FOURTYSEVEN
-Maxim-
Auf dem Rücken liegend starrte ich die weiße Zimmerdecke an. Sie wirkte orange-golden, da die Sonne gerade aufging. Corinne hatte sich wegen mir das Zimmer ausgesucht, in dem ich jeden Morgen die Sonne beim Aufgehen beobachten konnte. Nahezu jeden Tag hatte ich gemeinsam mit ihr in meinen Armen dieses faszinierende Schauspiel verfolgt. Ich hatte sie in diesem gold-orangenen Schein geliebt und hatte das Spiel des Lichts auf ihrer wundervoll weichen Haut beobachtet. Es war das erste Mal seitdem wir uns gegenseitig markiert hatten, dass ich allein in diesem Bett lag.
Momentan schien dies der einzige Ort zu sein, an dem ich noch annähernd bei Verstand war. Dabei war es die pure Folter ihren zarten Duft in den Bettlaken riechen zu können, während ich mir nur zu bewusst war, dass sie nicht hier war.
Noch einmal drückte ich ihr Kissen an meine Nase ehe ich mich aufrichtete und ohne dem alltäglichen Naturschauspiel einen Blick zu schenken eine Hose und ein Shirt anzog. Ich hatte die Nacht nicht geschlafen, auch wenn Zarek es mir angeordnet hatte. An Schlaf war nicht einmal zu denken gewesen, wenn ich nicht wusste, ob es Corinne gut ging.
Wir wussten, wo sie gefangen gehalten wurde, wir beobachteten mit der Überwachungskamera einer Bankfiale und einer Verkehrskamera den Vorder- und Hintereingang des Pubs, das vor einem guten Jahr pleite gegangen war. Walker hatten wir noch nicht einmal gesichtet und deshalb saßen wir auch noch nach zwei ganzen Tagen tatenlos in diesem beschissenen Apartment herum.
Die Kommode in unserem gemeinsamen Zimmer war einem meiner Wutausbrüchen zum Opfer gefallen, ebenso das Waschbecken in dem großen Bad. Niemand hatte ein Wort gesagt als ich gestern Abend von Oben bis Unten vom Wasser durchtränkt mit blutenden Händen aus dem Bad gekommen war. Antonia hatte einen Monteur angerufen und Manuel hatte das Wasser abgestellt, sonst hatte Stille geherrscht.
„... ein hocheffektives synthetisches Gift.", sagte Lucas gerade leise zu Vincent.
„Was?", mischte ich mich sofort in ihre Unterhaltung ein.
„Das Zeug, mit dem sie Vincent ruhig gestellt haben, ist ein synthetisches Gift. Es muss extra für uns Lykae entwickelt wurden sein.", erklärte Lucas. „Ich habe eine Blutprobe von Vincent an einen unserer Ärzte weitergeleitet. Heute Nacht habe ich eine Antwort erhalten. Ihm ist so etwas vorher noch nie zu Gesicht gekommen. Es ist ein Gift, speziell dafür entwickelt einen Lykae ruhig zustellen. Geringe Mengen sollen uns schläfrig machen, größere führen zur Bewusstlosigkeit und zu viel scheint tödlich zu sein."
„Was?!", regte ich mich lautstark auf. Vielleicht hatten sie Corinne auch dieses Gift verabreicht. Was war, wenn sie ihr zu viel gegeben hatten?
„Zumindest vermutete das Peter.", beeilte sich Lucas hinzuzufügen.
„Tot wie tot? Oder tot wie der Körper regeneriert sich wieder?", fragte ich nach. Mittlerweile wusste ich, dass ein Unsterblicher ziemlich viel ab konnte.
„Ich weiß es nicht.", gestand Lucas ratlos und runzelte überfordert die Stirn.
„Was heißt, du weißt es nicht?" Meine Stimme war nur noch ein Knurren.
„Das geht aus Peters E-Mail nicht klar heraus.", murmelte Lucas, welcher sich nun sichtlich unwohl in seiner Haut fühlte. „Er hat mir die Stoffzusammensetzung geschickt. Aber ganz ehrlich? Ich versteh davon nicht viel, ich bin kein Biologe!"
„Dann such uns Peters Nummer heraus.", ordnete Zarek an. Ich hatte ihn nicht bemerkt als er sich mit dazu gesellte. Ein Blick auf ihn verriet mir, dass er genauso viel geschlafen hatte wie ich letzte Nacht. Nämlich gar nicht.
„Hat er irgendetwas wegen dauerhaften Nachwirkungen geschrieben?", erkundigte sich Vincent, als Lucas sich schon wieder seinen Laptop zu wandte.
Lucas schüttelte den Kopf. „Gar nichts. Er untersucht die Probe noch.", murmelte er abwesend. Der Drucker arbeitete und ich schnappte mir das Papier.
„Die Nummer.", murmelte Lucas, als ich schon die Ziffern eintippte.
„Gib mir das Telefon.", verlangte Zarek.
„Corinne ist meine Gefährtin.", knurrte ich.
„Ja, aber er wird trotzdem nicht mit dir sprechen.", informierte mich Zarek und streckte die Hand nachdem Telefon aus.
„Verdammte Hunde.", fauchte ich gereizt und erntete dafür ein Knurren von den besagten Hunden.
„Dr. Gregor.", meldete sich die Stimme eines überraschend jungen Mannes. Problemlos verstand ich die Worte des Arztes, obwohl Zarek den Lautsprecher nicht an hatte. Dennoch gereizt gab ich mich damit zufrieden.
„Romanov hier, es geht um die Ergebnisse der Blutuntersuchung von Herrn O'Brian."
„Zarek Romanov?", fragte der Arzt nach. Unser Fehler ging mir wahrscheinlich im gleichen Moment auf wie Zarek. Corinne, Zarek und ich galten alle drei als vermisst. In unserer Sorge waren wir alle unvorsichtig geworden.
„Ja, das muss..."
„Herr Romanov, wenn sie auch nur irgendjemanden von diesem Gespräch berichten, gefährden sie damit das Leben ihrer Prinzessin.", erklärte Zarek klar und deutlich.
„Aber der König..."
„Es geht um die Sicherheit von Corinne McNaught.", hielt Zarek entschieden dagegen. „Ihr Bruder wird informiert werden, sobald Corinne in Sicherheit ist. Haben wir uns verstanden?"
„Aber warum...", setzte der Arzt an.
„Womöglich gibt es einen Verräter, deshalb..." Mit Absicht ließ Zarek den Satz unvollendet. Der Arzt reagierte wie gewollt.
„Ich verstehe. Ich werde kein Wort darüber verlieren, Herr Romanov.", versicherte der Arzt. „Wie kann ich Ihnen helfen?"
„Das Gift, von dem Sie Spuren im Blut von Herrn O'Brian gefunden haben... Ich benötige mehr Informationen darüber."
„Natürlich, was wollen Sie wissen?"
„In Ihrer E-Mail stand, dass eine Überdosierung zum Tod führen kann. Kann der Körper sich regenerieren?"
„Nein, dieses Gift enthält einen Stoff, der das Herz eines Unsterblichen angreift und bei einer Überdosierung zum dauerhaften Stillstand führt. Der Körper ist sobald das Herz einmal stillsteht nicht mehr in der Lage den Stoff selbstständig auszuscheiden, was zur Regeneration des Körpers unbedingt nötig wäre."
Mein eigenes Herz stand einige Sekunden still und raste dann nur noch so vor sich dahin. Dieser Peilsender ermöglichte es zwar ihren Ort zu bestimmen, aber es war uns dadurch nicht möglich zu sagen, ob sie lebte. Der Peilsender, zeigte seit zwei Tagen lediglich ein und denselben Ort an. Hatten Walkers Leute dieses Gift bei ihr verwendet? Hatten sie es womöglich überdosiert? Hatten sie Corinnes Leiche in dieser heruntergekommenen Bar vergraben? Einer Explosion gleich sah ich nur noch rot, mein Körper stand unter Strom. Ein Brüllen ließ die Wohnung erzittern.
„Vincent, Lucas!", rief Zarek und sah mich mit aufgerissen Augen an. Die beiden stürzten auf mich zu, doch es war um Millisekunden zu spät.
Überrascht sah ich mich um, meine Hände zu Fäusten geballt, die Zähne so fest aufeinander gepressten, dass sie zu bersten drohten. Ein zynischer Blick, während ich mich zu beruhigen versuchte. Ich hatte mich einmal mehr zu meinem Bruder transloziert. Er saß in der Küche und schaufelte Cornflakes in sich hinein. Dieses Zeug hatte ich noch nie hinunter bekommen, ich hatte das Gefühl auf Pappe zu kauen als ich es versuchte.
Gerade die Normalität dieser Szene beruhigte mich auf eine irrtümliche Art und Weise und half mir meinen klaren Kopf zurückzubekommen. Noch immer machte ich mir Sorgen um Corinne, die Vorwürfe türmten sich meterhoch auf und der Selbsthass war nicht verschwunden, aber ich hatte nicht das Gefühl etwas durch die Gegend werfen zu müssen. Corinne konnte nicht tot sein, da sie Walker nur lebend nützlich war.
Anthony blickte von seinem Handy auf als er nur noch Milch in seinen Mund schaufelte und zuckte zusammen. „Gott verdammt, hast du mich erschreckt!", stieß mein Bruder aus. „Was ist passiert, Maxi?", fragte er.
Stumm schüttelte ich den Kopf, ging zu dem Tisch und zog einen Stuhl zurück. „Corinne, sie...", setzte ich an als ich saß, doch meine Stimme versagte mir. „Was ist mit ihr?", fragte Tony und ich sah ehrliche Sorge in seinem Gesicht aufblitzen.
„Ich weiß es nicht!", gestand ich und ließ meinen Kopf in meine Hände fallen. „Ich weiß es einfach nicht." Und dann erzählte ich meinem Bruder alles.
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#schlimmer geht immer...
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