fourtyfour




-Anja-

Juliet und ich liefen eine dunkle Gasse entlang. In den Hauseingängen und unter den Torbögen verbargen sich zwielichtige Gestalten. Wir waren spät dran, die Sonne war schon vor fast einer Stunde hinter dem Horizont verschwunden. Keine Frau sollte zu solch einer Zeit diese Gassen passieren. Dennoch waren Juliet und ich unbesorgt. Wir waren Walküren, die Männer waren uns weit unterlegen. Allerdings versuchten wir einen Konflikt zu vermeiden, in dem wir unsere Körper und Gesichter mit bodenlangen Kapuzenmänteln umhüllten.

„Ich hasse den Gestank!", murmelte ich in den Stoff meiner Kapuze hinein und rümpfte meine Nase. Es stank nach verschwitzten Menschen, Fäkalien und sämtlichen verschiedenen Tierrassen. Zwar war von den Tieren, die sich den gesamten Tag über in diese engen Gassen gedrängt hatten, nichts mehr zu sehen, aber ihre Hinterlassenschaften und ihr Geruch blieben. Zwielichtige Gestalten huschten an uns vorbei, jedoch achteten sie nicht weiter auf uns.

„Ich hasse alles in den Städten.", erwiderte Juliet ebenso leise wie ich zuvor.

Zustimmend nickte ich. „Du hast Recht, es wird Zeit, dass wir nachhause kommen!"

„Ja, das wird es!" Da war dieses leise Seufzen vor dem ja, welches mich aufhorchen ließ. Besorgt warf ich einen Blick zur Seite auf meine Begleiterin. Ging es ihr vielleicht schlechter als gedacht. Erst vor knapp zwei Tagen hatte Juliet einen Zusammenstoß mit mehreren Vampiren gehabt. Früh morgens wollte sie für uns Wasser holen, als die Vampire sie trotz des Sonnenlichtes angriffen. Nur ihre Schmerzensschreie hatten mich aus meinem Schlaf gerissen und mich zu ihr eilen lassen. Gerade noch rechtzeitig, sonst hätte einer der Vampire sie in zwei geteilt.

Juliet spürte meinen Blick und sah mich an. Einen Moment trafen die wiesengrünen Augen meiner Herzensschwester auf mich. In ihnen erkannte ich eine Entschlossenheit und Kraft die mich meine Zweifel über Bord werfen ließ.

Wir würden den letzten Teil unserer Mission schaffen und dann zurück in unsere Heimat kehren. In das Schloss der Walküren. Ein Ort, den kein Mensch jemals freiwillig aufsuchen würde. Für alle Uneingeladenen sah das Schloss verfallen, um nicht zu sagen, auseinanderfallend aus. Es war einem Schutzzauber zu verdanken, der seit seiner Existenz auf dem Heim der Walküren lag. Blitze zuckten zu jeder Tageszeit über den Himmel und schlugen immer wieder in die zahlreichen Blitzableiter ein. Die Bäume, die meine Schwester vor Jahrhunderte gepflanzt hatten, waren schwarz. Verkohlt, in zwei geschlagen von den Blitzen, die sie trafen als sie groß genug waren.

„Weißt du, wie viele dieser Kreaturen uns heute gegenüber stehen werden?", fragte Juliet. Ratlos zuckte ich unter meinen Umhang mit meinen Schultern. „Nein, aber es werden nicht wenige sein." Es war einer meiner Träume gewesen, der uns hierhin führte. Der Traum eines kleinen Jungens, der dabei zu sehen musste wie seine Familie von blutrünstigen Kreaturen abgeschlachtet wurde. Vampire. Wir hofften, dass der Junge noch immer lebte, wenn wir kamen. Aber sicher war ich mir nicht. Es gab zwei Arten von Vampiren. Die einen waren beherrscht, kühl, intelligent und überheblich. Problemlos fügten sie sich zwischen den Menschen ein, sodass nur die, die wussten worauf sie achten mussten, bemerkten, dass es doch keine Menschen waren. Meist gehörten sie zur privilegierten Gesellschaftssicht. Sie waren schlau genug um einen offenen Kampf mit uns zu vermeiden. Aber dann gab es auch noch die wilden, teilweise verrückten Blutsauger. Ohne auch nur ein Teil der menschlichen Konventionen zu beachten, ohne Rücksicht auf eine Entdeckung erlagen sie ihrem Blutrausch und mordeten wild. Viele von ihnen waren jung. Ihnen fehlte in den ersten Monat tatsächlich der Verstand und keiner hatte sich ihnen angenommen. Aber einige mordeten um des Mordens Willen. Nicht weil sie jung waren oder weil sie Nahrung benötigten, sondern weil sie die Angst ihrer Opfer liebten. Einige behaupteten es wäre das Adrenalin, das kurz vor dem Tod in den Adern dieser Menschen freigesetzt wurde, dass sie immer wieder zu solch grausamen Taten hinriss.

„Wir werden ihnen allen ein Ende bereiten.", schwor Juliet grimmig. Ohne sich weiter zu unterhalten suchten wir uns einen Weg durch die engen Gassen. „Hier muss es irgendwo sein!", meinte ich leise. Die Häuser wirkten mir auf diese unheimliche Art und Weise vertraut. Ich kannte sie auf diesem einen Traum des Jungen.

„Ja, ich rieche dieses dreckige Pack!", erklärte mir Juliet. „Bist du bereit?", fragte sie mich leise. „Dafür ist es zu spät." Ich spürte seinem Atem in meinem Nacken nur eine Millisekunde bevor ich seine Worte hörte. Es war meinen Reflexen zu danken, dass er nicht jetzt schon aus meiner Ader trank. Der Vampir brüllte zornentbrannt auf, als er meinen Dolch in seiner Seite spürte. Seine Hand schlug nach mir, traf meinem nackten Arm, den ich hochriss um mein Gesicht zu schützen. Der Wucht seines Schlages ließ meinen gesamten Körper beben.

„Hinter dir, Anja!" Juliets Ruf ließ mich herum wirbeln. Ein weiterer Vampir. Riesig, dunkelhaarig. Mit einem Antlitz, das das eines gefallen Engels sein konnte. Zumindest bis er die Zähne fletschte, da ich sein Schwert mit meinem parierte. Die Anstrengung, die mich dies kostet ließ mich schreien. Blitze erhellten den Himmel und blendeten den überraschten Vampir einen Moment. Der Moment reichte, um dass ich ihn mein Schwert zwischen die Rippen jagen konnte. Hinter mir ertönte Juliets schmerzerfülltes Kreischen. Ich machte eine halbe Drehung, meine Seite brannte und ich fuhr zu der anderen Richtung herum. Das Schwert eines der Vampire hatte mich getroffen. Mein Blut lief an der Klinge hinab. „Es riecht so köstlich.", murmelte einer von dem halben Dutzend, das uns umzingelt hatte. „Und es schmeckt noch viel besser."

„Wie schade, dass ihr nicht mehr lange genug leben werdet, um es zu kosten.", knurrte ich und versuchte die Panik in meinem Herzen zurück zu drängen. Einen Moment betrachteten sie mich. Der eine erstaunte, der andere erzürnt. Und dann brach einer von ihnen in Gelächter aus und die anderen stimmten mit ein. Verbissen presste ich die Zähne aufeinander. Niemals würde ich zulassen, dass ich oder Juliet in ihre Hände fielen. Unser Blut würde sie stärken und die Folter nie enden. Unser Körper würde den Blutverlust immer und immer wieder ausgleichen. Wir Walküren konnten daran nicht sterben. Und das wussten diese Kreaturen. Mit all meiner Kraft stürzte ich mich auf den Nächsten von ihnen. An Kraft war ich ihnen unterlegen, deswegen spielte ich auf Geschwindigkeit. Und bei den Göttern.... Es funktionierte. Die Arme schwer, die Beine beinahe taub, mit zahlreichen Wunden blickte ich auf die Leichen um mich herum hinab. „Juliet?", rief ich leise, als ich das Fehlen meiner Kameradin bemerkte. „Juliet?", meine Stimme hob sich, wurde lauter. Doch ich erhielt keine Antwort. Kaum in der Lage mein Schwert zu heben, wandte ich mich der schäbigen Eingangstür zu, hinter der ich die Wohnung des Jungen vermutete. In meinem Inneren betete ich zu den höheren Mächten, dass ich keinem weiteren Vampir gegenüberstehen würde. Ich wusste nicht, ob ich auch aus diesem Kampf erfolgreich hervor gehen würde.

Dank der wenigen kleinen Fenster war es dunkel in den Zimmern, keine einzige Kerze brannte. Allerdings benötigte ich kein Licht. Ich erkannte auch ohne dies, die Spuren der Verwüstung. Das Blut war in den Holzboden der Diele eingezogen. Getrocknet, sah es nahezu schwarz aus. An den Wänden waren feine, rotschwarze Spritzer zu erkennen. Eine billige Kommode war umgeschmissen und halb zerstört. Ich stieg über einen einzelnen Schuh hinweg. Während meine Nase den Geruch von verwesenden Fleisch erfasste, der alles übertönte, versuchte ich mit meinen Ohren den Hinweis auf ein Lebewesen zu bekommen. Ein Blick in das kleine Wohnzimmer, in dem sich auch eine Kochecke befand, ließen meinen Zorn und Trauer wachsen. Der Junge war tot. Deutete ich seine Gesichtsfarbe richtig war es erst wenige Stunde her. Wir hatten zu viel Zeit benötigt, um hier herzukommen.

Auf leisen Sohlen schlich ich weiter, während ein leiser Schauer mich frösteln ließ. Mein Gefühl sagte mir, dass ich nicht allein war. Es gab nur zwei weitere Türen. Die Erste war ein Abstellraum, der zeitgleich als Kinderzimmer hatte herhalten müssen, die Zweite das Zimmer der Eltern. Der Anblick, der sich mir da bot, ließ mein Blut gefrieren, sämtliche Härchen sich aufstellen und mich im maßlosen Entsetzen erstarren.

Auf Juliet lag eines dieser Monster. Während es von ihrem Hals trank, stieß es in rhythmischen Bewegungen seine Hüften gegen ihre. Es war so in Ekstase, dass es mich nicht bemerkte. „Nein!", schrie ich zornentbrannt. Blitze schossen über den Himmel, Donner brandet in meinen Ohren. Das Zimmer wurde immer wieder tageshell von ihnen erleuchtet, während ich den letzten Dolch, den ich besaß, hervorzog und dem Monster entgegenwarf. Es traf seinen Rücken, bohrte sich hinein. Der Vampir sah mir einen schrecklich langen Moment in die Augen, dann brach er Tod auf meiner Schwester zusammen.

„Juliet!", rief ich und rollte den Vampir von ihr. Meine Befürchtungen bewahrheiteten sich, er hatte ihren Rock nach oben geschoben und die wehrlose Walküre genommen. Dieser Bastard! Am liebsten hätte ich ihn noch einmal getötet. „Juliet!" ich tätschelte ihr Gesicht, Blut lief aus ihrem Hals, aus einer Wunde am Bauch und auch ihre Schenkel hinab. „Juliet, komm zu dir!" Nach Luft schnappend riss sie die Augen auf und starrte mich an. Ihre Hände griffen nach meinen Armen zogen mich näher, ganz nah zu sich heran. „Hilf mir, Anja, lass nicht zu, dass er mir das Gleiche antut!"

„Das Gleiche?", fragte ich verwirrt. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas war falsch. „Ich weiß nicht, wo es ist. Aber wir sind in einer Höhle. Er ist wie besessen von mir!" Ihre Augen hielten mich gefangen. Panisch, eindringlich flehten sie um meine Hilfe.

„Juliet, von wem..."

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