THIRTYONE
-Corinne-
„Ahhh!", entsetzt, ohne Orientierung und vollkommen panisch klammerte ich mich an Maxims unnachgiebige Gestalt. Ich wusste nicht, was los war. Es fühlte sich alles falsch und verkehrt an. Als stände die Welt auf dem Kopf. Als wäre der Boden einfach verschwunden. Als wäre keine Luft mehr vorhanden und ich würde wie ein Fisch auf dem Trockenen verzweifelt nach Luft ringen. Als wäre nichts außer Maxim um mich herum und dann war alles wieder so wie es sein sollte. Der Boden unter meinen Füßen war fest. Die Luft war wie eine seichte Decke auf meiner Haut spürbar und auch die Welt stand genauso wie sie es sollte. Maxim hielt mich dicht an seine Seite gepresst und ich wagte es meinen Kopf zu heben, als er beruhigend murmelte: „Es ist alles in Ordnung! Du bist in Sicherheit!"
„Nichts ist in Ordnung!", hörte ich meinem Leibwächter fluchen und sah zu ihm. Ich nahm mir keine Zeit um meine Umgebung wirklich in mir aufzunehmen, aber es reichte trotzdem um mit absoluter Sicherheit zu sagen, dass wir uns nicht mehr an dem Flughafen befanden.
„Zarek!", rief ich entsetz als mein Blick auf meinen Leibwächter fiel. „Was ist mit dir passiert?"
„Dein Vampir! Er hat uns transloziert ohne auch nur ein Wort zu sagen und ich habe mich natürlich reflexartig dagegen gewehrt!", erklärte er, während er wutverzerrt zu meinem Gefährten starrte. Sein Gesicht zierten mehrere tiefe Schnittwunden und auch unter seinem Shirt und der Hose mussten weitere Wunden vorhanden sein, wie das durchsickernde Blut verriet. Es wirkte wie ein gleichmäßig verteiltes Muster auf seiner Haut. Die Schnitte waren nicht lang-vielleicht zwei bis drei Zentimeter-auch der Abstand zwischen den Verletzungen war genauso weit auseinander. Es waren so viele davon, dass mich direkt eine Panikwelle überfiel: „Was soll ich machen? Zarek, wie können wir das stoppen?", meine Stimme nahm einen hysterischen Klang an. Ich nahm es selbst wahr, konnte es jedoch nicht verhindern. „Gar nichts. Es wird von selbst heilen, aber es braucht ziemlich lange!", knurrte Zarek gereizt, sein Gesicht vor Schmerz verzogen. „Und es schwächt mich!", grimmig sah er zu Maxim. „Was sollte der Unsinn?" Auch ich sah zu meinem Gefährten. Die Frage war mehr als berechtigt.
"Corinne ist in eurem heißgeliebten Australien auch nicht sicherer als in Washington.", brauste Maxim auf.„So doof kann Walker gar nicht sein, dass ihm nicht klar sein wird, dass ihr sie wieder da hinbringt." Maxim klang angespannt und seine Blicke hafteten nach wie vor an Zareksverwunderter Gestalt. Nickend stimmte ich ihm zu. Natürlich wäre klar und auch mehr als nur leicht nachvollziehbar gewesen, dass ich so oder so zurückgeflogen wäre. So wusste ich zwar nicht wo ich war, aber Walker genauso wenig. Maxim hatte tatsächlich recht: Ich war vorerst in Sicherheit.
"Das war nicht meine Absicht!", erklärte Maxim an Zarek gewandt.Die Reue und Schuldgefühle waren ihm aus dem Gesicht zu lesen. „Entschuldige, Zarek."
Zarek nickte, akzeptierte so wortlos die Entschuldigung. "Scheint so als hätte dir das der Drakon vergessen zu erzählen!", brummte er trotzdem.
"Ich bin kein Drakon!", machte sich eine Stimme in meinem Rücken bemerkbar und ich wirbelte herum. Kyle stand im Türrahmen und musterte Zarek. „Außerdem habe ich sowas noch nicht erlebt. Normalerweise meide ich den Kontakt zu Hunden." Ich glaube es gab kein Lebewesen, dass mich so schnell auf die Palme brachte wie er. Wobei... Vincent hatte sich innerhalb eines einzigen Tages dicht hinter dem arroganten Vampir katapultiert.
"Das beantwortet dann die Frage wo wir sind.", stellte Zarekkühl fest. "Und warum es hier so nach Blutsauger riecht." Ein Naserümpfen unterstrich seine Worte.
"Zarek!", zischte ich warnend. Die Schmerzen mussten wirklich schlimm sein, wenn er sich so unmöglich benahm. Aber recht hatte er trotzdem. In der Wohnung lebten scheinbar mehrere Vampire und es waren auch mit Sicherheit einige regelmäßig zu Gast.
„Was macht ihr hier?", fragte Kyle unwirsch und verschränkte grimmig die Arme. Ihm war deutlich anzusehen, dass er sich über unseren Besuch nicht sehr freute. Ein Blick durch den Raum ließ mich vermuten, dass wir uns in seiner Wohnung befanden. Wir standen in einem Wohnzimmer, dass ohne Frage einem Mann gehören musste, wie die dunkle und schlichte Einrichtung verriet. Lediglich die verwelkten Blumen und eine Schale mit ein paar Kerzen deuteten darauf hin, dass hier auch ab und an eine Frau ihre Finger im Spiel hatte. Hätte ich die schwache Fährte eines weiblichen Lebewesens nicht in der Luft gerochen, hätte ich es auch ihm zu geschrieben. Ein Mann war durchaus in der Lage ein paar Kerzen und Blumen hinzu stellen, ganz besonders dann, wenn er eine Frau rumkriegen wollte.
„Corinne ist in Washington nicht mehr sicher.", erklärte Maxim schmerzfrei und trat schützend vor mich.
„Ärger unter den Wölfen...", spöttelte Kyle bevor er ernst wurde und sich kurz durch seine schwarzen Locken raufte. „Und dann bringst du sie hier her? Wo mein Bruder jeden Moment durch die Tür kommen könnte?", fuhr er meinen Gefährten ärgerlich an. Keine Sekunde später hörten wir schon das Klacken eines Schlosses. „Spricht man von der Wüste, kommt das Kamel angeritten.", murmelte Kyle und er war sichtlich unzufrieden mit der kompletten Situation, nach kurzem Zögern wandte er sich uns zu. „Wenn ihr ihm irgendetwas tut, lasse ich euch einen qualvollen Tod erleiden!Nur damit wir uns verstanden haben. Ist das klar?", fragte er drohend nach. Ich hegte keinen Zweifel daran, dass er seine Worte nicht ernst meinen könnte und so ungern ich es zugab, aber Kyle gehörte zu den Vampiren, die womöglich wirklich mit uns dreien allein fertig werden könnten. Ich verstand seine Gabe nicht ganz und war mir nicht sicher, ob er sie zur gleichen Zeit an mehreren Personen anwenden konnte.
Stumm nickten wir, gespannt wem wir nun begegnen würden. Das Ergebnis war überraschend. Es war ein Junge, der Kyle nicht unähnlicher hätte sein können. Blond, schlaksig, mit einer niedlichen Stupsnase und einigen Sommersprossen unter den graublauen Augen. Mit Sicherheit keinen Tag älter als dreizehn Jahre und menschlich. Überrascht sah er uns an, während er seinen Rucksack achtlos in eine Ecke fallen ließ.
„Hi, Kleiner!", begrüßte Kyle ihn brüderlich und ich wagte es zu behaupten, dass ich das erste echte und ehrliche Lächeln im Gesicht des schwarzhaarigen Vampirs sah.
„Man Kyle, ich bin nicht mehr klein!", motzte der blonde Junge und stieß trotzdem seine Faust gegen die des Vampirs ehe er sich uns zuwandte.
„Ich bin Marvin!", stellte er sich höflich mit einem Lächeln vor und reichte zuerst mir die Hand. „Damen zuerst!", tadelte er Maxim als dieser sich vor mich schieben wollte. Mit einem Lachen beugte ich mich etwas vor, damit wir auf einer Augenhöhe waren und schüttelte seine Hand. Maxim sah verdutzt zu dem kleinen Jungen, während selbst Zareks angespanntes Gesicht sich zu einem Schmunzeln verzog. Der Junge war ein wahrer Charmeur. „Freut mich dich kennenzulernen! Ich bin Cori."
„Du bist voll hübsch. Bist du auch ein Vampir?", fragte er neugierig. Und in ein paar Jahren würde er sicherlich so einige Herzen brechen, fügte ich meinen Gedanken hinzu. Sein offener Blick und seine Ehrlichkeit waren einnehmend, das hübsche Gesicht mit den blonden Strähnen würde sein übriges tun. „Marvin!", schimpfte Kyle. „Du sollst das Fremden gegenüber nicht erwähnen. Was ist, wenn du diese Frage einmal einem Menschen stellen solltest?"
„Aber sie hat eine ganz andere Aura als ein Mensch!" Überrascht sah ich ihn an. War er wirklich nur ein einfacher Menschjunge? Konnte er tatsächlich meine Aura sehen oder spüren? Was hatte es mit dem Jungen auf sich, der hier scheinbar unter Vampiren aufwuchs?
„Ich bin eine Lykae und was bist du?", ging ich neugierig zwischen die Diskussion der beiden. "Noch bin ich ein Mensch, aber sobald ich groß bin will ich auch ein Vampir sein!", erklärte er und reckte stolz und definitiv auch stur das Kinn in die Luft. Diese Geste und das Augenverdrehen seitens Kyle, welches ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, verrieten mir, dass diese Diskussion schon ein Thema war, welches öfters angeschnitten wurde. „Was ist eine Lykae?", fragte er mich dann mit großen Augen. Meine beiden Begleiter hatte er scheinbar vergessen.
„Ein Lykae kann sich in einem Wolf verwandeln." Erklärte ich.
„Also bist du ein Werwolf-„ unwillig verzog ich das Gesicht. Ich mochte die Bezeichnung als Werwolf noch weniger, als wenn mich jemand einen Hund schimpfte. „Nein, Werwölfe sind grausamer Kreaturen, die Unschuldige töten. Ich bin einfach nur stärker, lebe länger als ein Mensch und kann mich in einen Wolf verwandeln, wann immer ich möchte."
„Puh!", stieß Marvin sichtlich erleichtert aus.„Ich hatte echt Angst, dass ich dich jetzt töten muss. Alexandr hat nämlich auch gesagt, dass Werwölfe furchtbare Wesen sind und man sie töten muss!" Der Kleine schien gar nicht infrage zu stellen, ob er mich überwältigen konnte oder nicht. Er setzte es mit der gleichen Arroganz, die Kyle an den Tag legte, voraus. Dass ich einen halben Meter größer, stärker und älter war, interessierte seiner Einschätzung nach nicht. Faszinierend und einfach nur verdammt niedlich. Zumindest in diesem Alter.
Meine Augenbrauen zogen sich kurz zusammen und ich fragte mich wie es war, als ein sterblicher Junge zwischen Vampiren aufzuwachsen. Auch wenn ich nicht genau wusste wie Menschenkinder aufwuchsen so erschien mir dies doch ein wenig unnormal. „Da hat er vollkommen Recht!", stimmte ich ihm trotzallem zu. Ich nahm an, dass Marvin von Alexandr Drakon sprach. Zumindest hing seine Fährte nur zu deutlich in dieser Wohnung. Er würde alles andere als erfreut sein, wenn er wiederkommen und von unseren Besuch erfahren würde. Und das würde er.
„Darf ich dir meinen Gefährten vorstellen?", wechselte ich dann das Thema und richtete mich wieder auf.
„Hi!", sagte Marvin und reichte ohne zu zögern auch Maxim die Hand, der einen Schritt auf den Jungen zu gegangen war. „Maximilian!", erklärte er ein wenig steif und ich stieß ihn den Ellbogen zwischen die Rippen. „Kannst aber auch einfach Max oder Maxim sagen.", fügte er noch hinzu und ich gab ihm einen Kuss auf die Wange als Belohnung.
„Und das ist Zarek!", stellte ich meinen Bodyguard vor, der dem kleinen Jungen auch die Hand geben wollte, sie aber zurückzog als er das Blut an seinen Fingern kleben sah.
„Hast du mit einem Werwolf gekämpft?", fragte Marvin aufgeregt, mit großen Augen und schien erst jetzt die zahlreichen Blutfleckenauf seinem Körper zu entdecken.
„Nein, Zarek ist auch ein Lykaesowie Cori und als Maxim ihn zu uns transloziert hat, ist ihm das nicht gut bekommen." Marvins Augen wurden noch größer und sein Mund öffnete sich. „Tut das sehr weh? Warum ist das bei Cori nicht passiert?"
„Es heilt wieder!", wich Zarek der Frage aus und ich war ihm dankbar dafür, dass er seine Laune nicht an dem Jungen ausließ.
„Das ist zu kompliziert zu erklären, um es jetzt in Worte zu fassen!", wehrte Kyle ab und wuschelte dem Jungen liebevoll durch die Haare.
„Aber ich will es wissen!", protestierte Marvin und presste die Lippen energisch zusammen. „Sonst frag ich Ali oder Alexandr.", drohte er und ich konnte mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Der Junge schien zu wissen wie er bekam was er wollte und wie mir schien verhätschelten die Vampire ihn auch etwas zu sehr. Aber so war es immer noch besser, als wenn es ihm schlecht ging. Ich fragte mich, was er bei ihnen machte. Wie kam es, das ein Menschenkind bei Vampiren aufwuchs und so gar keine Scheue zu verspüren schien?
„Du wirst dich gedulden müssen, Kleiner!"
„Ich will es aber jetzt sofort wissen!" Jetzt versuchte er es mit flehenden Augen und einer Schmolllippe.
Kyle schien immun gegen den Anblick, was ich nicht von mir behaupten konnte, und er seufzte genervt. „Die beiden sind nicht da und du gehst jetzt auf dein Zimmer und erledigst deine Hausaufgaben!", bestimmte der Ältere von beiden entschieden. Bockig stampfte Marvin mit den Fuß auf und schnappte sich seinen Rucksack. „Ich wünschte Tamara wäre hier! Die ist viel cooler als du und sie hätte es mir verraten und ihr Essen schmeckt auch tausendmal besser als deins!" Noch ein wütender Blick der Kyle zu Asche verbrennen sollte und dann war der zornige blonde Engel verschwunden.
„Danke, dass du so nett zu ihm warst!", meinte Kyle nach ein paar Sekunden in denen er einfach nur tief einatmete. Ganz so spurlos ging dieser Streit also auch nicht an ihm vorbei.
„Ich mag Kinder, ich würde ihnen nie etwas tun. Was glaubst du eigentlich, was wir sind?", brauste ich nun auf. Es war für mich selbstverständlich wie ich mit dem Jungen umgegangen war. Diese ständigen Vorurteile uns Lykae gegenüber nervten. Glaubte er ernsthaft ich würde einem Kind, einem unschuldigen Jungen, etwas tun?
„Entschuldigt bitte, wahrscheinlich habe ich einfach nur schon zu viel gehört." Tatsächlich meinte ich echte Reue in seinen Augen erkennen zu können und ersparte mir deshalb alle weiteren Worte.
„Also können wir nun hierbleiben oder nicht?", fragte Maxim den Vampir.
Kyle fuhr sich übers Gesicht und durch die Haare. Er schien fieberhaft zu überlegen. „Wenn da draußen irgendwer Jagd auf dich macht, Corinne, dann kann ich dich nicht hierbleiben lassen!", er sah mich bei diesen Worten an und bat mich mit seiner Mimik um Verständnis. Nur kurz sah er zu meinen Begleitern. „Ich habe meinen Bruder schon zwei Mal in Gefahr gebracht und ich tue es jeden Tag, einfach in dem ich nicht stark genug bin und ihn in meine Nähe lasse, aber wenn du..."
„Ich verstehe es, Kyle!", unterbrach ich ihm. Es war tatsächlich sein Bruder?! Ganz konnte ich es noch immer nicht bleiben. Sobald ich mehr Zeit haben würde, sollte ich anfangen mich wieder mehr mit unseren anderen unsterblichen Erdenbewohnern auseinanderzusetzen. „Ich möchte Marvin nicht in Gefahr bringen.", erleichtert atmete Kyle auf, während Maxim die Hände zu Fäusten ballte und seine Gesichtsmuskulatur sich anspannte. Zarek dagegen blieb lässig.
„Aber ich kann euch eine andere Zufluchtsstätte anbieten!"
„Wo?", fragte Maxim direkt und entspannte sich deutlich. Ich fand es toll, dass er sich so um mein Wohlergehen sorgte. „Frankreich, Italien, Russland, Mexiko, Indien...", zählte Kyle nun auch lockerer auf, „Die Drakons haben überall ihre Häuser!", er schnaubte. „Meistens passt der Begriff Schlösser besser."
„Ihr müsst nur sagen, wo ihr hinwollt.", fügte er noch hinzu als wir stumm blieben.
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