Fourtyfive

-Sebastian-
Der Moment als sie aufwachte, ließ auch mich zusammen zucken. Meine Hände packten ihre Taille um ihren Sturz abzuwenden, während sie sich an meine Schultern klammerte. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten in mein Gesicht. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass sie durch mich hindurch sah.
„Nein!" Das Wort war leise gemurmelt, aber mit solch einer Inbrunst, dass es mich erschütterte. Dann blinzelte sie mehrmals schnell und sah mich verwirrt an. Allerdings hielt dieser Ausdruck nur für wenige Momente.
„Seb!", erkannte sie leise flüsternd. Ich nickte ihr zu, während ich den Auslöser ihrer Unruhe zu finden suchte. Ihre Arme schlangen sich um meinen Nacken und ihr Gesicht presste sich an meinen Hals. „Ich glaube sie war in meinem Traum." Ihre Lippen streiften die empfindliche Haut meiner Kehle beim Reden und ließen mich meine Arme noch fester um sie schlingen. Ich wollte sie nie mehr loslassen. Viel zu gut fühlte es sich an, ihr endlich so nahe zu sein. Sie so zu spüren.
Aber es war nur von kurzer Dauer. Anja war voller unruhiger Energie. Ihre Arme lösten sich von meinem Hals und stemmten sich mit erstaunlicher Kraft gegen meine Brust, da ich die Umarmung nicht lösen wollte. „Ich hab sie gesehen, Sebastian. Juliet, sie war in meinem Traum." Eindringlich sah sie mich an. „Wir müssen sie finden. Der Vampir hat sie in seiner Gewalt und sie hat Angst."
„Walküren haben keine Angst." Waren die ersten Worte, die aus mir hervor brachen. Innerlich schlug ich mir selbst eine Bratpfanne über den Kopf. Warum musste gerade das, das erste sein das ich zu ihr sagte? Dabei gehörte dies doch nur zu den Geschichten, die man sich über die Walküren erzählte.
„Jedes Lebewesen hat vor irgendetwas Angst, Seb. Auch wir.", belehrte sie mich und strich mir zärtlich über die Wange. „Ich, zum Beispiel, hatte Angst, dass ich dich gestern Abend verloren hätte." Über ihr Gesicht rutschte tiefe Schuld und Reue. Natürlich kannte Anja die Geschichten über unsere Raserei. Sollten wir uns unserem Wolf vollkommen hingeben und der Raserei verfallen, gab es kein Zurück mehr. Dann waren wir für die Ewigkeit in dieser Raserei gefangen. „Warum hast du es mir nicht gesagt?", fragte sie fast schon vorwurfsvoll.
„Dass du meine Gefährtin bist?", wagte ich den Schritt ins eiskalte Wasser und sagte die entscheidenden Worte. Meine Gefährtin. Es fühlte sich so richtig an, es endlich auszusprechen. Sie musste es meinen. Ich betete zu Gott, dass wir gerade nicht aneinander vorbei sprachen und ich sie verjagte. Dass ich alles missverstanden hatte.
„Ja.", bestätigte sie schlicht. Dabei saß sie nahezu entspannt auf mir, ihre Beine noch immer rechts und links neben meinen Oberschenkeln. Ihre Hände lagen auf meinen Schultern, während ihr Blick meinen festhielt.
„Es gibt unzählige Geschichten wie ihr davon rennt oder den Lykae tötet, der dumm genug ist, euch eure Freiheit nehmen zu wollen.", erzählte ich ihr ungeschönt meine Beweggründe. „Ich hatte Angst, dass auch du flüchten würdest."
Sie presste die Lippen aufeinander, nickte dann aber. „Vielleicht hätte ich das getan, ich weiß es nicht.", gestand sie ehrlich ein. Einen Moment gestattete sie es sich noch ihren Gedanken nach zu hängen, ehe sie Anstalten machte aufzustehen und erklärte: „Aber wir müssen jetzt los. Sofort." Ungeachtet ihrer Worte hielten meine Hände sie noch immer an der Taille fest, sodass sie nicht weit kam. Womöglich hatte sie Recht und ihre Freundin brauchte unsere Hilfe dringend, aber ich war noch nicht bereit. Nach alldem was geschehen war, brauchte ich noch einen Moment. Brauchte das wo nach ich mich schon seit Wochen sehnte. Rücksichtslos presste ich meine Lippen auf ihre, um mir endlich das zu holen, wo nach ich mich schon so lange verzehrte. Ein überraschter Laut entwich ihr. Genau diesen Umstand nutzte ich um mit meiner Zunge ihren Mund zu erobern. In meinem Armen spürte ich wie sie weich und anschmiegsam wurde. Wie sie den Kuss leidenschaftlich erwiderte. Ihre Finger krallten sich fest in meine Schultern. Leise stöhnte sie auf und auch ich konnte nicht anders als zu stöhnen als sie an meiner Unterlippe saugte. Mit meiner Hand versuchte ich sie noch fester an mich zu pressen. Irgendwann riss sie sich trotzdem los. „Es tut mir leid, Seb." Nein! Nein... ihre Worte ließen die schlimmsten Befürchtungen in mich hochsteigen, allerdings sprach sie weiter bevor sich die Horrorszenarien in meinem Verstand breit machen konnten. „So schön dass auch ist, dafür haben wir jetzt leider keine Zeit. Wenn wir nicht schnell genug sind, tut ihr der Vampir sonst was an. Das kann ich nicht riskieren. Bitte versteh das."
Mir fiel sprichwörtlich ein Stein vom Herzen. Erleichtert nickte ich. „Wir haben noch eine Menge zu klären.", erinnerte ich sie, als ich sie widerstrebend gehen ließ. Zum Beispiel, dass ich sie liebte, dass ich nie wieder so etwas wie gestern oder vielleicht sogar vorgestern Abend zulassen würde, dass sie ab jetzt jede Nacht in meinem Arm schlafen würde und die Markierung, die sie noch immer nicht trug. Sobald ich daran dachte fiel mein Blick auf ihren Hals. Jetzt da sie wusste, dass sie meine Gefährtin war und diesen Umstand akzeptierte, war die Tatsache, dass ich sie noch nicht mit meinem Mal versehen hatte, wie ein glühendes Eisen in meinem Bauch. Die Gewissheit, dass nicht jeder sofort erkennen konnte, dass sie zu mir gehörte, brannte sich in meinem Verstand und erregte heftigsten Unmut meiner Bestie.
„Das haben wir, dennoch muss das jetzt warten.", rissen mich Anjas Worte aus meinen Gedanken. Geschäftig lief sie ans andere Ende des Zimmers und kramte dort einige Sachen aus ihrer Tasche.
„Wo willst du hin?" Automatisch sprang ich auf und lief auf sie zu. Ihre Hand lag auf der Türklinke nach draußen. „Ich muss mich umziehen. Das solltest du auch tun.", erklärte sie mit einem Blick auf meinem Anzug, den ich noch immer trug. „Das können wir auch hier tun."
„Abgesehen davon, dass ich mich vorher noch frisch machen möchte, halte ich das für eine schlechte Idee." Ihr Blick verriet ihre Zweifel an meine lauteren Absichten. Tatsächlich hatte ich diese Worte, dennoch nicht geäußert damit sie sich vor meinen Augen auszog, sondern einfach damit sie bei mir blieb. Der Gedanke, dass sie sich aus meiner Sichtweite entfernte schmerzte. Ich glaube, ich hatte die Geschehnisse des letzten Abends noch nicht verarbeitet.
„Ich werde mich zusammenreißen.", versicherte ich ihr daher vollkommen ernst. Mit kraus gezogener Stirn musterte sie mich. „Du hast Angst, dass ich verschwinde, nicht wahr?", landete sie einen Volltreffer.
Beschämt spürte ich wie mein Gesicht wärmer wurde. Es war mir unangenehm diese Angst vor ihr einzugestehen, allerdings hielt ich es für frevelhaft erneut irgendwelche Halbwahrheiten zu benutzen. Denn es waren genau diese, die zu dem geführt hatten was gestern Abend passiert war. Ich denke nicht, dass Anja soweit gegangen wäre, hätte sie gewusst, dass ich ihr Gefährte war.
Seufzend legte sie die Sachen zur Seite und trat auf mich zu. Es war beinahe schon ein Reflex, die Arme an ihre Hüften zu legen und sie noch näher zu sehen. „Ich wollte dir das nicht antun, Sebastian. Das musst du mir glauben. Hätte ich gewusst, dass ich deine Gefährtin bin, hätte ich eine andere Lösung gesucht. So allerdings... Es tut mir so furchtbar leid. Ich werde nicht wieder einfach abhauen. Nicht mit irgendeinem Typen und auch nicht einfach so, wenn meine Familie Hilfe braucht. Allerdings musst du mir dafür vertrauen.", verlangte sie und sah mir dabei ernst ins Gesicht. „Wir können nicht nonstop aneinander kleben. Erstens würde mich das zerstören, ich brauche meinen Freiraum. Du erinnerst dich? Das ist so ein Walküren-Ding.", zog sie mich mit einem kleinen Zwinkern auf, bevor sie wieder Ernst wurde. „Andererseits ist das sonst auch nicht für uns gut."
„Ich weiß nicht, ob ich das kann.", gestand ich ihr. Dabei sprach ich noch nicht mal von Vertrauen, obwohl auch das angekratzt war, sondern von dem allein lassen.
„Hier geht es nicht um können, Sebastian. Du musst es. Umso fester du mich hältst, desto größer wird mein Widerwille werden.", bestimmt sah sie mich an, während ihre Worte wie Eiswasser über mich kamen. Anja suchte nicht nach schönen Formulierungen oder künstlichen Weichmachern. Glasklar stellte sie die für sie scheinbar essentielle Grenze auf. „Wenn du mich gehen lässt, kann ich immer wiederkommen. Und das werde ich, aus meinem eigenen Willen heraus.", beschwor sie mich. „Wir können das vorerst ganz klein üben. Ich gehe ins Bad, mach mich frisch und zieh mich um und dann komme ich wieder her." Abwartend sah sie mich an.
Es war lachhaft was sie hier mit mir diskutierte, dass wusste ich. Trotzdem nahm sie mich und mein Problem ernst und wartete auf meine Zustimmung, dabei wusste ich, dass sie Recht hatte. Dennoch viel es mir viel zu schwer. „Okay.", nickte ich ihr zu.
Glücklich und irgendwie stolz lächelte sie mich an, ehe sie sich aus meinen Armen löste und zur Tür ging.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top