Yan [II]
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„Nun sagt schon, Drysden", bekräftigte nun der Leibwächter, Andrej wenn mich nicht alles täuschte, meine Frage.
Ich warf dem großen Mann einen abschätzenden Blick zu, doch wandte ich mich schnell wieder dem Baron zu, der durch ein kleines, in Leder gebundenes, Buch blätterte. Die Prinzessin drehte sich ihm etwas mehr zu und mir entging nicht das kleine Funkeln in ihren Augen, während sie auf die Antwort wartete. Höchst interessant.
„Also gut, die Fae. Es gibt nicht allzu viele Informationen über sie, aber ich konnte auch noch nicht jedes in Frage kommende Buch durchsehen. Bisher weiß ich folgendes: Das Klischee der großen Spitzohren, die Jahrhunderte alt werden und Magie wirken können, scheint nur bedingt zu stimmen. Sie können sehr alt werden, aber ihre Ohren sind nicht spitz. Tatsächlich ist das einzige Merkmal, das sie von uns unterscheidet, die Augen. In einem Gedicht von König Anton dem Dritten werden sie mit Katzen verglichen und sie haben Farben wie „der Sonnen Aufstieg" oder „des Schwertes Klinge"."
Kurz pausierte er, um umzublättern. Dabei schienen seine Augen etwas lebhafter als sonst zu funkeln, doch vielleicht war das auch bloß die Sonne. Ich kannte den Baron nur aus romantischen Heldensagen um Kronprinz Iwo und von den wenigen Gerüchten, die über ihn kursierten. Entweder war er ein Meister darin, Geheimnisse für sich zu behalten, oder er war ein absoluter Langweiler, da gingen die Meinungen am Hof auseinander. Ich persönlich hielt ihn für einen Mann, der das Leben nicht genoss. Warum sonst sollte er eine Prinzessin unterrichten?
„Sie können Magie wirken, die scheint aber an die Elemente gebunden zu sein. Was genau es damit auf sich hat, weiß ich noch nicht. Und es stimmt, dass sie sehr alt werden können. Falls wir also auf die Fae treffen sollten, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir es mit derselben Königin und denselben Beratern zutun haben. Wir wissen auch, dass sich ihre Gesellschaft unterscheidet. Doch wie genau weiß ich auch noch nicht, aber ich denke, dass eine Königin an der Spitze ein ziemlich eindeutiger Indikator ist. Und schlussendlich werden die Ränge der Fae durch Haarschmuck angezeigt."
Mit gerunzelter Stirn besah ich mir noch einmal die Bücher, die auf dem Tisch lagen. Ein Sammelwerk von König Anton dem Dritten, das Sachbuch „Die Könige Anton der Zweite bis Iwo der Schlächter", ein Gedichtband mehrerer unbekannter Dichter, die alle den Krieg aus sicherer Entfernung beobachtet hatten und drei Märchen- und Sagenbücher, die besonders bei jungen Adeligen und umherziehenden Geschichtenerzählern beliebt waren.
„Das alles liest du aus Sagen und Gedichten heraus?"
Stumm nickte der Baron, und ich spürte, wie meine Mundwinkel sich zu einem unechten Lächeln verzogen.
„Also vertrauen wir auf ein paar alte Männer, die eine sehr, sagen wir mal, romantische Vorstellung von einem Krieg haben? Da kommt Freude auf."
Zu meiner unendlichen Überraschung reagierte der Baron nicht mit Empörung oder sogar Wut auf meinen höhnischen Tonfall, sondern betrachtete mich aus diesen ernsten, klaren Augen, die beinah unergründlich wirkten. Für einige Sekunden hielt er meinen Blick, dann wandte er sich wieder den Büchern zu.
„Wenn jeder dieser Bände einzeln diese Informationen geben würde, dann habt Ihr recht. Doch ich finde fast jede Information doppelt oder dreifach, also vermute ich, dass sie nicht gänzlich einem Hirngespinst entstammen."
„Also mir reicht das", mischte sich nun die Prinzessin mit entschlossener Stimme ein, bevor ich noch etwas sagen konnte.
Missmutig, denn sie hatte die Führung, schloss ich den Mund. Und ich bereute, meinem König nichts abschlagen zu können. Auch wenn ich sicherlich wusste, dass das Kabinett mich nicht zugeteilt hatte, weil ich so ein großer Freund der Prinzessin war. Sie wollten mich offensichtlich loswerden, was in mir den Drang auslöste, etwas zu zerbrechen. Aber ich war alt genug, um diese kindischen Anwandlungen zu verdrängen, wenn auch nur für den Moment. Ein alter Bogen wartete zuhause auf mich, der schon seit einer Weile zu morsch war, um ihn zu nutzen.
„Wie lange wird es dauern, bis Ihr weitere Informationen über den Aufenthaltsort der Fae findet?", wandte sich nun der Leibwächter, der bisher stumm gewesen war, an Drysden.
Ihm war sichtlich anzusehen, dass ihm die momentan angespannte Lage überhaupt nicht gefiel. Vielleicht fürchtete er eine gewalttätige Eskalation? Ein lächerlicher Gedanke. Ich war nicht dumm genug, die Prinzessin meines Landes anzugreifen. Denn zum einen würde mich das direkt ins Exil befördern, so gut ich mich auch mit seiner Majestät verstand, und zum anderen wollte und konnte ich mich nicht mit einem Riesen anlegen. Dafür war ich schlichtweg zu klein und zu untrainiert. Gab man mir jedoch einen Bogen, so sähe die Sache wohl anders aus.
„Normalerweise würde ich zwei Wochen sagen. Aber da Isabel die nächste Zeit mit der Vorbereitung der Sommerweihung beschäftigt sein wird, sollte es etwas zügiger gehen. Noch lässt es sich schwer sagen, aber eine Woche etwa sollte genügen."
„Das klingt gut. Drysden informiert sich weiter über die Fae. Dann werde ich mich um Proviant kümmern", erklärte die Prinzessin, nun selbst bemüht, die unangenehme Situation zu entschärfen.
„Fürst van Statten, Ihr könntet euch im Kabinett umhören, ob jemand an der Route uns beherbergen kann. Ich bin mir sicher, dass es so einfacher sein wird, die Reise und ihr Ziel im Geheimen zu planen."
Ich nickte stumm, denn ausnahmsweise hatte die Prinzessin recht. Außerdem würde es dem Kabinett so leichter fallen, die Prinzessin unter Beobachtung zu stellen und für ihre Sicherheit zu garantieren.
„Ich kann mich um das Schiff kümmern", bot nun der Leibwächter an, wozu Prinzessin Isabel dankbar nickte.
„Und was soll ich machen?", fragte nun die Gräfin, die mit gerunzelter Stirn die Arme verschränkte.
„Uns fällt sicherlich noch etwas ein", erklärte ich mit einem süffisanten Lächeln und honigsüßer Stimme, wohlwissend, wie sehr sie es hasste, unnütz zu sein.
Und zu meiner Überraschung nickte die Prinzessin zustimmend.
„Das sehe ich auch so. Aber nun muss ich mich leider verabschieden, ich muss die Blumenkörbe für den großen Saal einsehen. Begleitest du mich, Cara? Ich muss dir unbedingt dieses eine Kleid zeigen, von dem ich schon so lange erzähle."
Die Gräfin nickte und gemeinsam erhoben die beiden sich. Der Leibwächter heftete sich an ihre Fersen und auch ich eilte aus der Bibliothek, denn ich hatte wichtiges zu erledigen. In nur wenigen Minuten würde ein wichtiges Treffen des Kabinetts anfangen. Mit schnellen Schritten eilte ich die vielen Stufen hinab, dann in der Eingangshalle angekommen, wandte ich mich nach links. Hinter der Treppe, in einer kleinen Nische, befand sich eine Tür, die nur mit bestimmten Schlüsseln geöffnet werden konnte.
So einen zog ich aus einer Tasche an meinem Gürtel und öffnete die Tür lautlos. Direkt dahinter erwartete mich eine schmale Wendeltreppe, aus Stein geschlagen, die von den Flammen der Fackeln beleuchtet wurden, die in eleganten Leuchtern hingen. Dank des dicken Teppichs hallte es nicht und ich begab mich beinah lautlos die Stufen hinab. Es dauerte nicht allzu lange, bis die Treppe breiter zu werden begann, die Temperatur anstieg, bis ich nicht mehr zitterte und die ersten Stimmen zu vernehmen waren.
Am Ende der Treppe erwartete mich ein hoher Bogen, der mich direkt in einen großen Raum führte. Die Decken waren sicherlich gute 20 Meter hoch und der halbrunde Raum war mit hohen Stühlen, die ebenfalls in einem Halbkreis aufgestellt waren, gefüllt. Jeder dieser Stühle, 15 an der Zahl, wurde in den Fürstengeschlechtern an die ältesten Kinder weitervererbt. Jeder dieser Stühle bedeutete Macht, Ehre und Anerkennung, selbst nach Entscheidungen wie denen meines Vaters, die jeden anderen ins Exil getrieben hätten.
Mit schnellen Schritten durchquerte ich den dunklen Raum, der angenehm kühl war, ohne das man frieren musste. Hier unten ließ es sich aushalten. Der Teppich zu meinen Füßen war dunkelblau, die Farbe des Königshauses. Mein Stuhl, mit hoher Lehne, aus dem schwarzen Holz einer Mondkiefer, war mit hellgrünem Samt bedeckt worden und stand nahe dem Bogen, sodass ich nur zwei weitere Fürsten passieren musste. Der erste war Fürst Eduard Stretwald, der seinen Titel durch Handel und, wie es hieß, die Gunst der verstorbenen Königin als ihr Liebhaber, erworben hatte. Er nickte mir zu, doch interessierte er sich mehr für die Wächterin, die neben dem Bogen Wache hielt und seine Avancen mit der stoischen Miene, die alle Palastwachen von Tag eins an erlernten, ertrug.
Neben ihm saß Fürstin Dorothea van Dresten, die älteste Vertreterin des Kabinetts. Mit ihrem schwarzen Gewand wirkte sie noch blasser, die Furchen in ihrem Gesicht noch etwas tiefer. Sie war das letzte lebende Gründungsmitglied des Kabinetts und alles andere als erfreut gewesen, als man sie an den Rand gedrängt hatte. Doch seit dem Tod ihres Mannes hatte sie viel Geld verloren und ihr Einfluss hatte stark nachgelassen.
Sie ignorierte mich geflissentlich, was mich nicht sonderlich verwunderte. Sie hasste mich seit dem Tag vor einem halben Jahr, als ich zum ersten Mal einen Fuß in die unterirdische Kammer gesetzt hatte. Doch das war mir recht, denn die alte Hexe war weder ein Hingucker, noch führte sie sonderlich ansprechende Gespräche.
Mit all der Eleganz, die ich aufbringen konnte, setzte ich mich nun auf meinen Stuhl, erleichtert, dass der König noch nicht eingekehrt war. Sein Thron stand unserem Halbkreis gegenüber auf einem hohen Podest, sodass er uns alle überragte. Er war aus purem Gold, mit eleganten Motiven und dunkelblauem Stoffbezug. Zu meiner rechten regte sich etwas und ich fing den Blick meines Sitznachbarn auf, Fürst Élan Durten. Er war nur wenige Monate älter, doch bereits verheiratet.
„Guten Tag Yan, wie geht es dir?", wollte er mit blitzenden Augen wissen, wie immer begeistert, einen anderen Gesprächspartner als den alten Fürsten Wenomin zu haben.
„Wie es einem bei diesem Wetter nun gehen kann. Was macht das Kind?"
Vor ein paar Wochen hatte seine Frau einen kleinen Jungen zur Welt gebracht, der ganze Stolz der Fürstenfamilie. Élan konnte stundenlang von nichts anderem reden als diesem Kind. Vorteilhaft daran war für mich nicht, dass ich so ein großes Interesse an Kindern hegte, sondern viel eher die Tatsache, dass ich in Ruhe nachdenken konnte, ohne von einem anderen Fürsten gestört zu werden.
Und so tat ich so, als würde ich mir anhören, wie groß das Kind doch schon war, doch eigentlich bereitete ich mich auf die Frage vor, die mir schon bald gestellt werden würde. Zu meinem Glück dauerte es nicht mehr lange, bis König Isaya den Raum betrat und Élan verstummte. Denn lange hätte ich mir die detaillierte Erklärung, wie der Junge beim Schlafen aussah, nicht mehr antun können.
„Es freut mich, Euch alle einmal mehr bei bester Gesundheit zu erleben", begann Isaya, sobald er saß und einen demonstrativen Schluck des Weines genommen hatte, der zu seiner Linken stand, wie jedes Mal.
„Doch lasst uns nicht lange zögern, ich bin mir sicher, wir alle brennen bereits auf das, was Fürst van Statten uns mitzuteilen hat."
Mit erwartungsvoller Miene wandte er sich an mich und auch die Aufmerksamkeit des restlichen Raumes wurde auf mich gelenkt. Wäre ich ein geringerer Mann gewesen, so hätte mich diese Aufmerksamkeit sicherlich nervös werden lassen, vielleicht hätte ich gezittert oder sogar gestottert. Doch ich war mit dem Wissen aufgewachsen, dass mich niemals jeder billigen würde, und so hatte ich schnell gelernt, es zu ignorieren.
„Bisher läuft alles nach Plan. Wir werden vermutlich in einer Woche aufbrechen. Wir werden die Nordstraßen ans Meer nehmen, und dann vermutlich ein Schiff, sobald wir wissen, wo genau die Fae sich verstecken."
Das ein oder andere belustigte Lachen erklang, denn die meisten konnten mein halbes Lächeln sehr gut als das erkennen, was es war: Belustigung. Warum auch nicht?
„Baron Exitura verschwendet viel Zeit auf die Suche nach wertvollen Informationen, doch ich denke nicht, dass er fündig wird. Ich glaube nicht einmal, dass wir den Hafen jemals verlassen werden. Das führt mich jedoch zu einer Frage in die Runde. In der Hafenstadt können wir sicherlich in der Villa meines Vaters unterkommen, doch besteht momentan der Plan, bei anderen Fürsten zu nächtigen, statt die Nacht im Freien zu verbringen. Ich möchte hier nun fragen, ob der ein oder anderen die Möglichkeit sieht, Zimmer für eine Nacht für die Prinzessin und ihre Begleiter sowie möglicherweise Proviant bereitzustellen."
Für ein paar Augenblicke war es still und ich spürte doch so etwas ähnliches wie Nervosität aufsteigen. Doch dann räusperte sich jemand, bevor die Stille zu erdrückend werden konnte.
„Einen Zweitagesritt von hier entfernt habe ich ein Haus nahe der großen Straße. Ich bin mir sicher, dass ich es herrichten lassen kann, sodass es den Ansprüchen einer Prinzessin gerecht wird", warf Fürstin Freya Sureda ein, die bekannt war für ihre ausschweifenden Feiern und Weingenuss.
„Danach findet sich sicherlich ein Plätzchen in meiner Stadtvilla bei Merigua", setzte nun auch der alte Fürst Wenomin an, wofür auch er ein anerkennendes Nicken bekam, als hätte er gerade eine Schlacht gewonnen, nicht einfach nur ein Zimmer vergeben.
„Ihr könnt auch bei mir unterkommen."
Überrascht drehten die anderen Fürsten und ich die Köpfe, um zur Mitte des Halbkreises zu blicken. Dort saß Fürst Kris Rikard, einer der jüngeren mit 29 Jahren und noch unverheiratet, auf seinem silbernen Thron mit den scharlachroten Polstern. Sein Vorfahre, so hieß es, hatte vor Jahrhunderten zu der Gruppe Männer gehört, die die Fae gefunden hatte. Doch mein Erstaunen rührte eher daher, dass er sich selten zu Wort meldete, sondern viel eher im Hintergrund blieb, plante und dann dem König selbst seine Pläne unterbreitete. Er war zurückhaltend, doch gefährlich. Man sagte ihm nach, mehr als einen Attentäter mit bloßen Händen besiegt zu haben, ohne dabei auch nur einen Kratzer zu bekommen.
„Sehr gut, ich denke, dass sind dann alle Fürsten an der Nordstraße. Kommen wir nun zu wichtigen Unterhaltungen: Die Anwerbung junger Männer für unsere Armee."
Für ein paar Sekunden noch hielt ich meinen Blick auf dem Fürsten, misstrauisch, weshalb er sich ausgerechnet nun zu Wort gemeldet hatte. Doch dann wandte ich mich dem Gespräch zu, denn Fürst Rikard war meine geringste Sorge. Ich musste sicherstellen, dass die Prinzessin in Sicherheit war, ohne mich dabei zu verraten. Wie ich das wohl anstellen sollte?
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Mein erstes Kapitel im letzten Schuljahr. Ein Schuljahr mit 7 Freistunden, was ein Traum. Nicht.
Wie lief der Schuleinstieg für euch so? Ich weiß, nicht alle gehen zur selben Zeit (glaube ich) und nicht alle gehen noch zur Schule, but humor me. please.
Over and Out,
DasLebenLesen
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