FIFTEEN

-Logan-

"Logan!" Hörte ich Corinnes Stimme aufgeregt durchs gesamte Haus schallen. Ruckartig setzte ich mich auf und fiel dabei fast von meinem Stuhl. Ich war wohl gerade eingeschlafen. Kein Wunder, ich hatte seit Sarahs Verschwinden kein einziges Mal richtig geschlafen. Wie auch, wenn ich jede Sekunde nur an sie dachte und mich fragte, wo sie war und ob es ihr gut ging? Wann ich sie endlich wiedersehen würde?
"Logan!" erneut rief Corinne nach mir und ich verdrehte genervt die Augen. Es war ja nicht so, dass sie eine Lykae war und ohne Probleme meiner Fährte ins Arbeitszimmer folgen könnte. Nein, stattdessen veranstaltete sie einen Krach, der selbst zwei Häuser weiter noch zu hören sein dürfte. Zumindest mit den Ohren eines Lykae.
"Ich habe sie gefunden!" rief sie erfreut aus, kaum das sie die Tür geöffnet hatte.
Sofort war ich hellwach und sprang auf. Aufgeregt fuhr ich mir mit einer Hand durch meine Haare.
"Wo ist sie? Hast du schon einen Flug gebucht?" fragte ich harsch und schnappte mir auf den Weg nach draußen den Autoschlüssel. Ich musste sofort zum Flughafen. Nichts würde mich nun davon abhalten können. Außer...
"Ich meine nicht Sarah." Corinnes Stimme klang zerknirscht. Ungläubig fuhr ich zu ihr herum. "Wem zur Hölle meinst du dann?" fauchte ich aufgebracht. Was sollte ich denn denken, wenn sie so gut gelaunt hereinkam und dann das zu mir sagte?
"Ich habe Lucas und Toni gefunden." Schlagartig wieder müde, ging ich zurück und ließ mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen. Das war auch gut. Somit kam ich Sarah wieder einen Schritt näher, erinnerte ich mich. Aber nachdem ich gerade dachte, dass man Sarahs Aufenthaltsort herausgefunden hatte, riss diese Nachricht mich nicht besonders vom Hocker.
"Und wo sind sie?"
"In den Staaten und bevor du fragst, dort werden sie auch vorerst noch eine Weile bleiben." Knurrend setzte ich mich aufrecht hin und meine animalische Seite bemerkte zufrieden, wie Corinne eine unterwürfigere Haltung einnahm. Dem Bruder in mir tat es Leid. Das wollte ich nicht und so sollte es nicht sein. Doch die wölfische Seite in mir befürwortete es. Immer wieder drängte sich eben diese Seite in den Vordergrund. Besonders seit Sarah verschwunden war, hatte ich meine Mühe sie im Zaum zu halten. "Und warum?"
Auch wenn Corinne versuchte keine Miene zu verziehen, sah ich wie ihre Mundwinkel zuckten. Schon jetzt ballten sich meine Hände zu Fäusten zusammen. Wahrscheinlich wäre es besser Corinne würde es mir nicht verraten. "Die beiden haben in einem öffentlichen Park... naja, viel Spaß miteinander gehabt. Anscheinend hat das irgendjemanden gestört und die Polizei wurde gerufen." Gleichermaßen wütend wie auch genervt, schloss ich die Augen. An einen anderen Tag hätte ich sicherlich darüber gelacht, aber jetzt war diese Dummheit der Grund dafür, dass sich die Suche nach Sarah noch mehr verzögern würde. "Ich nehme an, dass die beiden verhaftet wurden." Stellte ich fest, als ich mich soweit beruhigt hatte, dass ich normal sprechen konnte. Corinne nickte. "Aber das ist noch nicht einmal das schlimmste: Die beiden waren so abgelenkt, dass sie nicht mitbekommen haben wie ihnen die Sachen geklaut wurden."
Stille breitete sich zwischen uns aus. Was interessierten mich die geklauten Sachen? "Sorg dafür, dass die Kaution und die Strafe bezahlt wird. Spätestens morgen Abend will ich, dass sie im Flugzeug sitzen."
Nun zog Corinne missbilligend die Brauen hoch. "Hast du nicht zugehört? Die Kaution und die Strafe ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass sie nichts haben um sich auszuweisen. Rein gar nichts. Deswegen haben sie sich auch nicht gemeldet. Handy, Papiere, Ausweise, Kreditkarten." Zählte sie auf. „Einfach alles fehlt."
Entsetzt sah ich sie an. "Was zur Hölle...?" Wie dumm musste man sein?! Und das auch noch als Lykae.
"Ja, ich weiß." Seufzte Corinne. "Ich habe schon einen Flug für Manuel" das war Lukas Bruder "und mich gebucht."
"Vergiss es!" Wehrte ich sofort ab. Als ob ich zulassen würde, dass meine kleine Schwester irgendwo ohne ausreichenden Schutz hinging. Geschweige denn nach Amerika flog. Sie war meine Schwester und außerdem die Prinzessin. Momentan befanden wir uns in keinen Krieg oder wurden von irgendjemand bedroht. Es gab keine unmittelbare Gefahr. Aber es gab immer wieder Idioten, die dachten, dass sie den Platz als König inne haben sollten. Als König konnte man es trotz aller Bemühungen, nicht jedem Recht machen. Einige waren auch einfach nur auf das Geld und die Macht aus. Immer wieder zweifelten solche mein Recht als König an, versuchten mich herauszufordern, mich zu bedrohen oder zu erpressen. Corinne war eine meiner Schwachstellen. Deswegen konnte sie noch nie so viele Freiheiten genießen, wie sie es wollte und wie es ihr auch eigentlich zu stehen sollte. Das schlimmste daran war, dass gerade Corinne einen riesigen Freigeist besaß und am liebsten die ganze Welt bereisen und entdecken wollte. Ich wusste, dass sie die Zwänge hasste, die ihr durch unseren gesellschaftlichen Status auferlegt wurden. Ich hasste sie ja auch. Trotzdem... "Du wi..."
"Stopp!" Unterbrach sie mich, bevor ich loslegen konnte. "Hör mir erst zu, bevor du es ganz ablehnst. Manuel kommt mit. Er wird auf mich aufpassen. Normalerweise ist er ja einer deiner Bodyguards, also sollte das kein Problem für ihn sein und Lucas wird auch auf mich aufpassen, sobald wir da sind. Außerdem kann ich mich darum kümmern, dass Toni und Lucas alles bekommen was sie brauchen. Dann können sie von dort aus nach Sarah suchen."
"Das kann Manuel auch ohne dich." Meinte ich ohne jegliche Gefühlsregung preiszugeben. Es war verlockend zu wissen, dass Corinne sich dort um alles kümmern würde. Ich wusste, dass ich mich in dieser Hinsicht, hundertprozentig auf sie verlassen konnte.
"Schon möglich. Aber irgendwer muss sich auch um die Polizei, Anwalt und das ganze organisatorische Blabla kümmern. Ich würde die ganze Zeit in Kontakt mit dir bleiben. Du kannst dir sicher sein, dass alles zu verlässig und schnell erledigt wird."
"Corinne..."
"Ich habe auch ein Ticket für Zareck gebucht" fügte sie hinzu "und ich schwöre dir, dass ich auf ihre Anweisungen hören werde. Logan. Bittee!" Die letzten Wörter zog sie ein wenig länger als normal. Äußerst ungewöhnlich für Corinne. Schon als kleines Kind war sie zu stolz um, um irgendetwas zu bitten beziehungsweise zu betteln. Normalerweise verließ sie sich auf ihre Argumentation und Kompromisse. Ein "Bitte" sagte sie nur, weil es höflich war. Das gleiche war die Sache mit dem Gehorsam. Corinne unterwarf sich niemandem freiwillig. Sie folgte meinen Anweisungen nur, zumindest meistens, weil ich ihr König und ihr älterer Bruder war. Es würde ihr unheimlich schwerfallen auf ihre Bodyguards zu hören, aber bisher hatte sie noch nie eines ihrer Versprechen gebrochen. Nachdenklich sah ich sie an.
"Du schreibst mir Frühs, mittags und abends eine Nachricht. Du gehst kein Risiko ein und wenn Zareck, Manuel oder Lucas dir etwas sagen, dann hörst du auf sie. Wenn du auch nur irgendwie das Gefühl hast, das etwas nicht stimmt, dann kommst du sofort zurück." eindringlich sah ich ihr in die Augen. "Wenn irgendetwas ist, dann rufst du mich, ohne zu zögern, an. Deine Sicherheit ist das A und O. Verstanden?"
Freudig viel sie mir um den Hals. "Du bist der beste Bruder der Welt." lachte sie glücklich, während sie wieder ein wenig von mir abrückte. Zwar verdrehte ich die Augen, aber ein kleines Grinsen konnte ich mir trotzdem nicht verkneifen. Auch wenn es mir immer noch nicht gefiel, dass Corinne nicht in meiner Nähe sein würde und ich so nicht selbst auf sie aufpassen konnte, so machte es mich glücklich, sie so glücklich und strahlend zu sehen. "Hälst du dich daran?" fragte ich trotzdem noch einmal nach. Bevor sie nicht zugestimmt hatte, würde sie kein Flugzeug von innen sehen. Sie nickte enthusiastisch. "Versprochen, Bruderherz." grinste sie.
"Wann geht euer Flug?" fragte ich sie.
"Kurz vor vier." meinte sie mit einem Blick auf die Uhr an ihrem Handgelenk. "Oh. Ich muss los." meinte sie. "Wir müssen zum Flughafen."
"Ich fahre euch!"
"In deinem Zustand solltest du nicht fahren." widersprach Corinne. Trotzdem lief sie gemeinsam mit mir zu ihren Zimmer, wo sie mir ihren gepackten Koffer in die Hand drückte. "Wie lange willst du bleiben?" Nicht, dass mich das Gewicht des Koffers störte, aber so wie sich das anfühlte, hatte sie ihren gesamten Kleiderschrank eingepackt.
"Solange wie es sein muss."
"Drei Wochen." erklärte ich ihr. "Keinen Tag länger."
"Aber..."
"Übertreib es nicht, Cori." warnte ich sie.
"Na schön." brummte sie. "Besser als nichts, du Griesgram."
"Bin ich nicht." wehrte ich ab.
Corinne schnaubte einmal ziemlich undamenhaft. "Oh bitte, wenn nicht du, wer dann?"
Schweigend hielt ich ihr die Tür auf. Mit hoch gezogener Braue sah sie mich an. Mürrisch erwiderte ich ihren Blick. Okay, sie hatte recht. Ich war momentan tatsächlich ein alter Griesgram. Nachdem ich Sarah gefunden hatte, hatte Corinne allen Bescheid gesagt. Die Angestellten durften wieder ins Haus und die Lykae, die mit in unserer Siedlung lebten, kamen mir freudig entgegen um mich zu beglückwünschen. Das Ganze hatte nicht einmal einen Tag gehalten. Schnell hatte sich herumgesprochen, dass meine Gefährtin mich verlassen hatte. Alle beteiligten sich an der Suche und unterstützten mich wo sie nur konnten. Trotzdem hatten wir versagt. Hatte ich versagt. Seit dem war meine Laune tatsächlich noch schlimmer geworden, sodass die meisten Lykae nun wieder einen Bogen um mich machten. In der Gestalt meines Wolfs versuchte ich jede Nacht dem Schmerz für ein paar Stunden zu entkommen, doch selbst da blieb er nicht fern. Sowohl die menschliche wie auch die animalische Hälfte in mir sehnte sich nach ihr. Ich hatte das Gefühl den Verstand zu verlieren. Darauf zu warten, dass wir sie finden würden ohne selbst aktiv etwas dafür tun zu können, war ein Albtraum. Ablenken brachte nichts. Ich sah ihr Gesicht jede Sekunde des Tages vor mir. Verspürte jederzeit das Bedürfnis ihr nah zu sein. Ihr Lachen zu hören, ihrer Stimme zu lauschen und ihre Wärme zu fühlen, während ich ihren Duft einatmete. Wenn ich also nicht durch den Dschungel hetzte, vergrub ich mich in der Arbeit. Trotzdem fand ich mich am Ende von fast jeden Tag in der kleinen Wohnung in Sydney wieder. Sie hatte etwas Tröstliches und Beruhigendes an sich. Hier waren die Erinnerungen am stärksten. Außerdem roch es nach ihr. Seit Sarah da war, hatte ich niemanden mehr in die Wohnung gelassen. Ich wollte nicht, dass irgendjemand ihre schwache Fährte überdeckte. Das Bett hatte ich nicht abziehen lassen und die kleine Nachricht, die sie mir hinterlassen hatte, steckte in meiner Brieftasche. Es waren nur kleine bedeutungslose Sachen, aber sie ließ mich ihr näher fühlen und ließen den Schmerz für einen Moment erträglicher werden. Trotzdem würde ich erst wieder ich selbst werden, wenn ich Sarah wieder in meine Arme schließen konnte. Bis dahin war es Corinnes gutes Recht mich als Griesgram zu titulieren. Wahrscheinlich würde ich gar kein Auge mehr zu tun, sobald Sarah wieder bei mir war, nur damit ich die Gewissheit hatte, dass sie nicht noch einmal verschwinden würde.
"Hast du dich schon von Finn verabschiedet?" überging ich ihre Frage.
"Klar und von dem Rest auch."
Ich nickte Manuel und Zareck zu, als sie uns entgegen kamen. Kurz klärte sie Corinne auf, dass ich fahren würde. Während der Fahrt trichterte ich den beiden noch einmal ein, worauf sie alles achten sollten. Auch Corinne blieb nicht verschont. "Versuch zu schlafen, wenn du zuhause bist." befahl mir Corinne, als wir uns voneinander verabschiedeten. "Ich kümmere mich darum, dass wir sie finden, Logan. Versprochen. Aber du musst schlafen, sonst passiert dir vielleicht das gleiche wie beim letzten Mal." redete sie auf mich ein. Vielleicht hatte sie recht. Wäre ich nicht so erschöpft gewesen, hätte ich es mit Sicherheit bemerkt, wenn Sarah gegangen wäre.
"Ich versuche es." gab ich deswegen nach und breitete meine Arme aus. "Hab Spaß und mach keine Dummheiten, Cori."
"Werd ich, Logan." murmelte sie, ehe sie mich losließ. "Vielleicht, willst du ja in der Zeit, in der wir nach ihr suchen, einen Deutschkurs anfangen." rief sie mir noch über die Schulter zu und verschwand mit Manuel und Zareck im Schlepptau.

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