Kapitel 5 - Annika

Die kommenden Wochen verliefen im üblichen Rhythmus. Lukas schickte mir Stellenanzeigen durch, denen ich nur einen kurzen Blick schenkte. Mein schlechtes Gewissen wurde immer größer. Verdammt, wie hatten wir so aneinander vorbeireden können? Ich wollte es ihm allerdings noch immer nicht am Telefon erzählen, ganz abgesehen davon, dass wir kaum telefonierten und schrieben erstrecht nicht. Also schlug ich vor das kommende Wochenende bei ihm zu verbringen. Fehlschlag, er hatte keine Zeit. Er musste für die letzte Prüfung lernen und ich würde ihn nur ablenken. Das Wochenende danach konnte er nicht, weil er mit den Jungs nach Mallorca fliegen würde. Das hatten sie sich nach der harten Prüfungsphase verdient. Es war zum Haare raufen. Als ich ihn dann in der nächsten Woche erwischte, erzählte er von seinem Mallorca Urlaub mit den Jungs und dass er seine Bewerbung für London verschickt hatte.

„Hast du deine auch endlich verschickt?" Wir skypten und er sah erwartungsvoll in die Kamera.

„Lukas, darüber wollte ich schon länger mit dir reden. Ich kann nicht mit nach London kommen." Im Hintergrund hörte ich einen seiner Mitbewohner seinen Namen rufen. Lukas sah kurz weg und dann wieder zu mir auf seinem Handy.

„Red nicht so einen Unsinn, Annika. Natürlich kommst du mit. Mach deine Bewerbung fertig! Ich habe einen Prof, der schaut nochmal drüber." Noch einmal wurde sein Name gerufen und er rief so laut, dass ich zusammenzuckte, zurück: „Ja, eine Sekunde." Dann wandte er sich wieder mit zu: „Ich muss weiter, lieb dich", und dann war er weg. Einen Moment starrte ich ungläubig auf den Bildschirm, dann warf ich mein Handy frustriert von mir und ließ mich auf den Rücken fallen. Ich hatte im Schneidersitz auf meiner Bettkante gesessen, sodass ich weich fiel. Dieses Telefonat war ein Sinnbild für die Beziehung zwischen Lukas und mir, so lief es die letzten Monate nahezu jedes Mal. Verdammt. Verdammt. Verdammt. Ich hatte kein Bock mehr auf den Mist. Ich war genervt und frustriert zur gleichen Zeit. Ich versuchte Verständnis für Lukas zu haben, aber so langsam versagte meine Geduld. Ich wollte wieder den Jungen zurück, mit dem ich über alles reden, mit dem ich scherzen konnte und der mir eine Schulter zum Anlehnen bot, wenn ich mal wieder stolperte. Ich fragte mich, ob er es noch wäre, wenn wir die Grenze der Freundschaft nicht überschritten hätten. Fragte mich, ob ich in dieser Beziehung zu viel verlangte und zu wenig gab. Vielleicht war es mein Fehler, überlegte ich und wusste trotzdem nicht, was ich ändern, wo ich ihm noch entgegengekommen konnte. Ich hatte das Gefühl, dass ich es tat und trotzdem war er noch immer so meilenweit entfernt von mir. Meine Augen drückten und ich presste meine Finger dagegen. Ich hasste es zu heulen, aber der Zustand meiner Beziehung zu Lukas machte mich krank. Ich brauchte keinen Liebhaber, aber ich brauchte meinen besten Freund und mit dieser Beziehung hatte ich weder das eine so wirklich und das andere hatte ich dabei verloren. Ich würde noch darüber nachgrübeln und auch mit Taliah und meiner Mom reden müssen, doch in meinem Kopf reifte eine Entscheidung.

Ich war nicht mehr glücklich mit meiner Beziehung zu Lukas. Vielleicht war es an der Zeit, dass wir einander mehr Freiraum ließen? Dann konnte er sein Glück in der Fremde suchen und ich meines hier finden. Und vielleicht würde uns der Abstand auch wieder zu Freunden machen.

Eine kleine Stimme in meinem Inneren wies mich daraufhin, dass ich ihn dadurch vielleicht auch für immer verlieren konnte. Doch hatte ich das nicht ohnehin schon oder war es aufgrund des Studiums normal, dass er keine Zeit mehr hatte? Hatte er so viel Stress, dass er keinen Kopf mehr für mich und meine Sorgen hatte? Ich zweifelte und wusste keine Antwort.

* * *

Mittwochs fing ich üblicherweise erst später an zu Arbeiten. Nachdem Aufstehen machte ich mir Kaffee und rollte meine Sportmatte aus. Mit dem Kaffee neben mir, folgte ich den Yogaübungen aus dem Video und erledigte dann meinen Haushalt. Dank der kleinen Wohnung brauchte ich nicht lang, gönnte mir noch ein paar Seiten meines neusten Buches und machte mich dann auf dem Weg zur Arbeit.

Nach der Arbeit nahm Lizzy mich mit zum Mexikaner. Taliah, Chris und Amalia warteten bereits auf uns. Kaum das wir saßen kam auch noch Philipp. Wir trafen uns fast jeden Mittwoch mit wechselnden Teilnehmern. Vor einem Jahr war auch Lukas noch regelmäßig dabei, das letzte Mal musste mehr als ein Dreiviertel Jahr her sein.

Wir tauschten uns über die vergangene Woche aus. Fühlten mit und lachten auch ein bisschen als Amalia uns von ihrem letzten Autofail erzählte. Sie hatte es mal wieder geschafft einen neuen Kratzer in ihre Felge zu fahren. Chris erzählte von seiner Chinareise und zeigte uns ein paar Bilder. Es war ein schöner Abend. Als wir den Mexikaner verließen, hatte Taliah schon in der Kegelbahn angerufen und eine Bahn für den Mittwoch in zwei Woche reserviert, während ich die Info gleich in unsere Gruppe gepostet hatte. Nächsten Mittwoch war Ladies Night im Kino, die Männer würden sich an dem Abend etwas anderes suchen. Chris nahm mich mit als wir uns auf dem Heimweg machten. Er wohnte in der gleichen Straße wie ich.

„Gehst du mit Lukas nach London?" fragte er mich, während der Fahrt. Überrascht sah ich ihn an und seufzte dann. Wie kam er denn jetzt auf dieses Thema?

„Nein, ich bleibe hier. Warum?" Ich hoffte, dass Lukas es nicht so herum erfahren würde. Allerdings hatte ich nicht vor, um den heißen Brei zu reden. Meine Entscheidung war klar und wenn Lukas mir einmal zuhören würde, wüsste er es schon längst.

Chris nickte, als hätte er diese Antwort erwartet. „Lukas meinte es letztes Mal, aber es hätte mich wirklich überrascht. Du hast noch nie ein Wort davon erzählt." Er zuckte mit den Schultern und ich nickte. Selbst sein Freund wusste besser Bescheid als Lukas selbst und dass obwohl ich nicht einmal mit Chris darüber gesprochen habe.

„Ja, ich schaffe es irgendwie nicht es Lukas zu erzählen", gestand ich ihm.

„Erzählst du es nicht, oder will er es nicht hören?" Chris lachte verhalten. Doch mir war nicht nach Lachen zumute.

„Vielleicht ein bisschen von beiden", meinte ich dann Schulterzuckend. Ich wollte unsere Probleme nicht vor ihm ausbreiten. Chris bemerkte offensichtlich, dass ich nicht weiter darüber reden wollte und fragte mich nach meinen Plänen fürs Wochenende. Ich erzählte ihm von der Winterfeier im House of Everyone, dass ich mich fürs Kuchenbacken und natürlich auch sonst als Helfer eingetragen hatte.

„Du bist auch immer unterwegs", stellte er fest als er vor meinem Eingang hielt und ich umarmte ihn kurz, bevor ich Ausstieg.

„Zuhause sterben die Leute", erinnerte ich ihn mit einem gespielt tadelnden Blick, was er mit einem Lachen honorierte. „Danke dir für's Mitnehmen." Er hob grüßend die Hand bevor er weiterfuhr.

* * *

Den Freitagnachmittag verbrachte ich in der kleinen Wohnung meiner Mom. Gemeinsam backten wir Blechkuchen und Muffins und dekorierten es für die Kinder entsprechend, dabei klapperten wir alltägliche Themen und auch alles andere ab.

„Das sieht toll aus", meinte sie, als ich den letzten Muffin mit buntem Zuckerguss und Gummibärchen versehen hatte. Ich nickte zustimmend, selbst sehr zufrieden mit meinem Werk.

„Mama." Natürlich erkannte sie sofort, dass ich ein Thema ansprechen wollte, dass mir schwerer auf dem Herzen lag. Vermutlich hatte sie bereits den ganzen Nachmittag gewartet, so wie womöglich jede Mutter hatte sie einen sechsten Sinn dafür. „Das mit Lukas und mir..." Ich stockte. „Funktioniert nicht mehr." Meine Mom kannte die meisten Punkte bereits, schließlich sahen wir uns regelmäßig und hatten ein Mutter-Tochter-Verhältnis, dass dicker und stärker als jede Bilderbucherzählung war. Sie hatte mich allein ohne Partner, ohne Hilfe ihrer Eltern oder sonstige Unterstützung aufgezogen. Das hatte uns zusammengeschweißt. Trotzdem zählte ich noch einmal einige der Probleme auf, die meine Beziehung mit Lukas belasteten. „Ich weiß einfach nicht, was ich noch machen soll, um zu ihm durchzudringen. Ich habe ehrlich gesagt auch keine Lust mehr." Ich holte noch einmal tief Luft, bevor ich die Wahrheit zum ersten Mal laut aussprach. „Ich denke, dass es Zeit wird einen Schlussstrich zu ziehen." Fahrig wischte ich die Tränen weg und meine Mom nahm mich in den Arm.

„Ach Schätzchen, das ist deine Entscheidung und du weißt, ich stehe immer hinter dir", sprach sie mir liebevoll zu. „Manche Beziehungen sind nicht für die Ewigkeit bestimmt und es nicht falsch, wenn man das erkennt und nicht daran festhält. Es ist aber auch genauso richtig, wenn man erkennt, dass es gerade nicht so läuft und gemeinsam nach einer Lösung sucht, um wieder glücklich zu werden."

„Ach Mama," seufzte ich, da mir damit nicht geholfen war. Sie war wie immer so neutral wie die Schweiz und versuchte mich meinen eigenen Weg gehen zulassen, während sie mir dabei den Rücken stärkte.

„Denk in Ruhe darüber nach. Ich bin bei dir. Immer, mein Schatz." Nach wie vor unsicher und trotzdem unglaublich dankbar, dass ich sie hatte, lehnte ich mich in ihre Umarmung.

* * *

Zwei Tage später trafich mich wie jeden Sonntag mit Taliah. Sie war keine größere Hilfe. „Du kennstmeine Meinung zu ihm", erinnert sie mich. Taliah und Lukas waren nie die bestenFreunde gewesen, aber sie hatten sich immer verstanden. Seit es jedoch zwischenLukas und mir kriselte und Taliah es durch mitbekam, war ihre Meinung zu ihmdeutlich abgesackt. „Ich finde es nicht in Ordnung wie er dich behandelt, aberam Ende musst du mit der Entscheidung leben. Ich würde ja sagen, sprich nochmalmit ihm, aber da fängt es ja schon an..." Sie sah mich mit einem Blick an, der mehrsagte als Worte es konnten. Ich nickte ihr zu und nahm mir vor, dass ich es irgendwieschaffen musste, wirklich bewusst mit Lukas zu sprechen.

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