Kapitel 13 - Annika
Mimmi hatte den Jugendclub für ihre Party reserviert. Leere Pizzakartons lagen auf den zusammengestellten Tischen, Flaschen und Becher waren auf jeder Abstellmöglichkeit verteilt und überall lehnte, stand oder saß jemand. Es war viel los, wie jedes Mal, wenn es etwas zu feiern gab. Diese Kleinstadt war kaum mehr als ein Dorf und jeder kannte jeden, jede Gelegenheit zum Feiern wurde nur zu gern genutzt. Die Stimmung war gut. Gelächter, Musik, Stimmen, die sich gegenseitig übertrumpfen wollten, bei den Spielen. Es war chaotisch und bunt, sowie es meist auf einer guten Party war.
Ich konnte die Party nicht so recht genießen. Es waren auch viele gute Freunde von Lukas dabei, immer wieder fragte mich einer nach ihm und ich murmelte etwas von einer Projektarbeit. Lukas hatte sich seit unserem letzten Telefonat nicht gemeldet. Gut, ich auch nicht, aber er hatte sich dabei wie der letzte Idiot benommen und dann hatte er mir nicht einmal gesagt, dass er heute nicht mitkommen würde. Ein bisschen Kommunikation war doch nicht zu viel verlangt, oder? Ich kam mir wie die größte Idiotin der Nation vor, dass ich noch an ihm festhielt. Dem entsprechend hatte ich vorhin auch meinem Frust nachgegeben und ihm eine Nachricht geschickt, die zumindest etwas von meiner Stimmung verriet: Wäre schön gewesen, von dir zu erfahren, dass du nicht kommst.
Gerade lehnte ich an einer Wand, starrte blicklos in die Runde und genoss einen Moment der Ruhe. So fand mich Mimmi, das Geburtstagskind des heutigen Abends.
„Nika, bist du okay?", sprach sie mich an. Ihr Blick musterte besorgt mein Gesicht und in ihrer Hand hielt sie ein Radler. Sie war nur wenige Zentimeter kleiner als ich, Sommersprossen zierten ihr herzförmiges Gesicht, dass von dunkelblonden Haaren mit ein paar helleren Strähnchen umrannt wurde und ihre whiskyfarbenen Augen lagen warm auf mir.
„Ja, ich war nur in Gedanken", riss ich mich zusammen und richtete mich auf. Ich wollte sie nicht an ihrem Geburtstag mit meinen trübsinnigen Gedanken belasten.
„Jenna hat mir von Mittwoch erzählt", sagte sie und legte mir eine Hand auf den Arm. „Es tut mir so leid. Ich..."
Entschlossen unterbrach ich sie: „Dir muss gar nichts leidtut, Mimmi. Es ist doch selbstverständlich, dass du die Party planen willst."
„Trotz..."
„Nein, Mimmi, mach dir keine Gedanken." Ich seufzte. Meine Beziehung zu Lukas war aktuell alles andere als mein Lieblingsthema und ich war auch der festen Überzeugung, dass Themen innerhalb der Beziehung ausgetragen werden sollten und nicht mit der Welt rundherum. Allerdings war es vermutlich auch kein Geheimnis mehr, dass es bei Lukas und mir gerade nicht gut lief, daher sagte ich die nachfolgenden Worte: „Lukas hätte dir antworten oder mir schreiben können..."
Zögerlich nickte Mimmi und sah mir dann wieder in die Augen, abwägend. Mimmi, eigentlich Miriam, war schon immer etwas ruhiger gewesen, hatte immer ein Ohr zum Zuhören frei und sorgte dafür, dass es allen um sie herum gut ging. Ich mochte sie wirklich, dass wir keine engeren Freunde waren, lag vermutlich daran, dass wir nahezu keine überschneidenden Hobbys hatten.
„Geht es dir mit eurer Beziehung noch gut?", zielsicher traf sie den Nagel auf den Kopf mit nur einer Frage. Das Lächeln, dass ich ihr schenkte, war traurig und sie erwiderte es. Ihre Hand strich über meinen Arm, drückte kurz fester zu. „Falls du darüber reden willst, bin ich für dich da."
„Ich weiß." Das wusste ich wirklich, auch wenn ich ihr Angebot vermutlich nie annehmen würde, trotzdem schüttelte ich den Kopf. „Aber nicht heute, feiere deinen Geburtstag. Meine Probleme sind morgen auch noch da." Mit einem schiefen Lächeln versuchte ich dem Moment die Ernsthaftigkeit zunehmen und Mimmi gab nach.
„Dann misch ich mich mal wieder unters Volk", verabschiedete sie sich mit einem kleinen Lächeln und ich nickte ihr zu.
Kurz ließ ich meinen Blick durch die Runde streifen und entschloss mich eine Weile an die frische Luft zu gehen, da ich gerade nicht auf Gesellschaft aus war. Draußen kam mir leider sofort der Zigarettenrauch entgegen, sodass ich zu husten anfing. Ich war da schon immer empfindlicher gewesen.
„Hey Nika," rief mir eine Stimme entgegen, auf die ich gut und gern verzichten konnte. Genervt stöhnte ich auf und wandte mich dann dem Schwarzhaarigen mit den lateinamerikanischen Zügen zu, der gerade an seiner Zigarette zog. Heute schien einfach nicht mein Glückstag zu sein.
„Rico, wie geht es dir?", versuchte ich mich im höflichen Smalltalk. Wir waren in der gleichen Klasse gewesen, was meiner Meinung mehr war, als zumutbar sein sollte. Kaugummis in den Haaren, geklaute Hausaufgaben, angemalte T-Shirts, unendlich viele Schnipsel im Haar und mehr dumme Sprüche als es Sand auf der Erde gab. Er hatte meinen Hass lang und sorgfältig kultiviert.
„Bestens, aber ich habe gehört bei dir gibt es Ärger im Paradies." Ich schnaubte. Jedes Mal wieder bestätigte er, dass er noch immer der gleiche Idiot war. Feingefühl gehörte nicht zu seinen Stärken. Vermutlich wusste er noch nicht einmal wie man das Wort schrieb. Bei seinen nächsten Worten legte er einen Arm um mich. „Aber Nika, keine Sorge, ich kümmere mich um dich und dann ist er nicht mehr als eine schlechte Erinnerung."
Verärgert stieß ich seinen Arm von meinen Schultern. „Du bist und bleibst ein Arschloch", giftete ich ihn an. Meine Zündschnur war schon immer kurz gewesen, wenn es um Rico ging und gerade heute Abend war ich ohnehin schon vorgespannt. Er lachte entspannt, nicht im Geringsten verärgert über meine Worte und zog erneut an seiner Zigarette. „Ich steh auf deinen Biss."
Ein gereiztes Schnauben entwich mir und ich drehte mich auf meinen Absatz um. Seine Hand legte sich um mein Handgelenk. Sein warmes milchkaffeebraun zu meinem schneeweiß, wie hatte ich ihn als Kind um diese gleichmäßige Bräune beneidet. „Das war ernst gemeint, Nika. Ich könnte dafür sorgen, dass du dich gut fühlst und ihn vergisst." Ungläubig sah ich ihn an. Hatte das Gefühl, dass er seine Worte wirklich ernst meinte. „Wenn du ihn nicht, sowieso schon vergessen hast, so selten wie er da ist", legte er nach. Einmal mehr verfluchte ich Lukas diese Woche. „Wir wären gut füreinander."
„Ich fand es besser, als du mich einfach nicht leiden konntest. Belassen wir es lieber dabei", erwiderte ich kühl und ging nicht weiter auf seine Worte ein und drehte meinen Arm in seinem Griff, um ihn daran zu erinnern mich loszulassen.
Wieder lachte er, es war rau und tief. Objektiv betrachtet war es angenehm, genauso wie seine Stimme und sein Äußeres im Allgemeinen sehr attraktiv waren, sein Charakter ruinierte es jedoch, sodass ich keinen Blick dafür hatte. „Das war es doch nie, Nika."
Noch einmal zog ich an meinem Arm und er ließ mich los. Den anderen hob ich kurz und ich zeigte ihm meinen schönsten Finger. Er konnte mich mal. Ich hatte kein Bock mich noch mit einem weiteren Idioten auseinanderzusetzen. Lukas reichte mir vollkommen.
Als ich reinkam, stolperte ich fast über Chris. Er beugte sich gerade zu der Getränkeauswahl hinab. „Bier?" fragte er, als er mich bemerkte.
Ich verzog das Gesicht. „Bäh." Chris wusste genau, dass ich das Gebräu nicht runterbekam. Anscheinend wollte mich heute Abend jeder ärgern. „Radler?"
„Chris!" Er zog die Brauen überrascht hoch, als er meinen motzenden, verärgerten Tonfall vernahm. Ich fuhr mir angespannt durch die Haare, unzufrieden mit mir selbst. Das würde ein langer Abend werden, wenn ich nicht bald meine gute Laune wiederfand. „Hast du was Härteres zu bieten?" Innerlich schlug ich mir im gleichen Moment wo meine Worte mir entkamen gegen den Kopf. Meine Worte waren eine Steilvorlage, dass wusste ich selbst.
Bis auf die Tatsache, dass Chris' Braue fast in seinem Haaransatz verschwand, ließ er es unkommentiert. Ungewöhnlich, normalerweise ließ er keine Gelegenheit aus, mich auf die Schippe zunehmen. „Wodka, Whisky oder Tequila", zählte er auf, dabei musterte er viel zu genau mein Gesicht.
„Tequila", entschied ich „und schau mich nicht so an, Budweiser."
Wortlos schenkte er mir den Tequila ein und ich kippte ihn hinter, brauchte weder Salz noch Zitrone. Hoffentlich würde das Helfen, um meine Nerven zu beruhigen und die Stimmung zumindest etwas zu heben. „Noch einen."
Chris schüttelte den Kopf. „Verträgst du nicht", erklärte er entschieden. „Was ist los, Nika?"
Ich seufzte. „Bin Rico begegnet, war so berauschend wie eh und je", dabei zuckte ich mit den Schultern. Es war kein Geheimnis, dass Rico und ich uns nicht leiden konnten.
Chris musterte mich noch immer zu lang, wusste, dass ich ihm nur die Hälfte erzählte. Wir kannten uns schon zu lang und hatten auch gerade die letzten Jahre viel zu oft Kontakt gehabt, als dass er mir die Ausrede einfach so abkaufen würde. „Der bringt dich aber normalerweise nicht so aus der Fassung."
Ich zuckte mit den Schultern, zögerte, wollte nicht darüber reden. Allerdings gab es da trotzdem etwas, wo Chris mir vielleicht helfen konnte. „Chris?"
Abwartend sah er zu mir, mein Tonfall musste ihm schon warnen, dass wir uns jetzt doch meinem wirklichen Problem näherten. „Was erzählt man sich über Lukas und mich?"
Die Frage war ein Volltreffer. Ich sah es daran, wie er sein Gesicht verzog und sein Blick an mir vorbei in den Raum glitt. Dann sah er mir wieder direkt in die Augen. „Zu viel, sowie immer. Das willst du nicht wirklich wissen, Annika." Mein voller Vorname, eine Aufforderung nicht weiter nachzubohren. Ich fuhr mir durch die Haare und gab nach, nickte. Vermutlich war es besser so.
„Bekomm ich noch einen Weißwein?", fragte ich dann, versuchte ihn mit großen Augen und einem gekonnten Wimpernschlag weichzuklopfen. Sollte Chris meinen, dass ich genügend Alkohol hatte, würde es ab jetzt schlecht für mich aussehen. Manchmal ließ er fast so etwas wie den großen Bruder mir gegenüber heraushängen. Doch offensichtlich hatte ich Glück.
„Du wirst alt", meinte er nur, während er nach einem Becher griff.
Ich stieß ihn mit der Fußspitze in der Wade. „Und du bist's schon", erinnerte ich ihn.
Er reichte mir den Becher mit dem Weißwein und sagte dann mit festem Blick in meine Augen: „Du weißt, ich bin für dich da. Lukas ist nicht nur dir gegenüber einem Arsch." Überrascht sah ich ihn an. Verlegen fuhr er sich durchs Haar. „Er meldet sich bei fast keinem mehr." Ich presste die Lippen aufeinander. Es tat mir leid. Bisher hatte ich immer gedacht, dass nur ich von seiner Ignoranz betroffen war. Doch es hatte einige Spiele in der letzten Zeit gegeben und er war bei keinem einzigen dabei gewesen, erinnerte ich mich. Das er nun auch seinen Freunden die kalte Schulter zeigte, verärgerte mich fast noch mehr. Wie konnte er das nur tun? Warum?
„Er ist ein Idiot", murmelte ich. Chris nickte. Gern hätte ich noch mehr gesagt, hätte mir meinen Frust von der Seele geredet. Aber das konnte ich nicht. Lukas war nicht hier, ich hatte noch immer nicht mit ihm gesprochen und er sollte vor allen anderen erfahren, was ich zu sagen hatte.
„Na komm, lass uns noch ein bisschen feiern." Widerstrebend ließ ich mich von ihm wieder ins Getümmel ziehen. Sollte ich bereits jetzt gehen würde das Auffallen. Im schlimmsten Fall würden auch Chris, Taliah und Lizzy wegen mir gehen. Das wollte ich nicht.
Entschlossen verdrängte ich jeden Gedanken an Lukas, ich würde mir von ihm dieses Wochenende nicht ruinieren lassen. Morgen würden wir zu sechst shoppen gehen und am Sonntag wollten Taliah und ich eine Fahrradtour unternehmen. Das Wetter sollte schön werden, dass wollten wir nutzen. Außerdem hatte Ben schon gefragt, ob ich an beiden Tagen Zeit zum Joggen hatte. Nur zu gern hatte ich ihm zugesagt. Meine Freude darüber war mit Sicherheit größer als sie sein sollte, aber darauf kam es jetzt nicht mehr an. Nicht nach dem Telefonat und diesem Abend. Es wurde Zeit mich von einer Illusion zu verabschieden. Ich musste weitermachen.
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