Kapitel 8 - Ben

Ich sah sie erst am Donnerstag wieder. Ich parkte meinen Wagen am Tierheim und stieg aus. Mein Leopard, der, sobald es um Annika ging, sofort zur Stelle war, teilte mir mit, dass sie noch nicht da war. Er hatte einen Narren an dieser Frau gefressen, den ich noch nicht nachvollziehen konnte. Sicherlich, ich fand sie attraktiv. Mit ihrem herzlichen Lachen und ihrer hilfsbereiten Art, egal ob fremde Kinder, ausgesetzte Hunde oder mich, der noch keinen Anschluss in seiner neuen Heimat gefunden hatte, fand ich sie auch unglaublich anziehend. Aber mein Leopard hatte sich noch nie so für irgendeinen Menschen interessiert. Er tolerierte die meisten nur und verstand, dass meine Familie mir wichtig war, deswegen war sie es auch für ihn. Aber Annika? Remi war ihrer Fährte immer wieder gefolgt, noch bevor ich es bemerkt hatte. Er hatte mich auf sie aufmerksam gemacht. Anfangs war es diese Frage, was mein Leopard an ihr fand, gewesen, weswegen ich ihr in Gestalt meines Leoparden durch den folgte und weswegen ich am Dienstag ihre Nähe suchte. Die Antwort hatte mich brennend interessiert, doch die Antwort spielte im Verlauf unseres Gesprächs immer weniger eine Rolle. Was mein Bauchgefühl mir bereits nach unserem ersten Aufeinandertreffen suggeriert hatte, bestätigte sich schnell: ich mochte Annika. Mit ihr Zeit zu verbringen, um meinen Leoparden zu zähmen, war daher nicht die schlechteste Option. Als sie nun auf mich zu joggte, lächelte ich, da ich mich tatsächlich auf unseren gemeinsamen Lauf freute. Nicht nur wegen meines Leoparden, sondern auch wegen mir. Ich schätzte ihre Gesellschaft, die Unterhaltung war eine willkommene Ablenkung in meinem Alltag, der sich nur um das Geschäft drehte und jedes Mal, wenn sie lachte, schien ein Teil meiner inneren Anspannung zu verfliegen.

„Hi," mit einem breiten Lächeln, das ihr ganzes Gesicht zum Leuchten brachte, trat sie auf mich zu und umarmte mich kurz. Tief zog ich dabei ihren Duft ein und schloss einen Moment die Augen. Mein Leopard hatte recht, sie roch fantastisch. Nicht künstlich, sondern einfach nur nach sich selbst. Und genauso gut fühlten sich ihre weichen Kurven an, als sie mir diesen einen Moment so nah kam.

„Hi", erwiderte ich und musterte sie aufmerksam. Sie sah heute deutlich besser als Dienstag aus. Ich wusste, dass man Fremden nicht sofort all seine Probleme anvertraute, trotzdem hätte ich sie zu gern darum gebeten. Ich wollte alles von ihr wissen und seltsamerweise verspürte ich das Bedürfnis all ihre Probleme aus dem Weg zu räumen. Ein seltsamer Gedanke, nachdem ich sie erst seit kurzem kannte.

„Ich muss nur kurz Dusty holen und dann können wir los."

„Ich begleite dich."

Nickend wandte sie sich dem Eingang zu, klingelte kurz und stieß dann die Tür auf. Schnellen Schrittes führte sie mich durch einen kleinen Hof, an verschiedenen Gehegen und Käfigen vorbei, die von Katzen, Vögeln und Schildkröten bewohnt wurden. Eine ältere Frau mit schlohweißen Haaren und breiten, silbernen Creolen kam uns entgegen. Als sie mich hinter Annika entdeckte, wurde ihr Blick neugierig.

„Hallo Nika, wem hast du denn dabei?"

„Das ist Ben, er ist vor kurzem hergezogen und kümmert sich als Bauleiter um das neue House of Everyone. Wir wollen zusammen Joggen gehen."

„Cecilia", stellte sie sich selbst vor und reichte mir kurz ihre beringte Hand. Ihr Händedruck war fest, genau wie der Blick aus ihren goldbraunen Augen. Fast schien es, als wollte sie mich prüfen und was immer sie sah, schien sie zufrieden zu stellen.

„Kann ich euch dann noch Wanda mitgeben? Zurzeit sind so viele krank, dass wir einfach nicht hinterherkommen und mit jedem Hund jeden Tag laufen können."

Annika sah fragend zu mir und ich nickte ihr kurzentschlossen zu. „Ja, wir nehmen sie mit. Ich kann auch die nächsten drei Abende jeden Abend kommen."

„Ich auch", setzte ich gleich meinen Fuß in die Tür. Besser konnte es nicht laufen. Ich wollte jede Gelegenheit nutzen, um Annika besser kennenzulernen. Unsere Joggingrunde erschien mir dafür am unverfänglichsten, solange ich noch nicht wusste, worauf ich abzielte. Mein Leopard grummelte bei diesen Gedanken. Wir hatten beide schon eine gewisse Vorstellung von meinem Ziel, überraschender jedoch war das wir übereinstimmten.

„Das ist super. Wir können gerade jede Hilfe brauchen." Cecilia riss mich mit ihren Worten aus meinen Gedanken und ich drängte sie zurück. Ich hatte später noch mehr als genügend Zeit, um mich mit meinen Zielen und meinem Leoparden auseinanderzusetzen. Wie immer, wenn Annika in meiner Nähe war, verhielt er sich ruhig, sodass ich mir fast wie ein normaler Mann vorkam und mich in ihrer Gegenwart entspannen konnte. Es war ein Geschenk des Himmels.

Cecilia führte uns an Käfigen mit Hunden vorbei, manche beachteten uns gar nicht, wieder andere kläfften oder kamen neugierig zur Tür gerannt. Es bedrückte mich all die Fellnasen zu sehen, die aus welchem Grund auch immer hier gelandet waren. Kein Tier sollte sein Leben hinter Gitterstäben verbringen.

Vor einem Käfig blieb Cecilia schließlich stehen. Ich kannte mich mit Hunderassen nicht aus, aber es war ein schönes Tier, dass ich nicht im Tierheim erwartet hätte. Groß, mit rötlichbraunem glattem Fell und Schlappohren. Abwartend stand die Hündin in ihrem Käfig und sah uns an.

„Warum ist sie hier?" Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen.

„Ein Pärchen hat sie gekauft und als die Beziehung auseinander ging, konnte keiner von beiden sich noch um den Hund kümmern. Vermutlich wird sie schnell wieder ein neues Zuhause finden. Sie ist gut erzogen, keine zwei Jahre alt und hat keine Krankheiten. Komm her, Wanda." Sie öffnete die Tür und der Hund kam näher. Ich streckte die Hand aus und wartete, bis ich das Gefühl hatte, dass ich sie streicheln durfte.

„Perfekt, ihr beide versteht euch. Ich hol die Leine und das Halsband." Annika trat näher und beugte sich auch vor, um die Hündin zu streicheln. Nur zu gern ließ diese es zu. Dann ertönte auf einmal ein hartes, fast schon forderndes Bellen und Annika richtete sich lachend auf. Ihr Blick glitt zu einem der hinteren Käfige aus dem der Lärm kam. Ich folgte ihrem Blick und musste auch lachen. Kurz streifte meine Schulter ihre und sie sah mit diesem gelösten Lächeln zu mir. Eine Strähne hatte sich aus dem Dutt in ihrem Nacken gelöst und fiel ihr seitlich ins Gesicht. Nur zu gern hätte ich sie ihr zurückgestrichen. Als hätte sie meine Gedanken gelesen strich sie sich lächelnd die Strähne hinter ihr Ohr. Sie war wunderschön.

„Ich glaube, da ist jemand eifersüchtig." Dümmlich nickte ich, da sie mir die Sprache verschlagen hatte. Sie bemerkte nichts davon, sondern wandte sich ab und lief zu dem kleinen Mischling, während ich ihr hinterher sah. Wanda, die ihren Kopf an meiner Hand rieb, riss mich aus meiner Faszination. Ich musste mich mehr zusammenreißen. Dankbar wandte ich mich wieder der Hündin zu, bis Cecilia kam und mir die Leine reichte.

Als wir mit den Hunden ein kleines Stück vom Tierheim entfernt waren, starteten wir gemeinsam unseren Lauf. Dusty lief ruhiger mit als Wanda, die immer mal wieder hier und da schnüffelte und am liebsten stehen geblieben wäre. Es war offensichtlich, dass sie es nicht gewohnt war, doch sonst machte sie sich gut und umso länger wir liefen, umso besser lief sie mit. Annika erzählte mir von ihrem Tag und dem Film, den sie gestern mit einer Freundin bei der Ladies Night im Kino geschaut hatte und fragte mich nach dem Bauprojekt. Die Zäune waren gestellt, die ersten Fahrzeuge würden morgen kommen, damit es Montag richtig losgehen konnte. Es lief bisher alles nach Plan.

Sie fragte nach meiner Familie und ich erzählte ihr von Cat und meinen Eltern. Sie verriet mir, dass sie bei ihrer alleinerziehenden Mom aufgewachsen war, ihren Dad nicht kannte und ihre beste Freundin Taliah, die Schwester war, die sie nie hatte. Wir lachten viel, weswegen wir am Ende tatsächlich nur noch liefen und miteinander redeten. Als ich ihr vorschlug, sie nach Hause zu fahren, stimmte sie sogar sofort zu. Ich hatte das Gefühl einen kleinen Sieg errungen zu haben, als ich ihr wortlos die Tür aufhielt und sie sich dankend in den Ledersitz fallen ließ. Als ich auf der Fahrerseite einstig und mir ihr zarter Duft entgegenkam, erfüllte es nicht nur den Leoparden, sondern auch den Mann in mir mit Zufriedenheit. Irgendetwas sagte mir, dass es richtig war. Sie beschrieb mir den Weg und mit dem Auto dauerte die Fahrt keine fünf Minuten. Das ihr Weg nach Hause nur so kurz war, beruhigte mich ein wenig. Ich hatte mich nicht wohlgefühlt, sie das letzte Mal bei der Dunkelheit allein nach Hause laufen zu lassen.

Annika lehnte sich über die Mittelkonsole, um sich mit einer Umarmung zu verabschieden und ich wünschte ihr eine gute Nacht. Ich sah ihr dabei zu wie sie zum Eingang ging, aus einem Briefkasten Post und Zeitung entnahm und bewunderte ihre Rückseite. Kurz bevor sie durch die Tür verschwand, drehte sie sich noch einmal um und winkte mir mit diesem unglaublich warmen Lächeln zu. Ich erwiderte es auch wenn sie es in der Dunkelheit unmöglich sehen konnte und startete den Motor erst nachdem die Tür ins Schloss gefallen war. Jetzt wusste ich auch, wo sie wohnte. 

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