46

Jay
Genervt schloss ich meine Spindtür ab. Vor zwei Stunden hätte ich schon längst Feierabend gehabt, aber durch einen anderen Fall, an diesem schon anstrengenden Tag, wurde mein Feierabend weitaus nach hinten geschoben.
Für mich hießen die Überstunden, dass ich mehr Papierkram vor mir hatte, den ich einreichen musste, sonst würde ich nie das Geld für die Überstunden erhalten. Da lief uns normalen Officer auch keiner hinterher, um einen daran zu erinnern.
  Ich brachte diese Unterlagen in das Sekretariat der Wache und wünschte dem alten und dicklichen Desk-Sergeant einen schönen Abend.
Als ich gerade durch die offen stehende Tür, in die Eingangshalle ging, sah ich Abel und Sergeant Voight durch die Eingangstür eilen.
Noch bevor ich auf die beiden zugehen konnte, blickte Abel direkt in meine Richtung und kam in Eile auf mich zu. Ohne meine Begrüßung zu erwidern, fragte er mich panisch und in Angst: "Hast du was von Holly gehört?"
Sichtlich irritiert blickte ich in Abels Gesicht und dann in Hank Voights, der ebenfalls zu uns kam. "Sie war doch mit Sally auf dem Weg nach Valparaiso. Dort ist sie doch auch angekommen, oder? Das hat sie mir auf jeden Fall geschrieben."
"Ja, natürlich", sagte Abel und versuchte sich irgendwie zu beruhigen, aber das schien nicht ganz zu klappen. Er sprach genauso aufgebracht weiter: "Holly ging es wohl nicht gut und sie wollte sich in einem Cloud-9-Laden neue Tabletten gegen die Übelkeit holen. Das ist jetzt acht Stunden her. Wann hast du das letzte Mal mit ihr geschrieben?"
Ich versuchte Abel zu folgen, und zog mein Handy aus meiner hinteren Hosentasche und ging auf den letzten Chat: den mit Holly. Die letzte Nachricht, die sie mir schrieb war zehn Minuten nach zwei Uhr.

Holly
Stehe vor dem Cloud-9 und haue mir gleich mal ein paar Kotztabletten rein. Der Kuchen von Nancy war wirklich grauenvoll gut.

Auf die Nachricht hatte ich Holly nur eine halbe Stunde später geantwortet. Diese war durchgegangen, wurde aber nicht gelesen. Ich las Abel und Hank die Nachricht vor. Dann atmete ich tief durch. "Und Holly hat sich wirklich nicht mehr gemeldet?" Ich tippte auf dem Handy herum und rief die Gesuchte an. „Der Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal..."
"Das haben wir auch schon versucht, Jay. Hollys Handy ist aus."
Ich versuchte es noch mal. Wieder, dass der Teilnehmer zur Zeit nicht erreichbar ist.
Innerlich drehte ich jetzt schon durch und konnte meine aufkommende Unruhe nicht verbergen. "Habt ihr das Handy wenigstens geortet?"
"Sie hat zuletzt mit Sam telefoniert. Dieser ist ebenfalls nicht mehr erreichbar. Beide Handys wurden bereits geortet. Was auch immer sie in New Chicago machen, sie sind dort."
New Chicago? Was wollen die beiden denn dort? „Dort waren ihre Handys das letzte mal in einem Sendemast eingeloggt. Das Auto von Sally wurde über das Navigationssystem geortet und befindet sich ebenfalls dort", erklärte Voight mir.
"Was wollen Sam und Holly denn in New Chicago?", fragte ich verwundert.
Abel und Hank kannten die Antwort ebenfalls nicht.
"Lass uns das doch einfach herausfinden. Wir haben den ungefähren Standort der Handys und ein Freund von New Chicago Police Department hält in der Gegend nach dem Auto meiner Frau Ausschau."
"Worauf warten wir denn noch?"
  Auch, wenn Sam bei Holly sein sollte, machte ich mir dermaßen sorgen, dass ihr und dem Baby etwas passiert sein könnte. Was zum Teufel wollen die beiden dort?
   Auf dem Weg zum zivilen Dienstfahrzeug von Abel, einem Chevrolet Geländewagen in einem dunklen Anthrazit, fragte ich, ob Holly, oder Sam irgendwelche Leute in New Chicago kennen würden. "Nicht, dass ich wüsste", antwortete Abel. "Die Telefonnachweise ergeben zu deiner Frage auch nichts. Weder Sam noch Holly kennen Personen aus New Chicago."
Ich musste schlucken und fragte mich unter anderem, was hier gerade abging.
Während der Fahrt und kurz nachdem wir Chicago südlich verlassen hatten, bekam Abel einen Anruf von einer Frau namens Erin. Da sein Handy mit der Freisprechanlage verbunden war, bekam auch ich auf der Hinterbank die neusten Optionen mit.
„Ich habe weiter recherchiert", fing diese Erin an. „habe die Route, Verkehrskameras und den Ping von Hollys Handy zusammengefügt. Sie hat die gesamte Fahrt, von dem Parkplatz des Cloud-9-Ladens, bis hin nach New Chicago mit Sam telefoniert. Dieser fuhr von Lansing los. Die Verkehrskameras bestätigten, dass Holly, sowieso Sam allein im Auto waren. Das Telefonat zwischen den beiden, ging fast fünfzig Minuten, bis es beendet wurde, sobald Sam in New Chicago auf Holly traf. Außerdem hat mich Sheriff McCall angerufen. Auf einem Parkplatz, südlich von New Chicago, stehen Sally's Autos und das Auto von Sam. Beide abgeschlossen. Ich schicke dir den genauen Standort. McCall will dich dort treffen..."
„...Hey, warte, ich hab was entdeckt!", hörte ich eine weitere Person im Hintergrund sagen.
„Was ist Antonio?", wollte Hank wissen.
Die Stimme wurde lauter. „Ich bin gerade noch mal die Verkehrskameras durchgegangen. Es scheint, als sei Holly die ganze Zeit hinter einem Wohnwagen her gewesen..."
„Wohnmobil", verbesserte diese Erin.
„Wem gehört dieser Wohnmobil?", fragte Abel ungeduldig.
„Hab ich schon überprüft. Die Kennzeichen auf diesem Wohnwagen existieren nicht. Die sind noch nicht mal gestohlen. Nichts. Diese Kennzeichen hat es nie gegeben."
"Habt ihr den Fahrer des Wohnmobils durch die Gesichtserkennung gejagt?"
"Bin ich gerade dabei", hörte ich Antonio sagen. "Aber die Fotos sind alle samt viel zu schlecht, um diese zu entwerten. Die Software ist doch erst seit Anfang der Woche aktiv. Nichts."
Da ich schräg hinter Abel und direkt hinter Voight saß, sah ich, wie ersterer, die Hände um das Lenkrad legte und zudrückte. "Noch irgendwas?", wollte Voight wissen, während Abel sich echt zusammenreißen musste nicht die Fassung zu verlieren. Konnte man ihm das verübeln?
Ich selbst war kurz davor, an die Decke zu gehen. Die Sorgen um Holly fraßen mich regelrecht auf und es wurde nicht besser. Immer wieder rief ich Holly an, hoffte, dass sie endlich das Gespräch annahm, aber immer wieder kam nur die mechanische Ansage, dass der Teilnehmer nicht erreichbar sei und ich es später probieren sollte. Drei oder viel Mal, hatte ich es sogar bei Sam versucht, aber dort bekam ich das gleiche Ergebnis.
Diese Ungewissheit machte mich regelrecht fertig. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas im Busch war. Wieso sollte Holly einen merkwürdigen Wohnmobil folgen?
Was war der Grund dies überhaupt zu tun und dabei Sam um Hilfe bitten? Wie konnte sie wissen, dass er in Lansing war, und nicht in Chicago: Lansing was näher an der Grenze zu Indiana war, als unsere Heimat? Oder war das alles nur ein bescheuerter Zufall?
Diese und sämtliche andere Fragen ratterten ununterbrochen in meinem Kopf herum und je näher wir New Chicago in Indiana kamen, desto mehr breitete sich ein schlechtes Gefühl in mir aus.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top