thirtyfive
-Anja-
Es dauerte nicht lange bis ich ihn wieder neben mir spürte. Das Auto wurde leichter bis ich keine Last mehr trug. Von der Seite sah ich ihn an. Und lächelte einfach nur, weil er da war. Ich hatte Sebastian mehr vermisst als ich mir eingestehen wollte. "Danke.", sagte ich kaum hörbar, dann rannte ich zu Gloria, um ihr zu helfen.
"Wurde Zeit.", brummte sie keuchend als wir beide an der Seite anfassten und weiterliefen.
"Ein Danke tut es auch.", kommentierte ich.
Sie schnaubte. "Du schuldest mir eine Erklärung, Miss Moralapostel.", war Glorias trockene Erwiderung auf meinen Kommentar. Die Zähne aufeinander gepresst nickte ich. Wahrscheinlich war ich ihr wirklich ein paar erklärende Worte schuldig.
"Irgendwie kommt er mir noch höher vor als zuvor.", meinte Gloria als wir den Zaun erreichten und klang ungewöhnlich niedergeschlagen. Wie schaffte sie es diese kindliche Art zu behalten?
"Wenn ich ihn euch rüber werfe, könnt ihr ihn auffangen?", fragte Sebastian. Ich wandte mich seiner Stimme zu und ärgerte mich, dass ich ihn über die Karosserie nicht sehen konnte. "Bekommst du das Teil darüber?", fragte Gloria ungläubig.
"Ich bin ein Lykae, Walküre. Du unterschätzt uns in deiner Missachtung!", erwiderte Sebastian. Er wirkte der blonden Walküre gegenüber gereizt. Seine Worte enthielten ihr gegenüber eine gewisse Herausforderung, die ich nicht zuordnen konnte. Wie viel hatte Sebastian von unseren Gesprächen mitbekommen? Wie viel wusste er schon?
Gloria enthielt sich eines Kommentars, doch an ihrem Gesichtsausdruck konnte ich sehen, dass diese Worte nicht spurlos an ihr vorbeizogen.
"Also bekommt ihr das hin?", fragte Sebastian noch einmal drängend nach. Uns lief die Zeit davon. Auch wenn Sebastian die Hunde aufgehalten hatte, würden die Polizisten irgendwann das gesamte Gelände durchkämmt haben. "Ja.", bestätigte ich, dabei war ich mir nicht halb so sicher wie ich mich anhörte. Aber wir hatten keine Wahl,wir mussten es schaffen.
"Dann rüber mit euch.", befahl der Lykae ungeduldig. Gloria sah mich an. Ich veränderte meine Position und nickte ihr zu. Sie ließ los und sprang nicht ganz so elegant wie es uns eigen war über den Zaun. Den Wagen zu tragen hatte Kraft gekostet.
"Kann ich loslassen?", erkundigte ich mich bei Sebastian. "Gleich. Ich muss den Wagen anders greifen.", erklärte er. "Okay." Für einen Moment wurde die Last schwerer, so dass ich leise ächzte, doch dann wurde der Wagen immer mehr in die Höhe gehoben und ich trug fast gar nichts mehr. Sebastian stand mir gegenüber, nur einen knappen Meter entfernt. Die Last des Wagens trug er mit seinen Schultern und Armen und ich sah das erste Mal seinen Wolf, den er zu seiner Unterstützung gerufen hatte. Zart schimmerte er in einem silberblau um Sebastians obere Gestalt herum und ließ ihn noch gefährlicher zugleich aber auch attraktiver wirken. Die sich deutlich sichtbar wölbenden Muskeln an seinen Armen taten ihr Übriges und ich spürte wieder dieses schon fast vertraute Ziehen in meinen Unterleib. "Jetzt.", befahl er. Noch immer klang Sebastians Stimme locker. Die Lykae waren stark, und ich wusste auch, dass Sebastian gut trainiert war. Trotzdem wurde mir erst jetzt das tatsächliche Ausmaß seiner Kraft bewusst. Was für ein heißer, unsterblicher Mann, dachte ich. Am liebsten hätte ich den einen Meter überwunden, der uns noch trennte und ihn endlich geküsst. Verdammt, ich hätte mich am liebsten in seine Arme geworfen und nie mehr losgelassen. Dabei war ich diejenige, die einfach ohne ein Wort des Abschieds verschwunden war. Doch für diese Träumereien blieb uns jetzt keine Zeit. Schweren Herzens traf ich den einzig vernünftigen Entschluss, das Umarmen und Knutschen auf später zu verschieben. Sofern der Lykae denn überhaupt noch wollte. Er musste, beschloss ich, immerhin war der einzige Grund, aus dem er hier sein konnte, ich. Oder? Ich war mir unsicher und hasste mich selbst dafür. Noch nie hatte ich zu den Selbstzweiflern gehört und ich würde auch jetzt nicht damit anfangen.
Ich ließ los und beeilte mich ebenfalls über den Zaun zu kommen. "Wir sind soweit.", rief ich Sebastian zu. Er ging in die Hocke, um mehr Schwung zu haben, bevor er den Wagen in die Höhe und über den Zaun warf. Danach raste er auf uns zu. Mein Puls schnellte in die Höhe, während Gloria und ich uns so zu positionieren versuchten, dass wir ihn Best möglichst auffangen konnten. Der Wagen könnte uns sonst wie Käfer zermatschen. Eine Vorstellung die mir alles andere als gefiel, da ich mir sicher war, dass das nicht unbedingt eine angenehme Art zu sterben war. Wir wären nicht mehr als blutige Matsche Pampe. Mir schauderte es bei der Vorstellung. Darauf konnte ich gut und gern verzichten. "Wir haben ihn.", rief Gloria neben mir hörbar erleichtert aus und ich atmete erleichtert auf. Nicht nur ihr ging es so. Wir hatten den Wagen tatsächlich aufgefangen. Holy Shit, waren wir gut. Jetzt mussten wir das Teil nur noch unbemerkt fortschaffen. Aber wohin?
"Los, wir müssen hier weg.", befahl Sebastian, der sich nun auch auf unserer Seite des Zauns befand und nahm uns ein Teil der Last wieder ab.
"Wohin?", fragte Gloria und sah fragend zu mir.
„Leg die Plane über den Wagen.", befahl ich um Zeit zu schinden, während meine grauen Zellen nach einer Antwort suchten. „Welche Plane?" „Die im Auto.", antworteten Sebastian und ich zeitgleich. Gloria warf mir einen ungläubigen Blick zu, der so viel besagte wie ‚Aber mir Vorschriften machen, aber selber mit einem scheiß Hündchen ins Bett steigen und dann auch noch synchronquatschen oder was?'. Hätte ich es gekonnt, hätte ich mit den Schultern gezuckt. So beschränkte ich mich darauf einfach nur unschuldig zu schauen. Das musste reichen. Gloria verzog das Gesicht und machte sich dann daran die Plane über das Auto auszubreiten. Tatsächlich sah das schon besser aus. Da das Auto halb verformt war, konnte man nicht beurteilen, was sich darunter befand. Zweck erfüllt.
„Also wohin jetzt, Miss Lykae?", fragte sie spöttisch, sobald die Plane saß. Verärgert bedachte ich sie mit einem Blick, der sie getötet hätte, hätte ich diese äußerst nützliche Gabe besessen. Zeitgleich spürte ich aber auch wie meine Wangen sich röteten. Was mochte Sebastian denken? Ich konnte mich nicht entscheiden, ob es die Situation besser machte, dass ich sein Gesichtsausdruck nicht sah, oder schlechter.
"In eine Autowerkstatt.", bestimmte ich und hoffte, dass meine Stimme neutral klang. Es gab keinen anderen Ort, wo dieser Wagen weniger auffallen würde. "Hast du eine bestimmte im Sinn?", fragte Gloria weiter nach und unterließ dieses Mal ihre Sticheleien.
"Nein.", erwiderte ich und sah wie sie das Gesicht verzog. „Bombastisch.", murmelte sie leise. Kam es mir nur so vor oder hatte sie tatsächlich schlechtere Laune seitdem Sebastian mit an Board war?
"Ich kenne jemanden, der eine hat.", mischte Sebastian sich von der anderen Seite des Wagens mit ein. "Ein Lykae?", hakte Gloria schneller als ich nach. Was hatten die Lykae ihr getan? Trotzdem war ihre Frage berechtigt. Es war schon schlimm genug, dass Sebastian jetzt nicht nur von mir, sondern auch von Gloria und Juliet wusste. Noch einen weiteren Unsterblichen wollte ich nicht in das Geheimnis unserer Existenz einweihen.
"Nein. Ein Mensch." Ich wusste nicht, ob ein Mensch besser als ein Unsterblicher war. Dieses Auto würde eine Menge Fragen aufwerfen.
"Weiß er von uns?Denkst du, dass er seinen Mund halten kann?", fragte ich nach. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken einen Menschen vertrauen zu müssen. Irgendjemand vertrauen zu müssen. Aber in unserer Situationen hatten wir keine großen Auswahlmöglichkeiten. Uns waren die Hände gebunden.
"Er wird es.", versicherte uns Sebastian.
"Dann da hin.", beschloss ich.
Diesen Wagen durch halb Wien zu tragen und dabei so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, war wohl das Verrückteste was ich je getan hatte. Es gab genügend Kameras und Menschen, die diese Aktion zu einem wahren Abenteuer werden ließ. Plane hin oder her, der Wagen war lang und breit. Es war alles andere als unauffällig. Am Ende konnte ich nicht sagen, ob wir es wirklich geschafft hatten unbemerkt zu bleiben, aber die Chancen standen überraschenderweise nicht schlecht.
"Sebastian!", rief dann ein sandblonder Mann, der, nur mit einer Jeans bekleidet, seine Tür öffnete. Nachdem wir den Wagen auf den Parkplatz vor einer Autowerkstatt abgelegt hatten, hatte Sebastian geklingelt. Ein Blick auf die Uhr hatte mir verraten, dass es immer noch mehr nachts als morgens war. Aber Sebastian meinte, das wäre okay. Der Mann, der uns gegenüber stand, war sicherlich schon über vierzig. Jedoch sah er für einen Sterblichen ungewöhnlich gut aus, auf eine absolut männliche Art und Weise. Die Muskeln an seinem Oberkörper zeichneten sich unter seiner makellosen Haut deutlich ab. Sein Gesicht wirkte durch einen dunkelblonden Dreitagebart noch markanter, als es ohnehin schon war und das Alter verlieh seinem Gesicht eine beängstigend attraktive Reife. Ein verblasstes Tattoo zierte seine linke Seite und ein weiteres den rechten Oberarm. Es waren verschlungene Muster, die sich leicht auf seiner gebräunten Haut abhoben. Schon oft hatte ich selbstüberlegt mir ein Tattoo stechen zu lassen. Jedoch bekam ein Leben lang bei uns eine ganz neue Bedeutung und ich wusste nicht, was ich über Jahrhunderte auf der Haut tragen wollte.
"Was ... " Der Schönling, der nicht wie ein typischer Schönling wirkte, da die Öl und Staub bedeckte Arbeitshose und die ausgetretenen Arbeitsschuhe ihm einfach einen zu rauen Stil verliehen, unterbrach sich selbst als er den Wagen, Gloria und mich hinter Sebastians Schultern bemerkte. Auch wenn er es nicht erkennen konnte, hatte er scheinbar einen Verdacht. Einen richtigen Verdacht wie ich befürchtete. Warum sonst sollten wir zu seiner Autowerkstatt kommen? Der Blonde grinste urplötzlichbreit und zog Sebastian in eine männliche, herzliche Umarmung. Die beiden wirkten wie enge Freunde, die sich eine ganze Weile nicht gesehen hatten. Überrascht zog ich meine Augenbrauen nach oben und tauschte einen Blick mit Gloria aus. Diese schien von der Szene ebenfalls fasziniert. "Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal die Gelegenheit bekomme dir einen Gefallen zu tun.", rief der Mensch mehr als nur gut gelaunt für die frühe Stunde aus.
"Ich habe es dir gesagt, irgendwann kommt der Tag, an dem ich deine Hilfe brauche.", erwiderte Sebastian lässig.
"Ich mach euch das hintere Tor auf, dann könnt ihr es reintragen.", meinte er ohne weitere Fragen zu stellen, was ihn mir fast schon sympathisch machte und verschwand wieder im Hausinneren. Das ging überraschend leicht und unkompliziert. Wenn er auch weiterhin keine Fragen stellte, könnten wir sogar Freunde werden.
"Woher kennst du ihn?", erkundigte ich mich neugierig bei Sebastian. "Wir haben zusammen gelernt und dann auch einige Zeit zusammengearbeitet.", verriet der Lykae ohne zu zögern.
„Und ihr habt all die Jahre Kontakt gehalten?", fragte ich. Auch ich schloss Freundschaften, doch mit dem Tag meines Verschwindens, beendete ich sie jedes Mal. Ich wusste nicht warum, aber ich hatte angenommen, dass Sebastian es auch so handhabte. „Nein, nicht wirklich. Nachdem ich umgezogen bin, haben wir uns nur nochmal an dem Tag seiner Hochzeit gesehen, aber ...", Sebastian schien nicht ganz zu wissen wie er es erklären sollte.
"Er hat mir das Leben gerettet.", mischte sich der Mensch ein, als das Tor sich öffnete. "Die Halterung von einer Hebebühne ist damals weggebrochen und das Auto hätte mich erschlagen, wen Sebastian nicht den Wagen gehalten hätte." Noch immer sah man die Dankbarkeit in seinen Augen blitzen. "Kommt rein.", forderte er uns munter auf. Wir ließen uns nicht weiter bitten und stellten den Wagen in der Werkstatt ab. Erleichtert atmete Gloria auf und auch ich streckte und dehnte meine Muskeln.
"Ich bin Will.", stellte er sich uns beiden dann vor. "Vivien.", erwiderte ich höflich und schüttelte seine Hand. "Gl..." mein Seitenblick lies Gloria verstummen. "Glence!", korrigierte sie sich und nickte. Sebastian beobachte uns stumm. Während Will zwar etwas mitbekommen hatte, aber nicht weiter nachhakte. Eine äußerst sympathische Eigenschaft wie ich befand.
"Seid ihr zwei auch Werwölfe?", fragte er nach. Sebastian verzog bei der Bezeichnung zwar das Gesicht, aber korrigierte ihn nicht. Interessant. Der Lykae hatte ihn nicht die ganze Wahrheit über ihn verraten. Ich würde es mit Sicherheit auch nicht tun. Der Einfachheit halber nickte ich. "Ja.", bestätige Gloria ebenfalls.
„Okay, wollt ihr mit reinkommen?", fragte er. „Wir haben zwar nur ein Gästebett, aber unser Sofa kann man ausziehen.", bot Will an. Fragend sah Sebastian zu mir, doch ich schüttelte den Kopf. Ich würde nicht schlafen. Nicht hier. Diese Stadt war zu groß. Hier würde es definitiv mehr Unsterbliche geben und damit war die Gefahr größer in den Traum eines solchen zu landen. „Ich brauche keinen Schlaf." „Ich auch nicht.", schloss Sebastian sich mir an. Doch das lag wahrscheinlich viel mehr daran, dass wir einiges zu klären hatten als das er den Schlaf nicht brauchte.
„Ich hätte nichts gegen einen Kaffee.", entschied Gloria, wobei ich den Verdacht hatte, dass sie Sebastian und mir damit ein wenig Privatsphäre verschaffen wollte. Dankbar schenkte ich ihr ein kleines Lächeln, welches sie mit einer leichten, schnell übersehbaren Bewegung ihres Kinns annahm. „Braucht ihr keinen Schlaf?", fragte Will.
„Nicht so viel wie ihr.", gab Sebastian zurück. „Okay, kommt mit rein.", forderte der Mensch uns auf. Gloria folgte seiner Aufforderung, doch Sebastian und ich rührten uns nicht von der Stelle. „Wir kommen nach.", erklärte Sebastian. Will warf uns zwar noch einen Blick zu, verschwand dann aber durch einen Durchgang in sein Haus gefolgt von Gloria. Nun war ich allein mit dem Lykae.
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