thirtynine
-Sebastian-
In dem Moment, wo ich wach wurde, wusste ich irgendetwas stimmte nicht. Die Bestie in mir war unruhig. Langsam sah ich mich in dem Gästezimmer, auf dessen Couch ich lag, um. Ein Ein-Meter-Sechzig breites Bett, ein Nachtschrank, ein Fenster und eine Couch. Das Bett hätte für Anja und mich gereicht, jedoch traute ich mir nicht selbst genug, um mich neben sie zu legen. Wer wusste schon was ich tat, wenn ich schlief und meine Gefährtin direkt neben mir lag. Ich wollte nicht riskieren sie zu verschrecken, deshalb hatte ich trotz ihres Angebots neben ihr zu schlafen die Couch gewählt. Fast schon ruckartig richtete ich mich auf als mein Blick auf meine Gefährtin fiel und stürzte zu dem Bett hin. Anja lag in diesen und um sie herum züngelten vereinzelte Flammen. Voller Entsetzen griff ich nach dem nächstbesten Kissen, um die Flammen damit zu ersticken. Zwecklos. Während meiner Walküre der Schweiß auf der Stirn stand und ihr Haut viel zu heiß für den kühlen Raum war, fraßen die Flammen an ihr und dem Bettbezug. Immer wieder schlug ich mit den Kissen danach, während ich ihren Namen rief. Die Flammen auf der Decke konnte ich löschen, die an ihrem Körper nicht. Anja reagierte auch nicht auf meine Rufe, sie wurde nicht wach. Fast schon wie eine Tote, bis auf den schnellen Herzschlag und die hektischen Atemzüge, lag sie in dem Bett. „Gloria!" rief ich nach der anderen Walküre, in der Hoffnung, dass sie wusste was los war und Anja helfen konnte. Es dauerte nicht lange ehe die ehemals kleine Blondine, jetzt Brünette neben mir an ihrem Bett stand und sie musterte. „Was ist mit ihr?" fragte ich verzweifelt. Ich hatte sie geschüttelt, doch sie reagierte nicht im Geringsten darauf.
„Sie wandelt in einem Traum, in dem es anscheinend brennt." Antwortete mir Gloria nach kurzem Zögern.
„Und was kann ich dagegen tun?" fragte ich.
„Außer dafür sorgen, dass die Bettdecke nicht anbrennt?" fragte sie mich. „Gar nichts. Sie ist solange in den Traum gefangen bis der Träumende aufwacht. Oder sie tot ist." Murmelte Gloria leise hinterher.
„Was?!" rief ich entsetzt aus.
„Ich weiß es nicht genau. Aber ich meine mich erinnern zu können, dass Vita meinte, dass die Traumtänzerin in ihren Träumen sterben kann. Für sie ist jeder Traum Realität, egal ob die Monster darin Real oder Fantasie sind. Jede Verletzung, die sie in ihrem Träumen bekommt, nimmt sie mit in diese Welt. Wenn ihr jemand im Traum den Kopf abschlägt, ist sie tot. Vorausgesetzt ich irre mich nicht. Ich habe mich nie mit Anja darüber unterhalten." Gab sie zu Bedenken.
„Scheiße verdammte!" brüllte ich verzweifelt. Die Walküre trat einen Schritt zurück und beobachtete mich, während ich wieder einmal das Kissen auf ein paar Flammen drückte. „Können wir sie den nicht irgendwie munter machen?" fragte ich verzweifelt. Fahrig strich ich mir ein paar Strähnen aus der Stirn und musterte Anjas schönes Gesicht. Mit entspannter Miene lag sie im Bett, während der Geruch ihrer versengenden Haare den kleinen Raum ausfüllte. Ich konnte doch nicht hilflos dabei zu sehen wie meine Gefährtin vor meinen Augen verbrannte.
„Nein." Antwortete Gloria nüchtern. „Anja schläft scheinbar so gut wie nie, weil sie weiß, was auf sie zu kommt."
„Das kann doch nicht sein! Wer zum Teufel hat ihr diese Gabe gegeben? Es bringt sie um und quält sie!" regt ich mich auf.
„Du solltest ruhiger werden. Wenn du tobst und schreist, hilfst du ihr damit auch nicht." Wies mich die Gloria zu Recht und ging um das Bett herum. Im Schneidersitz ließ sie sich auf Anjas andere Seite sinken.
„Ich soll mich beruhigen und dabei zu sehen wie meine Gefährtin leidet, vielleicht sogar stirbt."
Gloria zog die Braue hoch. „Weiß Anja schon, dass sie deine Gefährtin ist?" fragte sie sogleich nach.
„Darum geht's jetzt gar nicht."
„Oh, ich denke schon." Scheinbar entspannt klopfte sie ein paar Flammen mit ihren Händen aus und sah sich dann ihre Hände an. Ihr Gesicht verzog sie dabei kurz zu einer schmerzhaften Miene. „Was? Ich wollte wissen wie es sich anfühlt."
„Du bist irre." Stellte ich fest. Das musste es sein.
„Sind wir das nicht alle auf unsere ganz persönlich Art und Weise?" fragte Gloria nicht weiter beleidigt von meiner Aussage. „Aber zurück zu meiner Frage: Weiß sie es?"
„Nein." Gab ich ihr knurrend zur Antwort.
Sie zuckte mit den Schultern. „Hätte mich auch gewundert. Ihr beide macht das ganz schön kompliziert."
„Momentan habe ich wirklich andere Probleme. Anstatt mit mir zu plaudern könntest du dich bei den anderen Walküren nach einer Lösung erkunden." Fuhr ich sie an.
Gloria verzog das Gesicht. „Wieso? Vertraust du mir nicht?"
„Du bist scheinbar noch sehr jung." Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ein einzelner Blitz spaltete den Himmel in zwei, kurz darauf folgte der Donner. Es musste Anja sein, die die niederprasselnden Blitze hervorrief.
„Noch sehr jung, ist trotzdem fast ein halbes Jahrtausend, Lykae." Auch Gloria warf einen kurzen Blick aus dem Fenster und runzelte die Stirn.
„Warum kannst du nicht einfach nachfragen oder willst du, dass eine weitere von euch stirbt?" Ich wollte nicht einmal daran denken, dass Anja sterben könnte.
Gereizt fauchte Gloria mich an und beugte sich auf ihre Hände gestützt vor. „Du hast doch keine Ahnung, du Hund." Ich knurrte warnend. Aus dem Augenwinkel sah ich wie ihre Haare Feuer fingen. „Deine Haare." Murmelte ich nach kurzem Zögern. Ich war sauer genug auf sie, dass ich gewartete hätte bis sie es selbst bemerkte, doch ich konnte es mir nicht leisten diese Walküre zu verärgern.
„Was?" verwirrt wich sie zurück, fasste sich in die Haare und sprang dann kreischend auf. Kreischend wie eine wahre Walküre. Voller Schmerz hielt ich mir die Ohren, während die Walküre auf ihre brennende Strähnen einschlug.
Als sie sich endlich wieder beruhigt hatte, sah sie auf ihre angesengten Spitzen. „Meine Haare!" jammerte sie. Dabei waren es nicht einmal zwei Zentimeter, was sie verloren hatte im Gegensatz zu Anja, der es doch an einigem mehr mittlerweile fehlte.
„Gloria, du wolltest anrufen." Versuchte ich sie zur Kooperation zu bewegen.
„Ich kann nicht anrufen, begreif das doch endlich." Fauchte sie und trat wieder näher. „Erstens haben wir normalerweise keinen Kontakt miteinander. Wir alle haben eine Telefonnummer, aber diese ist nur für den äußersten Notfall vorgesehen. Seit ich diese Nummer habe, ist Gloria die Erste gewesen, die je darunter angerufen hat. Und außerdem werden die anderen Walküren auch nicht mehr wissen als Vita. Die einzige Walküre, die mehr wissen könnte, ist verschwunden."
„Es ist die, nach der ihr sucht!" stellte ich fest.
„Ja, Juliet und Anja sollen fast zeitgleich geboren wurden sein. Ihre Mütter waren schon eng miteinander befreundet, habe ich gehört, aber die beiden sollen so eng wie ein Zwillingspaar verbunden sein. Juliet ist die Einzige, die mehr wissen könnte."
„Wir müssen sie unbedingt finden." Erkannte ich.
„Ja, aber erst einmal solltest du dich um Anja kümmern. Sie würd bestimmt gleich aufwachen." Meinte Gloria. „Sie brennt nicht mehr." Fügte sie noch hinzu.
Tatsächlich züngelten keine Flammen mehr über ihre zierliche Gestalt. Die versengten Haare und einige Brandwunden, sowie ein paar Rußflecken waren als einziges Andenken geblieben.
Luftschnappend schreckte Anja hoch und ließ den Blick einmal durch den Raum schweifen. „Gloria, Seb!" murmelte die verwirrt und fasste sich an die Stirn.
„Hi!" begrüßte Gloria sie, während ich sie einfach nur stumm beobachtete und einzuschätzen versuchte wie es ihr ging.
„Wie geht es dir?" fragte ich sie, als sie wieder zu mir sah. Während ihre Atmung wieder ruhiger wurde, wirkte ihr Blick gehetzt. Die Wunden heilten nur langsam.
„Vita ist tot." Erzählte sie auf meine Frage hin und sah zu Gloria, bevor ein schwerer Hustenanfall sie schüttelte. Stützend legte ich ihre eine Hand in den Rücken.
„Was?!" entsetzt sprang die kleinere Walküre auf. Fast im nächsten Moment ließ ein ohrenbetäubender Donner meine Ohren klingeln.
„Es tut mir leid, Gloria. Aber sie ist tot. Ich... Ich habe gesehen wie sie im Feuer verbannt ist." Anja hatte Tränen in den Augen. Ihre Stimme klang heißer. „Dieser Traum war kein normaler Traum, es war eine Erinnerung an ihren Tod." Verriet Anja ihr und zog die andere Walküre vorsichtig in ihre Arme. Haltsuchend umschlang Gloria Anjas Körper und weinte zitternd. Unbeholfen, nicht wissend was ich tun sollte, stand ich neben den beiden. Vereinzelt hustete Anja auf, besorgt musterte ich sie. Was war ihr in diesen Traum wiederfahren? Sie sah furchtbar mitgenommen aus.
„Ist sie..." setzte Gloria an, doch sie schluchzte auf, sodass sie nicht weiterreden konnte. „Hat sie jemand gefoltert?" fragte sie.
Anja schüttelte den Kopf. „Nein. Vita hat in einem brennenden Waisenhaus nach Überlebenden gesucht. Sie hat es nicht mehr rechtzeitig herausgeschafft." Beruhigend strich sie über Glorias Haar.
„Warum?" fragte Gloria und löste sich ein wenig von meiner Gefährtin. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Was meinte die Walküre?
„Wie warum?" fragte Anja.
„Warum hat sie das getan? Vita hat Menschen nicht sonderlich gut leiden können." Erklärte sie. „Warum also sollte sie, sie retten?"
„Weißt du, was Vitas Gabe war?" fragte Anja sie und sah ihr ernst in die Augen.
Mit gesenkten Kopf murmelte sie ein leises: „Nein. Sie hat es mir nie verraten." Offensichtlich beschämte sie diese Tatsache.
„Vita hat mit einem Blick in das Innerste eines jeden Lebewesens sehen können. Ein Blick und sie wusste über alle Schattenseiten eines jeden bescheid. Auch über die Guten, aber irgendwann haben für Vita nur noch die Schattenseiten gezählt. Sie wusste, wenn jemand log, betrog, gierig war, neidisch oder anderen gegenüber missgünstig. Darum hat sie den Menschen nicht viel abgewinnen können, auch den Unsterblichen nicht, wenn man es genau nimmt. Umso älter ein Wesen ist, desto mehr hat es in diesen Leben erlebt und bestimmte Charakterzüge ausgeprägt. Es ist schwer zu lächeln, wenn man weiß, dass der Mann seine Frau betrügt oder eine Frau, ihrer Schwester oder einer Freundin ihr Glück neidet. Kinder hingegen haben meist eine reine Seele. Die Welt hat noch keine so tiefen Spuren hinterlassen. Sie können sich über die kleinsten Dinge freuen und teilen ihr Glück bereitwillig mit anderen, während sie das Leid noch nicht an sich heranlassen. Vita hat Kinder schon immer geliebt."
„Aber warum, wie..." Gloria stoppte. „Sie hat es mir nie erzählt. Warum?"
„Vita hat ihre Gabe gehasst. Sie meinte einmal, dass ihre Gabe ihr die Sicht auf die Welt verdorben hat. Viele haben sie auch wegen dieser Gabe gemieden." Erklärte Anja. Schweigend hörte ich ihr zu und saugte die Informationen auf. Ich wusste noch immer viel zu wenig über sie und ihre Schwestern. „Aber spielt es wirklich eine Rolle, Gloria? Sie hat mehrere Jahrzehnte mit dir gelebt. Sie hat in deine Seele gesehen und was immer sie gesehen haben mag, hat sie dazu bewogen viel Zeit mit dir zu verbringen. Du hast ihr etwas bedeutet."
Gloria brach wieder in Tränen aus, doch dieses Mal hatte sie ein kleines, wenn auch trauriges Lächeln im Gesicht. „Danke." Noch einmal schlang sie fest ihre Arme um Anja und vergrub ihr Gesicht an ihrem Hals.
Eine Weile blieb es ruhig. Die beiden schenkten sich stumm Beistand. Weil ich den Drang einfach nicht länger unterdrücken konnte, strich ich vorsichtig über Anjas Rücken. Ich musste sie berühren. Das Bedürfnis sie zu spüren und mir selbst zu versichern, dass es ihr gut ging, war übermächtig. Außerdem wollte ich ihr vermitteln, dass ich für sie da war. Auch wenn sie es nicht zeigte, war mir bewusst, dass sie ebenfalls unter den Verlust litt. Leicht lächelnd sah sie mich an. „Es ist alles gut." Formte sie mit den Lippen und zwinkerte mir zu. Doch es war nicht alles gut. Ihre Verletzungen heilten nur langsam und auch in ihren Augen standen Tränen, die von dem inneren Schmerz zeugten.
Als hätte Gloria den stummen Austausch mitbekommen, löste sie sich nun von Anja und rappelte sich auf. „Ich..." sie stockte einen Moment und strich sie eine der angebrannten Strähnen zurück, dabei fiel Anjas Blick auf die schwarzen Enden. „Was ist mit dir passiert?"
„Du hast gebrannt... also auch hier meine ich und ich hab mir dann die Haare fast abgebrannt." Erklärte Gloria und verzog unwillig das Gesicht.
„Oh mein Gott!" rief Anja entsetzt aus. „Das wollte ich nicht. Tut mir leid." Anja wirkte ernsthaft bekümmert darüber. Wütend knurrte ich. Wenn Gloria nicht aufpasste, war sie selbst daran schuld. Es gab nichts, dass Anja hätte tun können, um dies zu verhindern. Immerhin hatte sie fast überall gebrannt, während sie in einem Traum gefangen war. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie gefährlich diese Träume tatsächlich für sie waren. „Du trägst keine Verantwortung dafür." Erklärte ich, meine Stimme klang noch immer knurrig.
„Ab..." „Sebastian hat Recht, Anja. Ich war unvorsichtig." Unterbrach Gloria sie.
Seufzend gab Anja sich geschlagen. „Ich kann dir die Spitzen schneiden, sodass es wieder ordentlich aussieht."
„Das wäre schön. Aber zuvor lasse ich euch erst Mal allein. Ihr scheint immer noch einiges zu klären zu haben." Bei ihren letzten Worten sah die Walküre mich an. Stumm forderte sie mich dazu auf Anja die Wahrheit zu gestehen. Mürrisch presste ich die Lippen aufeinander. Wollte sie mich leiden sehen? Zwar wusste ich, dass Anja mich nicht töten würde. Das konnte sie gar nicht, weil ich ihr nicht egal war. Aber nicht annähernd so sicher war ich mir, ob sie nicht doch so weit und schnell rennen würde wie sie konnte, um mir zu entkommen, sollte sie davon erfahren.
„Das stimmt, aber du musst mir noch einen Gefallen tun." Wortlos forderte Gloria Anja zum Weitersprechen auf. „Ich brauche ein Bild von dem Vampir."
„Du meinst Alejandro?" fragte Gloria nach. „Ja."
„Wieso?"
„Ich bin in dem Traum eines Vampirs gelandet." Mein Knurren erfüllte den Raum und ließ die beiden Walküren zusammenzucken. Beruhigend griff Anja nach meiner Hand und drückte sie leicht. „Er hat mir nichts getan. Er hat Vita geholfen die Kinder zu retten und ..." Sie stockte kurz und musterte unsere Hände. Ihre Haut war etwas dunkler als meine, ihre kleinen Finger verschwanden zwischen meinen großen. „Ich glaube, er hat sie wirklich geliebt."
_______________
Helft ihr mir? Ich kann mich nicht entscheiden.
Das Neue?
Oder doch lieber das Alte?
Ich hoffe ihr habt Weihnachten schön feiern und genießen können. Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top