir wollte und musste richtig bescheuert geguckt haben, da Will die Augen verdrehte.
„Was ist mit den Schokostreuseln?", fragt er mich.
„Kannst du nicht normal reden? So das ich das auch verstehe?", hake ich nach.
Abermals verdrehte Will die Augen. „Ich wollte dich eigentlich nur fragen." Will blickte zu Tür und sprach plötzlich leiser. Als ich meinen Blick über die Schulter warf, sah ich aber nichts. „Hast du schon mal darüber nachgedacht, Holly die Fragen der Fragen zu stellen?"
Ich wandte mich wieder zu Will. „Ob ich sie zur Halstead upgraden soll?"
Will lachte bei meiner Wortwahl. „Ja, dass meine ich." Er blickte mich abwartend an. „Warum hast du sie nicht schon gefragt?"
„Weil es perfekt so ist, wie es ist. Es kann doch nicht noch besser werden."
„Ach was. Das ist eben der Eisbecher mit der Sahne und der Kirsche... der ist schon der perfekte Wahnsinn, Jay. Da machen die Schokostreusel nichts aus, aber trotzdem doch etwas."
„Bist du High, oder so?"
Keine Ahnung, wie oft Will mittlerweile die Augen verdreht hatte, aber er tat es abermals, griff in die hintere Hosentasche, zog etwas heraus, griff mit der anderen Hand nach meinem Handgelenk und legte mir etwas hinein. Verwirrt blickte ich in meine Hand und sah eine schwarze Schachtel. „Das ist Moms Verlobungsring. Wann immer du bereit bist, du hast diesen bei dir."
Ich traute mich gar nicht die Schachtel zu öffnen und nickte nachdenklich. „Danke", murmelte ich. Es war nicht die Tatsache, dass ich Holly nicht nicht heiraten wollte, klar, will ich das. Das beklemmende Gefühl in meinem Hals wurde eben nur wegen dem Verlobungsring ausgelöst. Schließlich war es der Ring meiner Mutter. „Mom hätte es so gewollt, Jay. Sie hat Holly wirklich geliebt."
Das wusste ich.
„Woher hast du den überhaupt?", wollte ich wissen.
„Mom gab ihn mir. Ich sollte ihn aufbewahren. Derjenige, der als erstes heiraten wird, bekommt den Verlobungsring für seine Freundin. Naja, du bist offensichtlich näher dran."
„Ja, bin ich offensichtlich", sagte ich und mein Blick ruhte wieder auf der Schachtel.
Ich hatte die letzten Monate wirklich darüber nachgedacht, wusste aber nicht wann der richtige Zeitpunkt war, hatte nicht mal einen würdigen Ring finden können, wenn ich in der Pause mit Gordon den ein oder anderen Juwelier in der Innenstadt abgecheckte.
Jetzt hatte ich ja den perfekten Ring, den den meine Mutter stolz bis zu ihrer verfluchten Krankheit trug.
Das war wieder einer dieser unvorhersehbaren Denkanstöße, der Schubs in die richtige Richtung. Das hier, war der würdige Ring.
Die Schokoladenstreusel auf dem Eisbecher.
Das war alles was ich wollte.
Eine... meine Familie bei der ich alles besser machen konnte.

ENDE

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