Isabel [IIII]

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Die erste Nacht der Reise begann ereignislos. Nachdem Cara und ich uns an einer Quelle erfrischt und etwas Wasser besorgt hatten, waren wir ins Lager zurückgekehrt. Dort hatte Andrej bereits ein Feuer für die Nacht vorbereitet, auch wenn es bei den Temperaturen eher zur Abschreckung wilder Tiere geeignet war, und Drysden hatte sich bereits an der Tasche mit Vorräten bedient.

Relativ schnell hatten wir uns dann aber auch schon Schlafen gelegt, denn wir wollten wieder bei dem ersten Licht aufbrechen, solange die Temperaturen noch zu ertragen waren. Ich übernahm, trotz Protest von Andrej und genervtem Stöhnen von dem Fürsten, die erste Schicht.

Zuerst entschied ich mich dafür, gegen einen Baum etwas abseits gelehnt, nur das Lager zu überblicken. Zwar hatte es stärker als erwartet abgekühlt, doch die Wärme des Feuers hatte eine einschläfernde Wirkung auf mich. Vor Yan wollte ich mir nicht die Blöße geben und einschlafen und ich wollte auch die anderen nicht in Gefahr bringen. Dieser Abschnitt der Reise war zwar eher ungefährlich, doch auch hier gab es sicherlich Räuber oder Tiere, die sich für unseren Proviant interessieren könnten.

Als ich sicher war, dass sie alle schliefen, erhob ich mich dann. Ich wollte kein Risiko eingehen, also blieb ich einige Schritte von dem Fürsten entfernt stehen und beobachtete ihn. Erst als ich sicher war, dass er tatsächlich schlief, schlich ich noch näher, das Geräusch meines pochenden Herzens in der Stille überlaut. Ich hatte noch nie die Sachen einer anderen Person durchgesehen, doch es musste sein. Ich wollte Yan weder fälschlich des Verrates beschuldigen, noch wollte ich mir diese Mission von ihm zerstören lassen.

Leise, und mit einem letzten Blick auf seine schlafende Silhouette vor dem Licht des Feuers, griff ich nach der ersten Schnalle an seinen Satteltaschen. Glücklicherweise hatte er sich dazu entschieden, die Pferdedecke als Kopfkissen zu missbrauchen, statt wie wir anderen die Satteltaschen. Sonst hätte ich wirklich kreativ werden müssen.

Die zweite Schnalle ließ sich auch geräuschlos öffnen, sodass ich die Tasche ohne Lärm öffnen konnte. Vorsichtig warf ich einen Blick hinein. Dabei versuchte ich, nur nach relevanten Dingen zu suchen und nicht seine Privatgegenstände durchzusehen. Es ging mir hier nicht darum, ihn besser kennenzulernen, und mehr wäre zu privat für unsere doch sehr kühle Beziehung.

In der ersten Tasche befanden sich nur Kleidungsstücke, ein paar Salben und weiterer Kram, der für mich wenig wert besaß. Vorsichtig und darauf bedacht, die Tasche so zurückzulassen, wie ich sie vorgefunden hatte, schloss ich sie wieder. Dann wandte ich mich der nächsten zu.

Wieder überprüfte ich, ob der Fürst schlief, dann öffnete ich auch die Schnallen der zweiten. Und dort wurde ich dann auch fündig. Unter einem Mantel und einem Pflegeset für Pfeil und Bogen befand sich ein Stapel Dokumente. Mit flauem Gefühl im Magen zog ich ihn heraus, dann sah ich sie durch.

Die meisten Dokumente waren Karten, und ich fand einige Gedichte. Doch mitten darunter, unscheinbar und mit dem Siegel meines Vaters versehen, fand ich zwei Briefe. Einer verschlossen, der andere geöffnet. Mit einer Grimasse, als es verräterisch knisterte, zog ich den geöffneten Brief aus dem Umschlag heraus und entfaltete ihn.

Dann überflog ich die Zeilen, wobei mein Unglück über diese Maßnahme sich schnell verflüchtigte und stattdessen Wut platz machte. Nachdem ich ihn durchgegangen war, schloss ich für ein paar Momente die Augen und atmete tief durch, in dem Versuch, das brennende Gefühl herunterzuschlucken.

Dann, mit bewusst langsamen Bewegungen, legte ich alles wieder an seinen Platz zurück, schloss die Satteltasche und begab mich wieder zu meinem Platz am Lagerrand. Ich warf einen Blick auf die Taschenuhr, die mein Vater mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Sie war aus massivem Gold, mit kleinen Edelsteinen besetzt und die Zahlen waren in eleganten Bögen gemalt. Normalerweise gab sie mir das Gefühl von Heimat, doch heute nicht.

Mit etwas mehr Druck als nötig schloss ich sie, nachdem ich mich versichert hatte, wann genau ich Andrej wecken musste, und schob sie zurück in eine der versteckten Taschen meines Kleides. Dann richtete ich meinen Blick gen Himmel, und begann, die Sterne am Himmelszelt zu zählen. In Torn selbst waren sie selten zu sehen, doch hier im Nirgendwo strahlten sie geradezu auf mich herab.

Meine Mutter hatte mir früher immer davon erzählt, dass die Sterne uns vor dem Bösen dieser Welt schützen. Auf jedem von ihnen sitzt ein magischer Krieger und jeder von ihnen sieht herab auf die Welt und besitzt eine besondere , mit der er immer und immer wieder die Dunkelheit bekämpft. Eine Sternschnuppe bedeutete, dass ein neuer Krieger sich dem Kampf anschloss und der Dunkelheit trotzte.

Ich musste lächeln, als ich an eine besondere Nacht dachte. An meinem zehnten Geburtstag hatte meine Mutter mich spät geweckt, die wunderschönen goldenen Strähnen zusammengebunden, und wir waren ohne unsere Wächter in die Gärten geschlichen, um die Sterne zu beobachten. Als ich sie dann gefragt hatte, warum über Torn nur so wenige von ihnen wachten, hatte sie gelächelt und mir eine Haarsträhne hinter die Ohren geschoben.

„Die Sterne müssen nicht über Torn wachen, denn wir haben deinen Vater, und deine Brüder und Jungen wie Drysden, die auf uns aufpassen. Doch die gibt es nicht überall, also verteilen die Sterne sich, um uns alle zu schützen."

Damals hatte ich begeistert genickt, denn ich hatte zu ihnen allen aufgesehen. Sie waren größer und stärker gewesen und hatten bereits kämpfen gelernt.

Mittlerweile jedoch, trotz dessen, dass dieser Abend mir bis in alle Ewigkeit als der schönste meines Lebens im Gedächtnis bleiben würde, konnte ich nur den Kopf schütteln. Ich würde meinen Kindern niemals erzählen, dass sie nur wegen den Männern in ihrem Leben sicher waren. Ich wollte eine Welt errichten, in der Töchter und Söhne dieselben Chancen erhielten. Und ich würde dafür kämpfen, ob das meinem Vater nun gefiel oder nicht.

Früher hatte ich nicht so gedacht. Doch als ich die Hand meiner Mutter gehalten und beobachtet hatte, wie sie ihre letzten Atemzüge tat, hatte ich mir und ihr geschworen, stark zu sein. Stunden später war ich dann in die Gärten getreten, um endlich all den mitleidigen Blicken und der gespielten Stärke meiner Brüder zu entgehen. Und dort, genau in dem Moment, in dem ich gen Himmel geblickt hatte, hatte eine Sternschnuppe ihren Weg über das Himmelszelt angetreten.

Seufzend blinzelte ich, um die Erinnerungen der folgenden Wochen zu verdrängen, dann erhob ich mich ächzend, um Andrej zu wecken. Meine Augen waren schwer und ich hatte noch etwas mit ihm zu bereden, das nicht bis zum nächsten Morgen warten konnte.

Als ich an seiner Schulter rüttelte, hob er blinzelnd den Kopf und sah sich um, die Augen noch halb geschlossen. Beinah tat es mir leid, ihn geweckt zu haben, doch ich musste auch zugeben, dass er schon komisch aussah.

Mit einem Kopfnicken bedeutete ich ihm, mir zu folgen und gemeinsam zogen wir uns einmal mehr an den Rand der Lagerstätte zurück. Mit dem Blick ins Feuer gerichtet erzählte ich ihm von meiner Durchsuchung. Glücklicherweise verurteilte er mich nicht dafür, sondern nickte nur und blieb für eine Augenblicke still, nachdem ich geendet hatte.

„Was genau stand in dem Brief?"

Ich schloss die Augen.

„Mein Vater hat ihm zwei Möglichkeiten zugesprochen, zu handeln sobald wir Tel'n erreichen. Zum einen darf er dafür sorgen, dass wir gar kein Schiff besteigen. Oder er soll dafür sorgen, dass wir auf See nicht Kurs auf die Fae nehmen, sondern einen sicheren Hafen ansteuern, wo uns dann die Garde empfangen und in ein verstecktes Haus eskortieren soll."

Wieder war Andrej für einige Momente still.

„Das tut mir leid."

„Mir auch. Jedenfalls kommen wir zu meiner Bitte an dich: Behalt Yan für mich im Auge. Ich will sicher gehen, dass er wenig Chancen bekommt, sich mit jemandem zusammenzutun. Wir müssen das Risiko geringhalten, zumindest bis wir Fürst Rikard erreichen, also pass auf, dass er nichts merkt."

„Natürlich" war die Antwort, dann: „Ich meine es ernst. Ich denke, Euer Vater unterschätzt Euch maßlos."

Ich schüttelte abwehrend den Kopf, dann erhob ich mich mit einem Ruck. Ich wollte nicht mehr darüber nachdenken.

„Ich komme darüber hinweg. Aber nicht über zu wenig Schlaf. Wenn ich nicht genug schlafe, dann bin ich unerträglich."

Damit stiefelte ich zurück zu meinem Lager und machte es mir bequem. Doch es dauerte noch eine Weile, bis ich schlafen konnte. Meine Träume schließlich waren erfüllt von Sternen und Feuer und dem Thron in all seiner goldenen Pracht, erdrückend und wunderschön zugleich.

-

Am nächsten Tag war ich tatsächlich schlecht drauf. Die anderen ließen mich glücklicherweise in Ruhe, selbst Cara sagte nichts. Nur hin und wieder wies sie mich auf etwas hin, wie ein Kirchturm hinter einer Waldgruppe oder ein Tier, das uns nicht bemerkt zu haben schien.

Langsam änderte sich die Szenerie. Die weiten Wiesen und trockenen Felder wichen immer mehr Hainen und schon bald waren Bäume, Büche und Sträucher keine Einzelheit mehr. Wir kamen gut voran und schon am Mittag sah man nicht nur die Türme des Landsitzes von Fürstin Freya Sureda, einer noch unverheirateten Fürstin ohne Sinn für Finanzen, sondern auch einige Dächer. Am Nachmittag dann erschien die prächtige Villa, die eher einem Schloss glich, in all seiner Pracht am Horizont.

Die anderen verstummten schließlich, als auch Details sichtbar wurden. Es war offensichtlich, dass niemand hier ein Freund der Frau war, die uns erwartete. Nur wenige Leute kamen mit ihr klar, und selbst die hielten sie nicht lang aus. Während der letzten Kilometer redete ich mir ein, dass sie gar nicht so schlimm war. Einfach nur exzentrisch, so konnte man sie gut beschreiben.

Leider hielt mein falscher Optimismus nicht lange an, denn bald wurden wir von einer Gruppe Reiter empfangen, ausgerüstet mit verschwenderisch verzierten Waffen, bunten Stoffen und Pferden, die unglaublich teuer waren, doch nichts anderes konnten als gut aussehen. Sogar Pilgrim schreckte vor ihnen zurück, dabei war er das sozialste Wesen, das ich kannte.

„Erlaubt uns, Euch zu begleiten, meine Prinzessin."

Einer der Männer war von seinem Pferd abgestiegen und verbeugte sich tiefer, als es notwendig war. Dann, ohne meine Antwort abzuwarten, verteilten die Reiter sich um uns herum und er selbst gesellte sich an meine Seite. Während des Ritts versuchte er immer wieder, ein Gespräch zu eröffnen, doch ich ließ seine Fragen jedes Mal unbeantwortet, bis er sich mit einem unangenehmen Lachen Drysden zuwandte.

„Ihre Hoheit steckt wohl mitten in „der" Zeit des Monats."

„Das ist ihre Angelegenheit und Ihr würdet gut daran tun, nicht noch einmal so über Eure Prinzessin zu reden", war die einzige Antwort, die er bekam.

Während er puterrot anlief spürte ich, wie ich mich etwas entspannte. Auf meine Freunde war verlass. Eigentlich wusste ich das, doch eine Erinnerung wie diese tat gut, besonders nach dem geplanten Verrat in unserer Mitte.

Ein paar Minuten später erreichten wir endlich die Villa, wo uns bereits Diener in kompliziert gewickelten Kostümen erwarteten, um unsere Pferde entgegen zu nehmen. Ich gab die Zügel zu meinem Pferd nur ungern an eine andere Person weiter, doch ich wollte nicht, dass jemand Verdacht schöpfte, dass ich meinem Vater und seinem Kabinett nicht gänzlich vertraute.

Also ließ ich Pilgrim zu den ausladenden Stallungen führen und begab mich stattdessen durch die große, marmorne Eingangstür. Das Foyer der Villa war strahlend weiß eingerichtet, an den Wänden hingen Gemälde in den buntesten Farben und in der Mitte des kreisrunden Raumes sprudelte ein Springbrunnen fröhlich vor sich hin.

Inmitten dieser übertriebenen Darstellung von Reichtum stand die Fürstin, die roten Haare zu auf dem Kopf aufgetürmt, ein leuchtend grünes Kleid mit, wie ich entsetzt erkannte, Schleppe, getragen von mehreren Dienerinnen, tragend.

Auch sie verbeugte sich, so tief, dass der Spott hinter der Bewegung mich beinah ansprang, dann erhob sie sich und ließ den kühlen Blick über unsere Gruppe gleiten.

„Es freut mich, Euch begrüßen zu dürfen, meine Hoheit. Bitte, für heute gilt: Was mir gehört, gehört auch Euch. Was immer ihr braucht, ich werde es Euch zur Verfügung stellen."

Die Worte allein ließen bittere Galle in mir hochsteigen, denn sie verhöhnte nicht nur mein momentanes Auftreten, sondern stellten auch in Frage, dass mein Vater uns ausgerüstet hatte. Dennoch zwang ich ein Lächeln auf meine Lippen und nickte.

„Das ist sehr großzügig von Euch, doch ich bin mir sicher, dass das nicht nötig sein wird."

Beinah abwertend zuckte sie mit den Schultern, dann drehte sie sich einer Tür entgegen, die ebenso marmorn war wie die des Eingangs.

„Ich möchte dennoch, dass Ihr das wisst. Natürlich gilt es auch für Eure Begleiter."

Heiße Wut erfüllte meinen Magen, während ich beobachtete, wie sie Drysden zuzwinkerte, der sich überaus interessiert den Gemälden widmete. Natürlich würde sie sich dem ersten ansehnlichen Mann an den Hals werfen, dem sie begegnete. Mit hoch erhobenem Kopf trat ich näher an sie heran, dann schenkte ich ihr ein weiteres falsches Lächeln.

Sie wollte spielen? Kein Problem. Ich würde ihr schon noch zeigen, dass ich eine verdammte Prinzessin war und sie nicht.

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Hallihallo, entschuldigt bitte, dass letzten Montag kein Kapitel kam. Leider aber war ich seit Sonntagabend krank und bin es noch immer etwas, deshalb bin ich nicht dazu gekommen, irgendetwas zu tun.

Over and Out,
DasLebenLesen

19/10/2020

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