Kapitel 10 - Annika

Am nächsten Tag bekam ich nachmittags eine Nachricht von Ben. Als ich sie später in einer kurzen Pause ansah, hechelten mir Wanda und Dusty entgegen. Ich lachte erstaunt auf und antworte Ben mit Smileys. Hinter all den harten Kanten, den tiefen Schatten unter seinen Augen und der Anspannung in seinem Körper, steckte ein Herz aus Gold.

Kaum das ich zuhause war, klingelte mein Handy. Überrascht und erfreut nahm ich den Anruf von Lukas an. „Hallo Urlauber, wie geht's dir?", begrüßte ich ihn gut gelaunt.

Sein vertrautes Lachen erklang und er berichtete von der letzten Woche. Zusammengefasst konnte ein bisschen Skifahren, Party, Alkohol und noch mehr Party reden. „Und bei dir so?", hängte er dann noch dran. Ich erzählte ihm von der Winterfeier, erwähnte das Taliah und ich im Kino waren und fragte, ob er am Mittwoch mal wieder mit zum Bowlen kommen würden. Nicht nur ich vermisste ihn, sondern auch unsere gemeinsamen Freunde. Immer Mal wieder fragte der ein oder andere nach Lukas, scheinbar meldete er sich auch bei ihnen nicht allzu oft. Den ersten Dämpfer bekam meine gute Laune als die Pause zu lang wurde. Lukas machte „Mh" und da wusste ich, dass er mir gar nicht mehr zugehört hatte. Ich gab mir nicht die Mühe mein genervtes Seufzen zu unterdrücken. Schließlich gab er sich auch keine.

„Oh, was hast du gesagt?", schreckte er auf. Blitzmerker.

„Ich habe gefragt, ob du am Mittwoch mal wieder mit dabei bist. Wir wollen im Firebowl bowlen gehen, danach könntest du bei mir übernachten."

„Nee, dass passt mir nicht. Ich habe schon was vor." Als gute Freundin hätte ich vielleicht fragen sollen, was er vorhatte, aber ehrlich gesagt interessierte es mich in diesem Moment nicht. Er hatte nahezu immer irgendetwas vor, wenn es darum ging, dass wir ein bisschen Zeit miteinander verbringen könnten.

„Okay." Kurz überlegte, ob ich noch etwas erzählen wollte. Die Lust darauf war mir vergangen. Wer wusste wie viel er wirklich mitbekommen hatte. „Ich habe so wie es aussieht einen neuen Laufpartner gefunden." Ich wollte vermeiden, dass es deswegen irgendwann zu einer komischen Situation zwischen uns kam.

„Schön", nahm er es mehr oder weniger zur Kenntnis, aber immerhin. „Du, weswegen ich eigentlich anrufe: Ich glaube wir sollten uns langsam Mal mit dem Thema Wohnung auseinandersetzen. Hast du dir angeschaut, was ich geschickt habe?"

Am liebsten hätte ich das Handy in die Ecke geworfen. Natürlich hatte er nicht angerufen, weil er einfach mit mir sprechen wollte oder mich gar vermisste. Aber gut, ich würde die Gelegenheit ergreifen, die sich mir bot. Am Telefon war schließlich besser als nie, oder?

„Darüber wollte ich auch mit dir reden. Ich..."

Lukas unterbrach mich: „Ich weiß, was du sagen willst. Aber, Nika, wir können uns das leisten. Wir können nicht in so einem Loch wohnen, dass du tatsächlich dein Zuhause nennst." Fassungslos sah ich zu meinem Handy. Ich wusste das Lukas meine Wohnung zu klein fand. Wir hatten schon mehrfach darüber diskutiert, warum ich mir keine größere Wohnung suchte. Ihm war es zu klein und nun wusste ich mit Sicherheit auch zu einfach. Ich wohnte in einer günstigen Gegend, in einem Altbaublock. Zwar hatte ich Glück gehabt, dass ich mir die Optik des Bodens genauso wie die Fliesen im Bad aussuchen konnte, da die Wohnung für mich neu hergerichtet wurde, doch es änderte nichts daran, dass der Bodenbelag PVC war. Meine Einrichtung hingegen war sorgfältiger gewählt. Ich hatte bewusst fast bis zum Ende meiner Ausbildung bei meiner Mom gewohnt, hatte sie versucht zu unterstützen und zeitgleich Geld zur Seite gelegt, um mir die Einrichtung finanzieren zu können, die ich mir wünschte. Damals fing ich gerade erst an meine ersten Erfahrungen mit dem Spekulieren zu sammeln. All meine Gewinne daraus gingen in die Möbel, die ich noch heute liebte. Die Küche und jedes weitere Möbelstück hatte ich mit Bedacht ausgesucht, ich setzte auf Qualität anstatt Masse. Das war meiner Wohnung auch heute noch anzusehen. Die ersten drei Monate hatte ich sogar aus den Umzugskartons gelebt, da ich mir damals den Wunschkleiderschrank noch nicht leisten konnte. Bei einem meiner Hebelprodukte hatte ich mich zum falschen Zeitpunkt verspekuliert und zu hochgepokert. Während ich meine kleine Wohnung mit der minimalistischen, aber hochwertigen Einrichtung liebte, alles in einem sehr guten Zustand war und ich es entsprechend pflegte schien sie Lukas ein Dorn im Auge zu sein. Als Azubi hatte ich mir weder eine andere Wohngegend noch eine größere Wohnung leisten können. Für mich allein war es vollkommen ausreichend, auch heute noch. Hätten Lukas und ich zusammenziehen wollen, würde auch ich nach etwas Größerem schauen wollen. Um dauerhaft zu zweit zusammen zu leben, war sie schlicht zu klein. Mit jedem Wort, dass er von sich gab, schien dieser Schritt allerdings immer unwahrscheinlicher.

„Mir ist bewusst, dass du dann unseren Haushalt fast allein stemmen musst. Jedoch arbeitest du bereits, während ich studiere. Du verdienst gut in deinem Job, für wem willst du das sparen?"

Hatte er diese Worte gerade wirklich gesagt? Empört brauste ich auf: „Für mich. Für mein Alter. Für die Dinge, die mir wichtig sind", zählte ich auf. „Ein Notfallgroschen, wenn es mal nicht so läuft. Reserven, wenn ich mal nichts zurücklegen kann..." Es gab unzählige Dinge, die in Frage kam und trotzdem fielen sie mir in diesem Moment nicht ein, viel zu fassungslos war ich von seiner Aussage.

„Das ist Schwachsinn. Du legst aktuell so viel Geld beiseite, dass du eh nie brauchen wirst. Davon können wir uns schon jetzt ein schönes Leben leisten." Lukas bemerkte nicht, dass er sich mit jedem Wort mehr in die Scheiße ritt. Finanzen waren schon seit längerem ein wunder Punkt. Aus diesem Grund waren wir nun schon auch etwa ein Jahr nicht mehr zusammen in den Urlaub gefahren und hatten beide bisher auch noch keinen geplant. Lukas war der Meinung, dass ich auch für seinen kompletten Anteil bei einem gemeinsamen Urlaub aufkommen sollte, da ich Geld verdiente und er nicht. Ich sah das anders. Es sprach nichts dagegen, dass ich einen größeren Anteil finanzierte, da ich wirklich mehr Geld als er zur Verfügung hatte. Aber ich war nicht bereit in unserer Beziehung alle Kosten allein zutragen, nur da ich nicht wie er studierte. Ich hatte mir ein Studium damals nicht leisten können und hatte meine Mom so schnell wie möglich finanziell unterstützen wollen. Bei Lukas sah die Lage ganz anders aus. Seine Eltern kamen für alle Kosten seines Studiums auf, zusätzlich finanzierten sie ihm ein Auto und er bekam ein äußerst großzügiges Taschengeld. Auch wenn wir Essen gingen oder Ausflüge machten, zahlte meist ich, weil Lukas immer meinte, dass er kein Geld hatte. Dabei verprasste er es irgendwo anders.

Da ich in Gedanken versunken, immer noch nichts sagte, sprach Lukas weiter: „Sieh es doch mal so: Sobald ich mein Studium abgeschlossen habe, werde ich ohnehin der Hauptverdiener sein und wenn wir erst einmal Kinder haben, muss ich unsere Finanzen allein stemmen." Ich schnaubte, dafür dass wir uns kaum einmal im Monat sahen, einander gefühlt immer weniger kannten, plante er überraschend weit voraus. „Dann wirst du von meinem Geld leben!", betonte er noch einmal.

„Lukas!", sein Name war Empörung und hilfloser Aufschrei zugleich. Das konnte er doch nicht ernst meinen. „Ist dir bewusst, was du gerade gesagt hast? Sehe ich so aus oder habe ich je den Eindruck erweckt, als würde ich mich von dir aushalten lassen wollen?"

Er war vollkommen ruhig und schien mein Ärger über seine Worte nicht zu verstehen. Ich sah es vor meinen Augen wie er gleichgültig mit den Schultern zuckte als er meinte: „Ich glaube früher oder später ist das doch ganz normal. Sieh dir meine Eltern an, meine Mom geht ein paar Stunden die Woche arbeiten, obwohl sie es nicht müsste und verdient dabei noch nicht einmal wirklich etwas. Das ist vollkommener Schwachsinn." Ich hörte das Unverständnis in seiner Stimme. Er verstand seine Mom nicht. Dass er ihre Bemühungen für sinnfrei hielt, kam nur zu gut rüber. Dafür tat ich es umso mehr: Sie versuchte sich ein wenig Unabhängigkeit von ihrem Mann zu bewahren. „Mein Vater ist der Hauptverdiener, genauso wie ich es sein werde, daher brauchst du dir diesen Unsinn gar nicht erst anzugewöhnen."

Zwar schnaubte ich kurz auf bei seinen Worten, versuchte sonst aber ruhig zu bleiben. „Lukas du klingst, als wärst du sechzig. Hast du die Gleichberechtigung verschlafen?" Es war eine rhetorische Frage, die Antwort schien in diesem Moment offensichtlich. „Deine Eltern stammen noch aus einer anderen Zeit. Da war es vielleicht noch üblicher, dass die Frau zuhause blieb und der Mann das Geld nach Hause brachte. Daher kann ich verstehen, wenn dein Dad das anders sieht. Als sie noch jung waren, war die Welt eine andere. Aber ich verstehe es sehr gut, warum deine Mom ihr eigenes Geld verdienen möchte. Es bedeutet Unabhängigkeit, mehr Freiheiten, Kontakte, Verantwortung, die über den Haushalt hinausgeht", zählte ich auf. Lukas Schnauben konnte ich nur als verächtlich bezeichnen, ich ging nicht weiter darauf ein und versuchte ihm meine Sichtweise näher zu bringen: „Ich kann mein eigenes Geld verdienen, genau wie du und dann müssen wir uns finanziell nicht voneinander abhängig machen."

„Annika, spätestens mit Kindern ist deine Karriere vorbei." Lukas sprach mit mir, als wäre ich ein kleines Kind, dass einfach nicht verstehen wollte. Wie konnte das sein? Wie hatte ich nie bemerken können, dass unsere Meinung in diesem Bereich so verschieden war?

„Das glaube ich nicht. Das hängt davon ab, wie man als Paar diese Situation zusammen gestaltet. Mit Sicherheit wird sie ausgebremst und eine Zeitlang habe ich kein Einkommen, aber das ist eine überschaubare Zeit." Auf einmal fühlte ich mich so müde von dieser Diskussion, die ich so nie erwartet hatte mit meinem Partner oder gar Lukas zu führen.

„Naja, da nur Frauen die Kinder bekommen können, können sie nicht durchgehend Arbeiten und zusammen mit der Erziehung und dem Haushalt ist es nur sinnvoll, wenn die Frauen sich darum kümmern, damit der Mann das Geld mit nach Hause bringen kann. Vermutlich wirst du später noch zur gleichen Erkenntnis kommen. Anders macht es keinen Sinn. Aber das eigentliche Thema ist die Wohnung. Und wenn du von deinem jetzigen Job ausgehst, wirst du in London vermutlich genügend verdienen, um dass wir uns das leisten können." Lukas Stimme kam von oben herab und wirkte unterkühlt.

„Ich glaube, wir sollten jetzt Schluss machen." Diese Diskussion führte zu nichts und ich wollte mich nicht weiter mit ihm streiten. Wir waren unterschiedlicher Meinungen und aktuell schien es nicht so, als würden wir einen gemeinsamen Nenner finden.

„Was soll denn das, Annika?", seufzte er dann, nun klang er verärgert. Ich hörte, wie er tief durchatmete. „Okay, schlaf drüber, aber du wirst sehen, dass ich Recht habe."

Ich legte auf, sparte mir jedes weitere Wort und brach schluchzend in Tränen aus. Überrascht über den verzweifelten Laut, der die dunkle Stille durchbrach, schlug ich mir die Hand vor den Mund und kauerte mich auf meinem Bett zusammen. Dämlicher Vollidiot.

Heulend und schluchzendschlief ich mit meiner Kleidung, die ich den ganzen Tag über anhatte auf dem Bett ein, als die Erschöpfung michübermannte.   

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