Kapitel 4 - Annika
„Hast du mit Lukas sprechen können?" Wir hatten das Thema bisher nicht angesprochen. Taliah und ich hatten immer hundert Themen, über die wir sprechen konnten und wollten. Selbst die bloße Stille in der Anwesenheit des anderen konnten wir gut genießen. Trotzdem war mir klar, dass wir irgendwann darüber reden mussten.
Meine Beziehung zu Lukas war der Bereich, der zurzeit einfach nicht so lief, wie es sollte und ich es mir wünschte, wenn ich ehrlich zu mir selbst war. Alle anderen Lebensbereiche waren unauffällig gut, fast schon perfekt.
Ich öffnete die Augen und drehte den Kopf zu der dunkelhäutigen Schönheit neben mir. Taliah trug genau wie ich nur einen weißen Bademantel und lag auf der Liege neben mir. Ihre wachen hellbraunen Augen sahen mich neugierig an. „Nicht wirklich", seufzte ich und berichtete ihr von dem gestrigen Tag.
„Ich weiß, er ist dein Freund, Nika, aber er ist ein Idiot", urteilte Taliah und auch wenn ich ihr gern widersprochen hätte, konnte ich es nicht. Ich war nicht blind, zudem waren Lukas und ich mittlerweile auch so lang zusammen, dass die rosarote Brille längst verschwunden war.
„Ich weiß, aber ich weiß nicht warum. Ich finde sein Verhalten so unglaublich ignorant", ließ ich meinen Frust heraus und bemühte mich dabei nicht lauter zu werden. Wir lagen im Entspannungsraum vor der Sauna, mit bestimmt zehn weiteren Personen, die sich jedoch gut in den großzügigen Raum verteilten. „Er hat mir schon wieder irgendwelche Stellenanzeigen geschickt, ohne auch nur einmal zu fragen, ob ich überhaupt mitmöchte." Am Anfang fand ich es noch ganz süß, dass er so klar davon ausging, dass wir das gemeinsam machen würden. Zu dem Zeitpunkt, war der Gedanke für mich auch so neu, dass ich selbst noch nicht wusste, ob ich wollte oder nicht. Mittlerweile fand ich es nur noch nervig, ignorant und anstrengend, dass ich nicht gefragt wurde und wenn ich doch einmal anklingen ließ, dass ich lieber hierbleiben würde, wischte er mit irgendeiner lapidaren Antwort drüber weg. „Meine Meinung scheint ihn nicht zu interessieren. Er sucht aus wohin es geht, wann, schickt mir Stellenanzeigen und Wohnung zu...", ich regte mich auf, ich bemerkte es selbst. Ich hatte mir so fest vorgenommen mit Lukas darüber zu reden und jetzt, nachdem ich nicht einmal die Chance dazu erhalten hatte, musste all diese angestaute Wut einmal raus. „Und irgendwann schreibt er dann: Wie sieht's aus? Hast du eine Zusage? ... Als wäre es klar, dass ich mich da bewerbe, nur weil er es sagt."
Taliahs schmale Hand griff nach meiner und drückte sie leicht. Ihr herzförmiges Gesicht drückte Mitgefühl aus. „Lass dich von diesem Idioten nicht aus der Ruhe bringen und du musst gar nichts tun, was er will. Das hast du nicht nötigt. Und wenn er sich nicht die Zeit nimmt, dir zu zuhören, ist er selbst schuld, wenn er irgendwann realisiert, dass er das allein durchziehen muss."
Taliah hatte recht, aber... „Das will ich doch nicht. Ich will ihn nicht vor dem Kopf stoßen. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist, dass er auf einmal so ...", ich warf die Hände in die Luft, suchte nach dem richtigen Wort „...so unerreichbar ist." Er war da und irgendwie doch nicht. „Wir haben immer gut miteinander reden können, das weißt du. Er war mein bester Freund und mein Freund." Ich betonte das mein, um zu verdeutlichen, was ich meinte. „Aber irgendwie ist er das gefühlt nicht mehr."
„Auch nicht mehr dein Freund?" Taliah sah mich mit hochgezogenen Brauen an. Ich wusste, worauf sie hinauswollte.
„Wir haben Sex miteinander, aber das allein macht noch keine Beziehung aus", schnaubte ich unzufrieden. Meine Bedürfnisse in diesem Bereich konnte ich auch ohne Mann im Zweifelsfall erfüllen. Tat ich ohnehin oft genug, so selten wie Lukas und ich uns in letzter Zeit sahen. „Ich glaube, wir haben uns mit der Fernbeziehung als Paar, aber auch als Freunde irgendwie verloren. Ich weiß nicht mehr, was bei ihm passiert und er weiß auch nicht mehr, was in meinem Leben läuft. So sollte es nicht sein. Wir sprechen nicht mehr miteinander. Also nicht mehr so richtig und ..." Ich hatte in letzter Zeit oft darüber nachgedacht. „Ich bin mir noch nicht sicher, aber ehrlich gesagt, vermisse ich ihn als besten Freund viel mehr als ihn als Partner." Jetzt war es raus. Ich hatte schon überlegt, ob wir uns vielleicht deswegen verloren hatten. Wir waren schon immer beste Freunde gewesen, vielleicht hatten wir den Bogen mit dieser romantischen Beziehung überspannt und hatten dabei das verloren, was unsere Beziehung zueinander ausmachte.
„Ich weiß, dass ich mich wiederhole, aber du solltest unbedingt mit ihm sprechen und ihm das auch so sagen."
„Ich weiß, aber ich weiß nicht, wie ich an ihn rankomme." Ich setzte mich auf und zog die Beine an mich heran und umschlang sie mit meinen Armen. Neben mir setzte sich auch Taliah auf und wartete auf das, was ich noch zu sagen hatte. „Manchmal habe ich fast das Gefühl, dass er einem ernsthaften Gespräch mit Absicht aus dem Weg geht."
„Vielleicht dauert es länger als du willst, bis es klappt, aber du bist viel zu stur, um dich davon abhalten zulassen." Taliah grinste mich spitzbübisch an und ich verdrehte die Augen, meine Mundwinkel zuckten. Sie und meine Mom nutzen jede Gelegenheit mich daran zu erinnern, dass ich nicht unbedingt die geduldigste Seele war und gern auch einmal mit dem Kopf durch die Wand ging.
Als der Wecker klingelte, um uns an einen weiteren Aufguss zu erinnern, machten wir uns auf dem Weg zur nächsten Sauna und genossen die wohltuende Wärme. Gemeinsam besuchten wir meine Mom, sprachen mit ihr über Gott und die Welt und genossen Köstlichkeiten. Ich begleitete Taliah bis zum Bahnhof und verabschiedete mich mit einer langen Umarmung von ihr, obwohl wir uns am Mittwoch das nächste Mal sehen würden. Manchmal konnte ich nicht glauben, welches Glück ich hatte, sie meine Freundin nennen zu dürfen. Ich wollte sie nicht missen.
Sobald Taliah im Zug verschwunden war, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich beeilte mich, zog eine leicht gefütterte Leggings, Sport-BH, Top und einen Laufpulli über. An der Garderobe schnappte ich mir noch die dünnen Handschuhe und mein Stirnband, dann startete ich einen lockeren Lauf zum Tierheim. Kurz klingelte ich am Eingang, trat dann durch die Tür. Ich war ein allseits bekannter Gast. Diese Woche hatte Andreas Dienst. Ich kannte jeden Helfer und Angestellten des Tierheims beim Namen und durfte auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten mit den Hunden Gassi gehen.
„Seitdem Emily nicht mehr da ist, nimmst du Dusty, oder?", fragte er mich, gemeinsam liefen wir zu den Hundezwingern.
„Ja." Emily war eine Labradorhündin, die vor kurzem von einer Familie mit zwei kleinen Kindern adoptiert wurde. Ein Gewinn für beide Seiten, da die Hündin Kinder liebte und auch die Kinder jedes Mal, ganz von ihr eingenommen schienen, als ich sie zusammen gesehen hatte.
Dusty war ein Neuankömmling, eine Promenadenmischung, der sich mit Fremden ein wenig schwerzutun schien. Neue Leute bellte und knurrte er an. Wenn man nicht aufpasste, schnappte er auch schnell einmal zu. Jedoch zahlte sich Geduld und Hartnäckigkeit aus. Als absehbar wurde, dass ich mir eine neue Begleitung beim Joggen suchen musste, hatte ich mich für den kleinen Hund mit dem spitzen Gesicht, wild abstehendem Fell und der schwarzbeigen Farbe entschieden. Ein bisschen zu wild und widerspenstig, das Fell nicht so leicht zu pflegen und nicht im klassischen Sinne süß, würde er vermutlich einige Zeit hier verbringen. Ich würde versuchen es ihm so angenehm wie möglich zu machen.
Als Dusty mich bemerkte, sprang er auch so gleich auf und flitzte schwanzwedelnd in Richtung seiner Käfigtüre. Zufrieden strahlte ich den Hund an. Meine Bemühung trugen offensichtlich Früchte. Die ersten zwei drei Begegnungen und gemeinsamen Spaziergänge waren für uns beide nicht leicht gewesen. Er, völlig verängstigt, hatte zwischen den Versuch wegzulaufen und nach mir zu schnappen geschwankt, während ich ihm versuchte die Zeit und die Sicherheit, die er benötigte zu vermitteln.
Andreas reichte mir die Leine und das Halsband des Kleinen, ich legte es ihm an, dabei leckte er über meine Hände und stupste mich mit seiner Nase ungeduldig an.
„Danke dir, Andi", verabschiedete ich mich von dem Mann und machte mich mit Dusty auf den Weg zum Ausgang. Artig lief er rechts neben mir, zog kaum an der Leine. Er wartete auf meine Anweisungen. Ich fand es großartig zu sehen wie schnell er sich mit etwas Geduld und Aufmerksamkeit entwickeln konnte.
„Lass uns im Wald eine Runde laufen gehen", schlug ich ungeachtet dessen, dass ich keine Antwort erhalten würde, vor. Als ich nach ein paar Metern in das Joggen überging, beschleunigte der Hund neben mir begeistert sein Tempo. Ich hatte den starken Verdacht, dass in ihm ein wenig Jagdhund steckte. Als wir zurückkamen, war es schon längst dunkel. Auch wenn es mich beim Joggen nicht störte, da ich ausreichend sah, freute ich mich schon jetzt auf den Sommer. Ich liebte es, wenn die Tage wieder deutlich länger als die Nächte waren. Ich verband damit laue Sommerabende, Grillpartys, tolle Gespräch, Abenteuer und Spaß.
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