NINE
„Wir reden später weiter!" meinte Tamara. Ich hörte den dumpfen Laut als sie ihr Glas abstellte. „Und vergiss nicht was ich dir gesagt habe." Verlangte sie. Lässig drehte sie sich um und zwinkerte mir noch einmal zu. Arrogante Vampirin. Der Vampir erkannte Tamara sofort. Sie war Dank ihrer Stellung in der Vampirwelt, aber auch wegen ihren Brüdern so bekannt wie ein bunter Hund. Als der Vampir sich translozierte, stürzte Tamara sich auf ihn. Gemeinsam verschwanden die beiden vor meinen Augen. Ich seufzte genervt und verdrehte die Augen. „Vampire." Schimpfte ich leise. Sie mussten immer und überall auffallen. Kurz sah ich mich um. Ein paar Menschen starrten ungläubig auf den leeren Fleck. Einer schüttelte den Kopf und zuckte die Schultern, der andere fasste sich an die Stirn als wäre ihm schwindelig. Ein weitere betrachtete nachdenklich sein Getränk. Wahrscheinlich überlegte er sein wie vieltes es war. Eine Frau runzelte nachdenklich die Stirn ehe sie ihren Arsch wieder an ihren Tanzpartner rieb. Ein jeder schob das, was er gesehen hatte, auf den Alkohol. Schulterzuckend wandte auch ich mich ab und bahnte mir einen Weg durch die Menge, auf der Suche nach dem perfekten Zielobjekt. Ich war mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, den Ratschlag der Vampirin umzusetzen. Aber so würde ich es wohl am schnellsten herausfinden.
Tamara und ich hatten lange hin und her diskutiert. Laut geltendem Gesetz müsste Maximilian Gordon sterben. Er ernährte sich jede Nacht von den Menschen. Abgesehen davon, dass er damit die Gefahr der Entdeckung von Vampire und Lykae durch den Menschen erhöhte, hatte er eines seiner Opfer fast leer gesaugt wie Tamara mir verriet. Allein der Gedanke, dass er Blut trank, ekelte mich an. Aber wenn ich daran dachte, dass er dafür seine Lippen an den Hals einer anderen Frau presste, kam die pure Eifersucht in mir hoch. Meine Meinung war zwiegespalten. Schon von Kindesbeinen an hatte man uns, den Lykae beigebracht, dass Vampire widernatürliche Wesen waren. Niemand hatte geglaubt, dass ein Lykae einmal seinen Gefährten unter ihnen finden könnte. Trotzdem war es mir passiert. Nun drängte sich gegen all den Sachen, die man mir seit klein auf eingetrichtert hatte, das Bewusstsein auf, dass er mein Gefährte war und ich begann alles zu hinterfragen und umzudenken. Ich wusste einfach nicht wie ich damit umgehen sollte. Warum musste alles nur so kompliziert sein?
Bis jetzt wusste nur Tamara von Maximilians Gesetzesbruch. Sie hatte ihn mehr durch Zufall entdeckt und es zum Glück noch nicht weitergeleitet. Deshalb hatte sie mir einen Deal angeboten. Er würde die Chance bekommen sich zu erklären und sollte er sich dann an die Regeln halten, würde er verschont werden. Wenn nicht, konnte auch ich nichts mehr tun und dann wäre er meiner auch nicht würdig... Ich konnte und wollte es nicht gut heißen, dass er von Menschen trank und sie damit schädigte, wenn es bessere Alternativen gab. Tamara hatte mir versichert, dass es diese gab.
„Hey, Schönheit, willst du mit mir tanzen?" sprach mich ein Mann an, der tatsächlich fast auf einer Augenhöhe mit mir war. Er hatte babyblaue Augen und dunkle Haare. Eine kleine Narbe schnitt durch seine linke Augenbraue, das Lächeln war sympathisch, die Nase etwas schief. Auch wenn er nett aussah und nicht so aufdringlich wirkte wie der ein oder andere Kerl heute Abend, wollte ich es eigentlich nicht. Ich wollte nur mit einem tanzen. Doch dieser eine stand, seitdem er sich von mir abgewandt hatte, am Geländer des VIP-Bereichs und beobachtete mich. Nicht nur dass Tamara es mir versichert hatte, ich konnte auch seine Präsenz und seine bohrenden Blicke spüren. Er folgte mir überall hin. Aus genau diesem Grund, schenkte ich dem Dunkelhaarigen ein kleines Lächeln, ließ mich in seine Arme ziehen und fing an mit ihm zu tanzen wie man in einem Club nun einmal tanzte. „Mach ihn eifersüchtig!" hatte Tamara gesagt. „Wenn er wirklich dein Gefährte ist, dann wird er platzten und gar nicht anders können als mit dir zu reden." Ich hoffte sie hatte recht.
„Mein Name ist Daniel." Stellte sich mein Tanzpartner vor. Seine Hand glitt meinen Rücken weiter hinab und rutschte auf meinen Po. Doch nicht so unaufdringlich, dachte ich erbost und zwang mich dazu seine Hand liegen zu lassen wo sie war. Ob es dem Vampir wirklich etwas ausmachen würde? Ich konnte den kurzen Blick über meine Schulter nicht aufhalten. Mein Herz rutschte in die Hose. Suchend überflog ich das Geländer. Er war weg. Erneut hatte er sich einfach von mir abgewandt. Tamara hatte unrecht. Er interessierte sich nicht für mich. Hilflosigkeit machte sich in mir breit. Verzweiflung. Tränen stiegen mir in die Augen. Was sollte ich tun? Einfach verschwinden und aufgeben? Auf nimmer wiedersehen, zurück nach Australien und so tun als wäre ich ihm nie begegnet? Das konnte ich nicht. Ich würde es noch ein letztes Mal versuchen. Ich würde direkt auf ihn zugehen, ihn ansprechen und sollte ich mich dabei blamieren, dann sollte es so sein. Aber ich würde mir hinterher nicht vorwerfen können, dass ich es nicht versucht hätte. Heulen könnte ich später immer noch.
„Und wie heißt du, meine Schönheit?" fragte Daniel mich, als ich auf seine Worte nichts erwiderte. Seine andere Hand glitt zu meiner Brust. Kurz davor ihm eine zu knallen und dann zu verschwinden um meinen Plan umzusetzen, erstarrte ich in meiner Bewegung, als eine angespannte Stimme hinter mir erklang. „Nimm deine Finger von meiner Freundin und verschwinde." Meine Nackenhaare stellten sich auf und mir überlief ein Schauer. Diese Stimme hätte ich überall erkannt. Daniel starrte entsetzt über meine Schulter, löste sich von mir und war ohne ein weiteres Wort verschwunden. Ein breites Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Erwartungsvoll wirbelte ich herum. Es war der Vampir. Grimmig starrte er hinter mich, wahrscheinlich immer noch den armen Daniel hinterher. So mordenlüstern wie er schaute, war es kein Wunder, dass dieser die Flucht ergriffen hatte. Sollte mir nur Recht sein. Ich hatte was ich wollte. Der Vampir stand vor mir. Sowohl seine verkrampften Hände, der mordlüsterne Gesichtsausdruck als auch seine Worte bewiesen mir, dass ich ihm alles andere als egal war. Er spürte es. Er spürte es genauso wie ich.
„Deine Freundin?" riss ich ihn neckend aus seiner verkrampften Haltung und biss mir auf die Unterlippe damit er mein breites Grinsen nicht sofort sah. Ruckartig richtete er seinen Blick auf mich als er meine Stimme hörte. Nur kurz blickte er mir in die Augen bevor sein Blick auf meine Lippen fiel. Sofort stoppte ich mit dem Geknabber an meiner Unterlippe und verharrte in jeglicher Bewegung, mir seines aufmerksamen Blickes nur zu deutlich bewusst. Ich sah das Begehren in seinem Blick, das Verlangen. Seine Hand kam meinem Gesicht langsam näher, strich mir die Haare zurück über die Schulter und legte sich dann warm und rau an meine Wange. Mir stockte der Atem. Mein Blick fiel auf seine Lippen. Langsam kam er mir näher. Er strich mit dem Daumen zart über meine Lippe. Kurz huschte sein Blick zu meinen Augen, richtete sich wieder auf meine Lippen. Unsere Gesichter waren sich so unheimlich nah. Ich spürte seinen warmen Atem über meine Haut streifen. Meine Augen schlossen sich von selbst, sehnsüchtig auf seine Berührung wartend. „Küss mich!" verlangte ich, als er immer noch zögerte.
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Abrupt riss ich die Augen auf und stolperte zwei Schritte zurück. Das durfte ich nicht. Ich hätte erst gar nicht zu ihr laufen dürfen. Doch als ich sah wie dieser Bastard sie berührte, wie seine Hände über sie glitten, war es aus mit meiner Vernunft und ich konnte mich nicht davon abhalten dazwischen zu gehen. Am liebsten hätte ich ihm den Kopf abgerissen. Nur der Rest meines Verstandes sagte mir, dass es ein klein wenig übertrieben war. Außerdem wollte ich Corinne nicht ängstigen. Ein ordentlicher Kinnhaken wäre trotzdem drin gewesen, doch sobald er mich sah, war er verschwunden. Feigling.
Eigentlich hatte ich Corinne sagen wollen, dass sie von ihr verschwinden sollte. Doch als ich das erste Mal ihre Stimme hörte und dann sah wie sie an ihrer Unterlippe knabberte, war mein guter Wille vergessen. Den Grund, warum ich mich von ihr fernhalten sollte, wusste ich nicht mehr. Da war einfach nur dieses Verlangen. Sie zu küssen, zu schmecken, zu Mein zu machen. Fast hätte ich ihm nachgegeben. Nur ihre leise Aufforderung war es, die mich aus ihrem Bann riss und die Alarmglocken laut schrillen ließ. Ich sollte weg von ihr. Ich musste es. Aufgebracht fuhr ich mit meiner einen Hand, durch meine Haare.
Wortlos und von meiner eigenen dummen Handlung entsetzt, betrachtete ich ihr Gesicht. Sie öffnete die Augen und sah mich verständnislos an. Verletzt. Gekränkt. Es tat mir in der Seele weh, dass ich der Auslöser dafür war und sie nicht trösten konnte. Wahrscheinlich spürte sie das gleiche wie ich, anders konnte ich mir ihre Reaktion auf mich nicht erklären. Zwar hatte ich mir irgendwann eine Familie gewünscht, aber ich hatte nie an die eine große Liebe geglaubt. Bis jetzt. Denn sie stand vor mir. Ich sah den Schmerz in ihren Augen über meine Zurückweisung. Sie musste das gleiche wie ich fühlen. Doch ein Monster wie mich zu lieben, wäre Wahnsinn. „Habe ich etwas falsch gemacht?" fragte sie verständnislos, den Fehler bei sich suchend. Einen kurzen Moment schloss ich die Augen. Bat um Hilfe, die ich nicht bekommen würde. Ich wollte nichts lieber, als ihr zu beteuern, dass alles okay war und dann dort weitermachen, wo ich uns unterbrochen hatte. Aber das konnte ich nicht. Und ich konnte ihr auch nicht sagen, dass sie nichts falsch gemacht hatte, sondern ich das Problem war. Mein Wesen. Das ich eine Gefahr für sie darstellte. Wenn sie mich für ein Arschloch halten würde, würde sie sicherlich einfach abhauen und mich vergessen. Das wäre für uns beide das Beste.
„Du solltest nach Hause gehen, kleine Mädchen, wie du gehören nicht hier her!" stieß ich sie mit meinen Worten von mir. Einen Moment sprachlos sah sie mich an, dann gab sie mir eine schallende Ohrfeige. Überrascht flog mein Kopf zur Seite. Sie hatte Kraft und war schnell. Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet und erst rechnet nicht mit ihrer Antwort. „Vielleicht solltest du dir eine Brille besorgen, Vampir, aber ich bin sicher alles andere als ein kleines Mädchen!"
Um das zu erkennen brauchte ich keine Brille. Ihre Kurven waren bei weitem nicht die üppigsten in diesem Club, dafür aber die schönsten, die ich je gesehen hatte und die einzigen, die mich wirklich interessierten. Davon abgesehen, war sie tatsächlich fast auf einer Augenhöhe mit mir. Um sie zu küssen müsste ich mich nicht einen halben Meter runter beugen, sondern mich einfach nur nach vorne lehnen.
Aber was mich am meisten an ihren Worten schockiert, war dass sie offen zugab, dass sie wusste was ich war und vor allem, dass sie mich dennoch küssen wollte. Störte sie es nicht? Oder war sie sich der Gefahr, die permanent von mir ausging, nicht bewusst?
„Hat dir dein Daddy nicht beigebracht sich vor den Monstern der Nacht zu verstecken?" spöttelte ich. Sie musste gehen, bevor ich doch noch etwas Unüberlegtes tat.
Genervt verdrehte sie die Augen. Unbeeindruckt von meinen Worten. „Du überschätzt dich selbst, Vampir. Ich muss mich vor niemanden verstecken." Was meinte sie damit? Sie schien etwas zu wissen, dass ich nicht wusste.
„Und wofür sind dann deine Wachhunde da?" fragte ich sie. Panisch sah sie sich um. Anscheinend war sie wirklich abgehauen und hatte Angst, dass sie sie finden würden.
„Halten sie dich gefangen?" fragte ich. Auch wenn ich sie eigentlich so schnell wie möglich loswerden sollte um sie zu schützen, konnte ich mir diese Frage nicht verkneifen. Ihr Kopf wirbelte zu mir rum.
„Nein!" wehrte sie ab, als wäre diese Idee völlig abwegig. „Sie sind lediglich den gleichen Irrglauben wie du anheim gefallen." Damit bezog sie sich auf das ‚kleine Mädchen'.
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Das Wissen, dass sie normalerweise rund um die Uhr bewacht wurde, beruhigte mich. Also müsste ich sie nur nachhause zurückbringen und dann würde ein andere diesen Job übernehmen. Das die Kerle auch noch gut aussehenden waren und vielleicht eine Chance bei Corinne hätten, die ich nie haben könnte, trug nicht unbedingt zu meinem Seelenfrieden bei, aber es ging hier um ihre Sicherheit und Glück. Da waren meine eigene Probleme und Wünsche zweitrangig. Und ich konnte ihr nun mal keine dauerhafte Sicherheit und Glück bieten. „Warum sind sie dann nicht bei dir?" fragte ich.
„Weil ein kleines Mädchen manchmal seinen Freiraum braucht." Griff sie meine Worte auf. Es war klar, dass sie mir keine ehrliche Antwort auf diese Frage gehen sollte.
„Dann wird das kleine Mädchen sicherlich einsehen, dass das hier nicht der richtige Ort ist um Freiraum zu suchen." Stellte ich klar.
Sie schnaubte. „Aber der perfekte um einen Vampir zu finden."
Konnte es sein, dass sie damit mich meinte? Dass sie allen Ernstes mich gesucht hatte? Auch wenn der Gedanke ein warmes Gefühl in meiner Brust aufsteigen ließ, machte mich die Gefahr in die sich dafür gab schier wahnsinnig. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?" fauchte ich sie aufgebracht an.
„Ich glaube das muss ich um das zu tun!" meinte sie und schien tatsächlich kurz zu überlegen.
Ich verstand gar nichts mehr. „Was meins..." weiter kam ich nicht, denn da presste sie ihre Lippen auf meinen Mund. Ein Feuerwerk entbrannte. Jeder vernünftige Gedanke verflüchtigte sich ins Nichts. Das einzige was noch zählte war sie. Ihre Lippen auf meinen, ihr weicher schlanker Körper, der sich perfekt in meine Arme schmiegte. Wie für einander geschaffen, verschmolzen wir miteinander. Ertastend bewegten wir unsere Lippen gegeneinander. Einen Arm hatte ich um ihre Taille geschlungen, die andere Hand krallte sich in ihre Haare und bog ihren Kopf ein wenig zurück um mir einen besseren Zugang zu gewähren. Sie hatte ihre Arme um meinen Nacken geschlungen und zog mich noch dichter zu sich, obwohl das kaum möglich schien. Leise stöhnte sie auf und ich nutzte den Moment um mit meiner Zunge ihren Mund zu erobern. Sie schmeckte so gut wie sie roch. Schnell wurde aus dem zaghaften Ertasten ein gieriger, alles verschlingender Kuss. Die Leidenschaft riss uns mit sich, ließ uns unsere Umgebung und uns selbst vergessen. Im wilden Verlangen duellierten sich unsere Zungen miteinander bis zu dem Moment wo sie sich mit ihrer Zunge an einem meiner zu scharfen Eckzähne, die durch die Erregung hervorgekommen waren, schnitt und ich ihr warmes Blut schmeckte. Ab da trat ein anderes Verlangen in den Vordergrund. Sobald ich bemerkte, was ich im Begriff war zu tun, riss ich mich von ihr los und stieß sie von mir.
„Verschwinde von hier und bring dich in Sicherheit." Fauchte ich sie wütend an. Wütend auf mich selbst, dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte und voller Angst sie zu verletzten. „Bring dich vor mir in Sicherheit. Ich bin ein Monster. Das mit uns kann nichts werden!" Mit diesen Worten drehte ich mich um und verschwand. Auch wenn es mich fast umbrachte. Alles andere wäre ein Fehler, denn ich hatte mich kaum noch unter Kontrolle. Ihr Blut war einzigartig in seinem Geschmack. Besonders. Suchterregend. Gefährlich. Und ich wollte mehr. Ein hungriger Vampir, der seine neue Droge gefunden hatte, genau in dem Menschen, dem er am allerwenigsten schaden wollte. Schlecht. Momentan war ich gefährlicher für sie als jeder andere in diesem Raum. Deswegen trat ich die Flucht an. Um sie vor mir zu schützen. Ich musste darauf vertrauen, dass sie endlich verstanden hatte und meine Worte ernst nahm. Ich hoffte so sehr, dass sie nach Hause ging. Am besten wieder zurück nach Australien verschwand und mich ganz schnell vergaß. Ich war eine Bedrohung für sie, ob ich es wollte oder nicht.
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