Drysden [7]
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„Hier ist er, der Treffpunkt."
Stirnrunzelnd warf ich dem Piratenkapitän einen Seitenblick zu, dann nahm ich die Lichtung, auf der wir standen, genauer in Augenschein. Sie war nicht sonderlich groß und auf den ersten Blick unterschied sie sich nicht von den Lichtungen, die zwischendurch immer wieder zwischen dem dichten Buschwerk zu sehen gewesen waren. Große Büsche, breite Bäume, kaum Sonnenlicht, obwohl es bereits Nachmittag sein musste.
Gerade als ich meine Bedenken äußern wollte, fiel mir jedoch etwas ins Auge. Mit einer kurzen Geste wies ich Isabel an, zu warten, dann trat ich auf die Lichtung zu. Nach ein paar Schritten erhaschte ich einen besseren Blick auf das, was da im Zentrum der Lichtung schimmerte.
Dort, von Gräsern verborgen, lag eine Art Senke, in die man eine Metallwanne eingelassen hatte. Darüber lag ein schmales Netz aus Metall, vermutlich um Tiere davon abzuhalten, hineinzuklettern. Ich ging in die Knie, um die Apparatur genauer zu betrachten. Der Schließmechanismus wurde mit einem einfachen Riegel bedient, dem einzigen Teil der Konstruktion, der matt leuchtete. Darum herum erkannte ich bei genauerer Betrachtung immer wieder kleine Flecken, die nicht silbrig leuchteten, wie auch der Riegel.
Ruhig erhob ich mich wieder und trat zurück zu den anderen, die am Rand der Lichtung warteten. Dann nickte ich Isabel zu. Langsam breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
„Die Lichtung wird auf jeden Fall genutzt. Da vorne ist eine Senke, vermutlich, um Ware darin abzulegen."
Der Pirat nickte, als ich ihm einen kurzen Blick zuwarf, weigerte sich aber, irgendeinem von uns viel Aufmerksamkeit zu schenken. Stattdessen starrte er angestrengt in den Wald hinein, als würde er nach etwas oder jemandem Ausschau halten. Vermutlich letzteres.
„Dann machen wir es wie besprochen. Andrej und Drysden suchen die Gegend ab, wir warten hier."
„Gott sei Dank", ließ Yan sich vernehmen.
Cara neben ihm verdrehte nur die Augen, dann klopfte sie Andrej auf die Schulter und nickte mir zu.
„Passt auf euch auf. Und geht nicht zu weit."
„Immer doch."
Die Antwort, die Andrej leise vor sich hin brummte, klang alles andere als überzeugend, dennoch akzeptierte Cara sie. Doch als ich an ihr vorbei in den Wald zurückkehren wollte, hielt sie mich mit einem überraschend festen Griff am Oberarm zurück. Als ich fragend zu ihr blickte, nickte sie in die Richtung, in der Andrej im Wald abgetaucht war, und hob bedeutungsvoll die Augenbrauen. Ich zögerte kurz, doch dann nickte ich.
Zufrieden ließ sie mich wieder los und ich setzte meinen Weg fort, ihre und Isabels Stimme leise im Hintergrund zu vernehmen.
Es dauerte nicht lange, bis ich zu Andrej aufschloss. Schweigend machten wir uns daran, die Lichtung zu umkreisen. Dabei ließen wir uns Zeit, denn weder wollten wir etwas übersehen, was auf die Fae hinweisen könnte, noch wollte einer von uns in eine Falle der Piraten hineintreten.
Als wir zum dritten Mal den Weg überquerten, ging ich davon aus, dass wir weit genug von den anderen entfernt waren. Also trat ich an den Leibwächter heran, der eine Baumgruppe inspizierte. Ich tat es ihm gleich, während ich überlegte, was ich wohl sagen sollte. Doch wie sich herausstellte, musste ich das Thema gar nicht ansprechen.
„Du sollst mich fragen, was los ist, nicht wahr?"
Überrascht hielt ich inne und warf ihm einen Blick über die Schulter zu. Er war in die Hocke gegangen, vermutlich um den Boden abzusuchen, dennoch konnte ich erkennen, wie angespannt er war.
„Wenn du es nicht sagen willst, dann zwinge ich dich nicht dazu", gab ich schließlich zurück.
Ich wusste sehr gut, wie das war, wenn jeder eine Antwort auf Fragen hören wollte, die man nicht geben konnte. Ich war sicherlich der letzte, der das Recht hatte, so etwas zu verlangen. Doch Andrej überraschte mich mit einem kleinen Schulterzucken.
„Es ist eigentlich keine große Sache. Oder, nicht mehr. Jetzt, wo wir dieses kleine Schauspiel nicht mehr aufrechterhalten müssen, ist es egal."
Ich nickte verwirrt, auch wenn Andrej mich nicht sehen konnte. Zwar wusste ich nicht, worauf er anspielte, doch ich war mir sicher, dass er es mir erzählen würde. Also blieb ich still und ließ ihn nachdenken, während wir uns weiter in einer Spirale um die Lichtung arbeiteten.
„Ich kenne Emerald von früher."
Beinah hätte ich gefragt, wen er meinte, doch dann hielt ich inne und ein kleines „Oh" verließ meinen Mund. Andrej, der neben mir stand, zog eine Grimasse und nickte, während er mit überraschend flinken Fingern ein Blatt zerrupfte, das ihm in die Quere gekommen war.
„Ich habe es nicht sofort bemerkt. Ist schon eine ganze Weile her, noch vor meiner Zeit in der Armee. Ich habe damals am Pier geholfen. Er und seine Jungs waren damals keine Piraten, glaube ich. Sie haben auf Schiffen angeheuert, statt Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Sie waren die einzigen Jungen in meinem Alter, also haben wir uns schnell angefreundet."
Andrej wurde immer schneller, bis ich Probleme hatte, mitzuhalten.
„Dann gingen ein paar Sachen schief, er ist aus der Gegend verschwunden, ich bin zur Armee gegangen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er sich noch an mich erinnert. Ich war 17, glaube ich. Er war ein paar Jahre jünger, aber das hat man kaum gemerkt. Er war schon immer ein aufgeweckter Typ."
Ich konnte mir ein kleines anerkennendes Pfeifen nicht verkneifen, als sich die Stille zwischen uns erstreckte und Andrej nicht schien, als würde er noch etwas sagen wollen.
„Du kennst ganz schön viele Leute, wie mir scheint."
Das überraschte kleine Lachen, das er ausstieß, ließ mich Schmunzeln.
„Du hast damit kein Problem?"
Ich runzelte die Stirn und sah erneut zu Andrej hinüber. Er hatte es aufgegeben, als Blättern zu zupfen. Stattdessen sah er mich an, die Hände in den Taschen seiner Hose vergraben, die Schultern gebeugter als sonst.
„Womit? Das du mal mit einem Jungen befreundet warst, der später zum Piraten geworden ist?"
Er zuckte mit den Schultern, den Blick zwar in meine Richtung, aber nicht auf mich gerichtet. Ich unterdrückte den Drang nachzusehen, ob es dort etwas zu sehen gab, damit Andrej nicht dachte, ich würde mich über ihn lustig machen. Stattdessen versuchte ich, seinen Blick ruhig zu erwarten, sobald er so weit war.
„Emerald war immer ein netter Junge, weißt du? Es fällt mir schwer, diesen Emerald und den Jungen miteinander in Verbindung zu bringen. Und irgendwie fühle ich mich, als würde ich diese alte Freundschaft verraten, während das das Gefühl in mir auslöst, euch zu verraten."
Ich nickte, dann trat ich auf meinen Freund zu, bis ich ihm eine Hand auf die Schulter legen konnte. Der Winkel war ein wenig ungewohnt, fühlte sich aber dennoch vertraut an.
„Ich vertraue dir, Cara vertraut dir, Isabel vertraut und ich bin mir sicher, dass Yan dir mehr vertraut als jedem anderen von uns. Du verrätst uns nicht, nur weil du mal mit jemandem befreundet warst und das Band noch fühlst. Das ist normal, Gefühle sind kompliziert."
Ein paar Sekunden lang sah er mich abschätzend an, dann nickte er mit etwas, was ich als ein kleines Lächeln hinter dem wirren Bart erkannte.
„Okay."
Ich drückte seine Schulter einmal, dann grinste ich ihn an.
„Okay."
Mit einem kleinen Lachen verpasste er meinem Arm einen Stoß und ich ließ los, um mich der Arbeit wieder zu widmen. Wir machten schweigend weiter und wenn ich Andrej einen kurzen Blick zuwarf, dann wirkte er entspannter als noch zuvor. Das musste schwer auf ihm gelastet haben, so viel war sicher.
„Wo hast du das nur gelernt?"
Ich sah auf von der Stelle, die ich kurz nach unserer fünften Überquerung des Weges inspizierte, und runzelte die Stirn.
„Fährten lesen?"
Andrej schüttelte den Kopf und schob ein paar Ranken zur Seite, die ihm die Sicht versperrten.
„Nein, das Reden."
Ich zuckte mit den Schultern und blickte wieder auf den Boden.
„Das war eine meiner Aufgaben in der Königsgarde. Man kann kein Dutzend Männer in den Kampf führen, die nicht ganz bei der Sache sind. Das kostet Zeit und Leben, die man sich nicht leisten darf."
Ich gab mir Mühe, möglichst gelassen zu klingen, doch ich war noch immer kein besserer Schauspieler. Selbst in meinen Ohren klang meine Stimme gepresst, der Ton abwehrend.
„Erzählst du mir irgendwann, was passiert ist?"
Ich schob einen kleinen Ast zur Seite, dann erhob ich mich aus der Hocke und entfernte etwas Gras von meiner Hose.
„Irgendwann, das versspreche ich dir. Nur nicht jetzt."
Eine bessere Antwort hatte ich nicht, konnte ich nicht geben.
„Das liegt nicht daran, dass ich dir nicht vertraue, Andrej. Glaub mir das. Es ist nur..."
„Kompliziert?", schlug er vor, während ich nach dem richtigen Wort suchte.
Ich verzog das Gesicht, nickte aber.
„Dann warte ich, bis du so weit bist."
Andrej hatte sich mir wieder zugewandt und nun war es an ihm, aufmunternd zu lächeln. Doch im Gegensatz zu mir hielt er Abstand, als wüsste er, dass ich jetzt niemanden in meiner näheren Umgebung ausstehen konnte. Wahrscheinlich tat er das, schließlich zählte er zu meinen engsten Freunden in der Hauptstadt.
„Danke."
Ich musste den Blick nach einigen Sekunden abwenden, als die altbekannten Schuldgefühle in mir hochstiegen. Andrej kannte mich vermutlich besser als Kris und Will, meine besten Freunde seit Kindheitstagen. Und dennoch schaffte ich es beim besten Willen nicht, ihm von der schlimmsten Zeit meines Lebens zu erzählen.
Es war nicht so, dass ich nicht wollte. Nicht nur ihm gegenüber, auch Anna, mit der ich eine Weile lang gemeinsam trainiert hatte, hatte ich schon davon erzählen wollen. Doch wann immer der Augenblick günstig war, schreckte ich zurück oder schaffte es nicht, den Mund zu öffnen. Und dann verstrich der richtige Moment und ich blieb mit diesem unangenehmen Gefühl mitten im Brustkorb zurück.
„Schau mal hier."
Ich hob den Kopf von meinem Unterarm, auf dem ich gedankenverloren der dunklen Tinte des Tattoos gefolgt war und stapfte stattdessen zu Andrej, der ein paar Schritte entfernt vor einem Baum stand. Zuerst versperrte sein breiter Rücken mir die Sicht, doch dann trat er zur Seite und offenbarte ein Symbol, vielleicht handtellergroß. Ein Pfeil deutete nach links, in Richtung des Weges. Er traf auf die obere Hälfte eines „Z", dessen Spitzen verschoben worden waren. Unterhalb des Pfeils befand sich ein kleiner Kreis.
Vorsichtig folgte ich den Linien in der Baumrinde. Sie waren tief und sahen nicht neu, aber auch nicht alt aus. Nachdenklich blickte ich zu Andrej, der erwartungsvoll neben mir stand.
„Es sieht aus, als würde es regelmäßig erneuert", erklärte ich und er nickte.
„Vielleicht finden wir weitere Symbole."
Ich nickte, doch irgendetwas hielt mich davon ab, weiterzugehen, während ich das Symbol noch immer berührte. Unwillkürlich stieg die Frage in mir auf, was es bedeutete, denn das war keine simple Markierung. Ein Zeichen, dass mit einer solchen Vorsicht ausgearbeitet worden war, war niemals bedeutungslos.
Ich fuhr ein letztes Mal über das Symbol, dann zwang ich mich dazu, ein paar Schritte wegzutreten und mich Andrejs Suche anzuschließen. Da wir nun wussten, wonach wir suchen mussten, kamen wir schneller voran, blieben aber dennoch erfolglos. Als wir schließlich zum elften Mal auf den Weg trafen, hob ich eine Hand und versuchte, einen Blick in den Himmel zu erhaschen.
Es war bereits dunkel, zumindest hier unter den Bäumen. Dennoch meinte ich, noch Licht zwischen den Blättern über uns erkennen zu können. Vielleicht könnten wir noch weitersuchen, doch ich bezweifelte, dass wir noch etwas finden würden.
„Wir sollten umkehren", erklärte ich schließlich, als mich eine leichte Brise erfasste und daran erinnerte, dass Wälder wie dieser nachts unglaublich kalt werden konnten.
„Klingt gut."
Ich schüttelte den Kopf über den erleichterten Tonfall, den Andrej anschlug. Schweigend folgten wir dem Pfad in die Richtung, in der wir die Lichtung vermuteten. Er war schmal, sodass ich mich hinter Andrej einreihte, der mit neu gewonnener Energie die Lichtung ansteuerte. Ich selbst merkte erst jetzt, wie anstrengend dieser Tag und auch die vorherige Nacht gewesen waren. Wie aufs Stichwort fingen meine Schläfen an zu pochen und ich schloss kurz die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, war Andrej plötzlich ein ganzes Stück näher. Überrascht wollte ich stehen bleiben, doch da kollidierte ich bereits mit seinem breiten Kreuz. Zu unser beider Glück war ich langsam unterwegs gewesen und so gab Andrej kaum nach. Mit gerunzelter Stirn schüttelte ich den Kopf und trat mit ungutem Gefühl um ihn herum. Dann blieb auch ich stehen.
Auf der Lichtung brannte ein kleines Feuer, eigentlich gemütlich. Isabel saß dort, neben ihr Yan und Cara. Ihnen gegenüber hockte der Piratenkapitän, Emerald, wie ich mir in Erinnerung rief, und zog noch immer eine Grimasse. Und dazwischen saßen drei Gestalten kerzengerade und starrten Andrej und mir unverwandt entgegen.
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Und ein weiteres Kapitel. Ich bin mir nicht sicher, ob nächste und übernächste Woche Kapitel kommen, weil ich dann Abiklausuren schreibe und meine Konzentration am Ende sein wird. Mal sehen. Vielleicht überkommt mich die Tage ja noch ein kreativer Impuls.
Over and Out,
DasLebenLesen
19/04/2021
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