Kapitel 7 - Annika
Als ich am Dienstag mit Dusty meine Joggingrunde drehte, kam er mir entgegen. Letzte Woche Donnerstag hatte ich ihn das erste Mal gesehen und ihn erkannt. Bei der Vorstellung des Bauprojekts war schließlich auch ein Foto des Bauleiters gewesen. Benjamin Arden. Sein Blick hatte etwas raubtierhaftes gehabt, als er mich letzte Woche mit seinen grauen Augen gemustert hatte. Starr und konzentriert, bis er blinzelte und mir dann ein kaum sichtbares Lächeln schenkte. Es hatte trotzdem nicht über die Anspannung seines Körpers hinwegtäuschen können.
Als er mich jetzt anlächelte, war es breiter und offener. Unwillkürlich fragte ich mich wie viele Frauen er schon mit diesem Lächeln eingefangen hatte. Vermutlich zu viele. Er sah gut aus und seine Haltung war so selbstbewusst, dass er es wissen musste. Hochgewachsen mit breiten Schultern und schmalen Hüften, dazu die dunkelblonden fast braunen Haare, die nun kürzer als bei unserem letzten Zusammentreffen waren.
„Hi Annika." Seine Stimme war es, die mich auch dieses Mal wieder einfing. Tief und etwas rau, irgendwie vertraut, obwohl ich mir sicher war, dass ich ihm noch nie zuvor begegnet war. Er war niemand, den man vergessen würde. Seine Präsenz war zu intensiv, raumeinnehmend.
„Nika", korrigierte ich ihn automatisch und blieb stehen. „Hallo." Einen Moment sahen wir uns nur in die Augen. Ich bemerkte gar nicht wie ich mich in dem hellen, konzentrierten Blick verlor, bis er blinzelte und sich dann hinabbeugte, um Dusty seine Hand zum Schnuppern entgegenzuhalten. „Das würde ich nicht machen", versuchte ich ihn zu warnen. Doch entgegen meiner Befürchtung, trat Dusty näher zu mir, sein schmaler Körper drückte sich seitlich an mein Bein. „Sei vorsichtig, er schnappt oft zu bei Fremden."
Ungeachtet meiner Warnungen hockte Ben sich hin und wartete geduldig, bis Dusty sich vorlehnte und schnupperte. Überrascht sah ich dabei zu wie der kleine, scheue Hund schließlich seinen Kopf an Bens großer Hand rieb. Ich lächelte. So verkehrt konnte unser Bauleiter nicht sein, Tiere hatten ein Gespür dafür und Dusty schien mir besonders vorsichtig zu sein.
„Wie heißt er denn?" kurz warf er einen Blick zu mir hoch. Seine hellgrauen Augen stachen aus dem gebräunten, kantigen Gesicht hervor, genau wie die tiefen Augenringe darunter und ich fragte mich unweigerlich, was diesem atemberaubenden Mann den Schlaf raubte. Er war vermutlich ein paar Jahre älter als ich, Ende zwanzig schätzte ich. „Dusty, er wohnt im Tierheim und ich versuche so oft es geht mit ihm Laufen zu gehen."
„Das ist cool." Er streichelte Dusty und stand dann auf. So nah vor mir überragte er mich fast um einen Kopf und ich schnappte einen Hauch seines Geruchs auf. Männlich. Herb. Angenehm. „Darf ich mich euch anschließen?" Ebenso wie ich, trug auch er Laufkleidung.
„Klar, wir laufen allerdings in die Richtung, aus der du kommst."
„Das stört mich nicht." Wir fanden schnell ein gemeinsames Tempo und ich war froh um die Gesellschaft, da er mich von dem Gedankenkarussell in meinem Kopf ablenkte. „Wie oft gehst du Laufen?", fragte er mich.
„Vier bis fünfmal die Woche. Es kommt ein bisschen drauf an, was ansteht. Und du?"
„Fast jeden Tag, wenn ich es einrichten kann. An manchen Tagen hänge ich nur von dem Bildschirm rum, ich brauche das als Ausgleich."
Ich nickte. „Kann ich verstehen. Für mich ist es ein Tagesabschluss, danach sind meine Gedanken irgendwie ruhiger", verriet ich ihm. Mein Kopf liebte es sich mit allem möglichen zu beschäftigen und die Bewegung beim Joggen half mir zur Ruhe zukommen. „Aus welcher Richtung kommst du, dann können wir hier in die andere rennen, wenn du magst?" fragte ich ihn, als wir auf eine Weggabelung zuliefen.
„Gern. Von links."
„Okay." Häufig war genau das meine Route, doch ein bisschen Abwechslung tat gut.
„Du bist wegen dem Projekt hierhergezogen, oder?" fragte ich ihn dann neugierig. Es war schön, endlich Mal wieder mit jemanden zulaufen und dabei zu quatschen. Bevor Lukas weggezogen war, waren wir regelmäßig gemeinsam Laufen. Er als Training für sein Fußball und ich, weil ich es einfach gern tat. Wieder einmal wurde mir bewusst, dass ich unsere Freundschaft viel mehr vermisste als die Partnerschaft mit ihm.
„Nicht nur", gestand er und neugierig sah ich zu ihm. „Als wir das Projekt angenommen haben, war eigentlich geplant, dass ich es auf Dienstreisenbasis betreue. Jedoch ist mir in letzter Zeit immer mehr die Decke auf den Kopf gefallen und ich hatte das Gefühl, dass ich raus aus der Stadt musste. Ich hatte kein konkretes Ziel, für das Projekt ist es perfekt." Er zuckte mit den Schultern. Was vermutlich so viel hieß: und hier bin ich nun. Gern hätte ich ihn gefragt, weshalb ihm die Decke auf den Kopf fiel. Doch diese Frage schien mir zu persönlich für unser erstes Gespräch, zudem hatte er mir schon einen ordentlichen Vertrauensbonus mit diesem Geständnis gegeben.
„Seit wann bist du schon da? Hast du einen ersten Eindruck bekommen können, ob es der Tapetenwechsel ist, den du brauchst?", fragte ich ihn ehrlich interessiert.
„Das ist jetzt meine vierte Woche hier, also nicht lang. Ich bin noch dabei die Umgebung zu erkunden und mich einzuleben. Die richtige Entscheidung war es auf jeden Fall", meinte er und sah mich einen kurzen Moment lang direkt an.
„Das ist gut." Kurz zögerte und überlegte ich, doch ich denke es würde passen. „Ich gehe nächste Woche Mittwoch mit ein paar Freunden bowlen. Falls du Lust und Zeit hast, kannst du gern mitkommen", lud ich ihn ein. Das würde ihm vielleicht auch helfen ein wenig Anschluss bei uns zu finden.
„Danke für die Einladung, ich werde es mir überlegen. Wann trefft ihr euch und wo?" Es war so einfach sich mit ihm zu unterhalten und auch das Laufen passte super. Ich war froh, dass wir uns über den Weg gelaufen waren. Als wir zur Abzweigung zurück in die Kleinstadt kamen, blieb ich stehen und er tat es mir gleich.
„Ich muss hier zurück. Vielen Dank für die angenehme Begleitung." Ich lächelte ihn an, auch wenn ich von seinem Gesicht aufgrund der Dunkelheit nicht mehr so viel sah.
„Ich kann dich noch begleiten", bot er an. Bevor ich den Kopf schütteln konnte, setzte er schon nach: „Es ist dunkel. Ich würde mich wohler fühlen, wenn du nicht allein unterwegs bist." Er war süß und er würde es vermutlich hassen, wenn er wüsste, dass dieser Gedanke durch meinen Kopf schoss, daher ließ ich mir nichts anmerken.
„Das ist nett von dir, aber nicht nötig. Ich laufe meistens zu der Zeit, die Dunkelheit stört mich nicht." Ich tat das bereits so lang, dass ich schon gar nicht mehr wusste, wann ich mich das letzte Mal unwohl in der Dunkelheit gefühlt hatte. Zudem war ich den Großteil dessen mit einem Vierbeiner unterwegs, eine zusätzliche Stütze meines Selbstvertrauens und Sicherheitsgefühl.
Ich sah, dass er die Lippen zusammenpresste. Ihm gefiel es offensichtlich gar nicht, dass ich allein unterwegs war. „Würdest du mir dann wenigstens schreiben, wenn du gut zuhause angekommen bist?", fragte er.
Verdutzt brauchte ich einen Moment und nickte dann: „Kann ich machen, aber dann brauche ich noch deine Nummer."
Auffordernd hielt er mir die Hand hin: „Ich tippe sie schnell ein." Es war ihm tatsächlich ernst.
Nachdem er mir mein Handy zurückgegeben hatte, verabschiedete ich mich: „Bis zum nächsten Mal."
Er umarmte mich kurz. „Melde dich bitte." Es war ihm wichtig. Ich nickte daher. So viel Sorge um mich war ich nicht gewöhnt. Es war ein ungewohntes Gefühl, dass dafür sorgte, dass mir wärmer wurde.
„Mache ich", versprach ich. Als ich zuhause ankam, schrieb ich ihm das nicht nur, sondern schickte ihm auch die Adresse und die Zeit fürs Bowling und informierte unsere Gruppe, dass wir eventuell einen weiteren Mitspieler dabeihaben würden.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top