fourteen
-Sebastian-
Die Walküre war extrem misstrauisch und vorsichtig. Es sollte mich nicht wundern. Wahrscheinlich war sie die Einzige, die noch lebte und das hatte sie sicherlich nur damit erreicht, dass sie ihre eigene Existenz vor jedem unsterblichen Wesen verborgen hatte und unbemerkt unter den Menschen lebte. Trotzdem ärgerte es mich, machte mich wütend. Sie war meine Gefährtin, sie sollte in mir keine Gefahr sehen, sondern mir vertrauen. Ich würde eher mein Leben geben, um sie zu beschützen als das ich sie irgendwie gefährden würde. Sie war alles für mich.
Und sie war wunderschön und alles andere als wehrlos. Ich wusste nicht, was sie unter ihrer Theke versteckte, aber ich war mir sicher, dass ich mit einer falschen Bewegung oder einem falschen Wort einen Kampf herausgefordert hätte. Es war ihr sichtlich schwer gefallen mich nicht sofort heraus zu schmeißen und ganz locker zu bleiben, aber immerhin hatte sie diesem lächerlichen Haarschnitt zu gestimmt. Ich weiß nicht welcher Teil von mir auf diese geniale Idee kam, aber die vertrauten Handgriffe des Haare schneiden, schien tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf sie zu haben und gaben ihr scheinbar Zeit, um mit der Situation besser zurecht zu kommen. Anfangs war ihre Haltung noch angespannt, ebenso wie meine, als sie mir den Umhang um machte. Sie war eine Walküre und ganz im Gegensatz zu mir, spürte sie die Verbindung, die ich zu ihr fühlte nicht. Während ich ihr nicht ein einziges Haar krümmen wollte, weil sie meine Gefährtin war, würde es sie wahrscheinlich nicht einmal berühren, wenn sie mich umbrachte. In dem mir das Schicksal eine Walküre als Gefährtin bestimmt hatte, hatte es mich vor einer Herausforderung gestellt. Walküren hielten nicht viel von Bindungen und gingen sie deshalb nur extrem selten ein. Für sie zählten nur die ihren, ihr Koven. Alles andere waren nicht mehr als flüchtige Begegnungen. Aber sollte es wirklich einmal soweit sein, dass ich die Walküre von mir überzeugt hatte, dass sie mich liebte, dann würde uns wahrlich die Ewigkeit gehören. Es hieß, dass sie ebenso loyal und leidenschaftlich wie die Lykae waren. Jedoch war der Weg bis dahin alles andere als einfach. Ich war mir sicher, dass sie mich so schnell wie möglich loswerden wollte. Ihre Augen verrieten sie, ihre Gesichtszüge. Aber da war sie an den Falschen geraten, ich würde nicht freiwillig verschwinden. Und zumindest gab es einen Trost, der Walküre schien mein Aussehen auszunehmende gut zu gefallen. Ich hatte gesehen wie sich ihre Augen verdunkelten als sie über meine Schultern strich, wie sich ihre Fingernägel erneut zu Krallen bogen und sich in meine Schultern krallten, jedoch dieses Mal nicht um anzugreifen. Sie verrieten ihre Erregung. Dummerweise hatte ich mich nicht zusammenreißen können und ein genießerisches Knurren war mir entwichen. Das hatte die kleine Walküre aufschrecken lassen und sie war wieder ganz geschäftsmäßig geworden, die Anspannung war wieder da. Aber die Aussicht mit meinen Haaren anstellen zu dürfen, was sie wollte, hatte ihr ein ehrliches Lächeln entlockt. Eines welches ich am liebsten noch einmal sehen wollte. Jetzt massierte sie mir gerade das Schampo in die Haare ein und verwöhnte meine Kopfhaut. Ein herrliches Gefühl, an das ich mich ohne weiteres gewöhnen könnte. Genussvoll schloss ich die Augen, genoss es mich von meiner Walküre verwöhnen zulassen. Das sie mir jetzt so nah war, nachdem ich mich Jahrhunderte nach ihr verzehrt hatte, mir das Leben nehmen wollte, weil ich sie nicht fand... es war einfach unglaublich.
"Wie heißt du?" Abrupt stoppten ihre Finger die kreisenden Bewegungen und ich blinzelte zu ihr hoch. Die Lippen zusammengepresst, starrte sie mit ihren karamellfarbenen Augen zu mir herab. "Ich nenne mich Vivien." Gab sie schließlich zu und nahm die Bewegung dann langsam wieder auf. "Und du?" Fragte sie, als sie anfing meine Haare auszuspülen, noch bevor ich über die seltsame Formulierung des Satzes nachdenken konnte. "Sebastian O'Brian."
"Dein Geburtsname?" Fragte sie nach. "Du bist Schotte." Stellte sie auf mein leichtes Nicken hin fest.
„Aye." Gab ich zur Bestätigung von mir, stolz auf meine alte Heimat, die ich nun schon seit fast einem Jahrhundert nicht mehr gesehen hatte. "Warst du schon einmal in Schottland?" Fragte ich weiter nach, versuchte die Stimmung mit ein paar belangloseren Fragen zu lockern. Jedoch schlug dieser Versuch fehl, erneut sah mich Vivien an und schien zu überlegen welche Hintergedanken ich hatte. Innerlich seufzte ich. Das würde alles andere als leicht werden. "Du musst nicht antworten, wenn du nicht willst." Mit geschürzten Lippen sah sie über mich vorbei, ihre Augen auf etwas gerichtet, dass ich nicht sehen konnte. "Was willst du wirklich von mir, Lykae?" Fragte sie schließlich, ihr Blick so stechend klar als sie mir in die Augen sah, dass mein Herz kurz außer Takt geriet. "Mein Name ist Sebastian!" Korrigierte ich sie. Sie verdrehte die Augen. "Sag ihn!" Verlangte ich, wollte unbedingt, dass sie mich wenigstens einmal mit meinem richtigen Namen ansprach und mich nicht als einen Lykae von vielen sah. "Was willst du von mir, Sebastian?" Wiederholte sie und einen Moment schwelgte ich in den Klang, bevor ich mich dem Problem, das ihre Frage auftat, stellte. "Du bist in meine Träume eingedrungen, nicht ich in deine." Erinnerte ich sie. Angriff war noch immer die beste Verteidigung. Sollte ich zugeben, dass sie meine Gefährtin war, würde sie mir wahrscheinlich den Kopf abschlagen. Üblicherweise sahen Walküren die Bindung die zwischen Gefährten herrschte als Freiheitsberaubung an. Und eine Walküre im Käfig war mindestens genauso schlimm wie ein Lykae. "Was willst also du von mir?" Stellte ich ihr die Gegenfrage. Zwar war es eigentlich nur als Ablenkung gedacht, aber es interessierte mich wirklich wie sie es geschafft hatte in meine Träume zu gelangen.
Schuldbewusst wich sie meinem Blick aus und schwieg während sie mir erneut irgendetwas in Haar und Kopfhaut einmassierte.
"Es war ein Versehen!" Erklärte sie dann. "Ich kann es nicht steuern in wessen Träumen ich lande." Das war interessant und beängstigend, wenn ich näher darüber nachdachte. "Also warst du nicht nur in meinen Traum?"
Sie stieß einen Laut aus, der entfernt an ein Lachen erinnerte, aber keineswegs eins war. Ich wusste, was auch immer sie mir jetzt erzählen würde, es würde mir nicht gefallen. "Ich bin die Traumtänzerin, Lykae!" Zwar klang ihre Stimme spottend, doch dahinter erkannte ich Schmerz und Wut. "Sobald ich schlafe, erwache ich jedes Mal in einem anderen Traum. Jedes Mal und nie ist es mein eigener." Meine Hände umspannten die Lehnen des Sessels fester. Allein die Vorstellung, dass sie immer wieder in irgendwelchen Träumen landete. Welcher Art entsprachen diese Träume? Welchen Monstern begegnete sie dort? "Wie ... ich verstehe nicht ganz." Gab ich zu und hoffte, dass sie mir es ganz schnell erklären würde, bevor ich meine Bestie nicht mehr im Zaum hatte. Sie war unruhig, wollte wüten. Die Vorstellung, dass meine Gefährtin Nacht für Nacht in irgendwelchen Träumen landete, Schlachten erlebte oder bei einem Perversling erschien, brachte mich außer Rand und Band.
"Meine Gabe oder vielmehr Bestimmung ist es, den Menschen mit ihren Alpträumen zu helfen. Ich bin solange in einem Traum gefangen bis der Träumende aufwacht oder sich der Traum zu etwas Gutem verändert. Ich muss Ihnen helfen." Meinte sie dann, ihr Gesichtsausdruck düster. Eigentlich wollte ich mehr darüber wissen, ich wollte alles darüber erfahren, wollte alles über sie wissen. Aber es gab zwei gute Gründe dich mich von weiteren Fragen dazu abhielten. Erstens war ich mir ziemlich sicher, dass sie mir nicht viel mehr darüber erzählen würde und zweitens wusste ich nicht, wie lange ich noch die Bestie unter Kontrolle haben würde, wenn sie weiter davon sprach. Zwanghaft versuchte ich meine Gedanken auf ein anderes Thema zu richten, sonst würde ich wahrscheinlich den ganzen Salon auseinander nehmen und die Walküre würde wissen, dass sie meine Gefährtin war.
"Schläfst du deswegen nicht?" Fragte ich sie, als mir die Schatten unter ihren Augen auffielen. Unsterbliche brauchten viel länger um ihre Kraftreserven soweit auszuschöpfen, dass unser Körper die Mängelerscheinungen sichtbar werden ließ.
"Woher...die Augenringe." Seufzte sie. Sie zuckte mit den Schultern, nickte. "Ich vermeide es solange ich kann." gab sie zu. Ich presste die Zähne gewaltsam zusammen, sodass mein Kiefer schmerzte. Irgendwie musste ich mich in den Griff bekommen. Kurz verschwand sie aus meinem Blickfeld und legte mir dann ein Handtuch um den Kopf, um meine Haare zu trocknen. "Beantwortest du jetzt meine Frage." Lenkte sie mich ab. Kurz überlegte ich, was sie gefragt hatte.
"Vielleicht habe ich ja ein wenig Gesellschaft gesucht?" Immerhin war das die halbe Wahrheit. Sie schnaubte. "Ihr zieht doch ohnehin nicht ohne euer Rudel los." Wehrte sie ab.
"Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen." Für die Walküren war ihr Koven so essentiell, wie für die Lykae ein Rudel. Wir suchten die Gesellschaft unseres Gleichen, weswegen es auch so ungewöhnlich war, dass ich alleine umherzog. "Ich habe mein Rudel schon lange hinter mir gelassen." Erklärte ich ihr dann. Oder viel mehr: Es hatte mich hinter sich gelassen. Die eine Hälfte war getötet wurden, die andere hatte sich selbst getötet. Normalerweise hätte ich mich wieder einem anderen Rudel anschließen sollen, aber der Drang war nicht so überwältigend gewesen, dass ich ihm nachgegeben hätte.
Skeptisch hob sich einer ihrer Brauen und sie musterte mich genauer. "Ein einsamer Wolf, also? Und jetzt dachtest du, du suchst dir doch einmal Gesellschaft und suchst dir ausgerechnet eine Walküre aus?!"
"Was spricht dagegen?" Entgegnete ich. "Wir waren nie Feinde."
"Aber auch keine Freunde." Fügte sie hinzu. "Komm mit, Sebastian." Befahl sie und wies mir wieder den gleichen Stuhl wie zuvor zu. Dieses Mal zögerte sie nicht und lief einfach voraus, ihre Muskeln längst nicht mehr so angespannt.
„Willst du wirklich lieber allein sein?" fragte ich sie. Vielleicht war sie einfach zu lange allein gewesen, sowie ich, sodass sie niemanden mehr um sich haben wollte und nur noch die Ruhe ersehnte. Sollte es wirklich so sein, würde die Walküre sich wohl oder übel wieder daran gewöhnen müssen nicht mehr allein zu sein. Ich würde ihr kaum noch von der Seite weichen. Irgendwie würde ich sie schon an mich gewöhnen, bis sie mich als essentiellen Bestandteil ihres Lebens betrachtete und genauso brauchte wie ich sie.
„Wer sagt, dass ich allein bin?" erwiderte sie und machte sich an meine Haare. Meinte sie damit einen anderen Mann? Nur in allerletzter Sekunde konnte ich meine Reaktion unterdrücken, sonst hätte Vivien sofort gewusst, warum ich ihre Nähe suchte. So spannten sich lediglich meine Hände um die Stuhllehnen, jedoch verbarg der schwarze Umhang diese Geste der Wut, der Raserei. Die Bestie in mir tobte noch schlimmer als zuvor, wollte den Konkurrent zerstören und sie für sich gewinnen. Momentan kam ich mir selbst fast schon wie ein Höllenmensch vor. Am liebsten hätte ich sie über die Schulter geworfen und davon geschleppt, irgendwohin, wo es nur uns beide gab. „Unsterbliche Gesellschaft?" fragte ich leise nach, sobald ich meiner Stimme wieder traute. Sie lachte auf. „Wohl kaum." Erwiderte sie. „Du wirst es doch sicherlich verstehen, warum ich einen weiten Bogen um jeden Unsterblichen mache." Meinte sie dann leise. „Ich meine Freunde, Menschen mit denen ich ab und an ausgehe."
Ging sie etwa mit sterblichen Männern aus? Ich würde allen den Hals herumdrehen. „Du wirkst angespannt, Lykae. Warum?" Sie war zu aufmerksam. Ich hätte am liebsten sofort einen Völkermord an jeden einzelnen Mann im Umkreis von hundert Kilometern begangen. Trotzdem durfte sie nicht den wahren Grund meiner Reaktionen erkennen. „Dir ist bewusst, dass du den Menschen nichts von deinem wahren Wesen erzählen darfst!" redete ich mich heraus.
„Beruhig dich. Ich habe nun wirklich kein Interesse daran solche Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen." Sie war viel zu schnell, stellte ich fest, als sie Schere und Kamm aus der Hand legte und nach dem Föhn griff.
„Was spricht dann dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?"
„Ich vertraue dir nicht!" gab sich ehrlich zu. Ich verzog das Gesicht. Dieser Umstand war mir zu gut bewusst und störte mich ungemein.
„Was sollte ich dir denn antun, Vivien? Ich habe nichts gegen Walküren und ich habe auch nicht vor dich zu verraten."
Sie neigte den Kopf schief. „Auch nicht an deinen König?" versicherte sie sich.
„An niemanden." Schwor ich ihr. „Ich werde auf dich auspassen." Konnte ich mich nicht davon abhalten zu versprechen. Innerlich verfluchte ich mich für diese Worte, doch die Walküre überraschte mich.
„Warum solltest du das tun, wenn ich nicht deine Gefährtin bin?" fragte sie mich und ich hörte die Verwirrung aus ihrer Stimme. Ich wusste zwar nicht warum sie annahm, dass es nicht so war, aber es war mir recht. Jetzt musste meine Antwort nur noch überzeugend sein.
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Na Ideen, was er antworten könnte?
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