Kapitel 21.2 - Annika

„Ben", rief eine fast schon zierliche blonde Frau Mitte sechzig aus, „hallo mein Schatz." Er hatte seine Tasche über der Schulter und meine in der Hand, trotzdem legte er den freien Arm um ihre Mitte und beugte sich zu ihr herunter als sie ihn fest in die Arme Schloss.

„Mama, du siehst gut aus", begrüßte er sie.

„Charmeur, dass sagst du jedes Mal", erwiderte sie lachend, tätschelte seine Schulter und trat dann zurück, dabei fiel ihr Blick auf mich, die hinter Ben durch die Tür gekommen war. „Du musst Annika sein, wie schön dich kennenzulernen." Ihr Lächeln war herzlich, ihre Stimme warm und sie sah mir mit einem offenen und neugierigen Blick entgegen, als sie auch mich in eine Umarmung zog. Von ganz allein wurde mein nervöses Lächeln genauso breit und warm wie ihres. Ich konnte gar nicht anders. Ich hatte mir umsonst all die Sorgen gemacht.

„Hallo Frau Arden, vielen Dank für die Einladung."

„Nicht doch, nenn mich Diana", bat sie mich und trat dann einen Schritt zurück. Ich war so auf sie konzentriert, dass ich nicht bemerkt hatte, wie Bens Dad sich ebenfalls in den kleinen Flur gesellt hatte. Er war in etwa so groß wie Ben, schmaler und seine Haare waren bereits vollkommen ergraut.

„Willkommen in unserem Heim, ich bin Markus", er reichte mir seine Hand und zog mich dann ebenfalls in eine kurze Umarmung.

„Hallo, Nika", stellte ich mich kurz vor, auch wenn er meinen Namen natürlich kannte. „Ich habe noch eine Kleinigkeit mitgebracht", sagte ich zu Bens Eltern und schnappte mir den Blumenstrauß, den ich für Bens Mom ausgewählt hatte und die Flasche Wein, die für seinen Vater war.

„Die sind wundervoll, meine Liebe, vielen Dank." Ich lächelte erleichtert, da sie sich über die Blumen zu freuen schien.

„Wir würden erst einmal nach oben gehen, die Sachen ablegen und so", erklärte Ben seinen Eltern und seine Mutter nickte zustimmend.

„Wollt ihr dann noch etwas Essen? Dann würde ich eine Kleinigkeit vorbereiten."

„Unbedingt, aber gib uns ein paar Minuten." Ben griff nach meiner Hand und zog mich die Treppe mit nach oben.

„Deine Eltern sind supernett." Ich musste die Worte loswerden als wir im oberen Stockwerk ankamen. Ben schenkte mir ein breites Grinsen von der Seite. „Ich weiß."

„Und hier bist du also aufgewachsen?"

Ein einfaches Nicken und ein schlichtes „Ja."

Neugierig versuchte ich alle Eindrücke in mir aufzunehmen. Das Haus war in hellen Farben gehalten mit vielen Holz-Elementen.

„Das hier war Cats Zimmer und wird jetzt als Gästezimmer verwendet." Er führte mich durch eine Tür und ich kam in ein liebevoll eingerichtetes Zimmer mit großem Bett und Schrank und einem begehbaren Balkon. „Das ist wundervoll."

Ben lächelte und stellte meine Tasche an das Bettende. „Ich zeig dir noch mein Zimmer, komm mit."

Gehorsam folgte ich ihm in das Zimmer nebenan. Es war maskuliner eingerichtet und tatsächlich fanden sich noch ein paar alte Bilder. Das erste zeigte eine deutlich jüngere Version von Ben mit einer blonden Frau. Sie hatten die Arme umeinander gelegt und sahen glücklich in die Kamera. Bens jüngerem Ich strahlte eine Leichtigkeit und Sorglosigkeit aus, die er heute nicht mehr besaß. Auch wenn er viel mit mir lachte, wirkte er meist ernst, manchmal auch ein wenig gedankenverloren und in der Gruppe umgab ihn eine gewisse kühle Distanz, die ihn schwerer zu greifen machte.

Bens Hand legte sich in meinen Nacken und gemeinsam mit mir sah er sich die Fotos an. „Das ist Cat", erklärte er mir mit Blick auf dem ersten Foto. „Das ist auf ihrem Tanzstundenabschlussball entstanden."

Unerklärlicherweise merkte ich wie sich irgendein Knoten in mir löste und ich mich entspannte. Vermutlich konnte ich nicht ewig ignorieren, dass ich mich viel zu sehr für den Mann neben mir interessierte und ich seine Nähe genoss. Dennoch war ich nicht bereit für den nächsten Schritt.

Ich wandte mich dem nächsten Bild zu. Ein Familienfoto das vermutlich in einem Sommerurlaub aufgenommen wurde. „Oh, die Frisur ist der Hammer", grinste ich.

Ben lachte nur und trat mit mir einen Schritt zur Seite, um einen Blick auf das nächste Foto zu erhaschen. Ben war auf diesem Bild älter, vermutlich Anfang zwanzig und trug ebenso wie der schlaksige Mann, der fast noch eine Junge war, nur Shorts und einem schwarzen Ring um den Hals. Hinter ihnen waren Baumstämme und unzählige andere Pflanzen zu sehen. Auch wenn beide in die Kamera lächelten, fiel mir auf, dass im Vergleich zu den vorherigen Bildern deutlich mehr Ernsthaftigkeit in Bens ganzer Haltung erkennbar war. Ich fragte mich, was es war das aus dem breiten grinsenden Jungen so einen ernsten, verschlossenen Mann gemacht hatte.

„Das ist aus meinem Jahr in Borneo. Neben mir steht Tiao, ich habe damals bei seiner Familie gewohnt."

„Und ihr habt noch heute Kontakt, oder?" Ich erinnerte mich, dass er gesagt hatte, dass er immer wieder zurückreiste.

„Wir verlieren uns zumindest nicht aus den Augen."

Ich nickte und wandte mich dann dem Rest des Zimmers zu. „So sah dein Zimmer nicht immer aus, oder?" Bis auf die Bilder, fehlte der persönliche Touch.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich ist es auch ein Gästezimmer geworden. Aber seitdem ich umgezogen bin, nutze nur noch ich dieses Zimmer und meine Mom hat die Bilder reingestellt, damit es nicht ganz so unpersönlich ist."

Ich nickte verstehend.

„Und deine Schwester?"

„Wohnt zwanzig Minuten von hier entfernt, allerdings wundert es mich, dass sie sich nicht schon längst auf uns gestürzt hat", gab Ben zu. Besorgt sah ich ihn an. Was hatte er mir bisher verschwiegen?

Er schüttelte lachend den Kopf. „Du bist die erste Frau, die ich jemals mit nach Hause gebracht habe, Cat kann es nicht erwarten dich kennenzulernen."

Seine Worte trugen nicht zu meiner Beruhigung bei. „Weiß sie...?"

Ich musste es nicht aussprechen, er wusste, was ich meinte. „Ja, das ändert jedoch nichts daran, dass ich zuvor noch nie jemanden mit nach Hause gebracht habe."

Hitze stieg in meine Wangen. „Mach dir keinen Kopf, sie ist genauso nett wie meine Mom, wenn auch nerviger." Er zwinkerte verschmitzt und ich musste unweigerlich lachen.

„Komm, ich zeig dir das Bad, dann kannst du dich frischen machen, wenn du willst, und dann zeige ich dir denn Rest, bevor wir zu meine Eltern gehen." 

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