Emerald

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Ob ein Trinkgelage gut war, konnte man immer erst am nächsten Tag einschätzen. Denn war es gut, dann dröhnte dein Schädel auf eine Art, die nur mit einem weiteren großen Schluck Rum, der frischen Meeresbrise und einem deftigen Eintopf gekürt werden konnte. Lief das Gelage schlecht, dann musstest du mitten in der Nacht – oder den Morgen, abhängig von der Länge – aufstehen und deinen Nachttopf zweckentfremden.

Als ich nach der Ankunft auf Yver aufwachte, ging ich davon aus, dass es sich um ein großartiges Gelage gehandelt haben musste. Der Rum, den ich schon am Vorabend bereitgestellt hatte, brannte angenehm in meiner Kehle. Zufrieden schloss ich die Augen und genoss die sanfte Brise, die durch die offenen Fenster meiner Hütte hindurch wehte.

Schließlich, als die Gänsehaut zu viel wurde, die der Kontrast des noch morgendlichen Windes mit der erhitzten Wärme meines Bettes hervorrief, schlug ich die Decke zur Seite und streckte mich ausgiebig. Die Tatsache, dass der Boden unter meinen Füßen nicht schwankte, versüßte mir den Morgen. So gerne ich auf See war, konnte ich doch die Ruhe des Festlandes schätzen. Dennoch wusste ich, in ein paar Tagen würde mich eben diese Ruhe in den Wahnsinn treiben. Ich brauchte das sanfte Wiegen des Schiffes, das Geräusch der Wellen und das Knarren der Planken.

Nachdem ich mich einigermaßen für den Tag gedehnt fühlte, trottete ich zu dem Waschzuber, gefüllt mit viel zu kaltem Wasser, und machte mich bereit für den Tag. Zuerst wusch ich mein Gesicht, verklebt von Sand, Salz und Rum, dann machte ich mich daran, den Schweiß der letzten Tage von Armen, Beinen und Oberkörper zu waschen. Als ich damit fertig war, war ich froh um die Sonne, die auf meine bereits herausgelegte Kleidung schien. Erleichtert schlüpfte ich in eine frische Hose, ein dünnes Hemd und meine Stiefel. Kurz liebäugelte ich mit meinem Schatz, der ordentlich an einer eigens dafür konstruierten Stange hing, doch dann entschied ich mich gegen den dunkelroten Samtmantel, denn ich wollte nicht riskieren, dass er von meinem Schweiß benetzt wurde.

Als nächstes widmete ich mich dem Spiegel neben dem Zuber, der schon bessere Tage gesehen hatte. Nicht nur war er von Sand verkrustet, auch wurde er von einer Vielzahl Risse verziert. Dennoch reichte er vollkommen aus, denn ich konnte meine Haare sehen, die ich kurz mit einer Bürste von Sand und Knoten befreite, und ich konnte den Ohrring wechseln. Auf See bevorzugte ich einfache Steine, die sich wohl jeder Bauer hätte leisten können, doch an Land, wie auf unserer Insel und auch Yver, schmückte ich mich bevorzugt mit glitzernden Diamanten, jeder von ihnen eine Erinnerung an einen anderen Raubzug.

Zur Feier des Tages, schließlich würde ich in wenigen Stunden einen Titel tragen, entschied ich mich für den glitzernden Rubin, den ich einem Seemann abgenommen hatte, der auf dem Weg zu seiner Geliebten gewesen war. Das war ein herrlicher Tag gewesen.

Als ich endlich zufrieden war mit meinem Aussehen griff ich nach meinem Yagatan, einem leicht s-förmigen Säbel, den ich vor vielen Jahren von dem ersten Kapitän der Attika bekommen hatte. Er lag leicht in meiner Hand und Schnitt unglaublich gut durch beinah alles, was ihm in die Quere kam. Normalerweise hätte ich auf Yver auf die Waffe verzichtet, da wir hier selten jemandem begegneten, doch mit unseren Gästen wollte ich kein Risiko eingehen.

Endlich zufrieden stieß ich die dunkle Tür mit den Buntglasfenstern auf und trat auf die Wiese, die uns als Versammlungsort diente. In einem großen Kreis waren weitere Hütten angeordnet, in denen meine Männer vermutlich noch tief und fest schliefen, obwohl die Wärme des Tages bereits unangenehme Temperaturen versprach.

Gemächlich trat ich über das erbraunte Gras und steuerte den Pfad an, der ein Stück durch den Wald führte. Sicherlich hätte ich auch den kurzen Weg nehmen können, doch an Tagen wie diesen bevorzugte ich einen Spaziergang durch die weitaus kühleren Waldgebiete.

Hier an der Küste war das Gestrüpp noch grün, die Bäume langweilig braun. Doch erreichte man erst einmal das Herz des Landes, so wurde man begrüßt von blütenreiner Rinde und den schillerndsten Farben, die man sich nur vorstellen konnte. Zahme Vögel begleiteten dich dort und schüchterne Rehe in allen Farben des Regenbogens knabberten an Geäst und Sträuchern.

Als die Bäume sich schließlich lichteten wappnete ich mich gegen die Wärme der Sonne, die unerbittlich auf den hellen Sand prallte. Der Anblick war ebenso wundersam wie der Rest Yvers, auch wenn er im Vergleich erblasste. Dennoch, selbst dieser Strand übertraf die Schönheit, die manche Menschen in den gewundenen Straßen und dichten Wäldern Ensomniyas sahen, bei weitem.

Mit einem kleinen Seufzen schloss ich die Augen und wandte das Gesicht der Sonne zu. Noch konnte ich in Ruhe davon ausgehen, dass sie mich nicht verbrennen würde. In ein paar Stunden würde ich mich wieder im Schatten der Bäume verkrümeln müssen.

Nicht zum ersten Mal kamen mir in diesem Moment Zweifel zu dem Handel, den ich mit dieser eigensinnigen Gräfin getroffen hatte. Nicht nur interessierte Ensomniya mich kein bisschen, auch fühlte ich mich auf der See wohler als auf irgendeinem Flecken Land, ob es nun mir gehörte oder nicht. Dazu kam dann noch die Sorge, die an mir nagte. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass etwas mit diesem Angebot nicht stimmen konnte.

Die Gräfin verhielt sich nicht wie eine typische Adelige. Sie senkte nicht den Blick, sie versteckte sich nicht hinter ihrem Ehemann und sie gab ganz eindeutig den Ton an. Und ihr Ehemann? So sehr sie auch interessiert war, er war es nicht. Eine Seltenheit, zumal die Gräfin trotz ihrer charakterlichen Unannehmlichkeiten eine wunderschöne Frau war.

Auch mit der Dienerin stimmte etwas nicht, doch so ganz konnte ich nicht sagen, was es war. Vielleicht ihre Haltung, vielleicht ihr Ungeschick im Umgang mit der Nadel. Sie fiel auf, wohingegen der Leibwächter der Gräfin mit dem Hintergrund zu verschmelzen versuchte. Vielleicht gelang ihm das sogar, denn obwohl er mir vage bekannt vorkam, konnte ich ihn einfach nicht zuordnen. Letztendlich überzeugte mich aber der Anwalt. Der Mann wusste offensichtlich, was er tat und hielt sich formidabel an die Etikette.

Seufzend, denn all das Nachdenken würde nichts an der Situation ändern, schließlich war die Entscheidung bereits getroffen worden, ließ ich den Kopf nach vorne sinken und öffnete die Augen. Die See glitzerte, keine Wolke war am Himmel zu sehen. Ein wunderschöner Ausblick, der meine überstrapazierten Gedanken entspannen sollte.

Und zuerst gelang es. Die sanften Wogen, die an den Strand strömten, waren beinah hypnotisierend und ich ließ mich in Gedanken treiben, weiter hinaus, immer weiter, bis ich schließlich auf das gestärkte Holz der Attika traf. Das gestärkte Holz...

Panisch riss ich die Augen auf und trat ein paar Schritte hinaus auf den Sand, der unter meinen Stiefel knirschte. Dann starrte ich hinaus auf die See. Nichts. Mit einer schnellen Drehung blickte ich auf die Baumgruppe hinter mir. Nein, Nein. Dort! Das Kreuz, die Markierung, ganz eindeutig. Ich hob den Blick. Dort, das Dach einer unserer Hütten. Ein weiteres Mal wandte ich mich der See zu.

„Oh verflucht!"

Ich wirbelte ein weiteres Mal herum, doch dieses Mal steuerte ich den kurzen Weg an. Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören und sie mit einem Boot aufs Meer schicken sollen. Oder noch besser: Ich hätte sie von der Attika stoßen sollen, als ich noch die Chance dazu gehabt hätte.

Als ich durch das Geäst brach, meine Schritte schwer und laut auf dem vertrockneten Gras, herrschte reges Treiben auf der Wiese. Ein paar meiner Männer lümmelten im Schatten der Bäume, sprangen aber auf, als sie mich sahen.

„Was is'n los, Käpt'n?", nuschelte Björn in seinen grauen Bart, während er sich vom Boden hochstemmte.

Ich schenkte ihm keine Beachtung, sondern wandte mich sofort an Benno, der verschlafen aus seiner Hütte trat, als hätte er bemerkt, dass ich zurück war.

„Wo sind sie?"

Verwirrt blinzelte der junge Mann, der Einzige, der vermutlich jünger war als ich, mich an.

„Wer?"

Wütend trat ich einen Schritt auf ihn zu.

„Diese vermaledeite Gräfin und ihr Pack Betrüger. Wo sind sie?"

Er zuckte zurück und stieß sich den Kopf am Türrahmen, doch dass war mir verflucht egal.

„Ich...Ich weiß nicht."

Ich trat weiter vor, griff nach seinen Schultern und rüttelte ihn ordentlich durch.

„Wo sind sie?"

Mir war vollkommen bewusst, dass ich brüllte und mich verhielt wie ein Verrückter. Dennoch zuckte ich erschrocken zusammen, als eine betont leise Stimme, mit einem Hauch zu viel Zufriedenheit, erklang.

„Gleich hier vorne."

Mit einem Ruck ließ ich von Benno ab und fuhr herum. An eine der Hütten gelehnt, die ich eindeutig als die Hütte mit den Vorräten identifizierte, stand diese verfluchte Gräfin. Doch ich war mir ziemlich sicher, dass sie eine Hexe war, keine Adelige.

Wie sie so ruhig dastehen konnte, in dem Kleid, in dem wir sie vor ein paar Tagen gefunden hatte, war mir ein Rätsel. Es saß gut, dass musste ich zugeben, mit einem schmalen Korsett und einem weiten Rock, dennoch konnte es nicht über mein eigentliches Problem hinwegtäuschen: Das Schwert an ihrer Hüfte.

Auch meine Männer, manche angezogen von dem Lärm, bemerkten es. Eine Menge lauter Flüche wurden ausgestoßen, Säbel gezückt. Doch sie ignorierte meine gefährliche Mannschaft einfach, eine Hand auf dem Knauf ihres Schwertes, und schenkte mir ein kleines Lächeln, dass ihre Augen zum Strahlen brachte.

„Hat es Euch die Sprache verschlagen?"

Wütend trat ich auf sie zu, über die Lichtung hinweg.

„Wo ist sie?"

„Wo ist wer?"

Ihre Stimme klang verspielt, das Lächeln das eines kleinen Mädchens, nicht das der Diebin, die sie war.

„Die Attika. Wo ist sie?"

Das überraschte Einatmen meiner Mannschaft entging weder mir noch ihr, denn ihr Lächeln wurde einer Spur breiter.

„Euer Schiff? Das ist eine sehr gute Frage. Sicher, dass Ihr die Antwort erfahren möchtet?"

Heiße Wut ergriff mich. Wie konnte sie es wagen, so mit mir zu spielen? Wusste sie nicht, was es bedeutete, einen Piraten von seinem Schiff zu trennen? Mit einer schnellen Bewegung zog ich das Yagatan aus seiner Scheide, mit dem Wunsch, ihr wehzutun, doch weit kam ich nicht. Nach nur einem Schritt erklang das Zischen eines Pfeils, der sich direkt zu meinen Füßen in den Boden bohrte. Ich erstarrte ich der Bewegung, den Blick auf das schmale Stück Holz gerichtet. Dann hob ich den Blick, bis ich sie direkt ansehen konnte.

„Was wollt Ihr?"

Ganz eindeutig zufrieden stieß sie sich von der Hütte ab und griff in eine Tasche ihres Kleides, aus der sie ein Dokument hervorzog, dass sie vorsichtig glattstrich.

„Ich dachte schon, Ihr fragt nie. Yan war so nett, ein kleines Dokument vorzubereiten. Zu Eurem Glück hat er tatsächliche eine notarliche Ausbildung abgeschlossen, sonst hätte es keinen Wert."

Ich starrte sie an, dann winkte ich nach einem meiner Männer, Bard, mit langem Bart und breitem Kreuz. Er trat vor, wenn auch zögerlich, denn niemand wollte gerne von einem Pfeil getroffen werden, und nahm der Frau das Dokument ab. Widerwillig schob ich mein Yagatan in die Scheide und griff mit spitzen Fingern nach dem Blatt Pergament. Rasch überflog ich es.

Wortlos reichte ich es wieder Bard, denn sonst hätte ich etwas sehr Unerfreuliches getan, wie zum Beispiel das Dokument zerreißen, und sah wieder zu der Gräfin.

„Lasst es mich zusammenfassen: Ihr habt mein Schiff versteckt und erwartet als Gegenleistung für die Rückgabe nicht nur den Erlass Eures Versprechens, sondern auch uneingeschränkte Kooperation bei der Suche nach den Fae?"

Ihr Grinsen war das reinste Gift.

„Besser hätte ich es nicht zusammenfassen können."

Einmal mehr riss ich mein Yagatan hervor und stürzte vor, bis die Spitze den ungeschützten Hals der Frau zu durchbohren drohte. Entgegen meiner Erwartung hielten mich weder ein Pfeil noch ihr Schwert auf.

„Ich habe eine bessere Idee: Ihr sagt mir, wo mein Schiff ist, und dafür verspreche ich Euch einen weitgehend quallosen Tod."

Die Ruhe, die sie ausstrahlte, machte mich nur noch wütender. Warum winselte sie nicht um ihr verwirktes kleines Leben? Diese Frage hätte ich mir kaum stellen sollen, denn schon spürte ich die Spitze von etwas, was nur eine Waffe sein konnte, im Nacken.

„Ihr solltet Euch beruhigen. Am besten fangt Ihr damit an, die Waffe zu senken und sie an Isabel zu reichen."

Der Ehemann. Natürlich. Ganz langsam folgte ich den Anweisungen und unterdrückte eine Grimasse, als die Diebin meinen wunderschönen Besitz an sich nahm.

„Wunderbar. Jetzt solltet Ihr ein paar Schritte zur Seite treten und Eure Mannschaft auffordern, die Waffen herunterzunehmen."

Mit geballten Fäusten folgte ich auch diesen Anweisungen. Kurz zögerten meine Männer, doch die Waffe, die noch immer auf mich gerichtet war, schien sie zu überzeugen. Kaum lagen die letzten Waffen, traten die Dienerin, die vermutlich keine Dienerin war, der Leibwächter und der falsche Anwalt aus dem Wald hervor und sammelten die Waffen ein.

Und ich konnte nur machtlos zusehen, wie ein paar Diebe meine Mannschaft entwaffneten. Diese Machtlosigkeit machte mich wahnsinnig.

Es dauerte eine Weile, doch schließlich hatten sie all unsere Waffen in einer Hütte verstaut. Der Druck des Schwertes in meinem Nacken nahm ab, dann spürte ich einen groben Stoß an der Schulter. Überrascht trat ich vor, dann wirbelte ich herum, sodass ich die Gräfin und ihren Ehemann sehen konnte, und trat zu meinen Männern.

Dabei fiel mir nicht nur die Eleganz der Waffen auf, die der junge Mann in Händen hielt. In der Rechten hielt er ein goldverziertes, schlankes Katana, dass selbst in dem freundlichen Licht der Sonne bedrohlich glitzerte, in der Linken ein kürzeres Schwert, vielleicht ein Wakizashi, dass das Licht zu verschlingen schien.

Dennoch, wirklich prominent war das Tattoo an der Unterseite des rechten Arms, gut erkennbar aufgrund des hochgerollten Ärmels. Eine Eiche, deren gewaltiges Blattwerk eine Krone bildete. Das Erkennungszeichen der Königsgarde unter Führung des Kronprinzen. 

Die Richtung, die dieser Tag nahm, sagte mir ganz sicher nicht zu.

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Surprise, mal eine ganz neue Sicht auf die Dinge. Ich muss zugeben, dieses Kapitel hat sich wie von selbst geschrieben. 

Over and Out,
DasLebenLesen

29/03/2021

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