TWENTYSEVEN

-Maxim-

„Du brauchst unbedingt ein paar gescheite Waffen!" meinte Kyle, während wir beide um Atem rangen. Kyle hatte mir erklärt, dass man einen Vampir nur mit Gold verletzen oder gar töten konnte. Außer man schaffte es auch so ihn zu enthaupten oder zu verbrennen. Lykae hingegen konnte Silber sowie es in vielen Geschichten erzählt wurde nichts anhaben und auch nicht Gold. Sie hatten nichts Bestimmtes, das sie schwächte. Dafür war ihre körperliche Bestform viel mehr von ihrer Umwelt abhängig als die eines Vampirs. Sie mussten regelmäßig trainieren und täglich Nahrung zu sich nehmen um ihre Muskeln und ihre Kraft zu erhalten. Bei uns hingegen vergingen die Muskeln nicht, wenn wir nicht trainierten oder uns nicht nährten. Jedoch waren wir direkt nach der Aufnahme von Blut am stärksten. Kyle hatte mir erklärt, dass unsere Körper sich nur sehr langsam veränderten. Es brauchte Jahre, ja teilweise Jahrhunderte, um das bei uns eine Veränderung zu sehen war. So hatte er mir nun auch schon versichern können, dass Lya auch noch körperlich reifen würde. Aber das würde noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Nickend stimmte ich ihm zu. „Und wo bekomme ich die her?" fragte ich ihn und richtete mich auf. Ich hatte keine Ahnung, wo ich Waffen auftreiben sollte, die genügend Goldanteile enthielten, um einen Vampir damit umbringen zu können. Aber ich brauchte unbedingt welche und dass nicht nur wegen der Vampire. Ich hatte Corinne heute Morgen nicht verlassen wollen. Die Aussicht, dass sich in unserer Nähe wahrscheinlich ein Lykae herumtrieb, der ihr Schaden wollte, fiel es mir noch schwerer als sonst sie aus den Augen zu lassen. Mittlerweile wussten sie nämlich, dass es ein gewisser Michael Walker war, der den Thron ihres Bruders wollte und dieser kam, wie der Zufall es wollte, aus den Staaten. Niemand wusste, wo er sich momentan rumtrieb. Jedoch hatte ich kaum eine Wahl gehabt, ich musste gehen und ich vertraute Zarek, dass er in dieser Zeit auf Corinne aufpassen würde. Die Spannung in der Wohnung war zum Schneiden dick gewesen. Zwar hatten auch die neuen Lykae Lya und mich gestern akzeptiert. Scheinbar ging der Gefährte ihnen wirklich überalles, bei Kyle sah die ganze Sache jedoch ganz anders aus. Und dazu musste gesagt sein, dass der Idiot einfach nicht wusste, wann er besser die Klappe halten sollte und wann nicht. Ich mochte und respektierte ihn. Ohne Vorbehalte zeigte er mir alles was ich wissen musste und half mir mich hier in dieser Welt zu Recht zu finden, obwohl ich ja eigentlich für das gegnerische Team spielte. Ein Umstand mit dem er mich nur zu gern aufzog, der ihm aber nicht weiter störte, sonder viel mehr faszinierte, wie ich den Eindruck hatte. Aber ich hatte das Gefühl, dass er zurzeit etwas unausgeglichen, wenn nicht sogar einsam war. Er versuchte es zu überspielen. Aber in den wenigen Momenten, in dem er auch ein wenig von sich preisgab, konnte ich hören, dass seine Schwester eine enorm große Rolle für ihn spielte. Ich hatte den Verdacht, dass er befürchtete sie durch ihre Heirat mit dem anderen Vampir zu verlieren.

„Ich höre mich um." Versicherte mir Kyle. „Komm mit, ich zeige dir heute etwas neues!" meinte er dann und hielt mir seine Hand hin. Widerstrebend griff ich danach.

Ich hasste es. Jedes Mal, wusste ich nicht wo ich landete und ich hatte das Gefühl, dass es mir meine Freiheit, meine Kontrolle nahm. Für einen kurzen Augenblick, in dem er uns translozierte, sah ich nichts.

„Wo sind wir hier?" fragte ich und sah mich um. Wir standen auf einen Hochhaus in einer Einkaufspassage, wenn ich mich nicht irrte. Ich war wie nicht anders zu erwarten noch nie hier gewesen. Kyle schleppte mich jedes Mal an einem neuen Ort. Mir kam der Verdacht, dass er mir so viele verschiedene Orte wie nur möglich zeigen wollte und sowie er mir erzählte, konnte ich nicht glauben wie jung er eigentlich war. Er schien schon an tausende Orte gewesen zu sein, wenn er mir geschichtliche Ereignisse erklärte, hatte ich manchmal das Gefühl, dass er zu dieser Zeit gelebt hatte. Dabei war es unmöglich, denn er war tatsächlich jünger als ich selbst. Mit nur neunzehn Jahren war er gewandelt wurden und das war gerade einmal vier Jahre her. Dagegen war ich nun schon seit gut zehn Jahren ein Vampir und Mitte dreißig.

„In Deutschland." Erklärte der schwarzhaarige Vampir mir ohne von den Menschen aufzusehen. „München. Wir trainieren jetzt deine telepathischen Fähigkeiten."

„Ich kann keine Gedanken kontrollieren." Erinnerte ich ihn und musterte aufmerksam die Menschen unter mir. Hektisch rannten sie umher, schleppten Tüten mit sich herum und schleiften Kinder hinter sich her. Es war überall das gleiche Bild. Zeit, Druck und der daraus resultierende Stress beherrschten unser Leben. Nur wenige saßen vollkommen entspannt an einem Tisch in einem Café und plauderten oder hielten einen Moment inne, um das Leben wirklich zu spüren. Die meisten trugen eine angespannte und verkniffene Miene zur Schau. Ich selbst hatte auch dazu gehört und das Leben nicht geschätzt, irgendwann hatte ich aufgehört zu Leben und erst als ich zum Vampir wurde hatte ich begriffen wie wertvoll dies war. Durch Corinne hatte ich das Gefühl eine neue Chance zu bekommen. Mit ihr spürte ich es auf einmal wieder, jeder Augenblick mit ihr war wertvoll und ich fühlte mich lebendig.

„Versuch es einfach. Du bist schon seit zehn Jahren ein Vampir. Das Gedankenlesen habe ich als erstes erlernt und dann kam erst die Gedankenkontrolle und schlussendlich das Translozieren. Rein theoretisch sollte es dir leicht fallen." Belehrte Kyle mich erneut. Ich reagierte nicht weiter darauf. Mein Blick richtete sich auf die Menschen unter mich. Das erste Mal als er mich in ein fremdes Lang geschleppt hatte, dessen Sprache ich nicht beherrschte und er von mir verlangte die Gedanken der Menschen um mich zu lesen, hatte ich ihn gefragt, wie ich sie verstehen sollte. Er hatte gelacht und gesagt, ich solle es einfach versuchen. Es war faszinierend. Auch wenn ich die Sprache nicht beherrschte, so verstand ich die Menschen aus unerfindlichen Gründen trotzdem. In ihren Gedanken waren nicht einfach nur die Worte, sondern auch die Eindrücke und Empfindungen der Menschen. Es war seltsam, aber irgendwie erlernte ich dadurch auch ihre Sprache.

„Sie will in ihre Lieblingsbäckerei gehen als Belohnung dafür, dass sie ihre Diät geschafft und zwei Kleidergrößen weniger hat?!" meine Worte waren mehr eine Frage, als eine Antwort. Ich verstand die Frauen nicht. Warum wieder Essen gehen, wenn man sich erst alles herunter gehungert hatte? Das hatte doch genau den gegenteiligen Effekt. Kyle neben mir nickte.

„Der Mann dort." Meinte er. Es war ein alter Mann, der auf einer Bank an einem Springbrunn saß und die Tauben mit Brot krummen fütterte. Neben ihn lag ein bunter Blumenstrauß „Er macht eine Pause, weil ihm die Knie wehtun. Die Blumen sind für seine Frau. Er holt ihr jeden Freitag Blumen, weil sie sie so sehr liebt."

„Das Kind." Zeigte er mir wortlos den Nächsten. Kyle wirkte unruhig, schnell erfassten meine Augen das Kind. Es rannte einen Ball hinterher, die Mutter hatte es noch nicht bemerkt, da sie mit einem Baby beschäftigt war und der Ball rollte auf die Gleise der einfahrenden S-Bahn zu.

Als ich mich zum ihm hin translozieren wollte, packte Kyle mich am Arm und riss mich zurück. „Ah!" es war wie ein Schlag, der durch meinen gesamten Körper fuhr und kurzzeitig lähmte.

„Kontrollier seine Gedanken!" verlangte Kyle. „Du darfst dich nicht in die Menschenmenge Translozieren. Wenn dich ein Mensch dabei erwischt, kann das dein Tod sein. Einzig und allein den Chasseuren ist es gestattet und dies nur unter ganz strengen Bedingungen." Chasseure waren Vampire, die andere Vampire jagten. Kyle und auch Tamara waren Chasseure.

„Er wird sterben." Widersprach ich. Wie sollte ich hier oben stehen bleiben und zu sehen, während der Junge in seinen Tod rannte?

„Dann rette ihn." Verlangte der Vampir neben mir unbeeindruckt.

Beinahe panisch versuchte ich die Gedanken des Jungen zu finden. Er dachte nur an den Ball und dass er ihn wiederhaben wollte. Vor einer Woche hatte er ihn von seinem Vater zum Geburtstag geschenkt bekommen.

„Was soll ich machen?" fragte ich Kyle.

„Lenk ihn ab, da drüben ist ein Eisstand. Oder die Tauben. Kinder lassen sich leicht ablenken."

„Und wie?"

„Geh in seine Gedanken und flüstere es ihm ein. Sag ihm, dass es dort Eis gibt."

Der Ball rollte immer weiter, holperte über die Gleise. Der Junge rannte und ich versuchte in seinen Gedanken ihn auf das Eis aufmerksam zu machen. Verstand er mich überhaupt, wenn ich ihm das Wort Ice-Cream immer zu entgegen schrie? Wie nannten die Deutschen es?

Die Frage beantwortete der Junge mir so gleich. Kurz blitze in seinen Gedanken, dass Wort „Eis" auf, ehe er abrupt stoppte und lauthals über den Platz brüllte: „Mama, ich will ein Eis!"

Die S-Bahn hielt nur wenige Meter von den kleinen Jungen entfernt, selbst wenn er über die Gleise gerannt wäre, es wäre ihm nichts passiert. Die Haltestelle war einige Meter davor, wie ich nun sah als zahlreiche Menschen ausstiegen und andere ein. In meiner Angst um den Jungen hatte ich dies vollkommen übersehen.

Kyle erwiderte meinen Blick. „Du kannst anscheinend doch Gedanken kontrollieren." Stellte er mit selbstzufrieden fest.

„Ich habe es ihm quasi in die Gedanken gebrüllt." Schnauzte ich maßlos gereizt.

„Wohl war. Nicht sonderlich subtil, aber trotzdem eine Form der Gedankenübertragung. Außerdem geht es bei Kindern meist nicht anders. Sie sind überraschenderweise meist widerstandsfähiger als Erwachsene, weil sie so einen Sturrkopf besitzen. Jetzt da du weißt, dass du es doch kannst, können wir an deiner Form arbeiten."

Ich schnaubte. Seine Lehrmethoden ließen zu wünschen übrig. „Hast du gewusst, dass der Junge nicht in Gefahr war?"

„Die Bahn hält mal ein paar Meter früher, mal ein paar Meter später. Der Junge hätte heute Glück gehabt."

„Du hättest ihn sterben lassen." Stellte ich entsetz fest und fragte mich, ob ich ihn wirklich so falsch eingeschätzt hatte.

„Mein Bruder ist nur ein paar Jahre älter als er, dass hätte ich nicht zugelassen."

Ich beließ es dabei und beobachtete, wie der Junge zu seiner Mutter rannte und diese ihn erst einmal wegen dem verloren Ball schimpfte. Doch als er ihr zeigte, wo der Ball hin gerollt war, wurde sie um einiges blasser und holte den Ball gemeinsam mit ihren beiden Kindern. Aber erst nachdem die S-Bahn weggefahren war.

„Ich zeig dir, wo du hier Blut bekommst." Meinte Kyle irgendwann und wandte sich einer einsamen Tür zu.

„Kein translozieren?"

„Ein bisschen Bewegung schadet deinen alten Knochen nicht." Scherzte er.

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