THIRTYFOUR

„Hey, was ist denn mit dir los?" fragte Niki, als sie mir in der Pause entgegen kam. Ich war gerade auf dem Weg zur Toilette, um mich etwas frisch zu machen, als sie mich heute das erste Mal sah. Vor der Vorlesung hatten wir uns nicht gesehen, weil sie schon ziemlich weit hinten im Raum saß und ich mich nur schnell auf meinen Platz verdrückt hatte. Anscheinend sah ich so schlecht aus, dass sogar Herr Klön mir die gesamte Zeit über meine geistige Abwesenheit durchgehen ließ.

„Logan ist heute Morgen zurück nach Australien geflogen." verriet ich ihr und spürte wie mir erneut die Tränen in die Augen stiegen. Davon, dass ich mir vorgenommen hatte nicht zu heulen, war schon lange nichts mehr zu merken. Logan hatte eine halbe Stunde vor mir das Haus verlassen müssen, damit er seinen Flug nicht verpasste. Auch wenn ich mir alle Mühe gegeben hatte, lag ich irgendwann weinend in Logans Armen, während er mir beruhigend über den Rücken strich und irgendwelche Worte murmelte. Eine kleine Ewigkeit hatten wir so beieinander gestanden und uns einfach nur an den anderen festgehalten. Das Wochenende zuvor hatten wir in Hamburg verbracht. Ich wusste nicht, woher er es wusste, aber Logan hatte mir einen meiner größten Wünsche erfüllt. Vor einiger Zeit hatte ich durch Zufall eine Dokumentation zu dem neuen Musical ‚Aladdin' angesehen und wollte es seitdem unbedingt mit eigenen Augen erleben. Am Freitag hatte er mich nach Hamburg entführt und am Samstag hatte Logan mir die Anweisung gegeben mich für den Abend hübsch zu machen. Als ich mich in das Abendkleid warf und ein dezentes Make-Up auftrug, hatte ich geglaubt, er würde mich zum Essen ausführen oder ähnliches. Umso überwältigter, war ich dann, als wir vor dem Stage Theater Neue Flora standen. Wir hatten beide jede Minute der gemeinsamen Zeit genossen, was den Abschiedsschmerz umso schlimmer machte.

Kai hatte Logan schließlich abgeholt und Druck gemacht. Die beiden waren wirklich spät dran und hatten es quasi in letzter Minute noch zum Flieger geschafft, wie Logan mir in einer kurzen Nachricht verraten hatte. Rio war nicht mit geflogen. Logan hatte ihn mit der Begründung hier gelassen, dass er dann ein wenig beruhigter wäre, wenn er wisse das Rio auf mich aufpassen würde. Also hatte ich ihm diesen Wunsch nicht abschlagen können. Immerhin hatte ich Kai auch noch einmal klar gemacht, dass er auf Logan aufpassen sollte.

„Komm her." Sagte Niki und schloss mich in ihre Arme. „Er kommt doch wieder, oder?"

Ich nickte. „Ja, aber ..." ich wusste nicht, was aber war. Er fehlte einfach so sehr. Es schmerzte, dass er nicht bei mir war, dass ich ihn nicht berühren und sehen konnte, dass seine raue Stimme mir kein heiseres „Guten Morgen!" ins Ohr brummen würde, wenn ich aufwachte. Ich vermisste ihn einfach so unheimlich. Sein Lachen oder das Funkeln, selbst dieses lästige Geknurre, wenn ihm irgendetwas gegen den Strich ging.

„Danke." Sagte ich zu Niki als ich mir wieder beruhigt hatte. Irgendwie hatte ich diese Umarmung jetzt gebraucht.

„Gern." Lächelte sie mich an.

______________

„Saaaraaahh!" trällerte Ash' Stimme fröhlich durch den Raum. Alle Köpfe drehten sich synchron zur Tür um in der die Blondine breit grinsend auftauchte. „Was hast du mit deinen Haaren angestellt?" entwich es mir schockiert. „Orange ist nicht so meine Farbe." Tat sie ihre orange gefärbten Haarspitzen ab. Ähnlich wie bei einem Igel die Stacheln standen sie ihr vom Kopf ab. Orange war wirklich nicht ihre Farbe.

„Los, schwing deinen Arsch hoch." Forderte sie mich auf. Hinter ihr in der Tür entdeckte ich Kai. „Ich bin noch beim arbeiten!" wehrte ich ab. Das war ich wirklich. Simon und ich saßen im CAE-Labor und feilten an den letzten Grundzügen unseres Konstruktionsentwurfs. Mit uns befanden sich noch einige Studenten aus unseren parallel Kurs und ziemlich viele Unbekannte in den Raum.

„Vergiss es, Süße." Wehrte Ash ab. „Kannst du morgen machen." Ash kam näher. Ihre Finger blickten neugierig auf den Bildschirm. „Vielleicht sollte ich doch studieren." Überlegte sie. „Das sieht interessant aus."

Ich schnaufte. „Überleg dir gut, ob du dir das wirklich antun willst."

Sie zuckte mit den Schultern. „Mach dich fertig, das war kein Scherz. Du denkst doch nicht, dass ich dich hier mit deinem Unizeug versauern lasse während Logan weg ist."

„Ash ich will was schaffen." Jammerte ich, dass mein Gehirn schon total Matsch war ignorierte ich. Ich wollte den blöden Konstruktionsentwurf endlich fertig haben. Außerdem lenkte mich die Uni davon ab, dass Logan nicht mehr da war und alles was ich jetzt erledigte, musste ich nicht machen, wenn Logan wieder da wäre.

„Morgen ist auch noch ein Tag." Erinnerte sie mich, ehe sie mich mit ihrem Schmollmund und großen Augen ansah. „Außerdem willst du doch sicher Zeit mit deiner besten Freundin verbringen." Kurz machte sie eine Pause und grinste mich dann mit einem bösen Lächeln an. „Ach und für den Fall, dass du noch einen Anreiz brauchst: Was denkst du, sagt Logan dazu, wenn ich ihm petzte, dass du dich überanstrengst?"

„Du bist eine Hexe." Brummte ich. „Sorry, Simon. Aber du hast den Drachen gehört." Wandte ich mich an meinen Kommilitonen. „Denkst du wir schaffen das, wenn wir uns morgen halb acht treffen?" fragte ich ihn.

Simon überlegte kurz. „Um acht sollte auch reichen." Meinte er. „Ich will nicht so früh aufstehen."

Ich überlegte kurz. „Wenn du sagst, dass eine Stunde reicht... Aber ich will es dann wirklich fertig haben!"

Simon verzog das Gesicht, zögerte. „Halb acht hier?" fragte er nach.

Zufrieden stimmte ich zu und packte meine Sachen zusammen, während der Rechner herunterfuhr.

„Hast du nicht gesagt der Schließdienst kommt um sieben?" fragte Ash. Verwirrt sah ich auf die Uhr am Handgelenk. Es war schon fast um acht.

Ich zuckte mit den Schultern. „Um sieben ist die offizielle Zeit. Die Labore werden meistens als letztes geschlossen damit die Studenten jede Minute nutzen können, wegen den Studienarbeiten und den ganzen Projekten." Erklärte ich.

Ich zog den Schal enger um meinen Hals. Es schien noch einmal für ein paar Tage kühler geworden zu sein. „Was habt ihr jetzt eigentlich vor?" Fragte ich Ash, während sie mich Richtung statt Zentrum führte. "Ich hab uns ein Paar Karten für..." Mein Blick fiel auf ein Auto, dass mir schon heute morgen aufgefallen war. Es war ein Porsche Panamera. Dieses Mal saßen jedoch zwei Personen drin. Das Licht einer Laterne fiel gerade noch so durch die Frontscheibe, dass ich ein Gesicht erkannte. Es war einer der Raucher, die uns Mädchen, die aus dem Kurs und mich, heute so dumm angemacht hatten. Er und sein Kumpel waren auffällig groß und muskelbepackt gewesen. Ihre Haltung, die starren Minen, ihre gesamte Präsenz hatte nicht zu der Atmosphäre auf den Campus gepasst. Sie hatten deplatziert unter den ganzen Studenten gewirkt.

Ich konnte zwar nicht die Augen von dem Typ erkennen, aber ich hatte das Gefühl, dass er direkt zu mir sah. „Ash." Unterbrach ich sie, als sie irgendetwas sagte. „Starrt der Typ total auffällig zu uns rüber, oder bilde ich mir das nur ein?" fragte ich sie, ahnungslos, was ich mit dieser einfachen Frage lostreten würde. Mir waren die zwei heute Mittag schon seltsam vorgekommen und jetzt waren sie mir regelrecht unheimlich. Besonders, weil ich das Gefühl hatte, dass sie mich beobachteten. „Wer?" fragte Ash sofort.

„In dem Porsche." Antwortete Rio mit einem seltsamen Unterton, noch bevor ich den Mund geöffnet hatte. Also mussten sie auch ihm aufgefallen sein. Mit einer einzigen Bewegung hatte er sich vor mir geschoben, sodass ich kaum noch etwas sah und er schützend vor mir stand.

Als hätten sie gemerkt, dass wir sie anstarrten, hörte man den Motor des Autos starten und schon in der nächsten Sekunde waren sie um die Ecke gebogen. „Ruf deinen Bruder an." Befahl Rio an Ash gewandt. Seine Hand schloss sich fest um meinen Oberarm und zerrte mich zum nächsten Eingang des D-Gebäudes der Uni. Im schnellen Italienisch mit Julius telefonierend, folgte uns Ash hastig und blickte sich dabei immer wieder um. „Die Tür ist..."

Rio zerrte und rüttelte. „...wahrscheinlich zu." Beendete ich meinen Satz. Die Studenten konnten noch raus, aber niemand mehr hinein. „Shit." Fluchte Rio. Unruhig sah er sich um. Sein ganzer Körper war angespannt, ebenso wie Ash'. Die Unruhe und Besorgnis, die beide in Wellen abzustrahlen schienen, übertrug sich auch auf mich.

Rio hatte mich hinter seinen Rücken geschoben und auch Ash hatte sich vor mir positioniert. Ich wollte protestieren, nachfragen was los war, doch mit einer Handbewegung befahl mir Ash ruhig zu sein. Ich schloss meinen Mund wieder. Gegen zwei Sturrköpfe kam ich nicht an. Ich verlagerte mein Gewicht von ein Bein auf das andere. Was auch immer hier vorging, die beiden machten sich eindeutig große Sorgen.

„Julius ist gleich da." berichtete Ash so leise, dass ich sie kaum verstand.

Rio nickte. „Er soll sich beeilen. Ich glaube nicht, dass sie allein waren."

„Und wenn es nur einen Fehlalarm war?"

Rio schüttelte den Kopf. „Unwahrscheinlich." murmelte er.

„Hast du sie schon einmal gesehen, Sarah?" fragte Rio etwas lauter, den Blick aufmerksam auf unsere Umgebung gerichtete. „Heute Morgen ist mir das Auto aufgefallen. Eigentlich hat nur ein älteres Dozentenehepaar einen Porsche." Es gab einen Parkplatz allein für die Dozenten. Da die meisten gut betucht waren, fanden sich unter ihren Autos gern Schmuckstücke, die einen zweiten Blick Wert waren. Daher wusste ich auch ungefähr, was öfters auf den Parkplatz stand und zu wem das Auto gehörte. „Und der war halt neu. Und dann hab ich den Typen, der mich gerade so angestarrt hat, heute bei den Rauchern gesehen, als wir über den Hof gelaufen sind. Er hatte noch einen Kumpel mit dabei und die haben uns irgendwelche komischen Sprüche an den Kopf geworfen."

Rio nickte. Erleichtert stieß er den Atem aus, als Julius BMW vor uns hielt. Sofort packte Rio mich und zerrte mich zum Auto.

„Kino fällt heute flach." Erklärte Ash ihrem Bruder. Dieser nickte nur und sagte: „Sag den anderen bescheid." Unverständlich sah ich vor zu den Geschwistern, während ich mich anschnallte. Rio saß mit finsteren Blick neben mir auf der Rückbank. Jeder schien zu wissen was hier gespielt wurde, nur ich nicht. Niemand machte den Eindruck als wollte er mir die Situation erklären.

"Was zum Teufel ist hier los?" rief ich wütend aus.

______________________

#Habt ihr einen Verdacht?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top