TWENTYONE

-Logan-

Ich sah Kai schon ungeduldig vor meinem Haus auf und ab gehen. Unruhig sprang ich, sobald der Motor des Wagens aus war, raus und lief zu ihm. Er wusste, dass ich immer erst so spät kam. Was war also passiert, dass er hier schon auf mich wartete? Unausgeglichen und angespannt. Das entsprach nicht seinem Charakter. Er war der Ruhigere von uns beiden. Zwar für jede Dummheit zu haben, aber in den entscheidenden Momenten meine Stimme der Vernunft.
„Was ist los?"
„Logan!" rief Finn aufgeregt und stürzte aus meinem Haus heraus.
„Was ist hier los?" knurrte ich aufgebracht, da mir immer noch keiner der beiden eine Erklärung für dieses beunruhigende Verhalten lieferte.
„Seit heute morgen ruft irgend so ein Typ in sämtlichen Büros von dir an. Er hat die ganze Zeit nach dir verlangt, aber die Sekretärinnen haben ihn alle immer wieder abgewimmelt."
„Und was ist daran so interessant?" fragte ich. Es war nicht ungewöhnlich, das irgendwer nach mir verlangte. Meine Nummer hatte so gut wie keiner und das hatte auch seinen guten Grund. Es gab viele Leute, die irgendetwas von mir wollten oder glaubten, dass sie so wichtig wären, um das ich mich mit ihnen unterhalten musste. Manche hatten einfach nur ein Problem und erhofften sich meine Hilfe. Dafür hatte ich Angestellte, die sich um die kleineren Probleme kümmerten. Wenn die Probleme größer waren, wurde ihnen dort auch weitergeholfen, um den Richtigen Ansprechpartner zu finden. Selten kam es dazu, dass wirklich Finn oder sogar ich gefragt waren.
„Irgendwer hat dann dafür gesorgt, dass der Typ zu mir durchgestellt wird."
„Was?" fragte ich entsetzt. Wofür stellte ich so viele Leute an, um dass sie dann doch einfach jeden, der penetrant genug war, durchstellten? „Ich knöpfe mir denjenigen vor."
„Warte." Verlangte Kai, als ich schon hoch ins Büro stürmen wollte.
„Er kommt aus Deutschland und wollte mit dir wegen Sarah reden." Sagte Finn schnell.
„WAS?!!!" brüllte ich. „Warum erfahre ich das erst jetzt?"
„Ich weiß es auch erst seit einer Stunde."
„Eine verdammte Stunde." Aufgebracht fuhr ich mir durch die Haare. Seit heute früh. Verdammt. Warum ..? Wie....? Egal. „Wo ist die verdammte Nummer?"
Finn wich zurück. „Das ist das Problem." Meinte er dann.
Meine Augen verengten sich. Mein Körper spannte sich an und der Wolf in mir drängte sich immer mehr nach vorn. „Was. Ist. Das. Problem?" fragte ich. Jedes einzelne Wort eine Drohung.
„Wir haben seine Nummer nicht." Ich handelte ohne zu denken. Binnen Sekunden hingen Finn in der Luft, am Hals gepackt gegen die Wand gepresst. Mein gesamter Körper war zum zerreißen angespannt. Ich wusste nicht woher ich die Beherrschung nahm und immer noch in meiner menschlichen Gestalt hier stand. „Wie konntest du das zulassen?" fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Meine Stimme klang selbst in meinen eigenen Ohren seltsam verzerrt.
„Er hat gesagt, er ruft noch Mal an und dann einfach aufgelegt als er erfahren hat, dass du nicht da bist." Antwortete Kai betont ruhig auf meine Frage. „Lass ihn runter. Wir haben in allen Büros angerufen. Sobald er wieder bei uns anruft, wird er durchgestellt." Nur langsam drängte ich die Bestie in mir zurück. Mein Griff um Finns Kehle lockerte sich und ich spürte wie er rasselnd um Atem rang. Ich setzte ihn wieder am Boden ab und Kai eilte sofort zu ihm, um ihn zu stützen. Schnell trat ich einige Schritte zurück. Verdammt. Ja, ich war mehr als nur rasend vor Wut, dass Finn die Telefonnummer von dem Typen nicht hatte. Aber das hieß noch lange nicht, dass ich so aus der Haut fahren durfte. Aber es ging hier um meine Gefährtin. Ich könnte sie wieder haben. Verdammt. Wütend krachte meine Faust in die Wand neben mir. Der Putz bröckelte. Warum hatte er ihn nicht einfach nach seiner Nummer gefragt? Was war wenn er nicht wieder anrief? Wieder fiel Putz herunter. Ich wusste wirklich nicht, ob ich mich dann beherrschen konnte. Selbst wenn es mein Bruder war und Fehler jedem passierten, an dieser Stelle durfte kein Fehler passieren. Gerade als mein Faust erneut in die Wand krachte, hörte ich Finns Handy los klingeln. Aufgeregt drehte ich mich zu ihm um. Nachdem er sich kurz geräuspert hatte, ging er ran.
„McNaught... Ja... Er steht neben mir. Einen Moment..." er übergab mir kommentarlos sein Telefon.
„McNaught" knurrte ich schon fast in den Hörer.
„Hier ist Julius Ricci." Erwiderte eine tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung. Ricci. Der Name sagte mir etwas. „Sie wissen etwas über Sarah?" fragte ich. Der Rest war irrelevant.
„Ja." Er stockte kurz. Ungeduldig wartete ich darauf das er fortfuhr. "Vor ein paar Wochen habe ich eine menschliche Frau mit einer Markierung kennengelernt. Seit Freitag sind wir uns ziemlich sicher, dass es sich dabei um Ihre Gefährtin handelt."
„Seit FREITAG?" regte ich mich erneut auf. Dieser Julius Ricci wusste seit Freitag, dass sie meine Gefährtin war. Heute war Montag. Ich würde dem Typ den Kopf abreisen. „Warum zur Hölle rufen Sie dann erst heute an?"
„Ich versuche es schon seit Freitag, aber Ihre Angestellten waren nicht bereit mich durchzustellen." Ich knurrte lediglich als Antwort. Irgendetwas musste da geändert werden. Später.
„Haben Sie irgendeinen Beweis?" Ich zweifelte kaum daran, dass er mich anlog. Es wussten nur die Leute hier, dass ich meine Gefährtin suchte. Ich hatte es ihnen untersagt darüber zu reden. Das hätte Sarah in Gefahr bringen können. Hätten sie die Falschen vor mir gefunden. Trotzdem musste ich es fragen.
„Ich kann Ihnen ein Foto senden."
Schnell ratterte ich meine Nummer herunter.
Es dauerte nicht lange, ehe ich die ersehnte Nachricht bekam. Sofort öffnete ich das Foto. Es war tatsächlich Sarah zusammen mit einer extrovertierten Blondine. Die beiden hatten aufgeregt leuchtende Augen und rote Wangen. Ihre Kleidung war dick und die weißen Flecken erinnerten mich daran, dass es in Deutschland wesentlich kälter als hier war.
„Welcher Zielflughafen?" war das erste, was ich ihn wieder fragte, sobald ich mich von ihren Anblick lösen konnte. Einen Moment Stille. Warum brauchte der Typ nur immer solang? Fast hätte ich erneut geknurrt. „Frankfurt." Kam dann die Antwort. Schnell gab ich die Info weiter. Kai würde sich um den Flug kümmern.
Während ich in mein Zimmer eilte, die wichtigsten Sachen in einen Koffer schmiss und dann zu meinem Auto stürzte, klärte ich mit Julius noch kurz einige Sachen.
„Hast du die Tickets?" fragte ich. Nebenbei tippte ich eine Nachricht an Cori.
„Falls du zwei Leute darüber schimpfen hörst, dass sie nicht nach Deutschland fliegen weil ihr Flug überbucht ist, solltest du ihnen nicht verraten, dass du gerade eben erst gebucht hast." Meinte er.
„Ich brauch nur einen."
„Idiot." Brummte Kai, von der Rückbank, da Finn fuhr und ich auf den Beifahrersitz saß. Ich wusste nicht, ob ich jetzt selbst fahren könnte. Ich war in heller Aufregung. Mein ganzer Körper so angespannt und unruhig, dass ich nicht wusste wie ich es noch einen Tag in einem Flugzeug aushalten sollte. „Rio und ich kommen selbstverständlich mit."
„Ich bin kein kleines Kind mehr." Knurrte ich.
„Deine Geschwister auch nicht, und trotzdem müssen sie ihre Leibwächter überall mit hin nehmen."

Ein dreiundzwanzigstündiger Flug war selbst unter den besten Bedingungen grauenvoll, aber ganz besonders wenn man jede Minute einzeln zählte. Wie nicht anders zu erwarten, bekam ich kein Auge zu. Ungeduldig stürzte ich aus dem Flieger raus, sobald die Türen geöffnet wurden. Ich hasste fliegen, auch wenn ich nicht darauf warten würde meine Gefährtin endlich wieder zu sehen. Der Lärm, die Enge und die vielen Menschen. Das war nichts für einen Lykae, ganz besonders nicht, wenn der Wolf in uns so unruhig und schwer zu beherrschen war wie meiner.
Kai und Rio folgten mir stillschweigend. Es war mir eigentlich egal was sie taten, solange sie mich nicht von meinem Ziel abhielten. Finn würde meine Aufgaben vorerst übernehmen. Ich war ihm unheimlich dankbar dafür, dass er das ohne ein Wort des Protests hinnahm.
Sobald meine Füße deutschen Boden berührten, spürte ich sie wieder. Sie war hier irgendwo. Die Frage war nur wie weit irgendwo war. Ich schaltete mein Handy an, während wir durch die Gänge des Flughafens eilten. Julius hatte mir sowohl einen Standort, als auch eine Adresse geschickt. Doch die letzte Nachricht von ihm war die interessanteste. Ash holt Euch ab. Stand da. Noch besser. Das minimierte die Gefahr einer unnötigen Verzögerung. Mit unseren Koffern in den Händen passierten wir ohne Problem die letzten Kontrollen. Als die Schiebetür zu dem Wartebereich für die Bekannten der Ankommenden geöffnet wurde, fuhr mein Kopf ruckartig herum. Ich roch sie. Doch schon nach wenigen Schritten war ich mir sicher, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Geruch war zu schwach und vermischte sich stark mit einem anderen. Trotzdem eilte ich auf die Quelle drauf zu. Selbst wenn ich es nicht gewollt hätte, so glaubte ich nicht, dass ich es hätte verhindern können. Alles in mir strebte nun mal auf Sarah zu. Und dieser Geruch war das, was ihr, seit ihrem Verschwinden am nächsten kam.
Am Ausgang lehnte an einer Säule die extrovertierte Blondine, die ich von dem Bild erkannte. Sie roch nach Sarah. Ohne Zweifel hatten die beiden engen Kontakt zueinander und ich spürte tatsächlich wie Eifersucht in mir aufstieg. Weil sie Zeit mit Sarah hatte verbringen können, während ich verzweifelt nach ihr suchte. Ich drängte die Eifersucht zurück. Ich würde sie bald wieder in meine Arme schließen.
Die Blondine war auch eine Lykae und richtete neugierig ihren Blick auf uns. Sie würde gut zu Finn passen, dachte ich, während ich sie kurz musterte. „Wo ist sie?" waren meine ersten Worte an sie.
„Hallo, ich freue mich auch dich zu sehen." Erwiderte sie frech. „Ich bin Ash." Sie wollte mir die Hand reichen, doch als ich überrascht von ihrer Furchtlosigkeit mir gegenüber nicht reagierte, zuckte sie mit den Schultern und reichte Kai und Rio, die Hand. Beide stellten sie sich vor. Mit zusammengebissenen Zähnen unterdrückte ich das Bedürfnis, sie anzufahren, weil sie unnötig Zeit verplemperten. Dann beantwortete Ash endlich meine Frage. „Sie dürfte momentan noch in einer Vorlesung sitzen." Ihr Blick glitt abschätzend zur Uhr. „Wenn wir uns beeilen, können wir sie vielleicht noch abholen." Meinte sie.
„Was stehen wir dann noch hier?"
„Ich sehe schon, ihr passt wunderbar zusammen. Sarah ist auch nicht besonders geduldig." Wir folgten ihr zu einem Audi RS6. „Ich hoffe der genügt deinen Ansprüchen." Grinste sie und öffnete den Kofferraum für uns.
„Es geht so." erwiderte ich. Immer noch verdutzt über ihre Respektlosigkeit mir gegenüber. Normalerweise zeigten die Lykae wesentlich mehr Respekt, wenn sie ihrem König gegenüberstanden. Sie versuchten sich ein zu schleimen und sich mit mir gut zu stellen. Besonders die Frauen. Ash hingegen schien nicht einmal daran zu denken.
„Wie geht es ihr?" fragte ich, sobald wie auf der Autobahn fuhren. Umso näher ich meinem Ziel kam, umso ruhiger wurde ich. Vielleicht lag es auch daran, dass es in dem Auto nach Sarah roch. Sie schien schon einige Male genau an meinem Platz gesessen zu haben.
Ash zögerte. Schlagartig wieder unruhig sah ich zu ihr. Sie hatte die Lippen nachdenklich geschürzt. „Was ist los? Was ist ihr passiert?" verlangte ich eine Antwort.
Sie schnaubte. „Du bist ihr passiert. Körperlich geht es ihr gut, geistig und seelisch macht sie die Trennung von dir aber genau so fertig als ob sie eine Lykae wäre. Sie leidet. Und sie versteht nicht warum." Verriet sie mir dann ehrlich.
„Warum ist sie dann nicht zurückgekommen?" fauchte ich aufgebracht und wütend. Ich hatte diese Trennung nicht gewollt und hätte sie schon viel früher unterbunden, wenn ich es gekonnt hätte. Gleichermaßen war ich aber auch verzweifelt und fühlte mich hilflos. Ich konnte ihr den Schmerz nicht nehmen. Zu wissen, dass es ihr meinetwegen so schlecht ging und das wir es ganz einfach hätten verhindern können, quälte mich noch viel mehr. „Weil sie ein Mensch ist. Sie versteht es nicht. Menschen orientieren sich nach anderen Werten als wir Lykae. Sie hat gedacht, dass sie euch beiden eine Menge Schmerz erspart, wenn sie einfach geht."
„Was zur Hölle?" fragte ich ungläubig. Wie konnte sie so etwas nur denken?
„Du solltest mit ihr reden, nicht mit mir. Aber du solltest nicht vergessen, dass ihr Denken rein menschlich ist. Selbst wenn sie deine Gefährtin ist, sie ist nun mal keine Lykae."
Ich nickte. Ich verstand es immer noch nicht. Aber das musste ich momentan auch nicht. Ich brauchte jetzt einfach nur sie und dann konnten wir alles andere zusammen klären.
„Wir sind da." Meinte Ash und parkte das Auto, im Halteverbot. Sobald ich die Tür öffnete schlug mir ihre Fährte entgegen. Sie war frisch. Bevor ich überhaupt wusste wie mir geschah, rannte ich ihrer Fährte nach. Hinter mir hörte ich Ash schreien: „Stoppt ihn!"
Warnend knurrte ich als ich bemerkte, dass sie mir alle drei hinterher rannten. Ich würde mich von niemand mehr aufhalten lassen. Wären die Schiebetüren des Gebäudes nicht so schnell aufgegangen, wäre ich sicherlich dagegen gerannt und hätte sie zerstört. Ich eilte die Treppen hoch, als Ash rief: „Die Vorlesungen ist noch nicht vorbei. Du musst noch kurz warten."
Was interessierte mich irgendeine Vorlesung? Nichts würde mich auch nur noch eine Sekunde von meiner Gefährtin trennen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top