5
Jay
Holly hielt meine Hand, während wir beide durch den Kostümladen gingen und nach würdigen Kostümen suchten.
Nach dem Unfall waren knapp sechs Wochen vergangen. Holly war seit zwei Wochen die Krücken los, und hinkte nur noch, drei mal die Woche begleitete ich sie zur Physiotherapie, damit die Muskeln im Schienbein wieder aufgebaut werden konnten. Alle anderen Verletzungen waren abgeheilt und die Trauer über Parker teilweise überwunden.
„Ich habe nicht mal sonderlich Lust, auf die Party von dieser Meredith zu gehen", bemerkte ich, als Holly mich weiter durch die Gänge zog.
„Lucas steht auf Meredith und wir beide wollen ihn doch davon abhalten, damit er sieht, wie Scheiße Meredith eigentlich ist."
Holly blieb plötzlich stehen und griff nach einem Kostüm, welches sie mir hinhielt.
„Ich bin enttäuscht. Kein nuttiger Cop?", fragte ich belustigt. Ich grinste Holly an. Diese hing das Kostüm zurück. Dann musterte sie mich. „Du hast tatsächlich die Beine für eine hoch erotische Netzstrumpfhose", bemerkte sie und ging weiter.
„Ey, und den Hintern erst", sagte ich eingebildet und folgte ihr. „Nein, aber mal im Ernst. Ich mache das nur für Lucas. Ich weiß, dass er weiß, dass es die Gerüchte über Meredith gibt."
„Das sind keine Gerüchte. Das ist die Wahrheit", warf Holly ein und suchte weiter nach einem passenden Kostüm für sich. „Und anscheinend, ist Lucas so verblendet von Meredith, dass er alles vergisst. Als hätte diese Hale eine magische Pussy, oder so."
Ich schnaubte belustigt. „Ich glaube, daran liegt es nicht. Billige Preise, ziehen Kunden an. Und sie ist kostenlos."
„Sprichst wohl aus Erfahrung."
„Die ist nicht mein Typ und ich bin, Gott sei Dank, von ihren Avancen verschont geblieben. Ein Mädchen, was gefühlt die ganzen Typen auf der Tilden gevögelt hat. Nein, danke."
Ich schüttelte meinen Kopf.
„Mal angenommen, sie würde dir Avancen machen und uns würde es nicht in dieser Konstellation geben, würdest du dich auch auf sie einlassen- nur so zum Spaß."
Ich legte die Stirn in Falten. „Nein, nicht mit ihren zahllosen Vorgeschichten, nicht mit diesem ranzigen Charakter. Würde sie trotzdem nicht anrühren, auch wenn sie es versuchen würde. Man kauft sich doch auch keine abgenutzten Reifen."
Holly musste leise lachen. „Stimmt auch wieder."
Wir wechselten das Thema, sprachen über mögliche Kostüme. Letztlich fanden wir diese.
Holly griff zufrieden nach einem Lara Croft Kostüm, während ich gefallen an dem Werbetafel-Kostüm gegen Scheidentrockenheit fand. Holly kriegte sich gar nicht mehr ein, als ich ihr das Kostüm mit erhobenen Kinn präsentierte.
Selbst, als wir den Laden verließen und uns in der Fressmeile der Mall, bei Burger King etwas zu Essen holten, musste sie immer wieder los lachen. Ich war viel zu aufgedreht, weil Holly sich nicht mehr einkriegte und brachte sie mit Witzen weiter zum Lachen.
Ihr Lachen war's mir wert, auch wenn ich mich zum Affen machte. Ich griff nach meinem Cheeseburger und schaute nach, ob die auch wirklich die Gurken vergessen hatten, ich hasste diese grünen Dinger, aber trotzdem waren die drauf. Angewidert pulte ich die runter, wollte die in den Mülleimer neben mir werfen, verrechnete aber komplett die Flugbahn. Die labbrige Gurkenscheibe schallerte mit einem lustigen Flatsch in ein vorbeilaufendes Kind und blieb an der Stirn hängen. Das circa dreijährige Kind verzog, zu meiner Belustigung, das Gesicht, und fing an zu schreien und zu heulen. Ich zog meinen Kopf ein und wandte mich zu Holly, die mich mehr als entsetzt anblickte. Ihre Mundwinkel zuckten. Mit Mühe und Not, rissen wir uns zusammen. Ich stopfte mit den Burger in den Mund, während Holly sich ihrem Milkshake zuwandte und am Strohhalm saugte.
Die aufgebrachte Mutter zog dem Kind die Gurkenscheibe aus dem Gesicht, tröstete den armen Jungen. Keine Sekunde später, scheuerte sie die Gurkenscheibe auf mein Tablett. „Ihr Teenager seit ekelhaft!", fuhr sie mich lauthals an und ging weg. Ich schluckte den gekauten Burger runter und rief hinterher:
„Das war noch nicht mal mit Absicht. Der Mülleimer steht doch da!"
Das Interessierte anscheinend nicht. Sie beschwerte sich sofort bei einem Mitarbeiter, der Holly und mich aus der Essecke verwies. Netterweise räumten wir unser Zeug noch auf, schnappten uns die Einkaufstüten und gingen- peinlich berührt, und unter den anderen Blicken der Gäste.
Auf dem riesigen Parkplatz, der Chicago Ridge Mall, warteten wir auf meinen Dad, der uns abholen wollte. Er hatte uns an diesem Schulfreien Mittwoch, morgens rausgeschmissen und wollte uns eigentlich auch wieder abholen kommen. Eigentlich schon vor einer halben Stunde. Also blieb uns nichts anderes übrig, als an der Telefonzelle meine Mutter anzurufen.
Klar, gab es Handys, ich hatte eins, aber wenn ich nur begrenzt Geld hatte, war dieses schnell aufgebraucht, also lag mein Sony Ericsson nur zuhause rum.
Holly hatte ein Nokia und ebenfalls kein Guthaben mehr.
Will nahm das Gespräch an und erklärte mir, dass Mom und Dad sich schon wieder gestritten hatten, Dad zu Kelly's Tavern gegangen war, und es Mom wohl nicht gut ginge. Immerhin würde er uns abholen kommen, wir sollten uns gedulden.
„Und wann ist diese Halloween-Party? Doch nicht heute, wenn morgen wieder Schule ist!"
Ich saß auf dem Beifahrersitz des alten Volvos und blickte meinen Bruder an. „Erst am Freitag, Mutter Willhelmine", antwortete Holly. Ich lachte und selbst Will verzog die Lippen zu einem Grinsen.
Holly saß hinter mir, ich klappte die Sonnenblende mit dem Spiegel runter, um sie zu beobachten. Sie starrte aus dem Fenster, während sie eine dicke Haarsträhne aus dem Pferdeschwanz immer wieder um ihren Zeigefinger wickelte.
„Über was haben sich die beiden gestritten?", hakte ich nach. Ich sah, dass Holly interessiert nach vorne blickte und wandte mich meinem Bruder zu.
„Ach keine Ahnung, sie haben erst im Wohnzimmer geredet, irgendwas ist hochgekocht und dann haben sie über jeden Scheiß gestritten, über den man streiten kann."
„Verflucht. Nicht, dass sie sich wirklich noch trennen."
„Die haben sich oft genug zusammengerauft, aber in letzter Zeit, ist es echt schlimm... ich will dir keine Angst machen, Jay, aber ich glaube, dass hält nicht mehr lange."
Ich starrte auf das Armaturenbrett. „Beschwör das nicht herauf, verflucht!", bemerkte ich und fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. „Ich will das nicht."
„Willst du, dass die beiden sich immer weiter streiten und anschreien?"
„Nein."
„Siehste, dann wäre es, auch wenn's uns allen weh tut, dass Beste, wenn Mom und Dad einen Schlussstrich ziehen. Da hilft noch nicht mal eine Paartherapie, wie du vorgeschlagen hast."
Ich merkte plötzlich eine Hand auf meiner rechten Schulter, und ein Blick in den Kosmetikspiegel in der Sonnenblende verriet mir, dass Holly sich nach vorne gelehnt, ihre Hand auf meine Schulter gelegt hatte, um Beistand zu leisten. Ich hob meine rechte Hand an und schob meine Finger zwischen ihre, unsere Blicke trafen sich. Dankbar, schaute ich sie an- fuhr mit meinem Daumen, über ihren.
„Keine Ahnung. Das stresst mich", gab ich zu.
„Das ist das Leben. Mir geht's auch auf die Eier, Jay, aber was sollen wir dagegen machen, außer betteln, flehen und heulen, dass die aufhören sollen. Ich weiß, dass es momentan Zuhause keinen Spaß macht und du bei Wind und Wetter draußen bist."
„Er ist eigentlich immer bei uns", warf Holly ein.
„Geht das deinen Eltern nicht auf die Nerven?"
„Kein bisschen. Jay darf sogar an der Harley meines Dads rumschrauben. Sam darf nicht mal die Harley denken, da wirft Dad schon den Schraubenschlüssel nach ihm. Dein Bruder ist jederzeit bei uns Willkommen, wahre Worte, meiner beider Eltern."
„Wenn das so ist, ist das wohl in Ordnung. Soll ich dich gleich bei Holly mit rausschmeißen, oder kommst du mit nach Hause?"
„Hab noch Hausaufgaben und Mom wollte mir bei einem Referat helfen."
Holly stimmte zu. „Ja, ich hab auch noch Dinge zu erledigen."
„Also, schmeißen wir nur Holly aus dem Auto."
„Ich kann alleine aussteigen, braucht mich nicht rausschmeißen, oder treten", nuschelte sie.
„Du vermiest es auch einen immer wieder", lachte Will. Ich stimmte mit ein.
Holly hatte mir das Haar mit ihren Händen zerzaust, war dann mit ihren Einkaufstüten aus dem Auto gestiegen und zum Haus gelaufen.
„Gott sei Dank, keine schnulzige Herumknutscherei", murrte Will.
Ich verdrehte die Augen. Will fuhr erst los, als Holly auch wirklich im Haus verschwunden war.
Wie ich feststellte war Dad tatsächlich nicht da, meine Mom lag auf der Couch im Wohnzimmer, die Augen geschlossen und rieb sich die Schläfen. Auf dem runden Couchtisch lag ein Blister mit Tabletten. Daneben die offene Packung Schmerztabletten, die Mom in letzter Zeit viel zu oft einnahm.
„Dann muss ich das Plakat zum Referat wohl ohne deine Zeichenkunst machen", sagte ich und griff nach einer Wolldecke, damit ich Mom zudecken konnte.
„Tut mit leid", murmelte Mom. „Aber mir geht's gar nicht gut. Immer diese Kopfschmerzen, dieses Gekotze, die Übelkeit, dass macht mich fertig. Scheiß Migräne!"
„Warst du schon beim Arzt gewesen?", hakte ich nach.
„Das kostet doch Geld. Wir sparen für die Weihnachtsgeschenke."
„Kann ich drauf verzichten. Ich frage Will. Er das ja mit dem Gekritzel von dir." Ich streichelte Mom durchs rotbraune, glatte Haar.
„Das werte ich als Beleidigung", schnaubte Mom belustigt.
Leise lachend verließ ich das Wohnzimmer und lief nach oben. Ich war Mom nicht mal Böse, dass sie mir nicht helfen konnte, oder, dass sie nicht mal wissen wollte, welches Kostüm ich mir Freitag für die Party bei Meredith Hale ausgesucht hatte.
Will war nicht sonderlich begeistert, dass er mir bei dem Plakat für mein Referat in Biologie helfen musste, aber tat's trotzdem.
Er legte das Gespräch zu einer Elena auf, brachte das Telefon weg und kam dann in mein Zimmer. „Wobei muss ich armes Schwein dir helfen?", fragte Will nicht gerade beeindruckt und schmiss sich auf mein Bett. Ich erklärte es ihm. „Kannst du das nicht allein? Muss ich dir jetzt noch den Arsch abwischen?"
Ich blickte ihn an. „Bist eingestellt."
„Was?"
„Du hast den Job, als meinen persönlichen Arschabwischer. Morgen gibt's Dad's Chili, dass weißt du?"
Grinsend blickte ich Will an, der mir am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte, aber er blieb ruhig, sagte kein Wort und wandte sich meiner gestellten Aufgabe zu.
#fuckwar
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