Prolog - Ben

„Glaubst du an all diese Geschichten?" Tiao und ich liefen in unserer menschlichen Gestalt nebeneinanderher durch den Dschungel. Wir waren auf dem Weg zu einem natürlichen Wasserbecken. Bis gerade eben hatten wir das schweigend getan, jeder seinen eigenen Gedanken nachgehangen oder auch nur ich. Die Menschen, die Gestaltwandler, hier schienen nicht von den gleichen Sorgen und Gedanken geplagt zu sein, wie die Menschen, die in der normalen Zivilisation aufwuchs. Sie führten ein einfacheres Leben mit deutlich weniger Luxus oder auch nur Annehmlichkeiten, dafür jedoch deutlich vereinter mit der Natur und im reinem mit sich selbst. Ich hatte den Eindruck, dass sie dadurch entspannter waren und es ihnen vielleicht sogar besser ging.

Ich beneidete sie darum. Das ich nun schon Monate unter ihnen dieses Leben zu führen versuchte, führte nicht dazu, dass mein Kopf sich von diesem Ballast befreien konnte. Er wurde leichter, ohne Fragen. Aber es war trotzdem noch da oder holte mich ein. Jedoch lernte ich mehr über mich als Gestaltwandler, ich lernte mit dem wilden Teil meiner Selbst eins zu werden und ihm zu vertrauen. Lernte meine animalischen Bedürfnisse zu erkennen und zu kontrollieren und spürte die wohltuende Ruhe der Natur um mich. Diese ausgleichende Energie, die ich nirgends anders so verspürt hatte wie hier.

„Welche Geschichten meinst du?", fragte Tiao nach, warf mir einen nachdenklichen Blick zu und trat dann vor mich, als der Weg schmaler wurde. Er war einen halben Kopf kleiner als ich und seine Haut hatte einen olivbraunen Ton.

„All das hier", erklärte ich und machte dabei eine allumfassende Geste, die er nicht sah, aber mit seinem stark ausgeprägten Sinnen sicherlich spürte. Die Gestaltwandler waren anders als all die Menschen, die ich kannte. Aufmerksamer und animalischer. Sicher in ihrem Können und Sein. Trotzdem wusste ich nicht, ob ich schon immer hier bei ihnen leben wollte, ohne jemals das Leben kennenglernt zu haben, dass ich noch bis vor wenigen Monaten führte.

„Zweifelst du daran, dass du ein Gestaltwandler bist, obwohl wir heute Morgen gemeinsam als Leoparden unterwegs waren?" Tiao sah mich nun an, als wäre ich es, der dabei war den Verstand zu verlieren. Vielleicht war ich es mittlerweile auch. In diesem Moment erschien mir alles, was seitdem sein Cousin mir über den Weg gelaufen war und in den Dschungel eingeladen hatte, so unwahrscheinlich.

„Natürlich nicht", wiegelte ich ab. „Aber was ist mit den Wiedergeburten, Tiao? Oder dieser Gefährtenblödsinn", zählte ich auf und kam dann zum eigentlichen Punkt: „Ich habe noch nie daran geglaubt, dass nach dem Tod irgendetwas kommt. Ich glaube, dann war es das einfach. Genauso wenig glaube ich an Schicksal, Zufall und auch an keinen Gott. Diese Legenden, diese Lehren, die deine Großmutter uns erzählt, fußen aber genau darauf. Es ist mein Schicksal sieben Leben zu führen und dass mit der mir zugewiesenen Frau..." Allein dieser Gedanke schien mir absurd, woher sollte irgendeine höhere Macht wissen, mit wem und wie mein Lebensweg vorbestimmt war und meine Stimme brachte das gut zum Ausdruck. „Überleg doch mal: Wenn das wahr ist, dann müssten diese Frau und ich immer wieder zur gleichen Zeit wiedergeboren werden, idealerweise an einem nicht zu weit entfernten Ort und müssten uns jedes Leben wiederfinden. Das erscheint mir unwahrscheinlich." Schier unmöglich, traf es eher. Jedoch war ich sicher, das Tiao meine Worte verstand.

Dieser war stehen geblieben, um mich anzusehen und ich redete mir meine Gedanken von der Seele. „Woher soll ich denn wissen, dass sie es ist? Und was, wenn ich eine andere will? Was passiert dann? Soll ich mich darauf verlassen, dass irgendeine höhere Macht weiß, was das Richtige für mich ist und es mir in den Schoß legt?"

Kurz huschte ein Schmunzeln über sein Gesicht, dann wurde er wieder ernst. „Du bist noch sehr jung, mein Freund." Die Geduld in seiner Stimme, die Nachsicht bewirkten, dass ich mich auf einmal wirklich jung fühlte und er mir viel älter vorkam als er war. Tatsächlich war sogar er der jüngere von uns beiden. „Und dir fehlt es gehörig an Vertrauen. Aber sei unbesorgt, es wird sich fügen und wenn du sie findest, dann wirst du wissen, dass sie es ist."

„Was macht dich so sicher, dass diese Legenden real sind? Du hast deine Gefährtin auch noch nicht gefunden." Ich folgte ihm als er den Weg wiederfortsetzte und stellte fest, dass ich mich verzweifelt, fast schon verraten fühlte, weil er meine Sorgen nicht zu teilen oder gar ernst zu nehmen schien.

„Unsere Vorfahren, unsere Legenden. In uns schlägt das Herz eines Leoparden, Ben, du bist kein Mensch. Du musst dich von dem Gedanken lösen, wie einer zu leben. Ein normales menschliches Leben wird dich nicht glücklich machen, es wird dein Herz nicht erfüllen und deine Bestie verwildern lassen. Vertrau auf deine Sinne, vertrau deinen Instinkten und glaub an den Kater in dir." Tiao sah mich eindrücklich an. „Er ist dein animalischeres Selbst und wenn du nicht auch diese Bedürfnisse berücksichtigst, wird es nicht lange dauern, bis du den Verstand und die Kontrolle verlierst." Ich zögerte lang, hörte seine Worte und verstand sie trotzdem nicht. Schlussendlich nickte ich. Wir wussten beide, dass was auch immer er mir sagen wollte, nicht zu mir durchgedrungen war. Doch ihm schien es zu reichen, dass ich darüber nachdachte und zu verstehen suchte.

Es würde Jahre dauern,bis ich mich a seine Worte zurückerinnern würde und selbst dann würde ich sie erst nach und nach zu verstehen beginnen.

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