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Holly
Ich hatte eh nichts zu tun. Jay war Gesundgeschrieben und wieder Arbeiten, der grobe Haushalt war auch fertig, weshalb ich beschloss meine Mom zum Kaffee und Kuchen zu ihrer weggezogenen guten Freundin nach Indiana zu begleiten.
„Indiana?", fragte Jay am anderen Ende der Leitung.
„Du weißt schon, dass Indiana an Illinois angrenzt und Valparaiso ist gerade mal neunzig Minuten entfernt?"
„Ich bin nicht Google Maps. Und nur neunzig Minuten. Wow", schnaubte Jay belustigt. „Wie lange braucht ihr denn noch?"
„Mom tankt gerade, wir fahren gleich erst los, sodass wir um zwölf Uhr da sind."
„Achso." Ich hörte Papierrascheln und wie Jay von einem knackigen Sandwich abbiss.
„Pause wieder bei Subway?"
„Jepp", sagte er mit vollem Mund. Er gab irgendwelche Laute von sich. „So Mund wieder frei. Gordon steht noch am Tacostand an. Stehen vor dem 18ten, dem neuen Revier deines Bruders."
„Hast du ihn gesehen?"
„Vorm Med, er ist mit Voight unterwegs und hat uns einen kleinen Kriminellen abgenommen und somit den Fall."
„War bestimmt ein Informant."
„Woher du das wieder weißt."
„Ich habe schon einiges bei meinem Dad mitbekommen, also, kann ich, ob mans glaubt, das Polizei-ein-mal-eins, eins und eins, zusammenzählen."
„Wechsel doch. Die Police Academy nimmt wieder an", scherzte Jay.
„Nein, ganz bestimmt nicht. Ich könnte zwar mit Waffen umgehen und Leuten gerne aufs Maul hauen, aber nein..."
„Als ob du Leute schlagen könntest..."
„Ich arbeite jeden Tag mit Menschen zusammen, davon sind mehr als die Hälfte sture und verbitterte Menschen, die mich wie ein Stück Dreck behandeln, obwohl man nur helfen will. Aber als Krankenschwester einen Patienten eine Ohrfeige verpassen, ist moralisch nicht vertretbar. Ich war schon oft genug davor! Oft genug!"
Jay musste lachen. „Kann ich mir trotzdem kein bisschen vorstellen. Nicht mal den Gedanken, dass du solche Gedanken hast."
Wenn er nur wüsste.
Er biss wieder von seinem Sandwich ab. „Deine Mom soll vorsichtig fahren."
„Sie fährt immer vorsichtig. Keine Panik. Sag's eher den anderen Autofahrern."
Jay seufzte. „Gordon kommt zurück. Ich hoffe, er hat die Bohnen von seinen Tacos weggelassen."
Jetzt musste ich lachen. Gordon bekam von Bohnen immer dermaßen Blähungen, dass Jay fast ins Auto kotzen musste. „Schlag ihm den Taco aus der Hand und hol ihn ein Sandwich."
„Okay, normalerweise, sagst du, dass ich das durchstehen soll und jetzt gibst du mir diesen bösen Plan?"
„Ja, hast du was an den Ohren. Das hab ich gesagt. Aus der Hand schlagen, fertig."
„Wow." Jay kriegte sich gar nicht mehr ein. „Die Schwangerschaft bekommt dir gerade echt nicht."
„Nee, vor allen Dingen, wenn man mir etwas vor isst. Wir sehen uns heute Abend. Liebe dich."
Doch bevor Jay was sagen konnte, hatte ich aufgelegt und lief meiner Mom hinterher, die in die Tankstelle ging. „Moooom! Bringst du mir etwas zum Essen mit? Sandwich. Panini. Irgendwas?", rief ich ihr rüber.
„Mach ich", sagte sie, als sie im Laden verschwunden war. Ich setzte mich zurück ins Auto und zog mein Handy hervor, da ich eine Nachricht bekommen hatte.

Jay:
Gordon hat Liebeskummer. Ich darf mir das jetzt weiter anhören. Toll, oder?

Ich:
Hört sich super an... nicht. Ihr beiden seid doch Freunde und er hört dir sicherlich auch immer zu, oder?

Jay:
Ja, natürlich. Aber er wiederholt sich immer wieder und was soll ich da sonst noch sagen? Bin mit dem Latein am Ende.

Ich:
Einfach das Thema wechseln?

Jay:
Bringt absolut nichts. Hab ihm gerade gesagt, dass ich den Rest der Schicht nichts mehr davon hören will. Jetzt ist er ruhig.

Ich:
Fragt sich nur, für wie lange xD

Jay:
Hoffentlich bis zum Ende der Schicht. :D
Seid ihr schon los gefahren?

Ich blickte aus der Frontscheibe und sah, dass meine Mom mit einer Tüte in der einen Hand und mit ihrer Handtasche in der anderen zurück zum Auto kam.

Ich:
Mom kommt gerade aus der Tankstelle und dann fahren wir gleich los. Solange war ich noch nie tanken...

Jay:
Du kennst deine Mom. Sie hat immer die Ruhe weg. Meld dich, wenn du da bist. Ich muss auch zum nächsten Notruf. Ich liebe dich.

Ich:
Werde ich machen. Ich liebe dich.

Ich steckte mein Handy weg, als Mom ins Auto stieg und mir die Tüte in den Schoß legte. „Müsste doch für uns drei reichen", sagte sie und zog die Tür zu.
„Och, danke, Mom."
Ich durchwühlte die Tüte, stellte die zwei Wasserflaschen in die Getränkehalter in der Mittelkonsole und suchte zwischen den Chips,
Keksen und anderen Süßigkeiten nach etwas mit Schokolade. „Du kommst zu mir", sagte ich und griff nach dem Schokoladen-Kokosnuss-Riegel. „Willst du auch schon was?"
„Nein, danke", winkte Mom ab und fuhr los.

Eine halbe Stunde lang hörten wir nur der belanglosen Musik im Radio zu, bis Mom diese leiser stellte und sich räusperte: „Wann hast du eigentlich deinen nächsten Untersuchungstermin?"
„Am dritten April. Warum?"
„Dürfte ich dich einmal begleiten? Wenigstens einmal?", hakte sie vorsichtig nach.
„Jay und ich werden sicherlich nichts dagegen haben."
Auch, wenn das bedeutete, vorher meinen Arzt anzurufen und zu sagen, dass sämtliche Unterhaltungen, um das Geschlecht verboten sind.
Aber, irgendwie, fühlte es sich doof an meine Mom und alle anderen zu belügen.
Keine Ahnung, wieso und warum ich überhaupt auf die Idee kam, dass Geschlecht erst nach der Geburt zu verraten.
„Das ist toll. Wann am dritten?"
„Elf Uhr."
„Vielleicht erfahren wir dann endlich das Geschlecht von dem Baby!"
Mom war sichtlich aufgeregt, während ich nachdenklich auf dem Schokoriegel kaute.
„Mom?"
„Hm?", machte sie.
„Es wird ein Junge", sagte ich dann. Mom verzog ganz komisch das Gesicht. „Ich weiß es schon länger und eigentlich wollten wir euch nach der Geburt überraschen... ich hab's gerade ruiniert."
„Also am dritten April um elf Uhr im Med, richtig?"
Ich legte die Stirn in Falten. „Ja."
„Vielleicht finden wir dann das Geschlecht heraus."
„Mom?"
„Ja, Liebes?"
„Du hast mir doch gerade zugehört..."
„Tun wir so, als hätte diese Konversation nicht stattgefunden und ich mache am Stichtag einfach einen auf die überraschte Oma, einverstanden?"
Ich nickte nur. „Wenn's für dich okay ist Dad anzulügen."
„Das ist einfach. Mit den Jahren, hab ich gelernt, deinen Dad perfekt anzulügen. Ich hab's richtig perfektioniert und der Alte checkt auch nichts. Beispielsweise mit den Geschenken zum Jahrestag, Weihnachten, oder Geburtstag: er hat die immer erraten. Seit Jahren nicht mehr."
„Ich weiß, was du meinst. Dad anzulügen war anfangs recht schwer, aber dann ging es."
Mom runzelte die Stirn. „War das bei mir auch so einfach?"
„Ich konnte doch immer zu dir kommen, also, brauchte ich dich nicht anlügen... jedenfalls nicht so oft."

Als wir endlich in Valparaiso ankamen, schrieb ich Jay eine Nachricht und begleitete dann meine Mom in ein viel zu überschickes Haus in einer Einbahnstraße.
Mom hielt das Mitbringsel in ihren Händen, während ich die Türklingel bediente.
Nur einige Augenblicke später, öffnete eine kleine, dickliche Frau, mit kinnlangen gelockten Haar und einem ziemlich breiten Grinsen die Tür. „Oh mein Gott, Sally!", quietschte die Frau, überaus glücklich.
„Hallo, Nancy", entgegnete Mom mindestens genauso freundlich quietschend und nahm ihre alte Schulfreundin in den Arm. Nancy erwiderte und schunkelte meine Mom hin und her und als sie sich aus der Umarmung trennten, zeigte meine Mom auf mich. „Das ist meine Tochter Holly, die kennst du ja nur von Fotos."
„Was eine bildhübsche Tochter", bemerkte Nancy und umarmte mich überschwänglich.
Ich musste lachen und erwiderte netterweise die Umarmung. „Schön dich kennenzulernen, Nancy. Ich darf doch duzen?"
„Ich bitte dich darum. Kommt doch rein."
Sie trat schwungvoll zur Seite und ging mit schnellen, aber kleinen Schritten ins Innere des liebevoll eingerichteten Haus hinein. Mom folgte ihr sofort, während ich als letzte ins Haus ging und die Haustür zudrückte.
„Ich habe mich gestern und heute beim Backen ausgetobt und ich hoffe, ihr habt Hunger!"
Ich war den Stimmen, durch einen kleinen Flur in den Wohnbereich gefolgt. Im Wohnbereich war neben dem Wohnzimmer noch das Esszimmer und die offene Küche vertreten.
Der Esstisch war für mehrere gedeckt und Nancy deutete drauf. „Nehmt doch Platz. Habt doch sicherlich Durst und Hunger, oder?"
„Aber natürlich", bemerkte Mom.
Sie reichte Nancy das eingepackte Geschenk. „Eine Kleinigkeit- zum Dank für deine Einladung", bemerkte Mom.
Keine Ahnung, wie das möglich war, aber Nancy lächelte nun noch mehr, als eigentlich nötig, nahm das Geschenk an und stellte es auf die Kücheninsel. „Da bin ich aber mal gespannt, was du mir mitgebracht hast. Ich gucke später nach. Ich hole eben Ron und dann können wir erstmal essen."
„Wie du magst", sagte Mom.
„Setzt euch, fühlt euch wie Zuhause."
Als Nancy an mir vorbeiging, tätschelte sie kurz meine Schulter und verließ das Haus durch die Küche und eine weitere Haustür.
„Schaut sie jemals böse?", fragte ich Mom leise und setzte mich an den Esstisch.
„Ich kenn Nancy seit der Highschool und hab sie nie grimmig gucken sehen. Vielleicht ist das Lächeln ja schon festgewachsen, wer weiß."
Mom setzte sich neben mich. „Nancy ist aber eine ziemlich tolle Freundin. Sie kannte auch Bonnie flüchtig und die beiden mochten sich. Und durch Nancy hab ich Bonnie kennengelernt. Nancy zog zu ihrem Freund nach Indiana, der Kontakt schlief erstmal ein. Es blieben nur noch Bonnie und ich."
„Das mit dem einschlafenden Kontakt zu Freunden aus der Highschool kenn ich auch gut genug."
„Lydia?"
„Ja, hab sie das letzte mal auf ihrer geplatzten Hochzeit gesehen, später hab ich ihr noch mal geschrieben, dass ich schwanger bin, aber sie hat erst eine Woche später geantwortet. Das sei eine schöne Nachricht und wünschte Jay und mir Gute und Liebe für die Zukunft. Mehr kam bisher nicht und ich seh's auch nicht mehr ein, dass der Kontakt nur von mir ausgeht."
„Richtig so, ich hätte genauso gehandelt. Da weißt du auf jeden Fall, dass du Lydia doch nicht mehr so wichtig bist, wie damals."
„Ja, leider."

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