Kapitel 11 - Ben

Annika war nicht gut traf. Als wie uns am Tierheim trafen, begrüßte sie mich mit einem schwachen Lächeln, das abgespannt und erschöpft wirkte. Besorgt musterte ich sie und auch der Leopard in mir erhob sich ganz automatisch und verstärkte meine Sinne, um die Ursache herauszufinden. Ich hielt ihn nicht davon ab. Wenn es um Annika ging, waren sowohl meine animalischen als auch menschlichen Instinkte auf einer Wellenlänge. Doch auch mit den verstärkten Sinnen war da nichts. Meine Nase verriet mir, was ich von ihrem üblichen Tagesablauf und dem was sie mir erzählt hatte, bereits wusste. Sie war auf Arbeit gewesen, bei ihrer Mom und vermutlich hatten sie Kuchen gebacken, denn sie roch nach süßem Gebäck. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Frage, ob alles in Ordnung war, schien mir unangebracht. Offensichtlich war es das nicht. Daher zog ich sie wortlos in meine Arme und nachdem sie sich einen Moment verspannte, fast schon vollkommen erstarrte, wich jegliche Spannung aus ihrem Körper und sie lehnte sich Haltsuchend in meine Umarmung. Ich zog sie noch fester an mich, versuchte ihr das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu schenken. Es fühlte sich fantastisch an, ihr so nah zu sein. Tröstlich und überraschend vertraut. Schemenhafte Erinnerungen stiegen in meinen Kopf auf, doch ich konnte sie nicht greifen. Das machte nichts, denn ich begriff etwas ganz anderes. Annika gehörte in meine Arme, in mein Leben, als fester unverrückbarer Bestandteil. Ich genoss jede Sekunde, die ich mit ihr verbringen konnte und ich wollte noch so viel mehr. Selbst der Leopard genoss ihre Nähe merklich. Noch immer war Remi wachsam, ganz dicht unter der Oberfläche meiner Haut, bereit auf jedes Zeichen, dass sie ihm gab zu reagieren und wer auch immer ihr das angetan hatte, zu zerstören. In diesem Moment fühlte ich mich so sehr eins mit dieser wilden Seite in mir wie schon lange nicht mehr. Annika fügte mich wieder zusammen. Sie zähmte den Leoparden in mir und brachte den Mann in mir dazu, sie mit Leib und Seele besitzen zu wollen. Es war der Moment, in dem ich endgültig beschloss, dass Annika mir gehören würde. Dieser Gedanke erfüllte mich mit einer Zufriedenheit, die ich nicht erwartet hatte, aber mir nur noch mehr bestätigte, dass es das Richtige war, dass es so sein sollte.

Annika lag in meinem Armen, Trost und Haltsuchend, nichts ahnend, dass sich soeben die Spielregeln verändert hatten. Das ich von nun an, alles tun würde, um sie für mich zu gewinnen. Ich hielt sie noch ein wenig fester und sie erwiderte es. Wer auch immer das getan hatte, würde dafür büßen. „Wenn du darüber sprechen möchtest...", murmelte ich in ihr Haar, doch sie schüttelte den Kopf und löste sich dann aus meinen Armen. Fast hätte der Leopard in mir geknurrt. Nur widerwillig ließ ich sie los.

„Nein, ich würde mich nur aufregen und reinsteigern", lehnte sie mein Angebot ab und klang dabei so erschöpft. Es tat mir in der Seele weh, sie so zu sehen und zugleich versetzte es mich in wilde Raserei, den Verantwortlichen aufzuspüren und dafür leiden zu lassen. „Lass uns die Hunde holen und laufen gehen. Das hilft am besten, um den Kopf freizubekommen."

Innerlich ruhelos und angespannt folgte ich ihr. Ihr deutlich sichtbarer Kummer, weckte in mir das Bedürfnis zu handeln. Nichts tuen zu können, ließ sowohl die menschliche als auch die animalische Seit in mir dünnhäutiger werden. Die Hunde stürzten sich beide auf Annika, ich war mir sicher, dass die beiden spürten, dass es Annika nicht gut ging, und versuchten sie mit Kuscheln, Abschlecken und viel Schwanzgewedel aufzuheitern. Leise lachend ergab sich Annika der übermütigen, liebevollen Begrüßung der beiden Vierbeiner, streichelte und knuddelte sie. Dankbar, dass die beiden sie ein wenig aus dieser Stimmung reißen konnten, wartete ich geduldig, bis Annika so weit war. Sobald sie aufstand, trotteten beide Hunde zur Begrüßung zu mir. Dusty ließ sich einmal über den Kopf streichen, bevor er zu Annika zurückeilte, Wanda lehnte sich mit ihrem ganzen Körper an mein Bein und ließ sich begeistert streicheln. Als ich hierherzog, hatte ich nicht damit gerechnet, dass dieser Umzug innerhalb weniger Wochen mein Leben so schnell und vollkommen auf den Kopf stellen würde. Trotzdem stand ich nun hier, in dem Tierheim, dass ich seit zwei Wochen jeden Tag besuchte, und ein Hund, der nicht mir gehörte, lehnte sich vertrauensvoll an mich, während die Frau, die dafür verantwortlich war, mit einem leichten Lächeln, dass die Traurigkeit aus ihrem Gesicht verdrängte zu uns sah. Sie war dabei mein Leben, um hundertachtzig Grad zu drehen und sie wusste es noch nicht einmal. Ich lächelte sie an und als ihr Lächeln breiter wurde, fühlte es sich so an, als hätte ich einen kleinen Sieg errungen. Ich würde jede Veränderung mit Freuden willkommen heißen, wenn es bedeutete, dass Annika am Ende mir gehören würde.

„Du, Nika?" Bianca, eine junge Frau, die fast noch ein Mädchen war und uns zu den Hunden begleitet hatte, wandte sich nun schüchtern an Annika. Wir sahen beide zu ihr. „Kann ich dich was fragen?" Innerlich verdrehte ich die Augen über diese Frage, während ich mir nichts anmerken ließ. Offensichtlich brauchte sie jemand der ihr Selbstvertrauen aufbaute und sie nicht noch zusätzlich verunsicherte.

„Na, klar." Annika richtete sich auf und sah neugierig zu ihr.

„Äh...Wie lange bist du noch hier?" Meine Augenbrauen rutschten nach oben. Was sollte diese Frage bedeuten? Wo wollte Annika denn hin? Nun sah auch ich, gespannt auf die Antwort, zu Annika.

Diese seufzte leise und strich sich die Strähne, die ihr immer wieder ins Gesicht fiel, zurück. „Ich gehe nicht nach London. Ich bleibe hier." Auch wenn sie sich um eine neutrale Tonlage bemühte, bemerkte ich, dass sie über dieses Thema nicht reden wollten. Es schwang ein Hauch der Erschöpfung mit, aber auch Frustration und ich fragte mich unweigerlich, ob ihre Stimmung nicht genau auf diesem Thema fußte. Zeitgleich fragte ich mich, warum Bianca auf die Idee kam, dass Annika weggehen sollte. Sie schien hier fest verwurzelt und im Großen und Ganzen glücklich zu sein. Was hatte es mit London auf sich?

Das braunhaarige Mädchen bemerkte offensichtlich nicht, dass Annika nicht darüber reden wollte und fragte unbedarft weiter nach: „Oh, aber Lukas geht doch, oder bleibt er auch hier?"

Der Leopard in mir knurrte blutrünstig auf, seine Krallen schnitten mir in die Handfläche, seine Sicht verzerrte mein Bild und nur das Longshirt, dass ich mir zum Laufen angezogen hatte, verdeckte die Flecken, die zweifelsohne über meine Haut huschten. Mit aller Gewalt versuchte ich die Wandlung zurückzuhalten, zeitgleich wollte ich blindlinks jeden Mann die Kehle zerfetzten, der es auch nur wagte in Annikas Nähe zukommen. Ich hatte nie auch nur einen Mann an ihr gewittert und Annika hatte auch nicht ein einziges Mal einen Partner erwähnt. Das wusste ich, denn ich hatte jedes Gespräch mit ihr genossen und ihre Worte in mich aufgezogen. Dadurch war ich davon ausgegangen, ja, der felsenfesten Überzeugung gewesen, dass sie Single war. Heftige Eifersucht erwachte in mir, ein gänzlich neues Gefühl, dass nur zu gern dem Leoparden in mir nachgegeben und sich auf diesen Unbekannten stürzen wollte.

Die beiden Frauen bemerkten meinen Kampf um Beherrschung nicht. Wanda allerdings hatte sich einige Schritte von mir entfernt und musterte mich ebenso wie Dusty wachsam. Erst als Annikas Stimme erklang, beruhigte sich der Leopard wieder. Er lauschte genauso aufmerksam wie ich ihren Worten, schließlich mussten wir alles über diesen Rivalen erfahren, um ihn zu vernichten. „Nein, Lukas geht nach London. Aber ich weiß nicht, was ich dort soll. Meine Familie, meine Freunde, all meine Hobbys... Das ist hier. In London habe ich nichts." Ihre letzten Worte erfüllten mich mit grimmiger Genugtuung und bestätigten meine Wahrnehmung. Ihr Lebensmittelpunkt war hier. Dieser Kerl bedeute ihr offensichtlich nicht genügend, um dass sie mit ihm gehen wollte. Und auch die Tatsache, dass ich ihn bisher nicht einmal wahrgenommen und sie kein einziges Wort über ihn verloren hatten, sprachen nicht von einer allzu engen Beziehung. Vielleicht interpretierte ich ihre Worte falsch, versuchte ich mich und den Leoparden zu beruhigen.

Aber das würde ich alles herausfinden und dann würde ich dieses Hindernis sollte es erforderlich sein beseitigen. Annika gehörte zu mir und ich würde es nicht zulassen, dass sich uns irgendjemand in den Weg stellte.

„Verstehe ich," nickte Bianca zustimmend und schien jetzt auch zu bemerken, dass sie nicht das beste Thema angeschnitten hatte, denn anstatt weiter nachzuhaken, wie sie sicherlich gern hätte meinte sie: „Finde es cool, dass du bleibst."

Annika nickte. „Anders kann ich es mir gar nicht vorstellen. Wir sehen uns später nochmal. Bis dann." Als ihr Blick auf mir landete, baten ihre Augen mich darum, dass ich nicht weiter nachfragen und einfach mit ihr verschwinden würde.

Ich tat ihr den Gefallen, auch wenn die Ungewissheit, der Verdacht, der im Raum stand mich nicht mehr losließ. Innerlich legte ich mir einen Schlachtplan zurecht, sowie ich bei jeden anderen Projekt in meinem Leben auch tat. Ich würde meine Antworten bekommen, denn ich wusste nun nach was ich suchen musste. Zeitgleich würde ich Stück für Stück mehr Raum in Annikas Leben in Anspruch nehmen und zu einem Teil davon werden, dass sie nicht mehr missen wollte. Für diesen Lukas würde irgendwann kein Platz mehr sein. Wobei irgendwann, so schnell wie möglich war.

„Steht das Angebot mit dem Bowlen noch?" Sobald wir draußen waren, sprach ich sie darauf an. Ich war mir unsicher gewesen, ob ich mich wirklich freiwillig noch mehr Menschen aussetzen wollte als notwendig. Da ich nun die Entscheidung getroffen hatte, ein unentbehrlicher Teil ihres Lebens zu werden, würde ich alles daransetzen mehr Zeit mit ihr zu verbringen und die Dinge kennenzulernen, die ihr wichtig waren. Dazu gehörte es auch die Leute zu treffen, mit denen sie gern ihre Zeit verbrachte.

Annika sprang sofort darauf an. Ich sah ihr an wir dankbar sie war, dass ich nicht weiterbohrte. Das besänftigte meinen Leoparden ein wenig, der am liebsten jede Information zu dem Rivalen sofort von ihr wollte. „Na klar. Heißt das, du bist morgen dabei?"

Ich nickte und sie umarmte mich spontan, sodass ich kaum meinen Arm um sie gelegt hatte, als sie schon wieder losließ und einen Schritt nach vorn hüpfte. „Sorry, ich glaub, ich bin ein wenig überdreht." Verlegen lachte sie und ich sah die Röte an ihrem Hals nach oben kriechen. Absolut hinreißend.

„Keine Sorge, ich kann damit umgehen." Ich zwinkerte ihr zu. Sie durfte mich gern auch länger umarmen, doch unter den gegebenen Umständen, sollte ich vielleicht nicht so offensiv vorgehen, sondern ein langsameres Tempo wählen. Der Leopard knurrte in mir, doch mehr tat er nicht. Er wollte nicht, dass der Rivale sie auch nur anfasste und allein bei den Gedanken, dass ein anderer Mann... als ich merkte, wie meine Sicht verschwamm, zwang ich mich dazu diesen Gedanken zu verdrängen und tief durchzuatmen. Das half, denn ihr Geruch nach Vanille, Zimt und Apfel erfüllte meine Lungen und ließen mich ruhiger werden. Sie war hier bei mir. Nicht bei ihm. Sondern bei mir. Ich legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie kurz an mich. Sie ließ es zu. Das half.

„Ich freu mich echt, dass du morgen dabei bist."

Der Leopard brummte zufrieden. Genau wie ich, würde er ganze Menschenmassen in Kauf nehmen, wenn es sie so glücklich machte. „Wer ist dann morgen alles dabei?" Die Frage diente als Einstieg in unsere Unterhaltung und zeitgleich, sondierte ich die Lage, ob ich vielleicht schon morgen auf meinen Rivalen treffen würde. Doch ihre Aufzählung beinhaltete ihn nicht, was mich ein wenig verwunderte. Wo war er, wenn er ihr Freund war, aber scheinbar nie etwas mit ihr unternahm und ich seinen Geruch nie an ihr bemerkte. Etwas war seltsam an ihm.

Auch wenn ich seine Existenz nicht vergaß, so schafften wir es problemlos nicht über ihren Freund zu sprechen und hätte es nicht Biancas neugierige Frage gegeben, war ich mir sicher, dass ich noch immer nichts von seiner Existenz wüsste. Er schien in Annikas Leben keine Rolle zu spielen. Sie würde am Freitag in den Geburtstag einer Freundin mit einem Spieleabend reinfeiern. Am Samstag wollte sie mit einem Teil dieser Freundinnen einkaufen gehen und am Sonntag stand, falls das Wetter halten sollte, eine Radtour mit Taliah und ihrer Mom auf dem Programm. Kein einziges Wort von einem Mann.

Und er würde allein nach London gehen. Das war es, was ich mir immer wieder sagte und was zählte. So hielt ich den wilden Teil meiner selbst und mich in Schach. 

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