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Heute

Jay
Durch den langen Flug und den nicht gerade vielen Schlaf, die Tage davor, saß ich ziemlich gerädert im Taxi. Immer wieder fielen mir die Augen zu, immer wieder legte ich mein lädierteres Gesicht an die, von der Klimaanlage, gekühlte Autoscheibe an.
Aber die Schmerzen in meiner gebrochenen Nase und unter meinen nicht mehr so angeschwollenen Auge, wollten trotzdem nicht weichen.
Nach dem ich gesehen hatte, dass mich der Taxifahrer abermals durch den Rückspiegel musterte, setzte ich meine Sonnenbrille wieder auf.
„Army?", fragte er mit dicken spanischen Akzent. Er stellte das Gedüdel im Radio leiser und wartete auf eine Antwort.
War das nicht offensichtlich? Ich trug die typische Army-Uniform, eine Kette mit meinem Dogtag um den Hals.
Trotzdem blieb ich höflich. „Ja, US-Army."
„Mein ältester Sohn auch. Habe jeden Tag Angst um ihn, und so wie sie aussehen, wird meine Angst nicht besser."
„Ja." Die Wunden und Narben an meinem Körper brannten urplötzlich wie die Hölle höchstpersönlich.
„In welcher Einheit ist Ihr Sohn?", wollte ich wissen, obwohl ich am liebsten nie wieder über Armeen und den Mist reden wollte.
Ich schaute ihm durch den Rückspiegel an.
„3rd Battalion 75th Ranger Regime. Army Ranger. Afghanistan."
Ich musste hart schlucken. Es waren nicht mehr viele von dieser Einheit übrig, dass wusste ich, weil ich selbst Teil dieser Einheit war. Vielleicht knapp zwanzig freiwillige Soldaten und Soldatinnen, die mit dem Scheiß, was passiert war, umgehen mussten.
Ich starrte aus dem Fenster und sah, dass wir bereits in dem Viertel waren, wo ich aufgewachsen war. Ich war nicht mehr weit von Zuhause entfernt. Das Zuhause, was sich nicht mehr wie ein Zuhause angefühlt hatte.
Ich wusste nicht, wo ich sonst hin sollte.
„Er kommt Ende der Woche zurück", redete der Taxifahrer weiter.
„Hat Ihr Sohn das gesagt, ja?"
„Ja, erst gestern. Hat uns angerufen."
Erleichtert atmete ich aus. Dann war sein Sohn, einer von den Überlebenden. Ich hakte weiter nach. „Wie heißt Ihr Sohn?"
„Jonathan."
Plötzlich hatte ich einen Kloß in den Hals. Es gab nur einen Jonathan, der mexikanischer Herkunft in unserem Trupp war.
Jonathan Gomez, gerade mal zwanzig Jahre alt, und der war keiner der Überlebenden. Also, wie konnte er dann gestern sagen, dass er nach Hause kommen würde? Wie- wenn sein Tod Wochen her war? Hatte er vielleicht was falsch verstanden? Oder war ich verwirrt? War er verwirrt?
„Jonathan Gomez. Mein jüngster Sohn", redete er weiter und fuhr in die Straße hinein, in der ich groß geworden war.
„735 West 47th Place!", verkündete er und pausierte den Taxometer. Er hielt vor dem Haus und ich schluckte. Die Rollos waren an sämtlichen Fenstern runtergezogen, die sechs Treppenstufen aus Holz waren lange nicht mehr geputzt wurden und auf der kleinen Veranda sammelten sich etliche alte Zeitungen an.
Ich bezahlte den Taxifahrer, gab ihm mehr Trinkgeld als eigentlich nötig.
Ich schob die Zeitschriften vor der Eingangstür weg, klingelte und klopfte, auf der Hoffnung mein Vater war überhaupt noch in der Wohnung. Oder am Leben.
Der Kontakt war schon seit längerer Zeit, genaugenommen zwei Jahre nach dem Tod meiner Mom.
Nach zehn Minuten, wandte ich mich zum Gehen und sah plötzlich meinen Dad zum Haus kommen. Vor den Treppen blieb er stehen und schaute mit verschwitztem Gesicht zu mir. Er sagte nichts, nahm mich nicht mal in den Arm. Schweigend schloss Patrick Halstead die Türen auf und ging hinein.
„Willst du da versauern?", rief er mir zu. Unter der Brille konnte er nicht mal sehen, dass ich wegen seiner kalten Aktion, Tränen in meinen Augen ansammelten.
Aber was sollte ich schon anderes erwarten. Nach Moms Tod, fühlte er gar nichts mehr. Er war verbittert und hasste jede Kleinigkeit.
Im Flur setzte ich die Sonnenbrille ab und musste den Schock erstmal verdauen. Es herrschte Chaos, geputzt wurde hier seit Ewigkeiten nicht mehr. Die Wände waren vergilbt, die Fotos meiner Mutter wurden von der Wand gehangen.
Mit achtzehn und zwei Jahre nach dem meine Mutter an Krebs verstorben war, schloss ich mich der Army an, weil ich nicht wusste, wohin ich sollte. Ich hatte die Highschool erfolgreich verlassen, arbeitete danach für ein Jahr im Festvertrag in Humberto's Autowerkstatt. Nachdem Holly mich abservierte, schloss ich mich der US-Army an, um mich selbst zu bestrafen. Und jetzt, nicht mal vier Jahre später, war ich wieder hier, blickte auf meinem armen Vater, der sich sichtlich gehen ließ und das liebevoll eingerichtete Haus meiner Mutter verwahrlosen ließ.
Hoffentlich sah mein Zimmer nicht genauso aus. Nachdem ich mich von dem ersten Schock beruhigt hatte, traten meine schweren Militärstiefel über kaputtes Glas, Bierflaschen und Müll. Die Taschen in meinen Händen, ließ ich nicht los. Ich stieg die knatschende Holztreppe in den ersten Stock hoch, in dem drei Schlafzimmer und ein Badezimmer vertreten waren. Auf dem Flur vor den Zimmern, sah es nicht besser aus.
Schockierend blickte ich durch die kaputt getretene Tür in das Zimmer meines älteren Bruders. Irgendeiner hatte dort drinnen gewütet und alles, was nicht niet und nagelfest war, kaputt getreten, oder geschlagen.
Ich wusste, dass Dad ziemlich sauer auf Will war, aber so doll... wow.
Ich warf einen Blick in das Schlafzimmer meiner Eltern. Hier herrschte immerhin Ordnung, aber staubgewischt wurde auch eine Zeit lang nicht mehr. Selbst das Krankenbett lag stand neben dem Ehebett meiner Eltern. Ich meine mich sogar daran zu erinnern, dass dort immer noch die Bettwäsche war, in der meine Mom eingeschlafen war. Rückwärts ging ich aus dem Zimmer hinaus und zog die quietschende Tür zu. Das letzte Zimmer, dass größte von allen, war meins. Die Tür war an gelehnt und als ich diese öffnete, atmete ich tief durch.
Mein Zimmer sah genauso aus, wie ich es damals verlassen hatte. Das Bett war gemacht, mein Zimmer aufgeräumt. Nur musste auch hier Staub gewischt und gesaugt werden. Ein paar Poster von Linkin Park, Eminem und Snoop Dogg, fielen fast von den Wänden. Die Luft hier drinnen war stickig und widerlich.
Ich trat hinein und schmiss meine Taschen auf mein Bett.
Als ich plötzlich Schritte hörte, wandte ich mich zur Tür. Dort stand mein Dad, die Hände in den Hosentaschen seiner kaputten und dreckigen Jeans gesteckt. Seine grünen Augen musterten mich. „Ist wohl einiges passiert, was?" Er deutete auf mein Gesicht, welches sichtlich grün und blau war und einige Wunden aufzeigte.
„Ja."
„Gehst du wieder zurück?"
Ich schüttelte meinen Kopf. „Ich bin fertig mit der Army."
„Durchziehen war noch nie euer Ding", bemerkte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ja, danke, dass hast du schon oft genug gesagt", murrte ich und wandte mich ab.
„Dein Auge sieht schlimm aus."
„Es ist am heilen. So wie der Rest auch."
„Hm, immerhin ist einer meiner Söhne in der Lage mich zu besuchen, oder brauchst du nur einen Unterschlupf, weil du sonst nirgends hin kannst?"
Ich schnaubte. „Du brauchst Hilfe. Was hast du mit dem Haus gemacht? Mom hat..."
„Fang bitte nicht mit Bonnie an!", sagte er laut und fest. „Kein Wort, über deine Mutter."
„Sie würde sich für dich in Grund und Boden schämen, Dad."
„Für dich, einen Nichtsnutz, der nicht mal die Army aushalten kann, genauso!", spieh er mir brüllend die Worte entgegen.
Es war so typisch. Da denkt man, man könnte normal mit meinem Vater reden und dann fängt er wieder an irgendwelche Vorwürfe zu machen, herumzubrüllen, zustänkern, oder sonst was!
Aber ich wusste nicht, wohin ich sollte. In Chicago hatte ich sonst niemanden und bei meinem Bruder in New York auftauchen, wollte ich jetzt auch nicht. Wir hatten uns ziemlich schlimm zerstritten und außer Gratulationen zu Geburtstagen kam nichts weiter.
Mir wurde abermals klar, dass mein Leben seit der Krankheit und dem Tod meiner Mutter ziemlich mies verlaufen war. Dad atmete tief durch und schien wieder runterzukommen.
„Du solltest dich untersuchen lassen." Er klang versöhnlich, als würde er sich gerade wirklich um mich Sorgen. Aber wer weiß, ob das nicht wieder die Ruhe vor dem Sturm war.
„Bin in Ordnung", murmelte ich und kämpfte mit den Tränen an. Ich starrte auf die Kommode mit den Bilderrahmen, die ich damals eigentlich umgedreht hatte. Aber Dad, hatte diese vermutlich wieder richtig hingestellt. Ich starrte auf eines der Fotos. Das Sommerfest unserer Highschool, wo Mom an der Tombola stand. Sie lächelte breit in die Kamera, während sie einen Vater das Geld aus der Tasche zog- das konnte sie im positiven Sinne gut. Fotos von Holly und mir. Aus den Augenwinkeln, sah ich immer noch, dass Dad am Türrahmen lehnte.
„Ich würde dich ins Krankenhaus fahren."
„Du riechst wie eine Kneipe. Warst du wieder in Kelly's Tavern?"
„Weiß nicht, wohin mit mir", gestand er. Noch war er auf seinem versöhnlichen Tripp. Ich musterte ihn skeptisch. „Wenn's dir recht ist, würde ich hier bleiben, bis ich eine Arbeit finde, um mir eine eigene Wohnung zu suchen."
„Dein Zimmer ist immer noch dein Zimmer."
„Und was ist mit dem Zimmer von Will passiert?"
Dad atmete tief durch die Nase durch. „Ich war nicht Herr meiner selbst. Im Gegensatz zu dir, lässt er sich nicht blicken, im Gegensatz zu dir, kommt kein Brief aus Übersee. Im Gegensatz zu dir, lässt er mich nicht wissen, ob es ihm gut geht, schickt kein Geld, um Blumen für das Grab deiner Mutter kaufen zu lassen."
Ob Dad das Geld, was ich ihn gab, jemals für die Blumen ausgab? Bezweifelte ich.
„Er ist doch nur in New York."
„Und da kann er auch bleiben. Oder siehst du es anders, Jay? Hattet ihr Kontakt zu einander?"
„Seit dem er abhauen ist nicht mehr", gestand ich. Das war nun auch sechs Jahre her.
„Deine Mutter erkrankte vor fast sieben Jahren, da hatte es Will nicht mal interessiert. Als es ihr Monate später schlechter ging, blieb er fern. Er war nicht mal bei der Beisetzung seiner eigenen Mutter dabei. Schickte nicht mal Blumen. Das sagt doch wohl alles."
Ich schluckte die Wut runter. „Deshalb sieht sein Zimmer so aus, wie es aussieht?"
Dad nickte. „Ich wusste mir nicht anders zu helfen."
„Ja, verständlich." Ich hätte mittlerweile auch nicht anders darauf reagiert.
Dad trat tatsächlich ins Zimmer. „Verflucht, Junge. Diese Bemerkung von gerade, tut mir leid. Du musstest wohl ziemlichen Scheiß dort drüben durchmachen."
„Ja, einiges", antwortete ich. Er legte plötzlich eine Hand auf meinem Nacken, als er bei mir stehen blieb. „Tu mir einen Gefallen und lass dich durchchecken."
„Hab ich bereits schon. Wir haben Ärzte in der Army. Die machen ihre Arbeit immer gut."
„Lass noch mal drüber gucken."
Ich seufzte. „Ich will aber nicht ins Krankenhaus. Mir geht's gut."
„Ich muss nur einen Anruf machen. Dann musst du nicht ins Krankenhaus."
„Dad. Ich hab hier ein Schreiben, dass ich gesund bin. Blaue Flecke und Narben sind ein normaler Heilungsverlauf."
Er war bereits aus dem Zimmer verschwunden, aber ich war zu erschöpft, um hinterher zu laufen.
Sollte er doch machen, was er für richtig hielt. Wenn irgendein Arzt hier auftauchen würde, würde ich diesem den Wisch unter die Nase halten. Fertig.
Ich zog das Rollo hoch und versuchte irgendwie mein Zimmer auf Vordermann zu bringen. Ich brauchte Putzzeug, sonst ging das nicht.
Als ich die Treppen nach unten lief, klingelte es an der Haustür. Nicht mal eine Viertelstunde war vergangen und ich blickte zu Dad, der aus der Küche kam und zu Tür ging. Ich blieb auf der untersten Treppenstufe stehen und blickte ihn entsetzt an. „Du willst den Besuch hier rein lassen? So wie's hier aussieht?" Da hatte er bereits die Tür geöffnet.

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